ad-fontes hat geschrieben:
Zum Thema: Stand der Gnade. Als ausformuliertes Konzept gibt es das in der Orthodoxie nicht.
Warum ist das so? Wie ist es?
Auch die fehlende Unterschiedung zwischen läßlichen und schweren Sünden (Todsünden) bereitet mir Schwierigkeiten. Was hat das für Konsequenzen im Hinblick auf das, was bzw. wie man beichet?
Mag mir das jemand erklären oder einen guten Link dazu posten? Oder aus der (Beicht-)Praxis berichten?
Hallo, ad-fontes,
ich versuch es mal.
Zum Gnadenstand musste ich mich erst nochmals schlau machen. Ich habe verstanden, dass "im Stand der Gnade sein" bedeuten soll, dass man alle seine allfälligen Todsünden gebeichtet hat und mit Gott versöhnt ist, und deshalb nach dem Tod direkt oder auf dem Umweg durchs Fegefeuer in den Himmel kommt. Dieser Gnadenstand ist insbesondere vorhanden direkt nach der Taufe oder der Beichte. Richtig?
Da wir Orthodoxen eine solche Lehre nicht kennen, und da wir nicht zwischen lässlichen und Todsünden unterscheiden, ist es natürlich schwer, Konsequenzen aus dieser "Ablehnung" zu formulieren. Das würde ja heissen, dass wir uns nur "im Vergleich mit anderer Lehre" definieren. Tatsache ist aber, dass diese nachgefragten Konzepte der Orthodoxie vom Wesen her fremd sind. Ich kann also nur zu erklären versuchen, wie wir uns als vor Gott Stehende erfahren.
Wir glauben, dass wir durch Taufe oder Beichte ganz frei von der Schuld unserer Sünden sind. Allerdings wird ein Beichtvater verlangen, dass wir Genugtuung und Versöhnung da leisten, wo es menschlich möglich ist, also beispielsweise den Partner um Vergebung bitten. (Man beobachtet das auch in der Kirche, dass Leute nach der Beichte zu jemandem hin gehen, kurz reden und sich umarmen)
Wir glauben allerdings nicht, dass uns die Beichte oder Taufe zur Kommunion würdig mache. Denn würdig sind wir NIE vor Gott. Wir können nur mit grosser Ehrfurcht zum Kelch kommen, im Bewusstsein unserer Unwürdigkeit.
Ebenso glauben wir auch nicht, dass wir uns auf unsere "Sündlosigkeit", respektive, darauf, dass uns vergeben wurde, vor Gott berufen könnten bei seinem Gericht. Seine Gerechtigkeit unterliegt nicht unseren Massstäben. So kann beispielsweise selbstgerechte Rechtschaffenheit vielleicht vor Ihm die grösste Sünde sein, vor allem dann, wenn wir IHM "Vorschriften machen" wollen. Umgekehrt kann vielleicht ein nach menschlichem Ermessen grosser Sünder Gnade finden, weil er die Demut mitbringt. Wir wissen dass Gott menschenliebend und barmherzig ist, und das ist unsere Hoffnung, dass wir trotz unserer Unzulänglichkeit gerettet werden können.
Es gibt also nicht bestimmte Sünden, von denen wir wüssten, dass sie "one way tickets to hell" wären.
Sicher wiegen Sünden unterschiedlich schwer.. aber JEDE Sünde trennt uns von Gott. Solange wir den Weg zurück nicht beschritten haben in Gebet, Umkehr und Beichte, ist die Beziehung zu Gott beschädigt.
Von Gottes Seite her ist IMMER die Bereitschaft zur Annahme und Vergebung da. Es ist an uns Menschen, das Angebot wahrzunehmen.
Gebeichtet werden bei uns alle Sünden, Zweifel, Ängste, Unsicherheiten, schlechte Gedanken, auch das Gute, das wir nicht getan haben oder mit falschen Motiven... einfach alles, was das Leben belastet und den Blick auf Gott trübt. Wie Anselmus schon schrieb: Es ist so, dass wir unser Versagen und unsere Lasten vor Gott tragen und in der Beichte Erleichterung und Heilung erleben.
In der Ermahnung, die der Priester vor der Beichte spricht heisst es
Siehe, Christus steht unsichtbar vor dir und nimmt deine Beichte entgegen, schäme dich nicht, fürchte dich nicht, und verbirg nichts vor mir; sondern ohne Zweifel sag alles, was du getan hast, und du wirst Vergebung von unserem Herrn Jesus Christus empfangen. Siehe hier dieses sein Bildnis vor uns; ich aber bin nur der Zeuge, um vor Ihm alles das zu bezeugen, was du mir gesagt hast. Wenn du etwas vor mir verbirgst, wiegt deine Sünde doppelt schwer. Deshalb sei aufmerksam, damit du, einmal zum Arzt gekommen, nicht ungeheilt davongehst.
Liebe Grüsse
Maria