Monergist hat geschrieben:… In the first volume of the Philokalia there is a magnificent text of Saint Anthony which I must read to you here:
God is good, dispassionate, and immutable... [Chap. 150]…
Lieber Monergist,
vielen Dank für die Texte, die ich allerdings wegen der großen Zahl nicht alle lesen kann. Aber anknüpfen möchte ich gerne an ihnen, besonders an einem, da ich ihn schon kannte und der auf ein Problem hinweisen kann, wo sich offenbar Ostkirche und Westkirche denkerisch unterscheiden und deshalb vielleicht auch in der Gefahr stehen, aneinander vorbeizureden, weil man gar nicht merkt, dass der andere etwas anderes sagt, als man zu hören meint.
Der Text von St. Antonios stammt aus seinen 170 Kapiteln „Über die Sittlichkeit des Menschen und den rechtschaffenen Lebenswandel“. Dass der Text für orthodoxes Denken offenbar sehr zentral ist (weshalb Deine Quelle schreibt: „
a magnificent text…“), kommt schon dadurch zum Ausdruck, dass die 170 Kapitel die umfangreiche Philokalie eröffnen.
Nun ist der Text aus historischer Sicht sehr interessant: Die Herausgeber meiner deutschen Ausgabe schreiben in der Einleitung: „Den Ergebnissen der heutigen Forschung zufolge, stammen die besagten Belehrungen nicht aus der Feder des hl. Antonios, sondern sind das Werk eines Stoikers, welches von christlicher Hand leicht überarbeitet wurde.“ (Philokalie, Bd. 1, S. 14)
Nun lasse ich offen, ob jene Forscher recht haben oder nicht. Das spielt hier eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist aber, dass man jene Kapitel offenbar aus stoischer Perspektive, aber auch aus christlicher Perspektive lesen kann. Die Alte Kirche überliefert uns den Text als Werk des großen Antonios. Und weil es ein Text ist, der orthodoxes Denken offenbar „
magnificent“ zusammenfasst, hat Nikodemos Hagioreites ihn in die Philokalie aufgenommen.
Dass der Text offenbar stoisch und christlich gelesen werden kann, ist nun für unser Thema sehr bedeutsam. Das von Dir zitierte Kapitel 150 findet sich in meiner Philokalie-Ausgabe auf der Seite 49 des ersten Bandes. Er beginnt mit der Bemerkung: „Gott ist gut, frei von Leidenschaften und unveränderlich.“ Später heißt es dann: „Dazu ist zu sagen, dass Gott sich weder freut noch zürnt, denn Freude und Unwille sind Leidenschaften.“ Und dann: „Vielmehr ist Gott zwar gut und kann nur nützen, schadet aber niemals, da er sich in allen erwähnten Situationen gleich verhält.“ Dann ein sehr zentraler Gedanke, den Du ja ausgeführt hast: „Wir aber verbinden uns mit Gott infolge unserer Ähnlichkeit mit ihm, wenn wir gut bleiben. Sind wir aber böse geworden, entfernen wir uns von Gott aufgrund unserer Unähnlichkeit… Wenn wir jedoch durch Gebet und Wohltätigkeit Befreiung von den Sünden finden, gewinnen wir nicht Gott für uns und ändern ihn, sondern wir heilen unsere Schlechtigkeit durch unsere Taten und die Hinwendung zum Göttlichen und gelangen so wieder zum Genuss der Güte Gottes.“ Interessant dann das abschließende Bild: „Daher ist es das gleiche, wenn man sagt, Gott wende sich von den Bösen ab, wie zu sagen, die Sonne sei jenen verborgen, die des Augenlichts beraubt sind.“ Ich finde den Gedanken deshalb interessant, weil man heute sagen würde: „Daher ist es das gleiche, wenn man sagt, die Sonne geht unter, wie zu sagen, die Erde dreht sich um ihre Achse und dadurch gerät ein Erdteil in den Schatten der Erdkugel.“ Zorn und Gnade sind also ein Beziehungsgeschehen, das je nach „Beobachtungsstandpunkt“ anders beschrieben wird. Denn beide haben ja Recht: Der sagt, dass die Sonne untergeht, wie auch der, der sagt, dass sich die Erde weitergedreht hat.
