Lycobates hat geschrieben: ↑Montag 26. April 2021, 22:22
Systeme und Rituale, Akte, objektive Sachen, ja, die können und müssen allerdings schon verdammt und u.U. auch verhindert werden
Ich greife diesen Satz einmal auf, da er meines Erachtens zutreffend ist, aber es vielleicht noch ein paar Bemerkungen verlangt, wieso ich heidnische Religionen und Kulte für schädlich halte.
(1) Was zur menschlichen Natur gehört, kommt allen Menschen wesentlich und gleichermaßen zu.
(2) Die heidnische Religion kommt nicht allen Menschen wesentlich und gleichermaßen zu.
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c. Die heidnische Religion gehört nicht zur menschlichen Natur.
Wenn die heidnische Religion nicht zur menschlichen Natur gehört, dann gehören sie entweder
a) zur Übernatur oder
b) zur Kultur.
A. Wenn sie zur Übernatur gehört, dann ist sie entweder
i) göttlichen oder
ii) dämonischen Ursprungs.
B. Wenn sie zur Kultur gehört, dann ist sie entweder
i) gemäß der Natur oder
ii) wider die Natur.
Ad A.i): Diese Position besagt, dass Gott eine Reihe von Religionen und Kulten direkt oder indirekt (über seine Engel) stiftet, die sich allesamt diametral widersprechen und das nicht in Nebensächlichkeiten, sondern hinsichtlich der ihnen wesentlichen Lehren und Praktiken. Obendrein widersprechen sie auch seiner finalen Offenbarung. Welche Rückschlüsse ließe das auf so einen Gott zu? Meines Erachtens die, dass so ein Gott entweder (1) nicht weiß, was er tut, (2) es nicht anders, was so viel heißt wie: nicht ohne Widersprüche machen kann oder dass er (3) uns schlicht durch Widersprüche täuschen und in die Irre führen will. Außerdem, sozusagen als Krönung des ganzen Wahnsinns, bestraft er uns noch, wenn wir angesichts solcher Umstände, wirklich in die Irre gehen. Im ersten Fall wäre so ein Gott nicht allwissend, im zweiten Fall nicht allmächtig und im dritten Fall nicht gütig. So ein Gott wäre, nach allem, was wir darüber vernünftigerweise wissen könnten, nicht Gott. Folglich wären diese Religionen nicht von Gott gestiftet.
Ferner, wie der Aquinat sagt (vgl. S. c. g. lib. 3 cap. 118 n. 3): Wenn Gott die Wahrheit selbst ist, was er ist (vgl. Joh 14,6), so kann uns von Gott nichts Falsches zu glauben vorgelegt werden. Wenn daher jemand etwas Falsches glaubt, glaubt er es nicht von Gott her. Wenn man an die den heidnischen Religionen und Kulten wesentlichen Inhalte glaubt, glaubt man an etwas Falsches. Diese können folglich nicht von Gott stammen.
Ad A.ii): Wenn die heidnischen Religionen und Kulte nicht von Gott (und seinen Engeln) gestiftet, aber dennoch übernatürlichen Ursprungs sein sollen, dann bleiben, zumindest gemäß christlicher Lehre, nur der Teufel und die gefallenen Engel als Stifter. Dieser Fall – das heißt, dass die heidnischen Religionen Teufelswerk sind und ihr Kult dämonischer Afterdienst – nutzt dem Verteidiger der heidnischen Religionen aber nicht, kann also unbeachtet bleiben. Sollte dem allerdings so sein, dass sie vom Teufel und seinen Engel gestiftet sind, sind die heidnischen Religionen und Kulte zweifellos als schädlich zu klassifizieren.
Wenn die heidnischen Religionen und Kulte also weder zur Natur noch zur Übernatur gehören[*], dann bleibt nur die Kultur, das heißt, sie sind ungefähr so etwas wie vom Menschen erzeugte Sinngebilde.
Ad B.i): Vom Menschen erzeugte Sinngebilde können gemäß der Natur sein. Gemäß der Natur ist etwas, das seinem gottgesetzten Zweck entspricht bzw. seine natürliche Funktion erfüllt. Hinsichtlich der Religiosität, die aus den heidnischen Religionen und Kulten erwächst, sieht es wie folgt aus:
1. Wenn es eine natürliche Religiosität gibt, dann ist diese – da direkt von Gott stammend – die Norm der Zwecke und Funktionen aller kulturellen Religiosität – die vom Menschen stammt – und Letztere darf Erstere daher nicht widersprechen. Sie ist jedoch nicht die Norm der übernatürlichen Religiosität. Denn die Übernatur vervollkommnet die Natur und das Unvollkommene kann nicht des Vollkommenen Norm sein.
2. Die natürliche Religiosität kommt dem Menschen als Menschen wesentlich und überall gleichermaßen zu.
3. Die Funktion der natürlichen Religiosität besteht darin, in den Menschen Liebe zum einen, wahren Gott zu erwecken.
4. Jede Liebe aber ist intentional auf ein Geliebtes als seinen Gegenstand gerichtet. Intentionale Gerichtetheit/Bezugnahme geht mit einer bestimmten Tätigkeiten des Intellekts einher, nämlich der Begriffsbildung. Der Begriff leitet die intentionale Gerichtetheit auf seinen jeweiligen Gegenstand.
5. Die heidnischen Religionen und Kulte beinhalten viele unterschiedliche falsche Gottesbegriffe, die sich ferner je nach Religion, Ort und Zeit gegenseitig widersprechen.
