Raphael hat geschrieben: ↑Samstag 3. Juli 2021, 19:15
Das ist zu simplizistisch gedacht, weil es die Tiefenstruktur der Glaubensaussagen im Credo außer Acht läßt.
Du - nicht ich - hast Standards aufgestellt. Nun willst Du sagen, daß das filioque etwas Besonderes ist, und somit nicht unter Deine eigenen Standards fällt. Das ist
"special pleading", Sonderplädoyer. Wie bei allen Sonderplädoyers ist die korrekte Antwort zu schauen, ob man dann nicht auf gleicher Weise für andere Dinge Sonderplädoyers halten könnte. Wenn man das tut, findet man die Lücken, Ungenauigkeiten oder gar Falschheiten in den angenommen Standards. Will sagen, daß nachträgliche Anführen von Sonderfällen weißt praktisch immer auf anfängliches Schludern bei der Regelaufstellung hin. So auch hier.
Es ist üblich das Glaubensbekenntnis von Konstantinopel zusammen mit dem von Nizäa zu betrachten. Und das ist gut so. Denn wir sehen sofort zwei Dinge. Erstens: dem Glaubensbekenntnis von Nizäa in 325 AD folgt direkt nur ein einziges Anathema. Und das sagt keineswegs "und an all das was wir hier gesagt haben müßt auch ihr genau so glauben wie es nunmal hier steht"! Vielmehr beschäftigt es sich konkret mit der arianischen Häresie, und gibt eine halbes Dutzend Formulierungen und Konzepte an die ein Arianer wohl zu dem Gesagten hinzufügen würde. Und die, nur die, werden dann mit einem Anathema belegt. Alles andere ist zwar nun in den Raum gestellt, aber nicht explizit konzilar festgezurrt. Und selbst bzgl. Arius wurde nicht gesagt, daß man an das Geschriebene so wie es ist glauben muß, sondern nur daß ganz bestimmte Änderungen und Erweiterungen nicht zulässig sind.
Und das ist ja auch gut so, denn das Glaubensbekenntnis von Konstantinopel 381 AD ist ja bereits deutlich anders als das von Nizäa. Es ist selbst bereits eine klare Erweiterung, es wird mehr und spezifischeres gesagt. Aber es gibt eben kein Anathema von Nizäa, daß das untersagen würde. Wie steht es nun mit Konstantinopel selber, führen die ein "wörtlich so und nicht anders" Anathema ein? Nein, tun sie nicht. Oder genauer: wir haben keine Ahnung ob sie das vielleicht getan haben. Die echten Entscheidungen des Konzils von 381 AD "tomos kai anathematismos engraphos" sind uns garnicht erhalten! Formal gibt es darum überhaupt
keine bekannten konzilare Entscheidungen bzgl. dieses Textes. Denn was wir hier benutzen ist nicht ein konzilarer Text, sondern vielmehr der Text eines Synoden-Briefes von 382 AD, der das Konzil zusammenfaßte. Man kann allerdings annehmen, daß das Konzil von Konstantinopel, ähnlich dem von Nizäa, wenn überhaupt nur spezifische Anathema ausgesprochen hat, die wiederum nicht wirklich den Text selber festlegen, sondern vielmehr ganz bestimme Erweiterungen oder Veränderungen abwehren.
Das Glaubensbekenntnis von Konstantinopel wurde dann populär im Osten als Taufbekenntnis, zuerst belegt übrigens bei Häretikern (Monophysiten). Im Westen wurde 589 AD in der 3. Synode von Toledo in die Liturgie eingeführt (übrigens bereits mit filioque...).
Wenn wir hier von explizit konziliarer "de fide" Definition reden, wie sehr bin ich dann also an den spezifischen Text von 381 (oder 382) AD gebunden? So gut wie garnicht! Man kann nun sicher ein viel kompliziertes geschichtliches Bild aufbauen mit späteren kirchlichen Entscheidungen hier und da. Und man kann auch über den allgemeinen Gebrauch über Tausend Jahre hinweg reden, und was der bedeutet. Alles gar keine Frage, ich sage mein
Credo gerne und habe keine Probleme damit, daß als bindende Richtlinie für mich zu sehen. Aber wenn wir hier von "de fide" und Konzil reden und so tun als ob es um die Veränderung eines für immer im Wortlaut festgenagelten Textes ginge, dann muß man eben auf die Bremse treten. Dieses Glaubensbekenntnis drückt sicher Dogmen der Kirche aus, und wir sind ihm aus Tradition und kirchlichem Gebot auch im Wortlaut verpflichtet. Aber der Wortlaut selber ist nicht durch Anathema abgesichert. Und somit kann auch das Hinzufügen oder Hinweglassen des filioque nicht selbst in diesem Sinne problematisch sein.
Raphael hat geschrieben: ↑Samstag 3. Juli 2021, 19:15
Und wenn man das zuvor geschilderte Bild verstanden hat (verstehen will), sieht man auch, daß das
filioque gar keine inhaltliche Veränderung des Credo enthält.
Deine Analogie ist nett, aber hilft leider bzgl. des hier diskutierten Problems nicht weiter. Denn wenn ich sage, daß etwas von einem Mann und Megaphon kommt, nimmt niemand an, daß das Megaphon mehr tut als passiv den Laut zu verstärken. Niemand nimmt an, daß das Megaphon eine eigenständige aktive Quelle ist, es ist nur ein Instrument des Mannes. (Wenn überhaupt ist das Megaphon eine Störquelle. Wenn ich z.B. sage, daß der Laut verzerrt ist, dann würde man eventuell das Megaphon als die Quelle der Verzerrung betrachten.)
Wenn man Deine Analogie auf unseren Fall anwenden wollte, dann könnte man eventuell sagen, daß ein alter Mann einem jungen Mann mit deutlich besseren Lungen sagt, was der in die Welt rufen soll. Wenn wir nun sagen, daß das Gehörte von dem alten
und dem jungen Mann auf dem Berg kommt, dann haben wir das "filioque" Problem. Das "und" schließt eben nicht aus, daß der junge Mann seinen eigenen Senf dem Gerufenen beigefügt hat. Ja, es sagt uns nichtmal, daß die Situation überhaupt so it, daß der alte Mann durch den jungen spricht. Alleine von der Formulierung her könnte man meinen, daß beide etwas vom Berg herunter rufen, und daß was wir konkret hören eine Mischung ist. Es ist eine ungenaue Formulierung, die eine bestimme Sache verdeutlicht (es sind zwei Leute involviert in der Lautproduktion) aber eine andere nicht klar zum Ausdruck bringt und vielleicht sogar verschleiert (inhaltlich kommt die Verlautbarung nur von einem der beiden).