Wo sind nur die Verse 44 und 46 geblieben? – Schauen wir dagegen Luther an:Die Einheitsübersetzung hat geschrieben:Mc 9,43 Wenn dich deine Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen in die Hölle zu kommen, in das nie erlöschende Feuer.
44 []
45 Und wenn dich dein Fuß zum Bösen verführt, dann hau ihn ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das Leben zu gelangen, als mit zwei Füßen in die Hölle geworfen zu werden.
46 []
47 Und wenn dich dein Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus; es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes zu kommen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden,
48 wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.
Aha! Da haben wir sie, die beiden verschwundenen Verse. – Stimmt gar nicht, wendet einer ein: In meiner Lutherbibel stehen die Verse auch nicht! – Tja, erwidere ich, da hast du eine „revidierte“ Lutherbibel. Bei der Elberfelder würdest du’s ganz ähnlich finden: In der alten stehen die Verse noch, in der „revidierten“ nicht mehr.Dr. Martin Luther hat geschrieben:Mc 9,43 So dich aber deine Hand ärgert, so haue sie ab. Es ist dir besser, daß du als ein Krüppel zum Leben eingehest, denn daß du zwo Hände habest und fahrest in die Hölle, in das ewige Feuer,
44 da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlischt.
45 Ärgert dich dein Fuß, so haue ihn ab. Es ist dir besser, daß du lahm zum Leben eingehest, denn daß du zween Füße habest und werdest in die Hölle geworfen, in das ewige Feuer,
46 da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlischt.
47 Ärgert dich dein Auge, so wirf's von dir. Es ist dir besser, daß du einäugig in das Reich Gottes gehest, denn daß du zwei Augen habest und werdest in das höllische Feuer geworfen,
48 da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlischt.
Woher also kommen diese Revisionen, hier: die Streichung zweier Verse, in nahezu allen neueren Bibelausgaben, eingeschlossen die sogenannte Nova Vulgata? – Blicken wir in den Text.
Hm. Da fehlen die Verse also auch. Schaut man genauer hin, findet man sie im Apparat wieder. Ausgesondert als spätere Hinzufügung. Nun ist Nestle/Aland keine eigentlich wissenschaftliche Edition, sondern eine verkürzende Kompilation anderer, umfangreicherer kritischer Ausgaben. Dort aber – bei Tischendorf, Westcott/Hort, Soden – zeigt sich überall derselbe Befund. Die Verse 44 und 46 sind in den Apparat verbannt, als nachträglich eingedrungene doppelte Vorwegnahme des ursprünglich erst in Vers 48 erscheinenden Isaias-Zitats.Nestle/Aland hat geschrieben:Mc 9,43 Καὶ ἐὰν σκανδαλίζῃ σε ἡ χείρ σου, ἀπόκοψον αὐτήν· καλόν ἐστίν σε κυλλὸν εἰσελϑεῖν εἰς τὴν ζωὴν ἢ τὰς δύο χεῖρας ἔχοντα ἀπελϑεῖν εἰς τὴν γέενναν, εἰς τὸ πῦρ τὸ ἄσβεστον.
45 καὶ ἐὰν ὁ πούς σου σκανδαλίζῃ σε, ἀπόκοψον αὐτόν· καλόν ἐστίν σε εἰσελϑεῖν εἰς τὴν ζωὴν χωλὸν ἢ τοὺς δύο πόδας ἔχοντα βληϑῆναι εἰς τὴν γέενναν.
47 καὶ ἐὰν ὁ ὀϕϑαλμός σου σκανδαλίζῃ σε, ἔκβαλε αὐτόν· καλόν σέ ἐστιν μονόϕϑαλμον εἰσελϑεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ ϑεοῦ ἢ δύο ὀϕϑαλμοὺς ἔχοντα βληϑῆναι εἰς τὴν γέενναν,
48 ὅπου ὁ σκώληξ αὐτῶν οὐ τελευτᾷ καὶ τὸ πῦρ οὐ σβέννυται·
Man könnte einmal fragen, ob es – nach den Faustregeln der historischen Textkritik – denn wahrscheinlich sei, daß ein Vers derart verdreifacht werde. Liegt nich das umgekehrte näher, daß ein Abschreiber oder Redaktor die merkwürdige Wiederholung „glättet“, den Vers also zweimal wegläßt und bloß das letzte Mal stehen läßt?
Wer aufgepaßt hat, dem ist oben noch ein weiterer Unterschied zwischen der Einheitsübersetzung und dem originalen Luther aufgefallen: Luther hat am Ende von Vers 45 noch zusätzlich die Worte: »in das ewige Feuer«, wie in Vers 43, und am Ende des Verses 47 statt »in die Hölle« »in das höllische Feuer«.
