Dieser Beitrag wurde wohl versehentlich gelöscht. Ich stelle ihn wieder ein, obwohl er einen ebenfalls gelöschten Beitrag vom Sempre zitiert - schlicht weil da einiges an Schreibarbeit drin steckt. Sollte Sempre es schaffen seinen Beitrag ebenfalls zu retten und wieder hier reinzustellen, kommt das Zitat also vor dem Original. Folgendes ist eine unveränderte Kopie meines gelöschten Beitrags.
Ich habe jetzt mehr in diesem Artikel gelesen - immer eine gute Idee wenn man kommentiert, leider war (und bin) ich momentan etwas unter Zeitdruck. Insofern hat sich meine Meinung was hier los ist etwas geändert. Was ich weiter oben gesagt habe ist nicht falsch, aber war teilweise eine unnötig allgemeine Verteidigung der Evolutionstheorie statt einer genauen Analyse dieser Veröffentlichung.
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 21:10
Szathmáry und Smith diskutieren verschiedene Maße für biologische Komplexität, und nirgendwo wird angedeutet, daß ihre Aussage zu Beginn der Zusammenfassung irgendwie vom verwendeten Komplexitätsmaß abhinge.
Das stimmt so nicht ganz. Sie sagen: "There is no generally accepted measure of biological complexity. ... Unfortunately, it is hard to ... get beyond the common-sense, but rather boring, conclusion that complexity has increased in some lineages." Ihre Aussage hängt also letztlich an einer Einschätzung des "gesunden Menschenverstandes". Nicht nur erweist sich der öfter mal als falsch in der Wissenschaft (es gibt eine Menge nicht-intuitive Resultate), wichtiger für uns hier ist, daß er nur sehr grob arbeitet. Ein Elephant ist komplexer als eine Amöbe, dessen sind wir uns sicher. Aber ist ein Fuchs komplexer als eine Henne? Und wenn wir uns ein paar Tausend Wurmgenerationen anschauen würden, würden wir dann einen Anstieg der Komplexität überhaupt bemerken?
Die Autoren arbeiten hier also im Groben. Und das erklärt dann auch, daß von ihrem reißerischen Aufmacher im weiteren Text nichts zu finden ist! Da steht keinerlei Begründung ihrer Aussage in einem allgemeinen Verständnis. Sie reden in Wirklichkeit garnicht über den Anstieg der Komplexität im allgemeinen. Sie reden ausschließlich über den sprunghaften, starken Anstieg der Komplexität den der "gesunde Menschenverstand" gelegentlich ausmachen kann, also z.B. Prokaryot zu Eurkaryot, asexuelle zu sexueller Vermehrung, siehe Tabelle 1. Und das Problem das die Evolutionstheorie da hat ist es was sie mit den Problemen der Theorie meinen, und auch mit dem Problem des empirischen Nachweises (will sagen, es gibt kein genaues Bild dieser Übergänge durch Fossilienfunde).
Was ist aber das Problem der Theorie bei diesen Übergängen? "The transitions must be explained in terms of immediate selective advantage to individual replicators." Darum, und nur darum, geht es den Autoren! Das Problem das sie sehen ist, daß es nicht klar ist wie z.B. die erste sexuelle Vermehrung zustande kam und warum das insbesondere für die ersten Exemplare die das taten einen unmittelbaren Überlebensvorteil bedeutete, im Vergleich zu der vorherrschenden asexuellen Vermehrung. Wir wissen warum es langfristig (über die Artenentwicklung hinweg) besser sein kann sich sexuell zu vermehren, aber es ist nicht klar inwiefern das für das erste Paar funktioniert.
Darum geht es den Autoren. Es geht ihnen in Wirklichkeit um die wenigen offensichtlichen Sprünge (acht zählen sie auf) und wie diese auf der Eben der darin involvierten Individueen evolutionär erklärt werden können. Es geht ihnen nicht darum der Evolution an sich an den Karren zu fahren, sondern um ein spezifisches Problem innerhalb der Evolutionstheorie.
