phylax hat geschrieben:
Das alte Problem mit der direkten Demokratie...
Kommt halt oft nicht immer gut Durchdachtes heraus.
Legendär die Aussage von F.J.Strauß: Vox populi- vox Rindvieh
Über diese maßlos arrogante Sichtweise des "Großen Vorsitzenden" kann man sehr wohl streiten.
Wenn ich mir die Euro(pa)-Politik der letzten Jahr(zehnt)e anschaue, hätten Volksentscheide sicherlich geholfen, eine bessere Politik herbeizuführen.
Beispiele sind dafür die Schweiz und andere europ. Länder. Sie haben sich in Volksentscheidungen gegen eine Mitgliedschaft in EG bzw. EU ausgesprochen. Die Schweiz hat 1992 sogar die Mitgliedschaft im EWR in einer Volksabstimmung abgelehnt:
Noch heute werweissen Journalisten und Politikversteher, warum die Schweiz vor zwanzig Jahren trotz überwältigender Lufthoheit der Befürworter nicht dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beitrat. Die Ja-Propaganda in den Zeitungen war erdrückend. Auf der Gegenseite treichelte und polterte ein für Studenten und Fortschrittliche unwählbarer Zürcher Nationalrat namens Christoph Blocher, die Galionsfigur eines Aufstands der Bünzli, der Dummen und der Rückständigen. Es gab damals kein Tischgespräch, keine Abendrunde, keine Diskussion unter Freunden, an der man den Schweizer EWR-Beitritt nicht für eine unumstössliche Tatsache gehalten hätte. Ein Todesstreifen der Intoleranz sicherte den Konsens.
(...)
Und heute? Älter geworden und besser informiert, muss man den Bünzlis und Treichelschwingern, den angeblichen Primitivschweizern und Hinterwäldern dankbar sein, dass sie den Weitblick und den Realitätssinn hatten, den Weg der Schweiz ins europäische «Trainingslager» abzublocken. Sie sahen besser und klarer als die Klugen und Differenzierten, von denen sie belächelt wurden, dass diese EU mitsamt ihrem EWR eine kopfgeborene Fehlkonstruktion war, eine Kriegserklärung an den gesunden Menschenverstand und eine Absage an die jahrhundertealte Tradition der Demokratie in der Schweiz. Man wundert sich, wie es überhaupt möglich war, dass sich so viele Schweizer auf dieses Experiment einlassen wollten.
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/212-4 ... 8212.html
In Norwegen wurde eine EG-Mitgliedschaft durch Volksentscheid (gegen den Willen der "politischen Elite") zweimal (1972 und 1994) abgelehnt; in Island ist das Projekt EU-Beitritt ebenfalls auf Druck der Bevölkerung (die bei einem Referendum sehr wahrscheinlich mit "Nein" gestimmt hätte) vom Tisch. Frankreich und NL haben in Volksabstimmungen die damalige EU-Verfassung abgelehnt, die dann durch in Lissabon-Vertrag als "Verfassung light" von den "politischen Eliten" durchgesetzt wurde. Jetzt gibt es Mehrheitsentscheidungen, die von allen Staaten zu akzeptieren und auszuführen sind, auch wenn man sich dagegen ausgesprochen hat.....
Das Merkel und Sarkozy einen Volksentscheid in GR in der Euro-Frage abgelehnt haben, hatte sicherlich auch seine Gründe, die aber wohl kaum mit den Interessen des gr. Volkes bzw. des europ. Steuerzahlers identisch waren/sind.
Die Aussage von Roger Köppel in dem oben verlinkten Artikel stimmt in allen Ländern:
Auch die Schweizer sind verführbar, und am verführbarsten sind die Leute, die sich für die Klügsten und die Hellsten halten. Gerade deshalb ist es beruhigend, in einem Staat zu leben, der jede noch so brillante Eingebung dem Härtetest von Abstimmungen aussetzt, an denen sich die grösstmögliche Zahl von Leuten beteiligt, die von den Auswirkungen am direktesten betroffen wären. Die direkte, bürgernahe Demokratie sorgt dafür, dass die Politik einen gewissen Bezug zur Wirklichkeit nicht verliert. Die Geschichte der EU und des Euro ist demgegenüber ein Musterbeispiel für die Bezauberungskraft von genialen Ideen, die im richtigen Leben scheitern.
(Hervorhebung von mir)
Die "brillianten" Ideen unserer Europa-Politiker wurden leider nie dem Härtetest einer Volksabstimmung unterzogen. Wie schrieb Roger Köppel nach der Volksabstimmung über die Einwanderungsinitiative:
Die aggressive Panik [der EU-Politier] bestätigt, was die Schweizer, höflich, wie sie sind, immer dachten, aber selten auszusprechen wagten: Die EU ist ein zutiefst demokratiefeindliches Gebilde mit einer unsympathischen Geringschätzung des Bürgers. Demokratie ist für die EU eine Bedrohung, weil Demokratie bedeutet, dass das Volk der Chef ist und nicht der vom Volk bezahlte Berufspolitiker. Deshalb bezeichnet sich die EU lieber als «Wertegemeinschaft» denn als Demokratie. Werte setzen Wahrheit vor Mehrheit. Wer dauernd von Werten spricht, will die Demokratie beseitigen.
Die Schweiz setzt Mehrheit vor Wahrheit. Das ist Demokratie.
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/214- ... 7214.html
Fehlentscheidungen können auch bei Volksentscheidungen gefällt werden. Ob die Fehlerquote höher ist als bei einer repräsentativen Demokratie mit ihrer Letztentscheidung durch angebliche "Experten" sei einmal dahingestellt. Der Unterschied ist allerdings, daß bei Fehlentscheidungen aufgrund von Plebisziten der direkte Verursacher (das Wahlvolk) zahlt - in der repräsentativen Demokratie wird die Rechnung dagegen an den Bürger, der nur einen minimalen Einfluß auf die Entscheidung hat, weitergereicht.