Steht der Papst in oder über der Tradition?

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ad-fontes
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Steht der Papst in oder über der Tradition?

Beitrag von ad-fontes »

Papst tauft am Fest der Taufe des Herrn (29), wie in den Jahren zuvor ebenfalls.
http://www.newliturgicalmovement.org/2 ... hapel.html


hl. Papst Leo der Große tadelt die Griechen wegen der Taufspendung an Epiphanie hat geschrieben:Ich bin verwundert, dass ihr und eure Vorgänger euch eine so unberechtigte Neuerung habt anmassen können, dass ihr durch das Vermischen des Geheimnisses der beiden Zeiten glaubtet, es bestehe kein Unterschied zwischen dem Tag, an dem Christus von den Weisen angebetet worden ist, und dem Tag, an dem er von den Toten auferstanden ist.
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

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Bernado
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Re: Steht der Papst in oder über der Tradition?

Beitrag von Bernado »

A.F. fragte:
ad-fontes hat geschrieben:Steht der Papst in oder über der Tradition?
Du zeigst manchmal einen sehr holzigen Begriff von "Tradition". Erstens folgt Papst Benedikt hier einer "Lokaltradition" - soweit ich weiß alle seiner Vorgänger im 20. Jh. und auch schon frühere haben an Epiphanie Kinder aus dem Bistum des Papstes getauft.

Zweitens ist nicht alles, was alt ist, deshalb schon geheiligte Tradition. Wahrscheinlich hatte Leo I. einen guten Grund, seine griechischen Brüder vor 1600 Jahren so zu ermahnen, wie Du zitierst. Es gab damals jede Menge Irrlehren, die nach symbolischem Ausdruck drängten, da mag es wichtig gewesen sein, keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Welche Irrlehren und welche Mißverständnisse das waren, ist inzwischen längst vergessen - wir haben andere Irrlehren und Mißverständnisse abzuwehren, und die machen sich jedenfalls nicht an dieser Terminfrage fest.

Gerade zu Epiphanie könnte man eine viel weitergehende Frage stellen: Wieso ist das Fest der Erscheinung des Herrn so in den Hintergrund getreten gegenüber dem doch viel später aufgekommenen Geburtsfest? Warum hat sich ein großer Teil des Inhalts des einen auf das andere verlagert? Aber auch diese Frage wäre wenig sinnvoll, zumindest dann, wenn man sie mit einem "besser - schlechter" "traditionsgemäß - gegen die Tradition" aufladen wollte. Solche Veränderungen und Verschiebungen gehören zum Leben der Menschen und somit auch zum Leben der Kirche, soweit sie menschlich ist.
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Berolinensis
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Re: Steht der Papst in oder über der Tradition?

Beitrag von Berolinensis »

1) Der Papst tauft am Fest der Taufe des Herrn, d.h. nicht an Epiphanie (alter Ritus Oktavtag von Epiphanie, neuer Ritus Sonntag nach Epiphanie).

2) Woher stammt das Zitat des hl. Leo, insbesondere die Überschrift? Im Text ist von der Taufe ja nicht die Rede.

3) Wie die Texte von Epiphanie zeigen (vgl. z.B. die Antiphon "Tribus miraculis ornatum diem") gehörte die Taufe des Herrn schon immer zu den Festgeheimnissen.

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ad-fontes
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Re: Steht der Papst in oder über der Tradition?

Beitrag von ad-fontes »

Berolinensis hat geschrieben:1) Der Papst tauft am Fest der Taufe des Herrn, d.h. nicht an Epiphanie (alter Ritus Oktavtag von Epiphanie, neuer Ritus Sonntag nach Epiphanie).
Der Papst tauft am 1. Sonntag nach Theophanie. Eine Transferierung des Festgeheimnisses auf diesen Sonntag ist der alten Kirche unbekannt - im Gegensatz zur Hochzeit von Kana -; mit anderen Worten es gibt kein Fest der Taufe des Herrn, das auf einen Sonntag fällt.

Dagegen ließe sich einwenden, die heutige Kirche schon. Alles andere wäre Stillstand, liturgischer Purismus (mit dem Vorwurf eines "holzschnittartigen Verständnisses" von Liturgie).

Aber: Wer macht die Liturgie? Und wo verläuft die Grenze zwischen legitimem Fortschritt und zu verwerfernder Neuerung?
Berolinensis hat geschrieben: 2) Woher stammt das Zitat des hl. Leo, insbesondere die Überschrift?
Die Überschrift ist von mir. Entscheidend ist, daß der Brief des hl. leo von der Kirche rezipiert wurde und nicht nur Privatmeinung, wenn auch eine päpstliche, widerspiegelt.
Berolinensis hat geschrieben:Im Text ist von der Taufe ja nicht die Rede.
Im weiteren Zusammenhang schon. Folgt in Kürze.
Berolinensis hat geschrieben: 3) Wie die Texte von Epiphanie zeigen (vgl. z.B. die Antiphon "Tribus miraculis ornatum diem") gehörte die Taufe des Herrn schon immer zu den Festgeheimnissen.
Richtig. Das Beispiel sollte sollte den Einstieg in die Thematik erleichtern:
- Welche Kriterien für eine organische Liturgieentwicklung gibt es?
- Braucht es nicht eine Hermeneutik, um eine abzulehnende Veränderung von legitimen Fortschritt gemäß des Dictums des hl. Vinzenz von Lérins zu unterscheiden?
- Wo verläuft die Grenze zwischen heilig-göttlich-unveränderbar und menschlich-zeitgebunden-veränderbar?
Welches Kirchenverständnis und welcher Traditionsbegriff liegt den gegenwärtigen Reformbestrebungen bzw. -bemühungen zugrunde?
Und schließlich: Gibt es ein alt-kirchliches Reformparadigma, das auch in unserer Zeit zur Anwendung, speziell für eine "Reform der Reform", geeignet ist?