Wenn man das kritisch in Richtung "direkter Einfluß Gottes" auslegen will, dann kann man also aufgrund dieser Veröffentlichung nicht sagen "Evolution kann garnichts" trotz des platten Werbespruchs am Anfang. Dieses Verständnis spiegelt sich nicht im Text wieder. Vielmehr könnte man sagen: dieser Veröffentlichung nach kann die Evolutionstheorie große, qualitative Sprünge in der Entwicklung nicht erklären, und ich denke, die sind direkt von Gott verursacht. Die Autoren würden dem sicher widersprechen insofern als ihr Ziel ja gerade ist diese Erklärungen zu liefern. Aber solange ihre Antworten nicht bewiesen sind, ist das eine mögliche Gegenmeinung.
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 21:10
Schließlich ist es ja hochnotpeinlich, wenn diese gottlose Wissenschaft nicht einmal in der Lage ist, ihre zentrale Behauptung auch nur ansatzweise zu untermauern.
Erstens stimmt das so im allgemeinen nicht, denn es geht in Wirklichkeit um ein spezielles Problem, siehe oben. Zweitens muß man der Evolutionstheorie - oder auch jeder alternativen Theorie zum Thema der Entwicklung des Lebens - immer die schwierige Datenlage zu Gute halten. Wissenschaft beruht immer auf Beobachtung, und man kann hier nur sehr begrenzt beobachten. Was wir an Fossilien finden können ist minimalst im Vergleich zu der sich durch die Zeiten entwickelnden Biomasse. Und wir haben große Schwierigkeiten Forschungsprojekte laufen zu lassen die mehr als ein paar Jahrzehnte dauern, und unfraglich ist das nötig um eine echte Entwicklung des Lebens im Vorgang zu verfolgen. Letztlich ist die Stärke der Evolutionstheorie, daß sie an unsere viel zugänglichere Erfahrung mit der Züchtung von Tieren anknüpft, und in der Neuzeit wird sie dann enorm untermauert durch die Genetik, die einen brauchbaren Mechanismus bereitstellt. Die Evolution machte von Anfang an Sinn als eine Art "natürliche Züchtung" und wir wissen heute sehr genau, wie sie biochemisch funktionieren kann. Wenn dann die (leider dürftigen) Fossilienfunde "passen", dann hat man eben die wahrscheinlichste Theorie. Eine Gegentheorie muß ähnliches leisten, und da geht es eben nicht einfach nur um die Fossilienfunde, sondern auch darum "Sinn zu machen" im erklärten Sinne. Es wäre unzweifelhaft besser, wenn die echten Beobachtungen so stark wären, daß sie die Theoriewahl dominieren. Aber bis zu der Erfindung einer Zeitmaschine wird das schwierig.
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 21:10
Selbstverständlich die mathematischen Modelle aus dem Aufsatz.
Direkt finden sich da keine, nur zitiert. Willst Du behaupten, Du hättest Dir etwa Szathmárys "stochastic corrector model" näher angeschaut?
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 21:10
Tatsächlich gehört die Evolutionstheorie in die Tonne, was nicht passieren wird, solange man den Steuerzahler melken kann.
Was hat denn jetzt wieder der Steuerzahler damit zu tun? Der zahlt - glücklicherweise - einen Pauschalbetrag für die Grundlagenforschung und läßt die Wissenschaftler weitgehend unter sich aushandeln wie die Gelder verwendet werden. Es stellt sich immer wieder heraus, daß es nur zum Nachteil für alle gereicht, wenn man die Kreise der Wissenschaft stört. Sicherlich läuft die Wissenschaft mal in eine Sackgasse. Aber es ist nicht der Fall, daß der Steuerzahler - oder genauer irgendein Beamter - das besser voraussieht und mehr darüber weiß, wohin man lieber abbiegen sollte.
Wieviel der Gesellschaft die Wissenschaft wert sein sollte, ist eine absolut berechtigte Frage. Eine gewisse Kontrolle ist auch in Ordnung, ähnlich wie der Staat den Markt kontrollieren muß um gewisse Probleme zu vermeiden (etwa Monopole, oder unsoziale Ausnutzung). Aber dabei sollte man es auch tunlichst belassen, genau wie bei der Marktwirtschaft.
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 21:10
Was nicht ausgehebelt werden kann, sind u.a. die Grundgesetze des Denkens. Und mit ihnen kann man manche schlechte Arbeitshypothese gleich verwerfen.
Ja, nur halt hier bisher nicht.