Lukas 10,38-42
Sie zogen zusammen weiter, und er kam in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn freundlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, daß meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überläßt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.
Tag für Tag denke ich über diese Perikope nach, Herr, versuche, das Erzählte zu verstehen: Maria sitzt Dir zu Füßen und lauscht Deinen Worten. Welche Wonne! Während Marta in der Küche alle Hände voll zu tun hat und Sorge dafür trägt, daß Du essen kannst. Als sie Dich bittet, Maria in die Küche zu schicken, damit die Arbeit schneller gehe und sie selber auch bei Dir sitzen könne, hört es sich an, als würdest Du sie zurechtweisen und Maria loben.
Mir verursacht diese Stelle Qual, Herr, möchte ich doch immer ganz Maria sein dürfen! Aber da ist die tägliche Sorge um Kinder, Haushalt, Beruf, ich weiß nicht, was ich zuerst tun soll. Ist denn meine ganze mühevolle Arbeit, mein ganzes Tun nichts? Ich bin so müde, Herr. Mich dürstet. Wie verführerisch, alles hinzuwerfen und zu Dir zu eilen, zu Deinen Füßen zu sitzen und nur Deinen Worten zu lauschen!
Einige sagen, diese Geschichte solle Marta und alle Frauen jener Zeit ermutigen, sich vom Herd zu lösen, sich von der untergeordneten Rolle in Familie und Gesellschaft zu befreien und auch für sich Gebet und Kontemplation zu beanspruchen. Weiter heißt es, Du wollest Marta und allzu geschäftige Menschen warnen, nicht in blinden Aktivismus zu verfallen und dabei das Wichtigste zu vergessen: Deine Predigt, Dein Wort!
Herr, Du sagst nicht einfach irgend etwas, schon gar nichts Vordergründig-Plausibles, Du sprichst in Gleichnissen, weil Deine Wahrheit alle Worte übertrifft; tief und kostbar ist Dein Geheimnis, unausschöpflich reich. Wie sollen wir, entfernt und entfremdet vom lebendigen Wasser Deiner Wahrheit, verarmt und oberflächlich in Sprache und Vorstellung, je Deinen Geist begreifen? Hilf mir, Herr, dass ich porös werde für die Bedeutung Deiner feinen Bilder und aus tiefstem Quell entspringenden, rätselhaften Rede. Was willst Du mir mit Marta und Maria sagen?
Der Herr ist im Hause von Marta und Maria eingekehrt. Was für eine Ehre, was für eine Freude, was für eine Aufregung! Marta, die Ältere, weiß Haus und Hof vortrefflich zu führen, sie beherrscht auch die Kunst der Gastfreundschaft. Heute soll alles besonders festlich bereitet werden. Denn Er ist da. Das ganze Haus ist durchwirkt von Seiner Gegenwart, über allen Dingen liegt Glanz; Heiligkeit erfüllt die Räume, dringt bis zu Marta in die Küche hinein. Vieles muss dort jetzt gleichzeitig getan werden, Marta rennt, besorgt und richtet, ihre Hände gehen noch flinker als sonst, ihr Atem fliegt, die Arbeit erfordert ihre ganze Aufmerksamkeit, gleichzeitig durchströmt Freude sie über den Besuch des Herrn; ihr Herz brennt.
Doch das Anrichten dauert, derweil der Herr draußen sitzt und spricht, die Zeit vergeht, wie kostbar jede Stunde, die Er bei ihnen weilt! Da macht sich Marta plötzlich Sorgen um ihre Schwester, die noch jung ist und gänzlich unerfahren im Leben. Sie liebt Maria mütterlich-zärtlich, verwöhnt sie oft und lässt vieles bei ihr durchgehen, soll die Kleine doch noch träumen dürfen! Aber manchmal macht sie sich Vorwürfe, dass sie Maria all zu sehr verzärtelt; muss diese ja irgendwann aufwachen, sich der Wirklichkeit stellen! Die schwebende, süße Sehnsucht muss konkret werden, muss hineingenommen werden in die Zeitlichkeit, wirklich werden hier und jetzt!
In diesem Augenblick spürt Marta wunderbare Klarheit in sich, dankbar wird ihr bewusst, wie fruchtbar und beglückend ihr eigenes, arbeitsreiches Leben ist, Ruhe breitet sich in ihr aus, und sie spürt die Nähe des Herrn, Seine Liebe, durch alles hindurch.
Sie tritt heraus aus der Küche und bittet Dich, Herr, Maria zum Mittun zu bewegen.
Da hättest Du sagen können: "Lass gut sein, liebe Marta, wir brauchen heute kein üppiges Mahl, setz dich zu uns und höre auf meine Worte, denn nur dieses Eine tut Not!"
Aber das sagst Du nicht, Herr. Als Marta herauskommt und vor Dir steht, leuchtend im Gewand ihrer Tugend und Vernunft, gefestigt und stark, rufst Du zweimal laut ihren Namen Marta, Marta, und wir wissen, wie wichtig Dir der Name eines Menschen ist. Wen Du namentlich nennst, der kann nicht verloren gehen. Und wen Du zweimal mit Namen anrufst, der steht in Deiner besonderen Gnade.
Herr, der Du alles weißt, weißt auch, was Marta in diesem Augenblick bewegt, weißt um ihre heimliche Sorge um Maria, und Du sprichst zu ihr über Maria hinweg, direkt in diese Bekümmertheit hinein. Du beruhigst Marta, gibst ihr zu verstehen, dass sie sich um Maria nicht zu sorgen braucht. Maria ist auf dem rechten Weg, denn sie hat das Beste bereits erfasst, das Eine, das Not tut: Gott. Was ihr zur Vervollkommnung noch fehlt, nämlich die süße Hingabe mit dem Gehorsam und der Disziplin praktischen Tuns in der Welt zu verbinden, das wird ihr in Zukunft schon zuteil werden.
Du, Jesus Christus, unbegreiflicher Herr und Gott, bist Mensch geworden, hast Knechtsgestalt angenommen, hast Dich gebeugt, hinab begeben zu uns auf die Erde. Du erschöpftest Dich Tag für Tag, schontest Dich nicht, wenn die Menge nach Dir verlangte, auch dann nicht, wenn Du Stille zum Gebet ersehntest; Du hattest kein Kissen, auf dem Dein Haupt ruhen konnte; Du hast Dich vor Deinen Jüngern erniedrigt, vor ihnen gekniet, ihnen die
Füße gewaschen; Du hast Verrat, Gemeinheit, unsägliches Leiden und den schmählichsten Tod auf Dich genommen, aus unergründlicher Liebe: für uns. Dein Leben ist Deine Lehre. Du hast uns gezeigt, was wir tun sollen: tätige Liebe am Menschen erfüllen aus Liebe zu Dir und dem Vater.
