So, hier also – wie angekündigt – das, was „mein“ Theologe unter dem Titel „Der Glaube fängt klein an“ unter anderem sagte:
„Mir hat einmal jemand einen Brief geschrieben, der abgekürzt folgendes besagte: „Ich verehre Jesus von Nazareth als den edelsten aller Menschen. Ihn aber für einen übernatürlichen Gottessohn zu halten - von einer Jungfrau geboren, aus dem Grab auferstanden und gen Himmel gefahren -, das ist mir unmöglich. (Da fühlte sich der Briefschreiber also durch die Tausendwattlampe geblendet!) Das alles erscheint mir als Mythologie und fromme Ubermalung. Vielleicht irre ich mich ja. Dann würde mir Ungeheures entgehen. Doch komme ich eben über diese Hürde nicht hinweg. So bin ich eigentlich nur ein Glaubensinvalide (jedenfalls in Ihren Augen) und kann mich kaum als Christen bezeichnen. Schließlich fehlt mir das Entscheidende. Jesus von Nazareth ist für mich nicht der Absolute, nicht der Gottessohn ..."
Ich möchte diesem Menschen und auch denen unter Ihnen, die ähnlich empfinden, Mut machen, sich dennoch für einen Christen zu halten. Wen Christus angerührt hat, so daß er ein fragender, ein nach ihm fragender Mensch wird, der sollte ja nicht meinen, daß er alles auf einen Schlag bekäme. Unser Glaube hat nämlich eine Geschichte. Er fängt sozusagen klein an, und man wächst erst allmählich und immer tiefer in ihn hinein. Mir hat es stets großen Eindruck gemacht, daß Jesus ausgerechnet den Menschen einen „großen Glauben" zuerkannt hat, die überhaupt nichts von seiner Gottessohnschaft wußten, die sozusagen konfessionell ganz unprofiliert waren, ja die direkt aus dem Heidentum kamen wie das kanaanäische Weib (Matthäus-Evangelium, 15,21) oder aus dem Kraftfeld der Magie wie die „blutflüssige Frau" (Markus-Evangelium, 5,25). Diese Leute streckten nur ihre Hände nach ihm aus und wagten darauf zu vertrauen, daß er ihnen helfen könne. Das war alles - und das genügte ihm. So erschien er ihnen anfangs durchaus noch nicht in seiner gleißenden und sie blendenden Herrlichkeit, sondern er war ihnen ein Kerzenstümpfchen, das einen kleinen Lichtschein in ihr dunkles Leben warf. Das reichte aber aus, um von ihm angenommen zu werden.
Durch diese Nachrichten aus dem Evangelium belehrt, habe ich dann dem Verfasser jenes Briefes folgendes, geantwortet (und sage es auch Ihnen, der Sie vielleicht vor der gleichen Hürde zurückzuk-ken): „Sie sollten das ganze Christusgeheimnis nicht auf einmal haben wollen. Schon, daß die Frage nach Christus Sie beunruhigt, ist ja ein Zeichen dafür, daß er an Ihnen wirkt. Sie begreifen ihn vielleicht noch nicht, aber er hat Sie ergriffen. (Paulus sagt im Philipper-Brief 3,12 das Nötige dazu!) Ich will Ihnen nur eine kleine Kerze zeigen, in deren Licht Sie sich ein wenig weitertasten können (keinen Halogen-Scheinwerfer also, der Sie mit 150 km/h voranrasen läßt): Bleiben Sie ruhig dabei, daß Jesus für Sie der edelste Mensch ist. Vergessen Sie (vorerst!) einmal alles, was über seine wunderbare Geburt und seine Gottessohnschaft von der Kirche gesagt wird. Versuchen Sie ihn so zu verstehen, wie Sie sich auch in den Helden eines großen Romans hineindenken, und lesen Sie meinetwegen die Evangelien nur wie seine Biographie. Versuchen Sie ruhig, die üblichen psychologischen Maßstäbe an ihn zu legen. Wenn Sie dieses Experiment machen (und ich rate Ihnen dazu!), werden Sie eine merkwürdige Beobachtung machen: daß er nämlich alle Ihre psychologischen Schemata sprengt. Wir alle leben zum Beispiel nach dem Echo-Gesetz, also nach dem Prinzip: ,Wie du mir, so ich dir!' Wir leben immer aus der Reaktion auf unsere Außenwelt. Er aber tut das nicht. Er liebt nur. Er ist ein neuer Anfang und spinnt nicht nur Reaktionen fort, so daß es schließlich zu einer Eskalation des wechselseitigen Hasses kommt. In ihm ist etwas, das es sonst in der Welt eben nicht gibt. Gerade dann aber, wenn Sie merken: Er ist anders als ich -, dann sind Sie am Eigentlichen, dann haben Sie schon mehr erwischt als bloß den Zipfel seines Gewandes."
So also, meine ich, sollte man mit dem Glauben anfangen: ganz klein. Wer die Christuserfahrung jahrtausendelanger Tradition auf einmal haben will und wem die Katechismussätze allzu glatt von den Lippen gehen, der ist meist nur ein Schwätzer und Nachschwätzer. Gott aber baut alles von unten her auf. Und er hat viel Zeit; seine Mühlen mahlen auch hier langsam. Wer weiß, ob wir nicht auch in der Ewigkeit immer noch weiter wachsen müssen. Ich habe nun schon lange Theologie studiert, aber mir ist erst ein winziger Bruchteil aufgegangen, und jeden Tag entdecke ich etwas Neues. Jesus macht uns immer neugieriger, weil er unerschöpflich ist.
... Eines steht jedenfalls fest: Jesus kann nicht vom Ufer und von der Etappe aus erkannt werden, sondern nur im Engagement, dadurch also, daß ich mich mit ihm einlasse. Nur wer in das Element hineinspringt, wer an einer noch so bescheidenen Stelle ein Stück Nachfolge praktiziert (verstehen Sie: „praktiziert"!), kann es erfahren, daß dieses Element trägt. Daraus ergibt sich, so meine ich, für uns ein ganz praktikabler Hinweis: Ich kann das Experiment mit Jesus so anlegen, daß ich einmal in seinem Namen etwas tue, „als ob" er wirklich der Herr wäre: Taten der Liebe, der Versöhnung, des Friedens. Ich versuche, einmal so zu handeln, „als ob" Jesu Wort wirklich gelten würde: „Liebet eure Feinde!". Man wird dann ganz merkwürdige Dinge erleben, die ich jetzt nicht verraten will. Nur eins will ich sagen: Auf einmal wird mir Jesus dabei näherkommen. Denn ich habe mich in seinem Namen engagiert, und in diesem Engagement kommt er dann auf mich zu. Ich bin sozusagen ins Wasser gesprungen und siehe: das Element trägt. Ich habe dann in meinem Experimentierspiel gleichsam den ersten Zug gemacht (im Nachhinein merke ich freilich, daß er es schon war, der mir den Mumm dazu gegeben hat); dann aber habe ich die Verheißung, daß er nachziehen wird.
Indem ich dieses kleine Stück Nachfolge vollziehe, werfe ich - wie Luther es einmal saftig-drastisch ausgedrückt hat - Gott „den ganzen Sack seiner Verheißung vor die Füße", vor allem die Zusage: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, will ich mich von euch finden lassen." Dann also ist er am Zuge. Und er wird etwas von sich hören lassen, er wird Laut geben. Gott läßt sich nicht lumpen, wenn wir das ernst nehmen, was er uns zugesagt hat."
Uli
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