Maurus hat geschrieben:
Meine Annahme war nur zu seinem Besten. Falls es voller Ernst war, ist es unwürdig.
Egal: Der Satz, man brauche etwas nicht, weil man es früher auch nicht gebraucht habe ist zwar in seiner absoluten Richtigkeit nicht von der Hand zu weisen, aber eben folgenreich. Auch Strom, fließend Wasser etc. hat man früher nicht gebraucht. Dennoch will man darauf wohl eher nicht verzichten. Das kann dann aber genausogut für andere Dinge gelten, die man früher nicht gebraucht hat, etwa ein Schnellbahnnetz oder eine Währungsunion. Ergo lässt sich mit dem Satz nichts beweisen und auch nichts fordern. Lediglich eine Möglichkeit wird aufgezeigt: Wie man auch ohne Strom weiterleben könnte, so könnte man natürlich auch ohne eine Währungsunion weiterleben. Das aber ist lediglich eine Trivialität.
Natürlich kann man ohne Währungsunion weiterleben - das beweisen einige Staaten in Europa, die zur EU gehören, aber nicht zum Euro-Raum. Insofern hat der Professor schon Recht - lebensnotwendig oder sogar ein Fortschritt ist der Euro nicht unbedingt.
Ein Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung der Nicht-Euro-EU-Staaten zeigt, daß es sogar ein Vorteil sein kann - von Staaten, die weder zur EU noch zum Euro-Verbund nicht gehören, reden wir besser erst garnicht.
Maurus hat geschrieben:
Natürlich bekommt man für alles eine Rechnung. Die Frage ist immer, ob es das wert ist. Und bei dieser Abwägung spielen eben nicht nur ökonomische Faktoren eine Rolle. Das Leben ist nicht nur Ökonomie.
Auch da gilt eine simple Abwägung: Währungsunion scheitern lassen oder nicht? Was spricht dafür, was dagegen? Wer kann denn mit Sicherheit behaupten, alle denkbaren Folge-Szenarien so sicher vorherzusagen, dass überhaupt eine sichere Abwägung erfolgen kann? Und wenn das nicht möglich ist, wer will dann behaupten, dass eine bestimmte Schlussfolgerung (z.B. Erhalt der Währungsunion) unter allen Umständen und unter Einbeziehungen aller (nicht nur der ökonomischen) Faktoren auf jeden Fall falsch war oder wäre?
Die politische Entwicklung zeigt, daß in den letzten Jahren die EU-Skepsis erheblich zugenommen hat. In vielen Staaten haben sich Anti-EU(ro)-Parteien gebildet. Die Schlußfolgerung ist wohl nicht verkehrt, daß dies auf die wirtschaftliche Entwicklung - bedingt durch den Euro - zurückzuführen ist.
Maurus hat geschrieben:
Caviteño hat geschrieben:
Wie sollen die Südländer ihre Schulden denn zurückzahlen? Das ist doch hoffnungslos und das wissen sowohl unsere Politiker als auch die dortige Bevölkerung.
Mag sein, aber wer glaubt denn, dass Deutschland seinen Schuldenberg von aktuell 2,15 Billionen Euro jemals abträgt? Das scheint nichtmal angedacht zu sein.
Angedacht wohl ab 217 - aber innerhalb der EU und im Euro-Verbund mit Politikern wohl kaum zu erreichen. Eine Entschuldigung findet man immer - mal die Kosten der Wiedervereinigung (Kohl), mal das Elbe-Hochwasser (Schröder), mal die Finanz- und Euro-Krise (Merkel).
Maurus hat geschrieben:
Caviteño hat geschrieben:Ein Blick auf die
Relation der Staatsschulden zur Wirtschaftsleistung zeigt das deutlich:
Griechenland [13] - 175% - (138%)
Italien [18] - 135% - (122%)
Portugal [48] - 127% - (114%)
Irland [37] - 124% - (19%)
Zypern [6] - 122% - (98%)
Belgien [126] - 1% - (91%)
Spanien [59] - 99% - (12%)
Frankreich [57] - 96% - (88%)
Deutschland [6] - 75% - (59% - würde Erreichen des Maastricht-Zieles bedeuten!)