Der Herr verzichtet nicht auf die Bewirtung, Er will essen, obwohl Marta dadurch viel Arbeit hat und nicht bei Ihm sitzen kann. Er weiß, dass es ihr dabei an nichts mangelt. Marta geht den Weg der tätigen Liebe, den Weg der Vollkommenheit. Und ich begreife endlich: Die Arbeit des Menschen steht nicht mehr unter dem Fluch Im Schweíße deines Angesichts, die tägliche Mühe bedeutet nicht Trennung vom Herrn, sondern wird angesichts Seiner Liebe zu einem bewusst gewählten, gehorsamen Weg und damit wesentliche Teilhabe an Gott, dem Herrn.
Herr, ich danke Dir für Deine Gnade, es ist hell und leicht in mir geworden, die Schwere des Alltags ist heute verwandelt, die leise Bitterkeit aufgelöst. Wenn ich morgen wieder klagend vor Dir knie, bitte ich um Kraft, die Marta in mir immer wieder freudig anzuerkennen, ihr zu folgen, von ihr zu lernen und wie sie, alles geduldig auszuführen, was die Einsicht mir gebietet. Denn Du bist da.
Maria Reinecke, Berlin 2000
Meditation zu Martha und Maria
Re: Meditation zu Marta und Maria
sic est.
Wie sagte Theresia v. Avila ? Man kann den Herrn auch zwischen den Kochtöpfen preisen...
und Mutter Theresa wies ihre Schwestern an, gerade dann mehr Zeit für´s Gebet aufzuwenden,wenn man meint gerade überhaupt keine zu haben.
Wie sagte Theresia v. Avila ? Man kann den Herrn auch zwischen den Kochtöpfen preisen...
und Mutter Theresa wies ihre Schwestern an, gerade dann mehr Zeit für´s Gebet aufzuwenden,wenn man meint gerade überhaupt keine zu haben.
Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende
Licht aus der Höhe.......(Lk1,76)
Licht aus der Höhe.......(Lk1,76)
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Andere Sicht
Eine ganz andere Sicht hatte schon Meister Eckhard. Für ihn war Marta die, die klüger war. Mir hat diese Auslegung immer gefallen.
Da der Text wie die meisten mittelalterlichen Texte schwer zu lesen ist, hier eine Interpretation, die deutlich machen will, um was es geht:
Ich bin von Sieghard darauf aufmerksam gemacht worden, dass es auch eine andere
Auslegungstradition dieses Textes gibt. Und die ist nun auch schon 75 Jahre alt. Der bekannte
deutsche Mystiker Eckhart von Hochheim, auch als Meister Eckhart bekannt, hat eine berühmte
Predigt über diesen Text gehalten, in der er zu einem völlig anderen Ergebnis kommt. Weil das so
interessant ist, gebe ich euch ein paar Kostproben, auch weil die alte Ausdrucksweise erfrischend ist.
Zunächst einmal liest Meister Eckhart den Text mit anderen Augen. Er visualisiert gleichermassen
die Szene und erinnert uns daran, dass wir durch den geschriebenen Text ja nicht mehr Tonfall,
Atmosphäre, Gestik, Humor, Ironie etc. erfassen können. Als Martha also Jesus auffordert, die
Maria zur Mithilfe anzuhalten, kommentiert Meister Eckhart: „Dies sprach Martha nicht
gehässigerweise, sondern sie sagte es aus einer Minnegunst, von der sie bezwungen ward. Wir
können auch wohl sagen, aus einem Minnescherzen.”
Er sieht also keinen echten Ärger, sondern nur einen humorvollen Umgang. Warum? In seiner
Beschreibung von Maria erklärt er: „Maria aber war so voller Verlangen, dass sie sich sehnte, sie
wusste nicht wonach, und wollte, sie wusste nicht was. Wir argwöhnen indessen, dass die liebe
Maria mehr zu ihrer Freude dagesessen sei als um geistiger Förderung willen. Darum sprach
Martha: ‚,Herr, heiße sie aufstehen.’ Denn sie fürchtete, dass Maria in dem Verlangen verbliebe und
nicht weiter vorwärts käme.”
Eckhart sieht hier eine andere Situation. Er meint, Martha sei um viele Dinge besorgt, eben auch um
ihre Schwester, die noch nicht an den Punkt des hingebungsvollen Dienstes als Ausdruck der
Gottesbegegnung gekommen sei.
Die vermeintliche Kritik Jesu an Martha sieht der Mystiker Eckhart eher als einen Ritterschlag:
„Darum sprach er: ‚Du bist sorgsam’, weil er damit meinte: ,Du stehest mitten in den Dingen, aber
dennoch stehen die Dinge nicht über dir.’” Martha beschreibt er folgendermaßen: „Aber Martha
stand in wohlbefestigter Tüchtigkeit und freien Gemütes, ungehindert von allen Dingen. Deswegen
begehrte sie, dass ihre Schwester in den gleichen Stand gesetzt würde, als sie sah, dass sie noch
nicht im Wesentlichen gefestigt war.”
Die scherzhafte Begegnung zwischen Jesus und Martha, der Konflikt zwischen Maria und Martha
wird hier zugunsten von Martha gedeutet: „Maria mußte erst eine Martha werden, ehe sie wirklich
eine Maria werden konnte. Denn da sie unserem Herrn zu Füßen sass, da war sie das noch nicht.
Sie sass da noch um der Freude und Entzückung willen. Hingegen stand Martha so fest im
Wesentlichen, dass sie sagen konnte: ‚,Herr, heiße sie aufstehen’, so, als ob sie spräche: ‚,Herr, ich
wollte, sie sässe nicht verzückt da, ich wollte, sie lernte leben, dass es ihr zum Wesensbesitz werde.
Heiß sie aufstehen, damit sie vollkommen werde.’”
Kurzum: Meister Eckhart meint, dass Martha schon da angekommen war, wo Maria noch hin sollte.
Deshalb war es für sie noch besser, zu Jesu Füßen zu sitzen und ihm zuzuhören.
Quelle: http://www.adventgemeinde-grindelberg.d ... _9_16.pdf
Die vollständige Predigt, Quelle: http://www.philos-website.de/index_g.ht ... .htm~main2
Maria und Martha
Intravit Jesus in quoddam Castellurn.
