Moin allerseits,
SD hat das ganz gut zusammengefaßt, aber ich hätte ein paar Ergänzungen.
Stephen Dedalus hat geschrieben:Die anglikanische Kirche ging aus der röm. - kath. Kirche hervor, bzw. besser gesagt, sie hat sich abgespalten, weil ein König sein Willen durchsetzen wollte?
Sagen wir mal so: Die Abspaltung von Rom geschah, weil ein König seinen Willen durchsetzen wollte.Dies war der Anlaß. Die tieferliegende Ursache war, daß es seit langem zwischen Rom und dem englischen König zu Konflikten gekommen war. Außerdem war man der Meinung, daß die englische Kirche keinesfalls dem Papst unterstehen müsse, um katholisch zu sein. Nachdem die Trennung von Rom erstmal durch war, hat sich die Anglikanische Kirche selbständig von Rom entwickelt, sodaß nach ein paar Jahrzehnten bereits deutliche Unterschiede zu Rom erkennbar waren.
Es gab auch in der Zeit vor Heinrich VIII. Spannungen zwischen der englischen Kirche und Rom, die sogar bis in die Anfangszeiten zurück liegen.
England wurde s.z.s. aus zwei Richtungen konvertiert: Aus dem Süden von römischen und später griechischen Missionsarbeitern und Bischöfen; und aus dem Norden von irischen und schottischen Christen, die Kelten waren, die in der Zeit des römischen Reiches konvertiert und vom Reich durch die angelsächsischen Invasionen im 6.-7. Jhd. getrennt wurden.
Die Kelten entwickelten eine eigenständige Kirche mit eigenen (teilweise veralteten, teilweise eigens erfundenen) Praxen. Diese zwei Welten -- römische und keltische -- prallten aufeinander, und die konkurrierenden Kirchen lebten für eine Zeit nebeneinander, vor allem im Norden Englands im damaligen Königreich Northumbria, teilweise im Königreich Mercia (beides damals die dominanten angelsächsischen Königreiche Englands).
In der Synode von Whitby 664, eingerufen und geschlichtet vom König Oswiu von Northumbria, versuchte man, diese Differenzen auszuräumen. Die römische Seite "gewann" das Argument weitgehend und römische Praxis wurde größtenteils eingeführt, aber der keltische Einfluß blieb da "im Blut", d.h. eher im Selbstverständnis als in der Praxis. Das heißt, im Selbstverständnis der englischen herrschte schon eine gewisse Unabhängigkeit von vorne herein -- eine Sonderrolle.
Hinzu kamen Geschichten wie der Mythos von Josef von Arimathäa in Glastonbury, die christianisierte Artus-Legende (vor allem im Bezug auf den hl. Gral), ja sogar Jesus selbst soll in England gewesen sein, und so weiter. Viele sahen England sogar als das neue Jerusalem. (Das ist der Hintergrund
dieses berühmten englischen Gedichts und Kirchenlieds.) Keiner glaubt heute daran, aber das war für eine lange Zeit die herrschende Meinung.
Im Mittelalter gab es hin und wieder Spannungen zwischen Staat und Kirche (z.B. Heinrich II. und ++Thomas à Becket), aber es kam auch vor, wo Kirche und Staat gemeinsame Sache gegen Rom machte (z.B. in der Zeit von Simon de Montfort der Jüngere).
Frühe Reformatoren wie John Wycliffe hatten auch die Vorstellung, die englische Kirche könnte man unabhängig von Rom reformieren -- und seine Rufe nach Enteignung von reichen Glaubensorden und Reform der Kirche kamen dem englischen Volk, aber auch mächtigen politischen Figuren in England wie John of Gaunt und dem Parliament sowie König Edward III. ganz gelegen. Schon in der Zeit (um 1377) war von einem Bruch mit Rom die Rede, aber mit dem Tod von Edward III. und der Vernichtung des Wat Tyler-Aufstands gegen Richard II. (der wiederum die politische Unterstützung Roms brauchte, um seine schwache Position innerhalb England zu stärken) war das Thema voresrt beendet worden. Und das schon 150 Jahren vor Heinrichs VIII. Bruch mit Rom, wohlgemerkt.
Stephen Dedalus hat geschrieben:Wen dem so ist, (ich muß mich echt wieder mal mehr bilden in Geschichte) für wen haben dann die Leute damals gekämpft, für den König oder für ihre Kirche und was ist dann der mittlere Weg?
Das ist eine interessante Frage. Ganz im Gegensatz zum Kontinent, wo es eine erkennbar Volksbewegung für die Reformation gab, wollte das Volk in England durchaus nicht evangelisch sein.