Angelus A. Häußling urteilt beispielsweise in seiner Rezension zu Heinz-Lothar Barth, Die Mär vom antiken Kanon des Hippolyt, wie folgt:
Das Buch ist überflüssig, weil von Irrealem ausgehend. Allerdings: Zwischen Pfingsten und Parusie muß die Kirche Christi mit der Sündigkeit der Welt, auch mit der eigenen Sündigkeit leben, und somit auch immer neu mit defizientem Vollzug der Liturgie, und daran ändert auch eine perfekte Liturgiereform nichts. Doch eine perfekte Liturgiereform gibt es genausowenig wie eine perfekte Kirche.
Mir scheint, hier stehen sich zwei untervereinbare Positionen gegenüber. Auch wenn ich Barth nicht in allem folgen kann, so stellt sich mir die Frage: Steht nicht der außerhalb der Kirche, der einen so anders gearten Kirchenbgriff hat, daß er ihr Sündigkeit und Unvollkommenheit attestiert?
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Bernado
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Re: Steht der Papst in oder über der Tradition?

Beitrag von Bernado »

ad-fontes hat geschrieben:
Das Buch ist überflüssig, weil von Irrealem ausgehend. Allerdings: Zwischen Pfingsten und Parusie muß die Kirche Christi mit der Sündigkeit der Welt, auch mit der eigenen Sündigkeit leben, und somit auch immer neu mit defizientem Vollzug der Liturgie, und daran ändert auch eine perfekte Liturgiereform nichts. Doch eine perfekte Liturgiereform gibt es genausowenig wie eine perfekte Kirche.
Mir scheint, hier stehen sich zwei untervereinbare Positionen gegenüber. Auch wenn ich Barth nicht in allem folgen kann, so stellt sich mir die Frage: Steht nicht der außerhalb der Kirche, der einen so anders gearten Kirchenbgriff hat, daß er ihr Sündigkeit und Unvollkommenheit attestiert?
Natürlich stehen sich hier zwei unvereinbare Positionen gegenüber - aber kaum aus den von Dir vermuteten Gründen. Die Wendung Häußelings würde ich zunächst nicht auf die dogmatische Goldwage legen - er kann genausogut auch die Sündhaftigkeit derer gemeint haben, die die Kirche bilden. Die Modernisten unterscheiden dabei nicht so präzise. Worin man ihm widersprechen muß, das ist einmal die Arroganz des Machthabers, mit der er Barths Buch für überflüssig erklärt, weil es nicht seiner Realitätsauffassung entspricht. Und dem entspricht dann die Nonchalance, mit der er aus der Sündhaftigkeit der Menschen, die die Liturgie feiern, ableitet, daß nicht nur Liturgie immer defizient sei (was sie wohl wie alles menschliche Tun auch ist), sondern daß man über die verschiedenen Formen der Defizienz auch gar nicht nachzudenken brauche.
Exkommunizieren muß man ihn deshalb nicht gleich - er tut nur das, was seit Jahrzehnten übliche Schluderei ist.

Deshalb mutet mich Deine Frage nach den Entwicklungsgesetzen der Tradition und den Kriterien für deren Legitimität auch etwas pedantisch an. Tradition ist etwas Lebendiges, und ich glaube nicht, daß man sie bzw. ihre Entwicklung in starre Gesetze fassen kann. Zu Zeiten, als der Sensus fidelium noch intakt war, mußte man darüber wahrscheinlich gar nicht lange nachdenken. Heute ist das viel schwieriger und gleichzeitig in einer gewissen Weise doch auch dringlicher, weil an jeder Straßenecke irgendwelche Neuerer lauern.

Ich empfehle noch einmal sehr die Bücher von Reid, The Organic Development of the Liturgy (374 S.) und Robinson, The Mass and Modernity (378 S.). Ich sehe mich nicht imstande, deren Inhalt auch nur ansatzweise hier in wenigen Zeilen zusammenzufassen.
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Re: Steht der Papst in oder über der Tradition?