(Luk. 1, 38)
St. Lukas schreibt im Evangelium, daß unser Herr Jesus Christus in ein Städtlein kam, allwo ihn eine Frau empfing, die hieß Martha. Die hatte eine Schwester, die Maria hieß. Die saß zu den Füßen unseres Herrn und hörte sein Wort. Aber Martha ging umher und diente unserem Herrn.
Drei Dinge zogen Maria, niederzusitzen zu den Füßen unseres Herrn. Das eine war: die Güte Gottes hatte ihre Seele ergriffen. Das andere war: großes, unaussprechliches Verlangen; sie begehrte, sie wußte nicht, wonach; sie wollte, sie wußte nicht, was. Das dritte war: süßer Trost und Entzücken, das sie aus dem ewigen Worte schöpfte, das da aus Christi Munde geheimnisvoll raunte.
Auch Martha zogen drei Dinge, die sie antrieben, umherzugehen und dem lieben Christ zu dienen. Das eine war ihre frauliche Reife und ihre wohlgeübte Gründlichkeit im Zunächstliegenden, davon sie vermeinte, daß niemandem die Arbeit so wohl gelingen könne als ihr. Das andere war das weise Verständnis, mit dem sie die äußere Arbeit dem, was die Minne gebot, wohl einzuordnen wußte. Das dritte aber war die große Würdigkeit des lieben Gastes.
Die Meister sagen, daß Gott einem jeden Menschen bereit sei, ihm genugzutun nach geistiger oder nach sinnlicher Art, je wie einer es begehrt. Ob uns Gott genugtue, sofern wir Vernunftwesen sind, oder uns genugtue als empfindenden Wesen, das hängt von den lieben Freunden Gottes selber ab.
Genüge fürs Gefühl geschieht uns darin, daß uns Gott Trost gibt, Entzücken und Gewährung, und uns hiermit verwöhnt. Dies alles aber geschieht den lieben Freunden Gottes nach ihrem inneren Empfinden. Vernunftgemäße Befriedigung aber geschieht aus dem Geiste. Und ich spreche da von vernünftigem Genügen, wo bei aller Entzückung doch der oberste Wipfel nicht herabgebeugt wird und nicht in der Verzückung ertrinkt, so gewaltig sie sich auch erhebe. Dann erst ist ein solcher Mensch in einem vernunftgemäßen Genügen, wenn Lieb‘ und Leid der Kreatur den obersten Wipfel nicht zu beugen vermag.
Nun spricht Martha: ,,Herr, heiße sie mir helfen.“ Dies sprach Martha nicht gehässigerweise, sondern sie sagte es aus einer Minnegunst, von der sie bezwungen ward. Wir können auch wohl sagen, aus einem Minnescherzen.
Nun merket: Martha sah, daß Marias ganze Seele von Verzückung ergriffen war. Martha kannte Marien besser, als Maria Marthen, weil Martha lange und wohlgefällig gelebt hatte. Solch ein Leben verleiht mehr Erleuchtung als alles, was man sonst in dieser Körperlichkeit empfangen kann, ausgenommen Gott selbst.
St. Paulus schaute in seiner Verzückung Gott und sich selber in Gott. Dennoch war es ihm nicht gemäß, eine jegliche Tugend deutlich zu erkennen. Dies darum, daß er sich nicht in Werken geübt hatte. Die Meister aber gelangten durch Werke der Tugend zu so hohen Erkenntnissen, daß sie sich eine jegliche Tugend beispielsweise besser einbilden konnten als Paulus oder irgendein Heiliger in seiner ersten Verzücktheit.
Auf solcher Stufe der Meister stand Martha. Daher ihre Mahnung: ,,Herr, heiße sie mir helfen“; so, als spräche sie: ,,Meiner Schwester dünket, sie vermöge schon alles, was sie wolle, dieweil sie bei dir im Troste sitzt. Laß schauen, ob dem so sei, und heiße sie aufstehen und von dir gehen.“ Maria aber war so voller Verlangen, daß sie sich sehnte, sie wußte nicht wonach, und wollte, sie wußte nicht was. Wir argwöhnen indessen, daß die liebe Maria mehr zu ihrer Freude dagesessen sei als um geistiger Förderung willen. Darum sprach Martha: ,,Herr, heiße sie aufstehen.“ Denn sie fürchtete, daß Maria in dem Verlangen verbliebe und nicht weiter vorwärts käme.
Doch Christus antwortete ihr und sprach: ,,Martha, Martha, du bist sorgsam, du wirst von vielem betrübt. Eins ist not: Maria hat den besten Teil erwählt, der ihr nimmer genommen werden mag.“ Das sagte Christus nicht strafenderweise zu Martha, sondern er antwortete ihr und gab ihr Trost, daß Maria das zuteil werden solle, was sie begehrte. Warum aber sprach Christus: ,,Martha, Martha“, und nannte sie zweimal? Ohne Zweifel hat Gott, da er Mensch ward, nie einen Menschen mit Namen genannt, der ihm verloren gewesen wäre. Die er nicht benannte, um die steht es zweifelhaft. Denn von Christo bei Namen genannt zu werden, das heiße ich sein ewiges Wissen darum, ob einer vor Erschaffung aller Kreaturen im Buche des Lebens stehe, im Buche des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, unwandelbar und ewig.
Warum aber nannte Christus Marthas Namen zweimal? Er meinte, daß Martha alles zeitliche und alles ewige Gut, das die Kreatur besitzen soll, allzumal hätte. Mit dem ersten „Martha“ bezeugte er ihr die Vollkommenheit ihres zeitlichen Wirkens. Mit dem anderen Male, daß er ,,Martha“ sagte, bewies er ihr, daß nichts ihr ermangele an dem, was da zum ewigen Heile gehört. Darum sprach er: ,,Du bist sorgsam“, weil er damit meinte: ,,Du stehest mitten in den Dingen, aber dennoch stehen die Dinge nicht über dir.“ Man muß sorgsam sein, sich unbehindert zu halten bei aller Tätigkeit. Und nur die sind unbehindert, die all ihr Tun nach dem Vorbilde des Ewigen Lichtes richten. Geschäftigkeit ist ein äußerliches Getue; aber Tätigkeit, das ist, was man mit Bescheidenheit von innen her ausübt [vgl. 5. 32, Abs. 3]. Nur diese Menschen, die geziemenderweise so neben den Dingen stehen und nicht in ihnen, sind rechte Menschen. Sie stehen nahe zu dem ihrigen, sie verwalten das ihrige wohl recht, aber sie halten es nicht anders, als stünden sie dabei doch jederzeit am Rande der Ewigkeit. Denn alles Geschaffene ist nur ein Mittel.
