Nein, ich finde das sollte man nicht so hoch hängen. Immerhin ist die Bundesrepublik m.W. z.Zt. der einzige Staat in der EU, in dessen Parlament auf gesamtstaatlicher Ebene keine rechtsextreme Partei vertreten ist (in Frankreich hat Le Pen immerhin fast 25 % (in der Nationalversammlung etwas weniger), im UK sitzen zwei Abgeordnete der BNP im Unterhaus, in Dänemark sind sie mit an der Regierung (sic! wo bleibt da eigentlich der Aufschrei der EU, die noch vor ein paar Jahren heuchlerisch Österreich boykottierte?), in den Niederlanden, Belgien, und neuerdings könnte man Polen auch dazurechnen - zumindest am kraftmeierischen Gebaren des Präsidenten gemessen. Im Übrigen ist eine Demonstration noch kein Staatsstreich. Ich muß die politische Gruppierung, die das demokratische Grundrecht zu Demonstrationen wahrnimmt, nicht unbedingt mögen, aber ich muß ihr dieses Recht schon zugestehen (sofern sie sich im Rahmen ihrer Rechte bewegt, nicht gewalttätig ist und keine verfassungsfeindlichen Symbole verwendet), sonst bin ich auch kein Demokrat mehr, im Gegenteil, dann befinde ich mich im selben "Sumpf" den ich verurteile, dann handelt sich, wie Kurt Schumacher so schön sagte um "Rotlackierte Faschisten". Wie sagte Lessing so schön? "Nicht alle die ihrer Ketten spotten sind auch wirklich frei".
Übrigens werden auch anderswo in europäischen Großstädten besonders dunkelhäutige Mitbürger angegriffen und verletzt, das scheint allerdings niemanden zu kümmern. Natürlich ist mir klar, daß Deutschland aufgrund seiner Geschichte diesbezüglich immer unter besonderer Beobachtung des Auslandes steht (dahinter steht auch oft viel politisches Kalkül), aber a) was kümmert es mich, was das Ausland dazu sagt (es scheint sich um eine "deutsche Krankheit" zu handeln darauf besonders fixiert zu sein), wenn ich mit meinem Gewissen im Reinen bin und b) leben wir 60 Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches in einer Zeit, in der immer weniger Zeitzeugen überhaupt noch leben, die vielleicht - wenn überhaupt - lediglich in ihrem Abstimmungsverhalten bei der Wahl 1933 schuldig geworden sind. Die Nachgeborenen können per se nicht schuldig sein, eigentlich auch keine "Verantwortung" für eine geschichtliche Epoche tragen, die sie nie erlebt haben. Und es ist ja auch purer Zufall, daß ich gerade in Deutschland und eben deshalb als Deutscher geboren wurde, ebensogut könnte ich in Neuseeland geboren worden sein. (OT: Kleine Quizfrage für die "hauptberuflichen Bedenkenträger": trägt auch ein geborener Neuseeländer, der die deutsche Staatsbürgerschaft erwirbt, vom Beginn der Wirksamkeit seiner neuen Staatszugehörigkeit an auch die Bürde der "historischen Verantwortung" mit?)
Ich kann daher gut mit Martin Walser mitfühlen, der auch von dieser Überstrapazierung jenes Begriffes (historische Verantwortung) sprach und darin eine bewusst politisch gewollte begriffliche Unschärfe sah, die von einer Seite dazu benutzt wird, politische Inhalte umzusetzen, denen es unter normalen Umständen an Legitimität und Plausibilität mangeln würde. Die Forderung nach einer "Multi-Kulti-Gesellschaft" ist m.E. nach solch ein Fall. Mich stört nicht eine Gesellschaft mit mehreren Kulturen (die haben wir eh schon lange - kulturell wissen sich z.B. Süddeutsche und Italiener eher verbunden als Süddeutsche mit Norddeutschen

), sondern die Ideologie, die dahinter steht; daß nämlich ein Zustand begrifflich (damit fängt es meistens an) erzwungen werden soll, der so in der Realität noch nicht existiert und der allein durch Begriffswandlungen auch nie erreicht werden wird. "Multi-Kulti" als Rezept, so wie es von den Hauptvertretern angepriesen wird, ist eben nicht ein von allen Gliedern der Gesellschaft getragener und anerkannter Wertecodex, sondern Gleichgültigkeit (ebenjene verwechseln diese mit Toleranz) um den Preis des Identitätsverlustes. Daß, wie es oftmals gesagt wird, andere, auch europäische Staaten diese Integrationleistung schon längst vollbracht hätten im Gegensatz zu Deutschland, ist ein oft erzähltes Märchen. Wer aufmerksam ausländische Zeitungen liest und sich in diesem oder jenem Land für längere Zeit aufgehalten hat, wird wissen daß es anderswo oftmals noch größere Probleme gibt.
