Hilarion Alfejew (russisch-orthodoxer Bischof von Wien und Österreich) hat geschrieben:[right]http://www.nikolsobor.org/pictures/vlhilarion.jpg[/right]Das Sakrament der Eucharistie in der Orthodoxen Kirche
Die heilige Eucharistie ist »das Sakrament der Sakramente« der orthodoxen Kirche. Sie ist das Herzstück der Kirche, ihre Grundlage, ihr Fundament, ohne das die Existenz der Kirche undenkbar ist.
Das Sakrament der Eucharistie oder das hlg. Abendmahl wurde von Christus selbst bei seinem letzten Abendmahl eingesetzt, als er Brot und Wein in seinen Leib und sein Blut verwandelte. Er ließ seine Jünger daran teilhaben und forderte sie auf, dieses Sakrament in Zukunft zu seinem Gedächtnis zu feiern. Auch nach seinem Kreuzestod und seiner Auferstehung versammelten sich die Jünger am ersten Tag der Woche - am so genannten »Fest der Sonne«, dem Tag der Auferstehung Christi - zum »Brotbrechen«.
Ursprünglich war die Eucharistie ein Mahl, das durch Lesen der Schrift und Singen von Psalmen, durch Predigt und Gebet begleitet wurde. Manchmal dauerte es die ganze Nacht. Parallel zum Wachstum der christlichen Gemeinden wandelte sich allmählich die Eucharistie von einem Abend-Mahl in einen Gottesdienst. In der modernen Praxis der orthodoxen Kirche wird die Eucharistie täglich, mit Ausnahme der Wochentage in der großen Fastenzeit - der Passionszeit - gefeiert.
In der christlichen Kirche des Ostens wurde jede eucharistische Gottesdienstordnung in der Regel mit dem Namen des einen oder anderen Apostels oder Heiligen verbunden. In der modernen Praxis der orthodoxen Kirche werden zwei eucharistische Gottesdienstordnungen verwendet - die Liturgie des Hlg. Basilius des Großen (330-379 n. C.) und die Liturgie des Hlg. Johannes Chrysostomus (354-107 n. C). Die Liturgie des Hlg. Basilius des Großen wird zehn Mal im Jahr gefeiert, hauptsächlich zu den großen Festen oder am Vorabend dieser Feste. Die Liturgie des Hlg. Johannes Chrysostomus wird an allen Tagen des Jahres, mit Ausnahme der Wochentage der großen Fastenzeit, gefeiert. Mittwochs und freitags während der großen Fastenzeit wird die Liturgie der vorgeweihten Gaben - eine nicht-eucharistische Liturgie - gefeiert. Sie trägt den Namen des Hlg. Gregorios Dialogos, des römischen Papstes Gregor des Großen.
Die eucharistische Darbringung ist nach ihrem Sinn ein Opfer, in dem Christus selbst »der Darbringende und der Dargebrachte, der Empfangende und der Austeilende« ist - so das Gebet des Priesters während des Cherubim-Hymnus. Christus selbst ist der alleinige Vollzieher der Eucharistie. Er ist unsichtbar in der Kirche anwesend und wirkt durch den Priester.
Für die orthodoxen Christen ist die Eucharistie keine einfache symbolische Handlung, die als Erinnerung an das letzte Abendmahl vollzogen wird. Sie ist das Abendmahl selbst, das täglich von Christus wieder gefeiert und seit der Osternacht, in der Christus mit seinen Jüngern am Tisch saß, ununterbrochen in der Kirche fortgeführt wird. »Des geheimnisvollen Gastmahls mache mich heute teilhaftig, Sohn Gottes«, spricht der Kommunizierende beim Empfang der heiligen Gaben. Bei jeder Liturgie wird nicht nur das Abendmahl, sondern auch das Opfer Christi auf Golgatha neu dargebracht: »Der König der Könige und der Herr der Herren wird geschlachtet und den Gläubigen als Speise dargeboten« - so in der Liturgie des Karsamstags.