Dies Mittel ist zwiefach. Das eine, ohne das ich nicht in Gott kommen kann, das ist Arbeit und Tätigkeit in der Zeit; und dies Tun beeinträchtigt nicht das ewige Heil. Das andere Mittel aber ist: des Tuns ledig sein. Denn darum sind wir hier in der Zeit, damit wir durch unser vernünftiges Tun Gott näherkommen und ihm immer mehr gleichen. Das meinte auch St. Paulus, wenn er sagte: ,,Befreiet euch von der Zeit, die Tage sind übel.“ Die Zeit überwinden, das heißt, daß man ohne Unterlaß im Geiste eindringe in Gott. Und ,,die Tage sind übel“, das müßt ihr also verstehen: Der Tag weist hin auf die Nacht; denn gäbe es keine Nacht, so wäre auch nicht Tag, sondern alles wäre ein Licht. Und das meinte Paulus, daß ein lichtes Leben allzu geringe sei, in dem es noch Finsternis gibt, die einem hochgemuten Geist das ewige Heil zu bewölken und zu beschatten vermag. Das meinte auch Christus, als er sprach: „Wirket, solange ihr das Licht habt.“ Denn wer da wirkt im Licht, der geht ledig aller Vermittelung zu Gott. Sein Licht ist Schaffen, und Schaffen ist sein Licht. Also stand es mit Martha. Darum sprach Christus zu ihr: „Eines ist not.“ Not ist dieses, daß ich und du, umfangen vom Ewigen Licht, eins werden, obwohl wir zwei sind. Ein brennender Geist, der über allen Dingen steht und unter Gott im Umkreis der Ewigkeit, der ist dennoch geschieden und zwiespältig, weil er Gott nicht unmittelbar schaut. Sein Erkennen und das Urbild des Erkennens, die werden nimmer eines, er sähe denn Gott selber da, wo der Geist frei ist von allen Dingen. Getrenntes wird nur da geeint; Licht und Geist, diese zwei werden eines nur in der Umfangung des Ewigen Lichtes.
Nun merket, was das heißt: ,,im Umkreis der Ewigkeit“. Die Seele hat drei Wege zu Gott. Der eine ist: mit mannigfaltigem Tun, mit brennender Liebe Gott suchen in allem Geschaffenen. Das meinte König David, wenn er sprach: ,,In allen Dingen habe ich Ruhe gesucht.“ Der andere Weg ist der: Erhaben über sich und alle Dinge sein, entrückt sein über alles Begreifen in des himmlischen Vaters Machtbereich. Der dritte Weg heißet Weg und ist doch ein Heimweg: es ist Gott schauen in seiner reinen Selbstheit ohne Mittelung. Christus spricht: ,,Ich bin Weg, Wahrheit und Leben.“ Dreies und doch nur eines in Christo. Auf diesem Weg geleitet werden vom Licht seines Wortes, umfangen von der Minne, die beides, Licht und Wort, vereint, das geht über alles, was man in Worten sagen kann. Wunder über Wunder: Außen stehen und innen begreifen und ergriffen werden; sehen und das Geschaute selber sein; halten und gehalten werden; das ist das Ende, da der Geist ruht in der Einigkeit der Ewigkeit.
Auf drei Punkte sollen wir bei unserem Tun achten: daß man ordentlich, vernünftig und bewußt arbeite. Nun nenne ich dies ein ordentliches Tun, daß man allerwärts das Nächstliegende tue. Vernünftiges Tun aber ist dies, daß man zur Zeit kein besseres Ding als eben dieses eine tun kann. Und bewußtes Wirken nenne ich das, wo man lebendige Wahrheit mit fröhlicher Gegenwärtigkeit in guten Werken verbindet. Wo diese drei Punkte beisammen sind, da bringen Werke uns ebenso nahe zu Gott und sind uns genauso förderlich wie alles verzückte Schwelgen Maria Magdalenens in der Wüste.
Nun sagt Christus zu Martha: „Du betrübst dich um das Viele, aber nicht um das Eine!“ Das soll heißen: Wenn die Seele in lauterer Einfalt bei allem Tun gerichtet ist in ihrem Sinn auf den Umkreis der Ewigkeit, so wird sie doch betrübt, wenn Dinge geschehen, die sie von dort oben abziehen. Und solch ein Mensch steht dann gänzlich in Sorge und Betrübnis. Aber Martha stand in wohlbefestigter Tüchtigkeit und freien Gemütes, ungehindert von allen Dingen. Deswegen begehrte sie, daß ihre Schwester in den gleichen Stand gesetzt würde, als sie sah, daß sie noch nicht im Wesentlichen gefestigt war. Aus einem herrlichen Grunde wünschte sie, daß auch jene fest im ewigen Heil stehe. Darum spricht Christus:,, Eines ist not.“ Was aber ist dies?
Das Eine, das ist Gott. Dies Eine ist allen Kreaturen notwendig. Denn zöge Gott das Seine an sich, so würde alles Geschaffene zunichte. Martha fürchtete, daß ihre Schwester in Lust und Verzückung verhaftet bleibe. Und sie begehrte, sie möchte so sein, wie sie selber war. Darum sprach Christus so, als ob er sagte: ,,Gib dich nur zufrieden, Martha. Maria hat den besten Teil erwählt. Jenes Nächste, was den Kreaturen beschieden sein kann, das möge ihr immerhin abgehen. Ihr soll zuteil werden: sie soll heilig werden wie du.“
Vernehmet nun die Lehre von der Tugend. Zu einem tüchtigen Leben gehört dreierlei im Willen: Das erste ist, seinen Willen Gott hingeben; denn das muß sein, um das zu vollbringen, was man für recht erkennt. Das bestehe nun darin, etwas herzugeben oder etwas auf sich zu nehmen. Dieses ist ein sinnlicher Wille. Der andere ist ein geistiger, der dritte ein ewiger Wille. Der geistige Wille besteht darin, daß man den Werken Christi und der Heiligen nacheifere und Wort, Wandel und Tun dem Höchsten unterordne. Wo dies vollbracht wird, da senkt Gott in der Seele Grund ein anderes: das ist der dritte, der ewige Wille mit dem freudevollen Gebot des Heiligen Geistes. Dies spricht die Seele: ,,Herr, verkünde mir deinen ewigen Willen.“ Wenn also die Seele dem ewigen Wort Genüge tut, dann mag es dem lieben Vater gefallen, sein ewiges Wort in die Seele zu sprechen.