Allerdings wird die zu erbringende Integration und zu einem Gutteil Assimilation auch anderswo mit wesentlich stärkerem Nachdruck eingefordert. So wäre es beispielsweise undenkbar, daß in einer britischen Schule nicht Englisch, sondern Punjabi gesprochen wird, noch stärker findet diese Ablehnung einer ständig und überall gesprochenen fremden Sprache noch auf der Straße statt. Ein solches selbstverständliches Selbstbewußtsein dem eigenen Grundstock der kulturellen Identität, nämlich der eigenen Sprache gegenüber, muß hier in Deutschland wohl erst wieder gefördert werden, dann erst wird die Gesellschaft stark genug sein, um die zu uns einwandernden Ausländer - auch und vor allem zu ihrem eigenen Besten - wirkungsvoll zu integrieren. Türkische Mädchen, die sich von ihrem streng islamisch geprägten Elternhaus emanzipiert haben und selbstbewußt ihren Weg gehen, sind ein positives Beispiel dafür (die türkischen Jungs haben es wohl meist schwerer, weil von ihnen schon von zu Hause aus solcherlei Selbstbeweise gar nicht erst verlangt werden, im Gegenteil, sie werden wohl eher verwöhnt). Wo waren die Aufschreie und Demonstrationen, aber auch öffentliche Wortmeldungen vor allem der islamischen Gemeinden in Deutschland, als die ersten "Ehrenmorde" geschahen? Ich habe den Verdacht, daß eine nicht zu geringe Zahl der hier lebenden ausländischen Menschen - beileibe nicht alle, es gibt immer wieder Lichtblicke - sich gar nicht integrieren lassen wollen. Abschiebung oder Ausweisung würde ich allerdings nur als ulitma ratio betrachten, meist wird der Wille zur Integration schon mit dem Druck wachsen. Daß es auch Deutsche gibt, die diesen Werte- und Gesetzescodex offensichtlich nicht anerkennen und ausländische Mitbürger wegen ihrer Herkunft verprügeln (obwohl der Grund ja eigentlich egal ist, oder?), ist zwar schändlich (es ist mir übrigens aufgefallen, daß das Wort "Schande" nur noch in Verbindung mit rechtsgerichteten politischen Aktivitäten ernsthaft gebraucht wird), kann aber wohl einem Deutschen auch überall auf der Welt passieren. Eine falsche Reaktion darauf ist auch das immer wiederkehrende Phänomen des Starrens (und Erstarrens) auf die Erscheinung "Rechtsextremismus" nach solch einem Vorfall. Ritualartig werden dann die Verbindungen der Täter zur rechtsextremistischen Szene betont - wer aber (um eine kürzlich gestellte Frage zu wiederholen) sorgt sich um die Integration dieser Leute? Oft sind das ja selbst arme Schweine, die aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen und auch sonst nirgends Anerkennung finden; kein Wunder daß sie sich nur mit Gewalt zu helfen wissen. Sie fühlen sich bereits als Ausgestoßene, die Stigmatisierung von Seiten der Gesellschaft verstärkt das nur noch. In diesen meist wirklich dummen Leuten, die ihren geistigen Rädelsführern auf den Leim gegangen sind, eine Art "Vorhut für einen künftigen braunen Staatsumsturz" zu sehen, ist nicht nur unrealistisch (sonst gäbe es mehr Leute, die rechtsextreme Parteien wählen), sondern auch gefährlich. Somti muß ich als Fazit sagen: wenn solche Leute demonstrieren wollen, sollen sie es doch tun. Solange sie es friedlich tun (übrigens auch die Gegendemonstranten) und keine Gesetze verletzen, kann niemand etwas dagegen sagen; sie tun dann ihre Meinung kund, sonst nichts. "Ich bin nicht ihrer Meinung, aber ich werde mich immer dafür einsetzen, daß sie sie frei vertreten können" (Voltaire). Soviel muß eine Demokratie aushalten. Und ich glaube die läuft hier besser als in vielen sog. "Mutterländern der Demokratie".
Gruß, Yeti