Beide haben Recht: Der, der sagt, dass der Mensch sich von Gott abwendet und deshalb dem Tode verfällt. Und der, der sagt, dass sich der Mensch von Gott abwendet und deshalb unter Gottes Zorn steht.
Nun aber zu meinem eigentlichen Gedanken, der auf die Perspektive des Lesers hinaus will: Der Text kann offenbar von einem Christen wie auch von einem Stoiker gelesen werden.
Und das ist sehr wichtig! Denn ein Stoiker wird den Text ganz anders lesen und verstehen als ein Christ.
Der Text redet von der Unveränderlichkeit Gottes als Grundaxiom des Denkens. Der Christ wird sich hier ganz selbstverständlich auf Jakobus 1,17 berufen: „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.“ Und in der Tat hatte das Diasporajudentum, zu dem Jakobus spricht, sich mit der Gotteslehre der Stoa mit ihrer „in allem wirksamen Weltvernunft“ (A. Schlatter, Der Brief des Jakobus, S. 134) auseinanderzusetzen. Und jeder Stoiker hätte der Aussage des Jakobus voll zugestimmt.
Aber würden beide, Christ und Stoiker, deshalb an denselben Gott glauben? Nein. Denn die Grundaussagen des christlichen Dogmas widersprechen der unveränderlichen Weltvernunft des stoischen Denkens: Gott als der Vater, aus dem der Sohn von Ewigkeit her geboren ist. Und Gott als der Heilige Geist, der aus dem Vater hervorgeht. Beide Aussagen des Dogmas reden in Begriffen, die Veränderung ausdrücken, von dem Gott, der in sich „unveränderlich“ ist, wie St. Antonios es bezeugt.
Offenbar beschädigen die Geburt des Sohnes aus dem Vater und der Hervorgang des Geistes aus dem Vater, obwohl es dynamische Begriffe, Begriffe der Veränderung, sind, die Unveränderlichkeit Gottes nicht! Der Stoiker lehnt wegen dieser offenkundigen Paradoxie das christliche Dogma ab. Der Christ eben nicht, sondern preist das Geheimnis der göttlichen Dreieinigkeit. (Dasselbe gilt dann ebenfalls von der Menschwerdung: Der Sohn, die zweite Person der Gottheit, entäußert sich, nimmt Knechtsgestalt an etc. und bleibt doch der in Ewigkeit zur Rechten Gottes thronende Sohn.)
Es wäre fatal, wollte man jene Paradoxie auflösen: Etwa in der Weise, dass man sagt, die Geburt des Sohnes aus dem Vater sei nur eine übertragene Redeweise. Sondern in anbetender Beugung müssen wir jene Paradoxie aushalten und als Geheimnis bekennen.
Ähnlich würde ich nun auf das Problem von der Rede vom Zorn Gottes zu sprechen kommen: Gott offenbart sich uns als der Gnädige und als der Zornige, als der Rettende und als der Richtende. Beides sind keine nur übertragenen Redeweisen von Gott. Und hier ist wieder entscheidend: Die Abfolge: Abwendung von Gott – Todesverfallenheit – Zorn Gottes dürfen nicht in ein (zeitliches) Nacheinander aufgelöst werden. Davon habe ich ja schon oben geredet. Sondern dies ist ein Vorgang, wenn auch in einem Kausalitätsverhältnis stehend. (Spekulationsmodus ein: Die Auflösung in ein (zeitliches) Nacheinander, wäre nur möglich, wenn es eine „absolute Zeit“ gäbe. Aber das Phänomen Zeit, wie wir es erleben, ist ja auch eine Folge des Falles. Im Urstand des Paradieses gab es die Zeit in unserem Sinne nicht. Aber jetzt wird’s spekulativ und gefährlich. Deshalb: Spekulationsmodus wieder ausgeschaltet.)
Unter Beachtung dieser Paradoxie meine ich deshalb, es ist richtig zu sagen: „Gott ist gut, frei von Leidenschaften und unveränderlich.“ Denn dann wird dieser Satz aus christlicher Perspektive gelesen. Wird er dagegen aus stoischer Perspektive gelesen, dann würde das Dogma unterminiert.
Deshalb meine abschließende Vermutung: Könnte es nicht sein, dass Ostkirche und Westkirche aneinander vorbeireden, geradeso wie jene beiden Philosophen, die darüber disputieren, ob die Sonne untergegangen ist oder ob die Erde sich weitergedreht hat?