Nun verlangen unsere guten Leute, man müsse dermaßen vollkommen werden, daß keinerlei Liebe uns mehr bewegen könne, und man unberührbar stehe von Liebe wie von Leid. Sie tun darin unrecht. Ich sage, daß nie ein Heiliger so groß war, daß er nicht hätte bewegt werden können. Auch widerspreche ich dem, dass einen Heiligen nichts mehr von Gott abwenden könne. Selbst Christus entging dens nicht. Das bewies er damit, daß er sprach: ,,Meine Seele ist betrübt bis in den Tod.“ Christus taten Worte also wehe, daß — wäre das Leid aller Kreatur auf eine einzige Kreatur gefallen — dies Leid nicht so groß wäre, als Christi Leid war. Und das kam von seinem angeborenen Adel und der heiligen Vereinigung göttlicher und menschlicher Natur. Darum sage ich, den Heiligen hat es nimmer gegeben, dem Schmerz nicht wehe und Freude nicht wohlgetan hätte.
Es geschieht etwelchen wohl einmal aus Minne, etwa wenn ihnen jemand den Glauben abspräche, daß sie durch Gnade doch den Gleichmut behalten in Lieb‘ und in Leid. So mag es Heiligen zuteil werden, daß nichts sie von Gott abwendig zu machen vermag. Wird auch das Herz gepeinigt, als stünde solch ein Mensch nicht in der Gnade, so beharrt doch der Wille einfältiglich in Gott, also sprechend: ,,Herr, ich dir und du mir.“ Was ihn auch anfallen mag, es verhindert nichts sein ewiges Heil, dieweil es nicht den obersten Wipfel des Geistes trifft, dort, wo er im allerliebsten Willen und in der Einheit Gottes steht.
Nun sagt Christus: ,,Du sorgst und betrübst dich um das Viele“; denn Martha war so im Wesentlichen, daß alle Wirksamkeit sie nicht hinderte und daß alles Tun und alle Geschäftigkeit sie auf ihr ewiges Heil hinleitete. Maria mußte erst eine Martha werden, ehe sie wirklich eine Maria werden konnte. Denn da sie unserem Herrn zu Füßen saß, da war sie das noch nicht. Sie saß da noch um der Freude und Entzückung willen. Hingegen stand Martha so fest im Wesentlichen, daß sie sagen konnte: ,,Herr, heiße sie aufstehen“, so, als ob sie spräche: ,,Herr, ich wollte, sie säße nicht verzückt da, ich wollte, sie lernte leben, daß es ihr zum Wesensbesitz werde. Heiß sie aufstehen, damit sie vollkommen werde.“
Denn sie hieß noch nicht Maria, da sie zu Christi Füßen saß. Ich nenne das Maria: ein wohlgeübter Leib sein, gehorsam einer weisen Lehre. Und gehorsam sein nenne ich: mit Willen der inneren Mahnung genugtun. Maria, da sie zu unseres Herrn Füßen saß, da war sie eben erst zur Schule gekommen und lernte leben.
Hernach aber, da Christus gen Himmel fuhr und sie den Heiligen Geist empfing, da allererst begann sie zu dienen und fuhr übers Meer und lehrte und predigte und ward den Jüngern eine Helferin.
So werden die Heiligen erst dann zu Heiligen, wenn sie anfangen zu wirken durch ihre Tugenden, denn dann sammeln sie den Hort ewigen Heiles. Was sie dadurch gewirkt haben, das macht alle Schuld und alles Leid wett. Christus ist des ein Zeugnis. Vom Anbeginn, da Gott Mensch ward und dieser Mensch Gott, da fing er zu wirken an zu unserer Seligkeit, bis an das Ende, welches er starb am Kreuze.
Daß wir ihm im rechten Sinne nachfolgen in Betätigung echter Bewährung, dazu helfe uns Gott. Amen.
Aus: Meister Eckehart, Vom Wunder der Seele, Eine Auswahl aus den Traktaten und Predigten
Neu durchgesehen und herausgegeben von Friedrich Alfred Schmid Noerr
Reclams Universalbibliothek Nr. 7319 (S. 25-33)
© 1951 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages
Da der Text wie die meisten mittelalterlichen Texte schwer zu lesen ist, hier eine Interpretation, die deutlich machen will, um was es geht:
Ich bin von Sieghard darauf aufmerksam gemacht worden, dass es auch eine andere
Auslegungstradition dieses Textes gibt. Und die ist nun auch schon 75 Jahre alt. Der bekannte
deutsche Mystiker Eckhart von Hochheim, auch als Meister Eckhart bekannt, hat eine berühmte
Predigt über diesen Text gehalten, in der er zu einem völlig anderen Ergebnis kommt. Weil das so
interessant ist, gebe ich euch ein paar Kostproben, auch weil die alte Ausdrucksweise erfrischend ist.
Zunächst einmal liest Meister Eckhart den Text mit anderen Augen. Er visualisiert gleichermassen
die Szene und erinnert uns daran, dass wir durch den geschriebenen Text ja nicht mehr Tonfall,
Atmosphäre, Gestik, Humor, Ironie etc. erfassen können. Als Martha also Jesus auffordert, die
Maria zur Mithilfe anzuhalten, kommentiert Meister Eckhart: „Dies sprach Martha nicht
gehässigerweise, sondern sie sagte es aus einer Minnegunst, von der sie bezwungen ward. Wir
können auch wohl sagen, aus einem Minnescherzen.”
Er sieht also keinen echten Ärger, sondern nur einen humorvollen Umgang. Warum? In seiner
Beschreibung von Maria erklärt er: „Maria aber war so voller Verlangen, dass sie sich sehnte, sie
wusste nicht wonach, und wollte, sie wusste nicht was. Wir argwöhnen indessen, dass die liebe
Maria mehr zu ihrer Freude dagesessen sei als um geistiger Förderung willen. Darum sprach
Martha: ‚,Herr, heiße sie aufstehen.’ Denn sie fürchtete, dass Maria in dem Verlangen verbliebe und
nicht weiter vorwärts käme.”
Eckhart sieht hier eine andere Situation. Er meint, Martha sei um viele Dinge besorgt, eben auch um
ihre Schwester, die noch nicht an den Punkt des hingebungsvollen Dienstes als Ausdruck der
Gottesbegegnung gekommen sei.
Die vermeintliche Kritik Jesu an Martha sieht der Mystiker Eckhart eher als einen Ritterschlag:
„Darum sprach er: ‚Du bist sorgsam’, weil er damit meinte: ,Du stehest mitten in den Dingen, aber
dennoch stehen die Dinge nicht über dir.’” Martha beschreibt er folgendermaßen: „Aber Martha
stand in wohlbefestigter Tüchtigkeit und freien Gemütes, ungehindert von allen Dingen. Deswegen
begehrte sie, dass ihre Schwester in den gleichen Stand gesetzt würde, als sie sah, dass sie noch
nicht im Wesentlichen gefestigt war.”