Nein, ein Blick auf diese Liste zeigt, dass die Schuldenquote sehr wohl auch kleiner werden kann. Vernünftiges Wirtschaften immer vorausgesetzt.
Du solltest dann auch zitieren, daß es sich bei den Werten für 219 (also die in den eckigen Klammern) um projezierte (Traum-)Werte handelt. Außerdem hatte ich darauf hingewiesen, daß ein Schuldenabbau von 1% in 5 Jahren (entspricht ungefähr dem Durchschnitt der obigen Zahlen) ein jährliches Wirtschaftswachstum von 2% bei unveränderter Schuldenhöhe (also ohne Neuverschuldung) bedeuten würde. Dieser Wert wurde selbst bei einer guten Konjunktur und hohen Steuereinnahmen in D. nicht erreicht.
Wenn man sich die Werte von GR anschaut - der Schuldenquote soll von 175% auf 138% innerhalb von fünf Jahren sinken - müßte man praktisch chinesische Wachstumswerte erreichen oder - man hat bereits einen neuen Schuldenschnitt einkalkuliert.
Einfach "vernünftiges Wirtschaften" vorauszusetzen ist da ein bißchen wenig und ausschließlich Hoffnung. Das gr. Beispiel, daß nach einem Schuldenschnitt innerhalb kurzer Zeit wieder der alte Stand erreicht und übertroffen wurde, berechtigt eigentlich nicht, auf "vernünftiges Wirtschaften" (im dt. Sinne) rechnen.
Maurus hat geschrieben:
Caviteño hat geschrieben:Es hängt nicht nur am Willen, der vielleicht([Punkt] - ich habe da bei einigen Ländern ganz erhebliche Zweifel) vorhanden ist. Dazu kommt auch die vollkommen unterschiedliche Wirtschaftskultur.
Ich sehe wirklich keinen Grund, eine schicksalhafte (und damit unbeeinflussbare) Pleitestruktur der Mittelmeerstaaten anzunehmen. Jeder dieser Staaten könnte sich mit entsprechenden Programmen aus dem Sumpf ziehen. Es ist ja nicht so, dass sich Staaten nicht vom Ruin wieder erholen könnten, man denke an viele Ostblockstaaten aber auch an Asien. Was war denn da vor hundert Jahren?
In 1 Jahren sind wir alle tot....
Davon abgesehen - wieder das Prinzip Hoffnung. Die Staaten könnten..., wenn vernünftig wirtschaften..., usw. usf.
Die Wirtschaftsstrukturen und die Wirtschaftsgeschichte in D. und in anderen Staaten sind zu unterschiedlich. Während die Südstaaten jahrzehntelang mit einer höheren Inflation gut leben konnten, ist "Inflation" für D. aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen nicht akzeptabel.
Wie sollen sich denn die Südstaaten von einem Ruin innerhalb des Euros erholen - im Wettbewerb mit D.? Das Beispiel GR zeigt es doch. Das gilt jedenfalls solange, wie sie im Euro sind und damit für sie der gleiche Außenwert gilt wie für D.. Sie können doch dann nur geringere Löhne und/oder bessere Produktionsvorgänge den Wettbewerb bestehen. Darauf kann man natürlich hoffen... Es ist allerdings schwer vorstellbar, daß sich die dortige Bevölkerung mit dauerhaften Einschnitten in ihren Lebensstandard abfinden wird - jedenfalls wenn ich mir die Proteste in den Ländern dort anschaue.
Maurus hat geschrieben:
Caviteño hat geschrieben:Im Euroverbund besteht aus Ländern, die nicht zueinander passen.