Die orthodoxe Kirche glaubt fest daran, daß sich in der Eucharistie Brot und Wein in den wirklichen Leib und in das wahre Blut Christi verwandeln und keine rein symbolische Darstellung des Leibes und Blutes sind. Ein solches Verständnis der Eucharistie war für die christliche Kirche seit den Zeiten der Apostel charakteristisch. Das bezeugt auch der Hlg. Josephus Flavius (2. Jahrhundert), der sagte: »Diese Speise ist der Leib und das Blut dieses fleischgewordenen Jesus.« Der Hlg. Ignatius von Antiochien (2. Jahrhundert) bekräftigte auch, daß »die Eucharistie der Leib unseres Heilandes Jesu Christi ist, der für unsere Sünden gelitten hat«. Jesus selbst sagt: »Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich in ihm« (Johannes 6,55-56).
In der Eucharistie vollzieht sich nach orthodoxem Glauben die Vereinigung des Gläubigen mit Christus nicht symbolisch und bildlich, sondern wirklich, real und vollständig. So wie Christus Brot und Wein durchdringt und sie mit seiner Göttlichkeit erfüllt, so geht er auch in den Menschen ein und erfüllt seinen Leib und seine Seele mit seiner lebensschaffenden Präsenz und göttlichen Energie. In der Eucharistie werden wir, nach dem Ausdruck der heiligen Väter, »des gleichen Fleisches« mit Christus. Er geht in uns ein wie in den Schoß der Jungfrau Maria.
Der ehrwürdige Simeon, der Neue Theologe (11. Jahrhundert), schreibt darüber, daß Christus, indem er sich mit uns vereinigt, alle Glieder unseres Körpers göttlich macht: »Du bist uns dem Fleisch nach verwandt, und wir sind dir verwandt nach deiner Göttlichkeit. Du verbleibst mit uns jetzt und immerdar, du nimmst in jedem deine Wohnung, und du wohnst in allen. Jeder von uns einzeln ist mit dir, o Heiland, ganz mit dem Ganzen, und du bleibst in jedem Einzelnen. So werden alle Glieder von jedem von uns zugleich Glieder Christi und wir gemeinsam werden zu Gott, da wir alle zusammen in Gott sind.«
In den Worten des Hlg. Simeon kann man die Verbindung von Eucharistie und Vergöttlichung nachvollziehen, die das Ziel des christlichen Lebens ist. Zugleich wird der spürbare, leibliche Charakter der Vereinigung mit Christus betont: Unser Fleisch erhält in der Eucharistie so etwas wie einen »Sauerteig der Unverweslichkeit« und wird vergöttlicht, und wenn es stirbt und verwest, wird dieser Sauerteig zum Unterpfand der zukünftigen Auferstehung.
Wegen dieses besonderen Charakters der Eucharistie schenkt die Orthodoxe Kirche diesem Sakrament eine besondere, mit nichts zu vergleichende Bedeutung in Bezug auf die Erlösung des Menschen. Ohne Eucharistie gibt es weder eine Erlösung noch eine Vergöttlichung, weder wahres Leben noch die Auferstehung und ewiges Leben. »Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes eßt und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage« (Johannes 6,53-54). Diese Worte Christi werden in der orthodoxen Kirche wörtlich und nicht symbolisch verstanden.
Aus diesem Grund wird den Gläubigen empfohlen, regelmäßig das Sakrament der Eucharistie zu empfangen. In der modernen Praxis der orthodoxen Kirche werden die Gläubigen aufgerufen, jeden Sonntag die heiligen Gaben zu empfangen. Manche Gläubige gehen nur einmal im Monat oder sogar nur einmal im Jahr zum hlg. Abendmahl. So wurde es zum Beispiel in Rußland vor der Revolution 1917 praktiziert. Allerdings kehrte die Mehrheit der Gläubigen in der Zeit der Verfolgungen zum häufigeren Empfang des heiligen Abendmahls zurück.
Die Frage, wie oft man die heiligen Gaben empfangen soll, wurde in Rußland besonders intensiv am Anfang des 20. Jahrhunderts, während der Vorbereitung des Lan deskonzils der Russischen Orthodoxen Kirche von 1917-1918 diskutiert. Es wurde empfohlen, zur urchristlichen Praxis zurückzukehren und das Abendmahl jeden Sonntag zu empfangen. Zwar sei der Mensch dieses großen Sakramentes nie würdig, weil alle Menschen Sünder sind. Aber die Eucharistie sei dazu eingesetzt worden, damit die Menschen, indem sie die heiligen Gaben empfangen und sich mit Christus vereinigen, immer reiner und Gott würdiger werden.