Die scherzhafte Begegnung zwischen Jesus und Martha, der Konflikt zwischen Maria und Martha
wird hier zugunsten von Martha gedeutet: „Maria mußte erst eine Martha werden, ehe sie wirklich
eine Maria werden konnte. Denn da sie unserem Herrn zu Füßen sass, da war sie das noch nicht.
Sie sass da noch um der Freude und Entzückung willen. Hingegen stand Martha so fest im
Wesentlichen, dass sie sagen konnte: ‚,Herr, heiße sie aufstehen’, so, als ob sie spräche: ‚,Herr, ich
wollte, sie sässe nicht verzückt da, ich wollte, sie lernte leben, dass es ihr zum Wesensbesitz werde.
Heiß sie aufstehen, damit sie vollkommen werde.’”
Kurzum: Meister Eckhart meint, dass Martha schon da angekommen war, wo Maria noch hin sollte.
Deshalb war es für sie noch besser, zu Jesu Füßen zu sitzen und ihm zuzuhören.
Quelle: http://www.adventgemeinde-grindelberg.d ... _9_16.pdf
Die vollständige Predigt, Quelle: http://www.philos-website.de/index_g.ht ... .htm~main2
Maria und Martha
Intravit Jesus in quoddam Castellurn.
(Luk. 1, 38)
St. Lukas schreibt im Evangelium, daß unser Herr Jesus Christus in ein Städtlein kam, allwo ihn eine Frau empfing, die hieß Martha. Die hatte eine Schwester, die Maria hieß. Die saß zu den Füßen unseres Herrn und hörte sein Wort. Aber Martha ging umher und diente unserem Herrn.
Drei Dinge zogen Maria, niederzusitzen zu den Füßen unseres Herrn. Das eine war: die Güte Gottes hatte ihre Seele ergriffen. Das andere war: großes, unaussprechliches Verlangen; sie begehrte, sie wußte nicht, wonach; sie wollte, sie wußte nicht, was. Das dritte war: süßer Trost und Entzücken, das sie aus dem ewigen Worte schöpfte, das da aus Christi Munde geheimnisvoll raunte.
Auch Martha zogen drei Dinge, die sie antrieben, umherzugehen und dem lieben Christ zu dienen. Das eine war ihre frauliche Reife und ihre wohlgeübte Gründlichkeit im Zunächstliegenden, davon sie vermeinte, daß niemandem die Arbeit so wohl gelingen könne als ihr. Das andere war das weise Verständnis, mit dem sie die äußere Arbeit dem, was die Minne gebot, wohl einzuordnen wußte. Das dritte aber war die große Würdigkeit des lieben Gastes.
Die Meister sagen, daß Gott einem jeden Menschen bereit sei, ihm genugzutun nach geistiger oder nach sinnlicher Art, je wie einer es begehrt. Ob uns Gott genugtue, sofern wir Vernunftwesen sind, oder uns genugtue als empfindenden Wesen, das hängt von den lieben Freunden Gottes selber ab.
Genüge fürs Gefühl geschieht uns darin, daß uns Gott Trost gibt, Entzücken und Gewährung, und uns hiermit verwöhnt. Dies alles aber geschieht den lieben Freunden Gottes nach ihrem inneren Empfinden. Vernunftgemäße Befriedigung aber geschieht aus dem Geiste. Und ich spreche da von vernünftigem Genügen, wo bei aller Entzückung doch der oberste Wipfel nicht herabgebeugt wird und nicht in der Verzückung ertrinkt, so gewaltig sie sich auch erhebe. Dann erst ist ein solcher Mensch in einem vernunftgemäßen Genügen, wenn Lieb‘ und Leid der Kreatur den obersten Wipfel nicht zu beugen vermag.
Nun spricht Martha: ,,Herr, heiße sie mir helfen.“ Dies sprach Martha nicht gehässigerweise, sondern sie sagte es aus einer Minnegunst, von der sie bezwungen ward. Wir können auch wohl sagen, aus einem Minnescherzen.
Nun merket: Martha sah, daß Marias ganze Seele von Verzückung ergriffen war. Martha kannte Marien besser, als Maria Marthen, weil Martha lange und wohlgefällig gelebt hatte. Solch ein Leben verleiht mehr Erleuchtung als alles, was man sonst in dieser Körperlichkeit empfangen kann, ausgenommen Gott selbst.
St. Paulus schaute in seiner Verzückung Gott und sich selber in Gott. Dennoch war es ihm nicht gemäß, eine jegliche Tugend deutlich zu erkennen. Dies darum, daß er sich nicht in Werken geübt hatte. Die Meister aber gelangten durch Werke der Tugend zu so hohen Erkenntnissen, daß sie sich eine jegliche Tugend beispielsweise besser einbilden konnten als Paulus oder irgendein Heiliger in seiner ersten Verzücktheit.
Auf solcher Stufe der Meister stand Martha. Daher ihre Mahnung: ,,Herr, heiße sie mir helfen“; so, als spräche sie: ,,Meiner Schwester dünket, sie vermöge schon alles, was sie wolle, dieweil sie bei dir im Troste sitzt. Laß schauen, ob dem so sei, und heiße sie aufstehen und von dir gehen.“ Maria aber war so voller Verlangen, daß sie sich sehnte, sie wußte nicht wonach, und wollte, sie wußte nicht was. Wir argwöhnen indessen, daß die liebe Maria mehr zu ihrer Freude dagesessen sei als um geistiger Förderung willen. Darum sprach Martha: ,,Herr, heiße sie aufstehen.“ Denn sie fürchtete, daß Maria in dem Verlangen verbliebe und nicht weiter vorwärts käme.
Doch Christus antwortete ihr und sprach: ,,Martha, Martha, du bist sorgsam, du wirst von vielem betrübt. Eins ist not: Maria hat den besten Teil erwählt, der ihr nimmer genommen werden mag.“ Das sagte Christus nicht strafenderweise zu Martha, sondern er antwortete ihr und gab ihr Trost, daß Maria das zuteil werden solle, was sie begehrte. Warum aber sprach Christus: ,,Martha, Martha“, und nannte sie zweimal? Ohne Zweifel hat Gott, da er Mensch ward, nie einen Menschen mit Namen genannt, der ihm verloren gewesen wäre. Die er nicht benannte, um die steht es zweifelhaft. Denn von Christo bei Namen genannt zu werden, das heiße ich sein ewiges Wissen darum, ob einer vor Erschaffung aller Kreaturen im Buche des Lebens stehe, im Buche des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, unwandelbar und ewig.
