Pit hat geschrieben:
Gut, aber ich frage mich immer, warum einige Zeitgenossen meinen, eine katholische Kirche, die neu gebaut wird, müsse per se neogotisch sein.
Schlichtweg deshalb, weil es so viele davon gibt, und sich der Typus ins Bewußtsein eingegraben hat. Einer bestimmtne Sorte um 1890 gebauter Kirchen sieht man auf 2 Kilometer an: Aha - das ist die katholische Kirche - so wie man dem gleichzeitig erbauten Postamt ansieht, aha, die ehedem kaiserliche Post, und zwei Straßen weiter das Gymnasium.
Das hat auch etwas mit ästhetischer Grenzziehung zu tun, die durchaus auch - aber nicht nur - von damaliger gesellschaftlicher Segmentierung bestimmt war. Die Moderne lebt demgegenüber von panischer Entgrenzung, alles fließt ineinander, nichts darf sich von nichts unterscheiden, das Postamt sieht aius wie das Gymnasium, wweil beide gleich aussehen, und die Kirche wetteifert oft genug mit um die Anpassung. Die Bauweise nimmt die heiß ersehnte unitarische Überkirche der Zukunft vorweg.
Der Witz, ein Witz bei alledem, ist, daß die moderne Bau/Denkweise genauso von opportunistischer Unterwerfung unter "herrschende Vorstellungen" geprägt ist wie damals zu Kaisers Zeiten. Und diese Vorstellungen unterscheiden sich bei weitem nicht so stark voneinander, wie man das gerne hätte. Während der wilhelminische Obrigkeitsstaat seine Untertanen mit den Säulenportalen seiner Gerichtsgebäude einschüchterte, pflanzt die heute tonangebende Klasse ihre ästhetischen Herrschaftszeichen noch auf den letzten Kirchplatz, um dem dummen Volk, das derlei in der Regel nicht zu schätzen weiß, immer wieder einzubläuen, wie dumm und unaufgeklärt es ist.
Eine Zeitlang ging das ohne jeden Bezug zum Inhalt allein durch die Formensprache. Inzwischen braucht man stärkere Mittel: In jede Stadt ein Ehrenmal für den schwulen Deserteur.