Beitrag von ad-fontes »

Bernado hat geschrieben:A.F. fragte:
ad-fontes hat geschrieben:Steht der Papst in oder über der Tradition?
Du zeigst manchmal einen sehr holzigen Begriff von "Tradition". Erstens folgt Papst Benedikt hier einer "Lokaltradition" - soweit ich weiß alle seiner Vorgänger im 20. Jh. und auch schon frühere haben an Epiphanie Kinder aus dem Bistum des Papstes getauft.
Ist aber keine alte Lokaltradition
OR L hat geschrieben:Quod autem in hac festivitate nemo presumat baptizare. sanctus Leo papa in decretalibus prohibit ita.
Bernado hat geschrieben: Gerade zu Epiphanie könnte man eine viel weitergehende Frage stellen: Wieso ist das Fest der Erscheinung des Herrn so in den Hintergrund getreten gegenüber dem doch viel später aufgekommenen Geburtsfest?
1. Ist dem so?*
2. Vermutlich sind beide Feste in etwa dem gleichen Zeitraum entstanden (nach 325 und vor 360).


*In der Alt-Kath. Kirche in D ja, aber in der RKK wohl regional sehr unterschiedlich. Wenn ja, müßte man dann nicht vor allem die Abschaffung von Vigil und Oktav kritisieren?
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Re: Steht der Papst in oder über der Tradition?

Beitrag von ad-fontes »

Bernado hat geschrieben: Deshalb mutet mich Deine Frage nach den Entwicklungsgesetzen der Tradition und den Kriterien für deren Legitimität auch etwas pedantisch an. Tradition ist etwas Lebendiges, und ich glaube nicht, daß man sie bzw. ihre Entwicklung in starre Gesetze fassen kann. Zu Zeiten, als der Sensus fidelium noch intakt war, mußte man darüber wahrscheinlich gar nicht lange nachdenken. Heute ist das viel schwieriger und gleichzeitig in einer gewissen Weise doch auch dringlicher, weil an jeder Straßenecke irgendwelche Neuerer lauern.
Deswegen möchte ich ja nicht vornehmlich jammern, sondern fragen. Aber leider wird meinen Fragen zumeist ausgewichen oder auf andere/s verwiesen. Es geht mir nicht um Gesetze im Sinne von kultischen Tabus, sondern um die Konkretisierung der "Reform der Reform", nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in methodischer Hinsicht.

So frage ich: Was gehört zum Veränderlichen, was zum Unveränderlichen? Inwiefern ist Liturgie "göttlich", inwiefern "menschlich", insbesondere im Hinblick auf Form und Materialität.
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Re: Steht der Papst in oder über der Tradition?

Beitrag von ad-fontes »

Berolinensis hat geschrieben: 2) Woher stammt das Zitat des hl. Leo, insbesondere die Überschrift? Im Text ist von der Taufe ja nicht die Rede.
Leo d. Gr, ep. 16, PL 54, 696Bf. hat geschrieben:Si quis autem epiphaniae festivitatem, quae in suo ordine debito honore reverenda est, et ob hoc existimat habere privilegium baptismatis, quia hoc quidam putant, quod eadem die Dominus ad baptismum sancti Ioannis accesserit, sciat illius baptismi aliam fuisse gratiam, aliam rationem, nec ad eandem pertinuisse virtutem, qua per Spiritum sanctum renascuntur, de quibus dicitur: Qui non ex sanguinibus necque ex voluntate carnis neque ex voluntate viri, sed ex Deo nati sunt. [...] Dominus autem nullius remissione indigens peccati ne quaerens remedium renascendi sic voluit baptizari quomodo voluit circumcidi hostiamque pro se emundationis offeri, ut qui factus est ex muliere, sicut apostolus ait, fieret sub lege, quam non venerat solvere sed adimplere et adimplendo finire [...].
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Re: Steht der Papst in oder über der Tradition?

Beitrag von ad-fontes »

Das Problem ist ja nicht isoliert zu betrachten, sondern im größeren Zusammenhang der Preisgabe des [der] ordentlichen Tauftermins [-termine] (Ostern [und Pfingsten]).
Leo d. Gr, ebd. hat geschrieben:Ipsa igitur operis qualitas docet celebrandae generaliter gratiae diem legitimum esse eum, in quo orta est et virtus muneris et specie actionis.
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Bernado
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Re: Steht der Papst in oder über der Tradition?

Beitrag von Bernado »

ad-fontes hat geschrieben:Das Problem ist ja nicht isoliert zu betrachten, sondern im größeren Zusammenhang der Preisgabe des [der] ordentlichen Tauftermins [-termine] (Ostern [und Pfingsten]).
Leo d. Gr, ebd. hat geschrieben:Ipsa igitur operis qualitas docet celebrandae generaliter gratiae diem legitimum esse eum, in quo orta est et virtus muneris et specie actionis.
Dann mußt du den Zusammenhang noch wesentlich weiter schlagen: In Richtung Übergang vonh der Erwachsenentaufe zur Kindertaufe.

Im übrigen sieht mein Traditionsverständnis so aus, daß das, was ein Papst zu Dingen, die nicht den Glauben betreffen, vor über tausend Jahren bestimmt hat, seine späteren Nachfolger "mutatis mutantibus" nicht bindet, solange sie im Gesamtstrom der Tradition verbleiben.
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