Warum aber nannte Christus Marthas Namen zweimal? Er meinte, daß Martha alles zeitliche und alles ewige Gut, das die Kreatur besitzen soll, allzumal hätte. Mit dem ersten „Martha“ bezeugte er ihr die Vollkommenheit ihres zeitlichen Wirkens. Mit dem anderen Male, daß er ,,Martha“ sagte, bewies er ihr, daß nichts ihr ermangele an dem, was da zum ewigen Heile gehört. Darum sprach er: ,,Du bist sorgsam“, weil er damit meinte: ,,Du stehest mitten in den Dingen, aber dennoch stehen die Dinge nicht über dir.“ Man muß sorgsam sein, sich unbehindert zu halten bei aller Tätigkeit. Und nur die sind unbehindert, die all ihr Tun nach dem Vorbilde des Ewigen Lichtes richten. Geschäftigkeit ist ein äußerliches Getue; aber Tätigkeit, das ist, was man mit Bescheidenheit von innen her ausübt [vgl. 5. 32, Abs. 3]. Nur diese Menschen, die geziemenderweise so neben den Dingen stehen und nicht in ihnen, sind rechte Menschen. Sie stehen nahe zu dem ihrigen, sie verwalten das ihrige wohl recht, aber sie halten es nicht anders, als stünden sie dabei doch jederzeit am Rande der Ewigkeit. Denn alles Geschaffene ist nur ein Mittel.
Dies Mittel ist zwiefach. Das eine, ohne das ich nicht in Gott kommen kann, das ist Arbeit und Tätigkeit in der Zeit; und dies Tun beeinträchtigt nicht das ewige Heil. Das andere Mittel aber ist: des Tuns ledig sein. Denn darum sind wir hier in der Zeit, damit wir durch unser vernünftiges Tun Gott näherkommen und ihm immer mehr gleichen. Das meinte auch St. Paulus, wenn er sagte: ,,Befreiet euch von der Zeit, die Tage sind übel.“ Die Zeit überwinden, das heißt, daß man ohne Unterlaß im Geiste eindringe in Gott. Und ,,die Tage sind übel“, das müßt ihr also verstehen: Der Tag weist hin auf die Nacht; denn gäbe es keine Nacht, so wäre auch nicht Tag, sondern alles wäre ein Licht. Und das meinte Paulus, daß ein lichtes Leben allzu geringe sei, in dem es noch Finsternis gibt, die einem hochgemuten Geist das ewige Heil zu bewölken und zu beschatten vermag. Das meinte auch Christus, als er sprach: „Wirket, solange ihr das Licht habt.“ Denn wer da wirkt im Licht, der geht ledig aller Vermittelung zu Gott. Sein Licht ist Schaffen, und Schaffen ist sein Licht. Also stand es mit Martha. Darum sprach Christus zu ihr: „Eines ist not.“ Not ist dieses, daß ich und du, umfangen vom Ewigen Licht, eins werden, obwohl wir zwei sind. Ein brennender Geist, der über allen Dingen steht und unter Gott im Umkreis der Ewigkeit, der ist dennoch geschieden und zwiespältig, weil er Gott nicht unmittelbar schaut. Sein Erkennen und das Urbild des Erkennens, die werden nimmer eines, er sähe denn Gott selber da, wo der Geist frei ist von allen Dingen. Getrenntes wird nur da geeint; Licht und Geist, diese zwei werden eines nur in der Umfangung des Ewigen Lichtes.
Nun merket, was das heißt: ,,im Umkreis der Ewigkeit“. Die Seele hat drei Wege zu Gott. Der eine ist: mit mannigfaltigem Tun, mit brennender Liebe Gott suchen in allem Geschaffenen. Das meinte König David, wenn er sprach: ,,In allen Dingen habe ich Ruhe gesucht.“ Der andere Weg ist der: Erhaben über sich und alle Dinge sein, entrückt sein über alles Begreifen in des himmlischen Vaters Machtbereich. Der dritte Weg heißet Weg und ist doch ein Heimweg: es ist Gott schauen in seiner reinen Selbstheit ohne Mittelung. Christus spricht: ,,Ich bin Weg, Wahrheit und Leben.“ Dreies und doch nur eines in Christo. Auf diesem Weg geleitet werden vom Licht seines Wortes, umfangen von der Minne, die beides, Licht und Wort, vereint, das geht über alles, was man in Worten sagen kann. Wunder über Wunder: Außen stehen und innen begreifen und ergriffen werden; sehen und das Geschaute selber sein; halten und gehalten werden; das ist das Ende, da der Geist ruht in der Einigkeit der Ewigkeit.
Auf drei Punkte sollen wir bei unserem Tun achten: daß man ordentlich, vernünftig und bewußt arbeite. Nun nenne ich dies ein ordentliches Tun, daß man allerwärts das Nächstliegende tue. Vernünftiges Tun aber ist dies, daß man zur Zeit kein besseres Ding als eben dieses eine tun kann. Und bewußtes Wirken nenne ich das, wo man lebendige Wahrheit mit fröhlicher Gegenwärtigkeit in guten Werken verbindet. Wo diese drei Punkte beisammen sind, da bringen Werke uns ebenso nahe zu Gott und sind uns genauso förderlich wie alles verzückte Schwelgen Maria Magdalenens in der Wüste.
Nun sagt Christus zu Martha: „Du betrübst dich um das Viele, aber nicht um das Eine!“ Das soll heißen: Wenn die Seele in lauterer Einfalt bei allem Tun gerichtet ist in ihrem Sinn auf den Umkreis der Ewigkeit, so wird sie doch betrübt, wenn Dinge geschehen, die sie von dort oben abziehen. Und solch ein Mensch steht dann gänzlich in Sorge und Betrübnis. Aber Martha stand in wohlbefestigter Tüchtigkeit und freien Gemütes, ungehindert von allen Dingen. Deswegen begehrte sie, daß ihre Schwester in den gleichen Stand gesetzt würde, als sie sah, daß sie noch nicht im Wesentlichen gefestigt war. Aus einem herrlichen Grunde wünschte sie, daß auch jene fest im ewigen Heil stehe. Darum spricht Christus:,, Eines ist not.“ Was aber ist dies?
