Stefan hat geschrieben:Hallo otto,
Deine Frage ist interessant, gleichwohl ist sie nicht neu. Deswegen würde ich die Begriffe "neoliberal" und "kath. Soziallehre" nicht verwenden, da diese zeitlich bedingte Begriffe sind, die nicht auf den Kern gehen.
Letztlich geht es um die Frage, inwiefern die durch die Evangelien bezeugte Verpflichtung zur Nächstenliebe, die auch materielle Hilfe den Bedürftigen gegenüber bedeutet, von diesen auch mißbraucht werden könnte. Schwierig an diesem Problem sind eigentlich die Verallgemeinerungen: Die einen meinen, daß jeder, der sich bedürftig nennt, auch bedürftig ist. Die anderen wittern hinter jeder Bedürftigkeit Betrug und Schlitzohrigkeit.
Ein guter Hinweis, daß auch schon die frühen Christengemeinden mit diesem Problem zu kämpfen hatten, bezeugt die Didache, die Zwölf-Apostellehre, die zu Beginn des 2. Jahrhunderts entstanden sein soll und daher wohl noch mündliche Überlieferungen der zeitgenössischen Apostel Christi enthält.
Ich zitiere einmal aus dem Kapitel 12:
Didache hat geschrieben:
Kapitel 12
12. Wer aber im Geist sagt: "Gib mir Geld oder irgendetwas anderes", auf den sollt ihr nicht hören; wenn er aber sagt, man soll für andere Bedürftige geben, so soll niemand ihn richten.
12,1. Jeder aber, der kommt im Namen des Herrn, soll aufgenommen werden; dann aber werdet ihr (ihn) durch kritische Beurteilung erkennen; denn ihr habt Einsicht nach rechts und nach links (= richtig und falsch).
2. Wenn der Ankömmling ein Durchreisender ist, helft ihm, so viel ihr könnt; er soll aber bei euch nur zwei oder drei Tage bleiben, wenn es nötig ist.
3. Wenn er sich aber bei euch niederlassen will, und er ist ein Handwerker, soll er arbeiten und sich so ernähren.
4. Wenn er aber kein Handwerk versteht, dann trefft nach eurer Einsicht Vorsorge, damit er als Christ ganz gewiß nicht müßig bei euch lebe.
5. Wenn er aber nicht so handeln will, dann ist er einer, der mit Christus Schacher treibt; vor solchen hütet euch!
Die zitierte Stelle soll nun keine Handlungsanweisung sein, sondern belegen, daß das Problem des Mißbrauchs der christlichen Nächstenliebe, der Unterstützung von Bedürftigen, bereits in den frühesten Zeiten von den Christengemeinden erkannt wurde und Lösungen gesucht wurden, um das eine vom anderen zu trennen.
Stefan schon aus dem Zitat der "Didache" spricht nach meiner Lesart der Geist des "Neoliberalismus" der eben die eigene Freiheit über die der anderen stellt. Auch daraus spricht der Sozialneid der Besitzenden, die den "Habenichtsen" nur etwas gegen eine Gegenleistung abgeben wollen.
Einige Argumente gegen das neoliberale Konzept zum Um- bzw. Abbau des Sozialstaates
Die Kritik am Wohlfahrtsstaat
Gegen die Entwicklung des liberalen Rechtsstaats zum Sozialstaat melden die neoliberalen Theoretiker zahlreiche Bedenken an. Nicht, dass die staatliche Fürsorge für die Ärmsten und sozial Schwächsten ihnen überflüssig erscheint. Ein Minimum an staatlicher Zwangsvorsorge ist nach neoliberaler Ansicht aufgrund der Lösung sozialer Bindungen in der Marktwirtschaft unbedingt notwendig. Aber die neoliberale Theorie anerkennt nur dieses eine Ziel des Sozialstaats, die Milderung akuter Not. Das andere Ziel des Sozialstaates, die gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, akzeptiert sie hingegen nicht und lehnt daher den Wohlfahrtsstaat ab. Die Neoliberalen betonen, dass durch sozialstaatliche Massnahmen der Tüchtige und Erfolgreiche um den Ertrag seiner Arbeit gebracht wird.
Tja die christliche Soziallehre spricht von gerechterer Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, der Neoliberalismus nicht, das ist der Unterschied
Stefan hat geschrieben:
Nun fragst zu, warum "neoliberales Wirtschaftsdenken" in die kath. Soziallehre einfließen und nicht umgekehrt. Das liegt vermutlich daran, daß die kath. Soziallehre so vernünftig ist, die Wirtschaft als Grundvoraussetzung für prosperiendes Leben, Wohlstand und damit Verhinderung der Armut anzusehen. Erst dort, wo jemand nicht mehr unverschuldet am wirtschaftlichen Leben teilnehmen kann, kann erst soziales Handeln des Gemeinwesens Einzug halten. "Neoliberales" Wirtschaftsdenken spricht letztlich von nichts anderem; allerdings wird hier der Primat der Wirtschaft als Prinzip zur Armutsverhinderung - möglicherweise zu sehr - in den Vordergrund gestellt. Aber vielleicht kannst Du einmal einschlägige Belege liefern, aus denen sich die Verweigerung liberaler Politik gegenüber einer Sozialpolitik ergibt. Ich sehe allenfalls eine etwas stringentere Position im dem Sinne, wie sie in der Didache angesprochen wird.
Das liegt vermutlich daran, daß die kath. Soziallehre so vernünftig ist,....
Stefan das wirft für mich eine neue Frage auf.
Nachdem du sehr wortreich die Eigenverantwortung des Einzelnen umschreibst, frage ich mich warum glauben dann sehr viele an eine unendliche Barmherzigkeit am "Jüngsten Tag" spricht das nicht gegen jegliche Vernunft?
Viele glauben sie können sich am Ende ihres irdischen Lebens für oder gegen Gott entscheiden - da er barmherzig ist.
Stefan wie oft wurde hier im Forum schon von dem liebenden und rettenden Herrn geschrieben, der in seiner Barmherzigkeit niemand verstoßen - "soll - kann - wird - darf"?
Siehst du die gegenläufigen Gleichungen von "Sozialneid gegen die Habenichtse" und der erwarteten Barmherzigkeit des Herrn?
Kann es ein barmherziges Gericht für berechnende Menschen geben?
Wenn du mich fragen würdest, würde ich dir sagen diese Rechnung vieler Menschen geht nie und nimmer auf, wenn sie ihre Verantwortung für den Nächsten nicht praktiziert haben.
Wobei der Kern der Frage ohne Antwort bleibt, ich wiederhole:
Beispiel: Seit kurzen gibt es bei *Armenspeisungen* mancher Orts Bedürftigkeitsüberprüfungen, indem viele Ausgabestellen von Armenessen den *Andrang* der von der *Hartz IV* Reform ausgelöst wurde, nicht im vollem Umfang bewältigen können.
Was soll mit Menschen geschehen die als nicht bedürftig eingestuft werden, die sich aber gegen Ende des Monats kein Essen leisten können?
Müssen jene hungern?
Ich hoffe das bei katholisch -christlichen *Armenspeisungen* diese Bedürftigkeitsüberprüfungen entfallen, zumindest dann wenn ein Hartz IV Bescheid vorliegt, und nicht berechnet wird, ab wann eine Hartz IV Empfänger /Familie - bedürftig für *Armenspeisungen* ist.
Wie wird das bei euch vor Ort gehändelt?
"Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." Matthäus 16,24