Genau. In all den Spannungen mit Rom wurden solche Reformen wie die von Luther und Melanchton, geschweige von Zwingli oder Calvin, für suspekt gehalten.
Man muß auch anmerken, England in der Zeit war enorm ausländerfeindlich, mehr als andere Länder. Aus Sicht des damaligen Engländers waren Rom, Luther, Calvin usw. alle gleich ausländische Einflüße, die gleich suspekt waren -- man wollte die "eigenen" inländischen Praxen beibehalten.
Das trug auch zum Scheitern von "Bloody Mary" bei -- sie machte den Fehler, ihren spanischen Mann König Philip mitzubringen und das Land ausdrücklich wieder römisch zu machen. Mary selbst war halbe Spanierin. Hätte sie den Rückkehr zum Katholizismus "patriotischer" formuliert, wäre sie wahrscheinlich erfolgreich gewesen. Das war der Grund, wieso Elizabeth so erfolgreich und beliebt war -- sie verstand das englische Volk deutlich besser und "verkaufte" dem Volk ihren Mittelweg zwischen Protestantismus und Katholizismus, den Via Media, als "englischer Vernunft". Aus diesem Grund wird Elizabeth heute in England groß gefeiert und Bloody Mary ist nur noch Buhmann (oder -Frau).
Stephen Dedalus hat geschrieben:Sie lehren zwei Hauptsakramente daneben fünf Nebensakramente - (wo ist denn bitte für Euch der Unterschied?)
Der Unterschied ist der, daß für Taufe und Eucharistie in den Evangelien Einsetzungberichte vorhanden sind. Für Priesterweihe, Buße, Trauung, Krankensalbung, Firmung gibt es zwar Anhaltspunkte, aber keine direkten Einsetzungberichte.
Genau. Die "Nebensakramente" sind weiterhin vollwertige Sakramente. Wir möchten sie aber nicht auf gleicher Höhe halten wie die Taufe und die Eucharistie, weil diese ausdrücklich von Christus eingesetzt werden.
Stephen Dedalus hat geschrieben:Und ansonsten muß ich mir die anglikanische Kirche als moderne Form der Ökumene von morngen vorstellen?
Ein bißchen schon. Vielfalt in der Einheit.
Genau. Wiederstand ist zwecklos. Ihr werdet alle Anglikaner!
Eher im Ernst, die anglikanische Kirche ist vielleicht weniger Kirche und eher Kirchenmodell -- unsere Vorstellung von der vereinten Kirche Christi. Wir suchen ausdrücklich die Einheit aller Kirchen "auf Augenhöhe" sozusagen.
Stephen Dedalus hat geschrieben:So hat im Jahr 1605 der berühmte Katholike Guy Fawkes mit seinen Kumpanen den König samt Parlament in die Luft jagen wollen. Der Anschlag wurde vereitelt, Guy Fawkes vorher gefaßt. Das war so eine Art 11. September des 17. Jahrhunderts, nur daß der britische Geheimdienst damals besser war als die USA heute.

Seitdem herrschte im Land eine regelrechte Katholikenangst, und jeder, der auch nur im Verdacht stand, römische Tendenzen zu hegen, wurde als Terrorist betrachtet. Unter diesen Umständen brauchte Rom keine Angebote zu machen. Bis weit ins 20. Jahrhundert galt in England die Auffassung, daß ein echter Brite nicht katholisch ist.
Ich kenne einige Engländer, die auch erzählen, wie sie Katholiken in ihrer Jugend geprüggelt und beschimpft haben -- in den 60ern und 70ern. Die waren und sind auch keineswegs fromm -- sie haben eine Kirche von innen kaum gesehen -- aber "Römisch-Katholiken sind suspekt" war immer noch im Volksmund. Von Nordirland ganz abgesehen.
Stephen Dedalus hat geschrieben:Per Gesetz ist nach wie vor geregelt, daß ein Katholik aus der Thronfolge automatisch ausscheidet. Daß sich darum noch nicht Antidiskriminierungsbeauftragte der EU gekümmert hat ...
Andererseits ist der jetzige Premierminister mit einer Katholiken verheiratet und deren Kinder werden katholisch erzogen -- und keiner meckert. In so fern sind die Ansichten schon anders heute. Eine Gesetzesänderung wäre m.M.n. durchaus denkbar -- man redet auch ab und zu von der "Disestablishment" (hm, "Entstaatlichung"? keine Ahnung, wie man das übersetzt) der Church of England, Charles möchte als König "Defender of Faith" und nicht "THE Faith" werden, und und und.
Cheers,
John
Der Beweis, dass Gott einen Sinn für Humor hat: Er hat die Menschheit geschaffen.
[ Alt-Katholisch/Anglikanisch in Hannover ]