Das Eine, das ist Gott. Dies Eine ist allen Kreaturen notwendig. Denn zöge Gott das Seine an sich, so würde alles Geschaffene zunichte. Martha fürchtete, daß ihre Schwester in Lust und Verzückung verhaftet bleibe. Und sie begehrte, sie möchte so sein, wie sie selber war. Darum sprach Christus so, als ob er sagte: ,,Gib dich nur zufrieden, Martha. Maria hat den besten Teil erwählt. Jenes Nächste, was den Kreaturen beschieden sein kann, das möge ihr immerhin abgehen. Ihr soll zuteil werden: sie soll heilig werden wie du.“
Vernehmet nun die Lehre von der Tugend. Zu einem tüchtigen Leben gehört dreierlei im Willen: Das erste ist, seinen Willen Gott hingeben; denn das muß sein, um das zu vollbringen, was man für recht erkennt. Das bestehe nun darin, etwas herzugeben oder etwas auf sich zu nehmen. Dieses ist ein sinnlicher Wille. Der andere ist ein geistiger, der dritte ein ewiger Wille. Der geistige Wille besteht darin, daß man den Werken Christi und der Heiligen nacheifere und Wort, Wandel und Tun dem Höchsten unterordne. Wo dies vollbracht wird, da senkt Gott in der Seele Grund ein anderes: das ist der dritte, der ewige Wille mit dem freudevollen Gebot des Heiligen Geistes. Dies spricht die Seele: ,,Herr, verkünde mir deinen ewigen Willen.“ Wenn also die Seele dem ewigen Wort Genüge tut, dann mag es dem lieben Vater gefallen, sein ewiges Wort in die Seele zu sprechen.
Nun verlangen unsere guten Leute, man müsse dermaßen vollkommen werden, daß keinerlei Liebe uns mehr bewegen könne, und man unberührbar stehe von Liebe wie von Leid. Sie tun darin unrecht. Ich sage, daß nie ein Heiliger so groß war, daß er nicht hätte bewegt werden können. Auch widerspreche ich dem, dass einen Heiligen nichts mehr von Gott abwenden könne. Selbst Christus entging dens nicht. Das bewies er damit, daß er sprach: ,,Meine Seele ist betrübt bis in den Tod.“ Christus taten Worte also wehe, daß — wäre das Leid aller Kreatur auf eine einzige Kreatur gefallen — dies Leid nicht so groß wäre, als Christi Leid war. Und das kam von seinem angeborenen Adel und der heiligen Vereinigung göttlicher und menschlicher Natur. Darum sage ich, den Heiligen hat es nimmer gegeben, dem Schmerz nicht wehe und Freude nicht wohlgetan hätte.
Es geschieht etwelchen wohl einmal aus Minne, etwa wenn ihnen jemand den Glauben abspräche, daß sie durch Gnade doch den Gleichmut behalten in Lieb‘ und in Leid. So mag es Heiligen zuteil werden, daß nichts sie von Gott abwendig zu machen vermag. Wird auch das Herz gepeinigt, als stünde solch ein Mensch nicht in der Gnade, so beharrt doch der Wille einfältiglich in Gott, also sprechend: ,,Herr, ich dir und du mir.“ Was ihn auch anfallen mag, es verhindert nichts sein ewiges Heil, dieweil es nicht den obersten Wipfel des Geistes trifft, dort, wo er im allerliebsten Willen und in der Einheit Gottes steht.
Nun sagt Christus: ,,Du sorgst und betrübst dich um das Viele“; denn Martha war so im Wesentlichen, daß alle Wirksamkeit sie nicht hinderte und daß alles Tun und alle Geschäftigkeit sie auf ihr ewiges Heil hinleitete. Maria mußte erst eine Martha werden, ehe sie wirklich eine Maria werden konnte. Denn da sie unserem Herrn zu Füßen saß, da war sie das noch nicht. Sie saß da noch um der Freude und Entzückung willen. Hingegen stand Martha so fest im Wesentlichen, daß sie sagen konnte: ,,Herr, heiße sie aufstehen“, so, als ob sie spräche: ,,Herr, ich wollte, sie säße nicht verzückt da, ich wollte, sie lernte leben, daß es ihr zum Wesensbesitz werde. Heiß sie aufstehen, damit sie vollkommen werde.“
Denn sie hieß noch nicht Maria, da sie zu Christi Füßen saß. Ich nenne das Maria: ein wohlgeübter Leib sein, gehorsam einer weisen Lehre. Und gehorsam sein nenne ich: mit Willen der inneren Mahnung genugtun. Maria, da sie zu unseres Herrn Füßen saß, da war sie eben erst zur Schule gekommen und lernte leben.
Hernach aber, da Christus gen Himmel fuhr und sie den Heiligen Geist empfing, da allererst begann sie zu dienen und fuhr übers Meer und lehrte und predigte und ward den Jüngern eine Helferin.
So werden die Heiligen erst dann zu Heiligen, wenn sie anfangen zu wirken durch ihre Tugenden, denn dann sammeln sie den Hort ewigen Heiles. Was sie dadurch gewirkt haben, das macht alle Schuld und alles Leid wett. Christus ist des ein Zeugnis. Vom Anbeginn, da Gott Mensch ward und dieser Mensch Gott, da fing er zu wirken an zu unserer Seligkeit, bis an das Ende, welches er starb am Kreuze.
Daß wir ihm im rechten Sinne nachfolgen in Betätigung echter Bewährung, dazu helfe uns Gott. Amen.
Aus: Meister Eckehart, Vom Wunder der Seele, Eine Auswahl aus den Traktaten und Predigten
Neu durchgesehen und herausgegeben von Friedrich Alfred Schmid Noerr
Reclams Universalbibliothek Nr. 7319 (S. 25-33)
© 1951 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages
Re: Meditation zu Marta und Maria
... warum ganz andere Sicht?
Meine Gedanken zu "Marta und Maria" betonen ja gerade die besondere Wertschätzung Martas -
ganz im Sinne von M. E., dessen Predigt einst Auslöser für die zugegebenermaßen sehr persönliche Meditation war.
Meine Gedanken zu "Marta und Maria" betonen ja gerade die besondere Wertschätzung Martas -
ganz im Sinne von M. E., dessen Predigt einst Auslöser für die zugegebenermaßen sehr persönliche Meditation war.
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- Registriert: Sonntag 28. Mai 2006, 16:29
Andere Sicht
Eine ganz andere Sicht als die gewöhnliche und eine, die der deinigen entspricht.
So war das zu verstehen.
sofaklecks
So war das zu verstehen.
sofaklecks
Re: Meditation zu Marta und Maria
Schön Kinners, da bräuchten wir mehr davon
Grüße, Allons!

Grüße, Allons!