Aus welcher griechischen Vorlage hat denn nun, zum Donnerwetter, Luther die längere Fassung, samt den Versen 44 und 46 und den Schlüssen der Verse 45 und 47? – Schauen wir in den sogenannten Textus receptus, welcher sozusagen das Ergebnis der byzantinischen Tradition darstellt:
Nehmen wir dazu noch die Vulgata, die damit erstaunlich exakt übereinstimmt (lediglich die Verszählung ist um eins verschoben, weil die Vulgata den Vers 9,1 des Textus receptus als letzten Vers des Kapitels 8 zählt):Der Textus receptus hat geschrieben:Mc 9,43 Καὶ ἐὰν σκανδαλίζῃ σε ἡ χείρ σου, ἀπόκοψον αὐτήν· καλόν σοί ἐστι κυλλὸν εἰς τὴν ζωὴν εἰσελϑεῖν, ἢ τὰς δύο χεῖρας ἔχοντα ἀπελϑεῖν εἰς τὴν γέενναν, εἰς τὸ πῦρ τὸ ἄσβεστον,
44 ὅπου ὁ σκώληξ αὐτῶν οὐ τελευτᾷ καὶ τὸ πῦρ οὐ σβέννυται.
45 καὶ ἐὰν ὁ πούς σου σκανδαλίζῃ σε, ἀπόκοψον αὐτόν· καλόν ἐστί σοι εἰσελϑεῖν εἰς τὴν ζωὴν χωλὸν, ἢ τοὺς δύο πόδας ἔχοντα βληϑῆναι εἰς τὴν γέενναν, εἰς τὸ πῦρ τὸ ἄσβεστον,
46 ὅπου ὁ σκώληξ αὐτῶν οὐ τελευτᾷ καὶ τὸ πῦρ οὐ σβέννυται.
47 καὶ ἐὰν ὁ ὀϕϑαλμός σου σκανδαλίζῃ σε, ἔκβαλε αὐτόν· καλόν σοί ἐστι μονόϕϑαλμον εἰσελϑεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ Θεοῦ, ἢ δύο ὀϕϑαλμοὺς ἔχοντα βληϑῆναι εἰς τὴν γέενναν τοῦ πυρός,
48 ὅπου ὁ σκώληξ αὐτῶν οὐ τελευτᾷ καὶ τὸ πῦρ οὐ σβέννυται.
Wie also kommen demgegenüber die „kritischen“ Editoren dazu, jene Kürzungen und Versstreichungen vorzunehmen? – Die Grundlage bilden lediglich zwei wichtige Codices, der Sinaiticus und der Vaticanus, die allerdings beide eng verwandt sind und einem gemeinsamen Redaktionsstrang angehören (dem Alexandrinischen); hinzu kommen nur noch wenige unbedeutendere Handschriften sowie unter den Übersetzungen die koptische und Teile der äthiopischen und armenischen Tradition.Hieronymus hat geschrieben:Mc 9,42 Et si scandalizaverit te manus tua, abscide illam; bonum est tibi debilem introire in vitam, quam duas manus habentem ire in gehennam, in ignem inextinguibilem,
43 ubi vermis eorum non moritur et ignis non extinguitur.
44 et si pes tuus te scandalizat, amputa illum ; bonum est tibi claudum introire in vitam æternam, quam duos pedes habentem mitti in gehennam ignis inextinguibilis,
45 ubi vermis eorum non moritur et ignis non extinguitur.
46 quod si oculus tuus scandalizat te, ejice eum; bonum est tibi luscum introire in regnum Dei, quam duos oculos habentem mitti in gehennam ignis,
47 ubi vermis eorum non moritur et ignis non extinguitur.
Der Rest der griechischen Überlieferung enthält die angeblichen Zusätze, auch ein so alter Zeuge wie der Codex Alexandrinus Petropolitanus (der freilich nicht die alexandrinische Redaktion widerspiegelt, sondern eine Mischform darstellt, bei Überwiegen der Varianten aus dem antiochenisch-constantinopolitanischen Strang).
Ebenso haben Verse 44 und 46 sowie die längere Form der Verse 45 und 47 die „altlateinischen“ Übersetzungen, die syrischen Fassungen und die gotische Übersetzung des Wulfila. Bei den Kirchenvätern und -schriftstellern der Väterzeit zeigt sich dasselbe Bild. Augustin weist einmal – nach Zitation der Langfassung – sogar ausdrücklich auf das dreifache Prophetenzitat hin:
Wie hätte wohl Augustin die Entscheidung der heutigen Schlauberger beurteilt, diese Verse aus der Heiligen Schrift hinauszuwerfen?Augustinus (civ. Dei XXI,9) hat geschrieben:Quod igitur de sempiterno supplicio damnatorum per suum Prophetam Deus dixit, fiet, omnino fiet: „Vermis eorum non morietur et ignis eorum non exstinguetur“. Ad hoc enim vehementius commendandum etiam Dominus Iesus, cum membra quae hominem scandalizant pro his hominibus poneret, quos ut sua membra dextra quis diligit, eaque praeciperet amputari: „Bonum est tibi“, inquit, „debilem introire in vitam quam duas manus habentem ire in gehennam, in ignem inexstinguibilem, ubi vermis eorum non moritur et ignis non exstinguitur“. Similiter de pede: „Bonum est tibi“, inquit, „claudum introire in vitam aeternam quam duos pedes habentem mitti in gehennam ignis inexstinguibilis, ubi vermis eorum non moritur et ignis non exstinguitur“. Non aliter ait et de oculo: „Bonum est tibi luscum introire in regnum Dei quam duos oculos habentem mitti in gehennam ignis, ubi vermis eorum non moritur et ignis non exstinguitur“. Non eum piguit uno loco eadem verba ter dicere. Quem non terreat ista repetitio et illius poenae commendatio tam vehemens ore divino?