Solange der Vatikan nur um die Rückkehr der "verlorenen Schafe" am traditionalistischen Kirchenrand bemüht ist, nicht aber auch andere Exkommunikationen aufhebt, Lehrbeanstandungsverfahren reformorientierter Theologinnen und Theologen überprüft sowie nicht zum internationalen Dialog mit Reformkreisen bereit ist, hat das römisch-katholische Kirchenschiff schwere Schlagseite.
Die hier bemühte Argumentation auf Basar-Niveau - Gibst Du denen, mußt Du auch jenen geben - ist, Verzeihung, dämlich.
1. Das Bild vom Schiff mit Schlagseite funktioniert nur, wenn man ein Rechts-links- (oder Progressiv-konservativ/traditionalistisch-)Schema verwendet. Das kann man auch durchaus tun, um die vorgefundene Realität zu strukturieren. Allerdings eben nur mit Einschränkungen: Es bildet die Realität (ebenso wie im politischen Raum) unter bestimmten Gesichtspunkten adäquat ab und unter anderen überhaupt nicht - weil es ein Sortierungsschema ist, das von außen eingetragen ist und und die Komplexität der Dinge reduziert. Um im politischen Bereich zu bleiben: Das Rechts-links-Schema verdunkelt z.B. die große Ähnlichkeit, die zwischen Rechts- und Linksextremisten besteht (und die sich in der Person Horst Mahler ganz wunderbar zeigt. Dessen Denken hat sich ja kaum verändert, obwohl er dem Schema zufolge vom einen Ende des politischen Spektrums ans andere gerutscht ist.)
2. Die FSSPX ist einem Denken verhaftet, das stark auf die kirchliche Hierarchie ausgerichtet ist. Und zwar - eigentlich - besonders auf die päpstliche Autorität. Im Grunde versucht sie ja, den Katholizismus in jener Gestalt zu bewahren, in der er sich ungefähr in den Jahren 1870 bis 1950 gezeigt hat, also in jener Zeit, in der die römisch-katholische Kirche stärker als je zuvor Papstkirche war. Die Trennung vom Papst ist für sie daher ein theologisch-intellektuelles (und vielfach wohl auch emotionales) Problem, für das es verschiedene Lösungsansätze gibt: Sedisvakantismus, Apokalyptik ("Die Welt geht eh bald unter, und dann zeigt der Herr dem verlotterten Papst schon, wer hier im Recht ist", dieses Denken scheint mir in vielen Äußerungen Williamsons durchzuschimmern), oder eben das Anstreben der Einheit mit dem Papst - auch wenn damit innere Kämpfe verbunden sind, auch wenn die Bruderschaft dafür einen "Preis" zahlen muß. In christlicher Terminologie könnte man statt vom "Preis" schlicht von "Umkehr" sprechen.
Die jüngsten Äußerungen des Generaloberen scheinen mir (auch wenn darin immer noch einiges steckt, was mir kritikwürdig scheint) in letztgenannte Richtung zu gehen. Vor diesem Hintergrund scheint mir die reale Chance zu bestehen, durch jenen Schritt, den der Papst nun unternommen hat, die Bruderschaft - wenigstens zum (größeren) Teil - in die volle Gemeinschaft der Kirche zurückzuholen.
Die angesprochenen "reformorientierten Theologinnen und Theologen" dagegen zeichnen sich in ihrer großen Mehrheit dadurch aus, daß sie die kirchliche Hierarchie, insbesondere den päpstlichen Primat, sowieso für ein mehr oder weniger restlos zu beseitigendes Relikt vergangener Zeiten halten. Letztlich kann ihnen die Meinung von "Bruder Papst" nicht wichtiger sein als die Meinung jedes anderen Menschen auch. Eine Lehrbeanstandung oder Exkommunikation mag sie schmerzen, weil die Institution Kirche sich nicht so verhält, wie sie es gerne hätten. Aber sie stellt für sich genommen ihre Sicht der Dinge nicht in Frage. Wieso also sollte ein analoger Schritt des Papstes bei einen auch nur einen winzigen Trippelschritt in Richtung jener Institution bewegen, die für sie ja nur "von Menschen gemacht", dem Machterhalt einiger alter Männer dienend, eben "Amtskirche" im abwertenden Sinn ist?