Was nicht ist, kann werden. Und klar, es kostet ein Saugeld. Man muss eben abwägen, ob es die Investition wert ist.
Hoffnung!
Es führt zu erheblichen Wohlstandsverlusten in D. - man arbeitet für den Süden. Die Kosten für den Norden sind bekannt - aber der Wert, den man erhält/ erhalten soll ist mehr als unbestimmt.
Die Kosten eines Euro-Zerfalls für D. wurden vom ifo-Institut
mit 356 Mrden € berechnet. Bei einem "Weiter so" kann man hoffen, daß sich jetzt alles zum Guten wendet und keine weiteren Beträge anfallen - es können aber auch noch erheblich mehr und höhere Zahlungen fällig werden. - Die letzten Entwicklungen durch die bereits eingeleitete Bankenunion (mit künftiger gemeinsamer Einlagensicherung) und die bereits angedachte Vergemeinschaftung der Arbeitslosenversicherung (erster Schritt bis zur "Vergemeinschaftung der Sozialversicherungssysteme
) zeigen in die Richtung wachsender Transferzahlungen, ohne daß einmal die Chance bestehen würde, von entsprechenden Ausgleichszahlungen der Südländer zu profitieren.
Die bisherigen "Brandmauern", die gezogen wurden, um "vernünftiges Wirtschaften" zu erzwingen, zeigen wenig Wirkung:
Die bereits verabschiedete Fiskalunion wird schon wieder von
Italien und
Frankreich in Frage gestellt - die abgegebenen Versprechen sind nichts wert. Portugal wurde mit großem Tam-tam aus dem Rettungsschirm entlassen, nur um wenige Wochen später bei einer
Bankenpleite wieder mit dem Rücken zur Wand zu stehen.
Griechenland rechnet sich schön (kennt man aus Erfahrung) und will weitere Schuldenerleichterungen.
Der ESM - ursprünglich zur "Staatenrettung" gedacht - kann auch zur "Bankenrettung" genutzt werden. Zwar sollen die Bedingungen streng sein, aber wer glaubt das denn - es sei denn, man hofft.....
Für wirtschaftlich properierende Länder ist eine Mitgliedschaft im Euroverbund nicht attraktiv. Schweden wird den Euro nicht einführen, obwohl es im Gegensatz zu Dänemark dazu verpflichtet wäre. Die größeren osteuropäischen Volkswirtschaften (Polen, Tschechei, Ungarn) zeigen ebenfalls kein Interesse für einen Beitritt.
Wenn ein Politiker in den Nicht-EU-Staaten Schweiz oder Norwegen einen EU- und Euro-Beitritt betreiben wollte, würde er in diesen Ländern als "reif für die Anstalt" angesehen werden. Selbst in Island ist man von einem EU und Euro-Beitritt abgerückt, nachdem man die Wirtschaftskrise aus eigener Kraft bewältigen konnte.
Attraktiv ist die Mitgliedschaft nur für ärmere Länder, z.B. auf dem Balkan - die EU zieht Kostgänger aber keine Zahler an.
Innerhalb der EU wächst die Widerstand in den einzelnen Ländern. In vielen Ländern gibt es Anti-EU(ro) Parteien, die es tlw. zu beachtlicher Stärke gebracht haben (in Süden: Frankreich, Italien, GR, im Norden Finnland, GB, NL, tlw. auch BEL). Noch nie war die Stimmung zwischen den Völkern so gespannt wie seit Beginn der Eurokrise - egal ob "Faule Griechen" oder "Viertes Reich".
Welches ist also der Gegenwert, den die nordeuropäischen Länder für ihren Wohlstandsverzicht erhalten könnten? Wohl kaum ein besseres Verstehen der Völker untereinander und auch beim Wohlstand, den der Euro bringen sollte, sind Zweifel angebracht. Dazu muß man nur auf die Sparbuchzinsen und den Außenwert beim Urlaub in einem Nicht-Euro-Land schauen....