6. Selbst wenn nun nicht der jeweilige gesamte Gottesbegriff falsch sein sollte, sondern bloß ein einzelnes Merkmal des Begriffs, so ist doch der gesamte Begriff falsch. Bezogen auf Gott gibt es auch keine Gradualität im Irrtum, denn wie der Aquinat ausführt (vgl. S. c. g. lib. 3 cap. 118 n. 4): Jeder, der bezüglich des Wesens eines Dinges irrt, erkennt dieses Ding nicht. Wer sich bei zusammengesetzten Dingen bezüglich eines seiner Wesensmomente irrt, erkennt zwar nicht das Ding schlechthin, jedoch erkennt er es in einer bestimmten Hinsicht. Bei den einfachen Dingen dagegen schließt jeder beliebige Irrtum die Erkenntnis vollständig aus. Gott aber ist vollkommen einfach. Jeder beliebige Irrtum schließt also die Erkenntnis Gottes vollständig aus.
7. Wenn die Erkenntnis Gottes mittels eines korrekten Begriffs ausgeschlossen ist, kann es auch keine intentionale Bezugnahme auf den einen, wahren Gott geben. In der Religiosität der heidnischen Religionen und Kulte sind Menschen zwar intentional auf einen Gegenstand gerichtet, aber dieser Gegenstand ist nicht der eine, wahre Gott. In diesem Sinne lieben die Heiden auch nicht Gott, sondern etwas anderes, das wir gemäß der Heiligen Schrift „Idol“, „Götze“ o. Dgl. nennen.
8. Die kulturelle Religiosität der heidnischen Religionen und Kulte erweckt also in den Menschen ihrer Funktion nach keine Liebe zum einen, wahren Gott. Im Gegenteil, da der eine, wahre Gott dem Götzen entgegengesetzt ist, hassen die Heiden Gott, sofern sie das erkennen und ihren Götzen (weiterhin) lieben (vgl. S. th. Iª-IIae q. 29 a. 2 co.).
9. Das, was die heidnischen Religionen und Kulte erzeugen, widerspricht nun aber nicht bloß der übernatürlichen, sondern ebenso der natürlichen Religiosität im obigen Sinne. Diese sind folglich wider die Natur.
Ad B.ii): Bleiben noch die heidnischen Religionen und Kulte als vom Menschen erzeugte Sinngebilde, die wider die Natur sind. Was an der menschlichen Kultur wider die Natur ist, entspricht nicht Gottes Willen, der die Ordnung der Natur gewollt hat. Was an der menschlichen Kultur nicht Gottes Willen entspricht, ist schädlich für den Menschen, da Gott das Gute ist und nur das Gute für uns will. Die heidnischen Religionen und Kulte als nicht der Natur gemäße menschengemachte Sinngebilde sind also schädlich.
Ferner ist es schädlich Falsches bezogen auf einen Bereich für wahr zu halten, in dem ein Fehler den Tod bedeuten kann. Die heidnischen Religionen und Kulte beinhalten als wesentliche Bestandteile Falsches bezogen auf einen Bereich, in dem ein Fehler den (ewigen) Tod bedeuten kann. Also ist an sie zu glauben oder sie zu praktizieren schädlich.
Weiters verhält sich, wie der Aquinat sagt (vgl. S. c. g. lib. 3 cap. 118 n. 5), das Wahre in der Ordnung der Erkenntnis wie die Tugend in der Ordnung des Sittlichen (Aristoteles: „Das Gute des Verstandes ist das Wahre“). Zum göttlichen Gesetz gehört es aber, dass das Laster verhindert wird. Also gehört es zum göttlichen Gesetz, dass falsche Meinungen über Gott verhindert werden. Die heidnischen Religionen beinhalten als wesentliche Bestandteile falsche Meinungen über Gott, also gehört es zum göttlichen Gesetz, dass die heidnischen Religionen und ihre Religionsausübung verhindert werden.
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[*] Ich persönlich neige allerdings zu der Ansicht, dass die heidnischen Religionen und Kulte im Allgemeinen mit irgendetwas Übernatürlichem ungefähr so viel zu schaffen haben wie ein alter Autoreifen. Das tue ich u. a. deshalb, weil wir hier und heute als Bewohner westlicher Industrienationen, selbst in unserem manifesten Weltbild darauf festgelegt sind, dass die Welt i. S. d. naturwissenschaftlichen Weltbildes – und natürlich immer des jeweiligen Standes desselben! – mit rechten Dingen zugeht. Aus Letzterem kann man aber weder einfach aussteigen noch es partiell beiseite wischen, ohne in Widersprüche zu geraten, dass es nur so kracht. Und zwar durchaus gerade auf der Ebene des manifesten Weltbildes. Man könnte auch schlicht sagen, die Inhalte des einen gehören zusammen mit den Inhalten des anderen zu unserer intersubjektiv geteilten Selbst- und Weltinterpretation, auf die wir uns ständig de facto in unserer Alltagspraxis festlegen und die nicht willkürlich aufgebbar oder hintergehbar ist. Was das seit wohl gut 200 Jahren für die Religion oder das Selbstverständnis eines religiösen Menschen bedeutet, ist m. E. ähnlich dem (wahrscheinlich aber in vielerlei Hinsicht gravierender), was im Hochmittelalter der Einbruch der aristotelischen Wissenschaftslehre und verschiedene weitere Veränderungen in der damaligen Gesellschaft für den hl. Thomas von Aquin bedeutete. Mit durchaus ähnlichen Konsequenzen und Anforderungen hinsichtlich der – ich nenne es einfach mal – "Reformulierung" zentraler Lehrgehalte, ohne deren Wahrheitsgehalt preiszugeben.