Die orthodoxe Kirche betont zwar, daß kein Mensch der Eucharistie wahrhaftig würdig sein kann. Zugleich erinnert sie den Gläubigen aber daran, daß jeder, der das Sakrament empfängt, zu einer Begegnung mit Christus vorbereitet sein muß. Die Vorbereitung auf das hlg. Abendmahl darf sich nicht auf das Lesen einer bestimmten Zahl von Gebeten und auf die Enthaltung vom Genuß bestimmter Speisen beschränken. In erster Linie besteht die Vorbereitung auf den Empfang der heiligen Gaben in der Läuterung des Gewissens, im Ablegen der Feindseligkeit gegen den Nächsten und der Verärgerung über jemanden sowie in der Versöhnung mit allen Menschen: »Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß dort vor dem Altar deine Gabe und geh hin und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe« (Matthäus 5,23-24). Ein Hindernis für die Teilnahme an der Eucharistie stellen die von einem Menschen begangenen schweren Sün den dar. Diese müssen unbedingt im Sakrament der Buße gebeichtet werden.
In der orthodoxen Kirche ist es üblich, die Gaben nüchtern zu empfangen, weil der menschliche Körper durch das Fasten vorgereinigt werden soll. Der Patriarch von Konstantinopel, der Hlg. Gennadij, sagte einmal: »Wer den Kaiser in sein Haus einlädt, wird zuerst sein Haus reinigen; so sollst auch du, wenn du Gott in dein fleischliches Haus aufnehmen möchtest, zuerst deinen Körper durch Fasten heiligen«. Das hlg. Abendmahl auf nüchternen Magen zu empfangen ist eine alte Tradition. Sie geht auf die Zeit zurück, als die Liturgie aufhörte, Fortsetzung der Agape - des Liebesmahles - zu sein und sich in einen feierlichen Gottesdienst verwandelte, der in den Morgenstunden gefeiert wurde.
Alle Vorschriften bezüglich der Vorbereitung auf die Eucharistie sind darauf gerichtet, daß der das Sakrament empfangende Mensch sich seiner Sündhaftigkeit bewußt wird und mit dem Gefühl der innigen Buße an den Kelch herantritt. Im Gebet vor dem hlg. Abendmahl wiederholt der Priester mit dem ganzen Volk die Worte des Apostels Paulus, und jeder bezeichnet sich als »den ersten der Sünder«: »Herr, ich glaube und bekenne, daß du in Wahrheit der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes bist, der in die Welt gekommen ist, um die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin.« Allein das Bewußtsein der eigenen Unwürdigkeit macht einen Menschen würdig, an der Eucharistie teilzunehmen.
Die Zerknirschung über die eigene Sündhaftigkeit hindert den Christen nicht, die Eucharistie als Fest und Freude zu empfinden. Ihrer Natur nach ist die Eucharistie eine Danksagung, ihre Hauptstimmung daher der Lobpreis Gottes. Es ist kein Zufall, daß an den Wochentagen der großen Fastenzeit nicht die ganze Liturgie gefeiert wird: Der traurigen Stimmung dieser Tage entspricht nicht der jauchzende Charakter der eucharistischen Gebete.
Darin besteht das Paradoxon und das Geheimnis der Eucharistie: Man soll sich ihr in Bußgesinnung und zugleich mit Freude nähern - reumütig wegen des Bewußtseins der eigenen Unwürdigkeit und mit Freude, weil der Herr den Menschen in der Eucharistie reinigt, heiligt und vergöttlicht, ihn würdig macht trotz seiner Unwürdigkeit. In der Eucharistie wird nicht nur Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt, sondern auch der Kommunizierende selbst wird aus einem alten in einen neuen Menschen verwandelt; er wird befreit von der Last der Sünde und erleuchtet durch das göttliche Licht.