Nun noch zu Deiner zweiten Bemerkung zu meinem letzten Posting. Meine Antwort hat etwas länger gedauert, da ich dafür ausführlicher nachdenken musste:
Nietenolaf hat geschrieben:… zur "anderen Begrifflichkeit". Ich halte das für intellektuelle Spielereien…
Das sind keine intellektuellen Spielereien, glaube ich. Je nachdem, wie man sich das Verhältnis von Gottes Wesen zu seinen Eigenschaften denkt, nämlich einerseits in einer strikten Trennung oder andererseits in einer wie auch immer gearteten Beziehung zueinander, ändert sich der Bedeutungshorizont der jeweiligen Theologie. Und dieser Bedeutungshorizont bestimmt dann, welche Fragen als legitim und möglich (im Sinne von sinnvoll) und welche als illegitim und unmöglich (im Sinne von sinnlos) angesehen werden.
Was ich damit sagen will, lässt sich in unserem Fragezusammenhang der Rechtfertigungslehre anschaulich machen:
Johannes von Damaskus zählt in seiner „Genauen Darlegung des orthodoxen Glaubens“ Eigenschaften auf, wie Gott ist (I, 2 u.a.). Dort wird neben den Eigenschaften ewig, immerwährend, ungeschaffen, unwandelbar etc. auch gesagt, dass Gott gut und gerecht ist. Nun stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese Eigenschaften zu seinem Wesen stehen:
Einerseits könnte gesagt werden, dass aus den Eigenschaften gewisse Schlüsse auf das Wesen Gottes gezogen werden können. So kann Johannes von Damaskus durchaus verstanden werden. Hierauf bin ich ja oben ausführlich eingegangen. Und so versteht ihn auch Hilarion Alfejev in seinem Buch „Geheimnis des Glaubens: Einführung in die orthodoxe dogmatische Theologie“, das Du ja empfohlen hast. Inzwischen konnte ich es mir ausleihen. Alfejev schreibt mit Bezug auf Johannes von Damaskus (S. 35):
„Es ist schwer, über die Eigenschaften Gottes zu sprechen, Dessen Natur sich jenseits der Worte befindet. Nichtsdestoweniger kann der Mensch, ausgehend vom Wirken Gottes in der geschaffenen Welt, Annahmen machen und Schlüsse ziehen, die sich auf die Eigenschaften Gottes beziehen.“ Und dann folgt der Hinweis auf Johannes von Damaskus und die oben genannten Eigenschaften. D.h. also, dass aus den Eigenschaften, wie Gott sich zeigt, in gewisser Weise auf sein Wesen geschlossen werden kann, unbeschadet der Tatsache, dass Gottes Wesen uns – man müsste vielleicht sagen: in seiner Ganzheit – verborgen bleibt. Er übersteigt unsere Begriffe.
Die andere mögliche Verhältnisbestimmung wäre die, dass die Eigenschaften Gottes nichts über sein Wesen aussagen, dass also zwischen Gottes Wesen und der Art und Weise, wie Gottes Wirken in der Welt vonstattengeht, eine strikte Trennung zu ziehen ist.
Dies hat nun Folgen für den Bedeutungshorizont der Begriffe und für die Fragen, die dementsprechend in diesem Bedeutungshorizont vorkommen können oder eben nicht vorkommen können:
Geht man davon aus, dass die genannten Eigenschaften Gottes auch sein Wesen zutreffend beschreiben, dann ist die Frage, ob im Kreuz Jesu Christi Gottes Gerechtigkeit und Gnade zur Geltung eine sinnvolle Frage. Dieser Seite neigt offenbar der Westen stärker zu.
Geht man andererseits davon aus, dass die Eigenschaften Gottes nur von seinen Energien ausgesagt werden können, weil man eben von Gottes Wesen überhaupt nichts aussagen kann, dann wäre die Frage nach dem Zusammenhang von Gerechtigkeit und Gnade im Kreuz Jesu eine sinnlose Frage. Dieser Seite neigt offenbar der Osten stärker zu.
In diesem Spannungsfeld steht also die Frage, was Rechtfertigung durch das Opfer Christi bedeutet. Erzpriester Prof. Dr. Lazar Milin von der Theologischen Fakultät Belgrad, den ich oben referiert habe, geht offenbar von einer größeren Analogie der Eigenschaftsbegriffe Gottes und des Wesens Gottes aus. Denn er sieht ja in der Frage nach dem Verhältnis von „Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Wahrheit“ (Orthodoxe Glaubenslehre für Erwachsene, S. 92) im Kreuz Jesu Christi tatsächlich eine sinnvolle Frage. Für ihn sind diese drei Begriffe wirkliche Wesensaussagen über Gott.
Nun ist es sehr interessant, dass das ostkirchliche Konzil von Konstantinopel im Jahr 1157, wie ich bei Alfejev gelesen habe, zwar einerseits die anselmische Satisfaktionslehre zurückweist, andererseits aber sagen kann: „Christus hat Sich freiwillig als Opfer dargebracht, hat sich selbst Seiner Menschheit nach dargebracht, und hat selbst als Gott das Opfer zusammen mit dem Vater und dem Geist angenommen … Das gottmenschliche Wort … hat das erlösende Opfer dem Vater, sich selbst als Gott und dem Geist dargebracht, Durch die der Mensch aus dem Nicht-Sein in das Sein gerufen worden ist, Die er auch beleidigt hat, indem er das Gebot übertrat, und mit Denen sich die Versöhnung durch die Leiden Christi vollzog“ (zitiert bei Alfejev, S. 106).
Ich halte diese Passage deshalb für sehr interessant, weil das Konzil offenbar sagte, dass Gott durch die Sünde Adams beleidigt worden ist (und in ihm haben wir alle dann Gott beleidigt), und dass durch Christi Leiden die Versöhnung mit Gott vollzogen worden ist. Offenbar geht das Konzil davon aus, dass durch das Kreuzesopfer Christi diese Beleidigung Gottes aufgehoben wurde, nicht im Sinne einer objektiven Satisfaktion, wie Anselm dies formuliert hatte, sondern indem der Mensch in seiner Natur Gott als Opfer dargebracht wird und somit in die Aufhebung der Beleidigung inkludiert ist. D.h. aber: das Opfer hat eine zweifache Wirkrichtung, das, was ich ja bei Staniloae hervorgehoben habe: es heiligt die menschliche Natur und es beseitigt die reale Beleidigung Gottes. D.h. aber: Um die Beleidigung Gottes aufzuheben und um die menschliche Natur zu heiligen, ist das Opfer Christi nötig, wie es ja auch Staniloae gesagt hat.
Wenn dies so richtig dargestellt worden ist, wäre es also eine Einseitigkeit, beim Erlösungsgeschehen nur eine Veränderung auf Seiten des Menschen (Heiligung seiner Natur) zu sehen. Sondern es geht ebenso real um eine Veränderung auf Seiten Gottes, nämlich Beseitigung jener tatsächlichen Beleidigung, von der das Konzil sprich. Wiederum ist aber die Frage des Denkhorizontes mit im Spiel: Ich verstehe bei dieser Interpretation der Konzilspassage Gerechtigkeit als Wesenseigenschaft Gottes: weil Gott gerecht ist, beleidigt ihn die Sünde.
Puh, ist das lang geworden…