Man kann natürlich hoffen, daß sich alles zum Guten entwickelt - wahrscheinlich werden aber die ökonomischen Gesetze dazu führen, daß der Euroverbund in der jetzigen Zusammensetzung keinen Bestand haben wird. Vielleicht kann er geplant abgewickelt werden anstatt unkontrolliert auseinander zu brechen.
taddeo hat geschrieben:
Daß die Staatsschulden durch echte Tilgung, also Rückzahlung an die Gläubiger, verringert werden, ist ja auch nicht im Sinn des Erfinders - im Gegensatz zu uns Normalverbrauchern. Staaten "tilgen" ihre Schulden durch ganz andere Methoden. Die derzeitigen Minizinsen sind eine davon. Die ersparen dem Staat jährlich Milliarden an Ausgaben, indem vorhandene höherverzinsliche Schulden mit neuen, niedrigerverzinslichen beglichen werden. Außerdem haben die Gläubiger selbst ein Interesse daran, Schuldtitel zu halten, weil sie ebenfalls davon profitieren.
Du gehst davon aus, daß die jetzigen Minizinsen ein Naturgesetz sind und auch künftig bestehen bleiben. Man muß kein Prophet sein, um dies zu bezweifeln. In den USA und in GB wird bereits in relativ kurzer Zeit mit einer Anhebung der Zinsen gerechnet. Im übrigen unterscheiden sich die Methoden nicht. Auch Du als Privatperson kannst Deinen Hypothekenkredit nach Ablauf preiswerter refinanzieren, ebenso wirkt für Dich eine höhere Inflationsrate schuldtilgend. Der einzige Unterschied ist, daß Staaten aufgrund ihrer Schuldstruktur laufend alte Kredite mit neuen Krediten zurückzahlen. Ähnlich ist es allerdings bei einer Privatperson, wenn sie kein Festzinsdarlehn aufgenommen hat.
Im Unterschied zur Forderung gegen eine Privatperson/ein Unternehmen konnte man den "Profit" der Inhaber von Staatsanleihen im Frühjahr 212 gut beobachten, als sie im Rahmen der "Griechenland-Rettung" auf ca. 7% ihrer Forderungen verzichten durften. Der alte Satz "Leih niemals einem Fürsten Geld" hatte wieder seine Berechtigung bewiesen...
Warum sollten intern. Anleger künftig weiter in "unsicheren" Euro-Ländern investieren, wenn sie höhere Zinsen in den USA oder GB bekommen? - Ja, ich kenne das Argument der hohen US-Verschuldung, aber im Gegensatz zu vielen Ländern im Euro-Bereich haben die USA noch keinen Staatsbankrott hingelegt....
Maurus hat geschrieben:
Eben, daneben gibt es noch weitere Methoden, beispielsweise die Steigerung der Einnahmen, wodurch die Zahlungen für die Tilgung von Schulden weniger ins Gewicht fällt. Das sind aber Instrumente, die den "Club-Med-Staaten" auch zur Verfügung stehen.
Sie stehen den "Club-Med-Staaten" zur Verfügung - die Frage ist, inwieweit diese davon Gebrauch machen wollen. Wenn ich die Berichte über die gr. Steuerverwaltung lese, dürfte es auch an der Durchsetzungsmöglichkeit entsprechender Gesetze fehlen. Die gute Absicht reicht nicht - man muß sie auch durchsetzen können (und wollen).
PS:
Gibt es dort inzwischen ein Kataster in GR oder baut man das noch immer auf?
Nachtrag:
Gerade meldet die WELT, daß EZB-Präsident Draghi die Europäer auffordert, kräftig Schulden zu machen:
http://www.welt.de/debatte/kommentare/a ... ecken.html
Ein gutes Beispiel der unterschiedlichen Wirtschaftskulturen der Italiener und der Deutschen. Wie soll da eine Währungsunion funktionieren?