Germanus hat geschrieben:Aber ist dieses Festhalten an irdischen Daten (die zweifellos ihre symbolische Bedeutung haben) nicht ein sehr "römischer" Zug im orthodoxen Denken?
Nein, das kann ich nicht erkennen, zumindest nicht im legalistischen Sinn, falls du das mit römischem Zug gemeint haben solltest. Die weströmische Liturgie hat allerdings seit alters her eine sehr starke Akzentuierung auf das liturgische
Heute. Ob dies in der oströmischen Liturgie ebenfalls zum Ausdruck kommt, entzieht sich meiner Kenntnis (Über Hinweise würde ich mich freuen!).
Nur ein paar Beispiele:
am Gründonnerstag: am Abend vor seinem Leiden - das ist heute.
Ant. zum Benedictus an Epiphanie:
Hodie * caelesti sponso juncta est Ecclesia, quoniam in Jordane lavit Christus ejus crimina: currunt cum muneribus Magi ad regales nuptias, et ex aqua facto vino laetantur convivae, alleluia.
Heute ist der himmlische Bräutigam der Kirche verbunden worden, denn im Jordan wusch Christus ihre Vergehen; es laufen mit Geschenken die Weisen zur königlichen Hochzeit und es freuten sich die, die beim Gastmahl waren, daß aus Wasser Wein gemacht wurde, halleluja.
Ant. zum Magnificat an Epiphanie:
Tribus miraculis * ornatum diem sanctum colimus: hodie stella Magos duxit ad praesepium: hodie vinum ex aqua factum est ad nuptias: hodie in Jordane a Joanne Christus baptizari voluit, ut salvaret nos, alleluia.
Den durch drei Wunder geschmückten heiligen Tag verehren wir: heute führte der Stern die Weisen zur Krippe; heute wurde Wein aus Wasser gemacht bei der Hochzeit; heute wollte Christus im Jordan von Johannes getauft werden, um uns zu retten, halleluja.
Infra Actionem:
Communicántes, et diem sacratíssimum celebrántes, quo Unigenitus tuus, in tua tecum glória coætérnus, in veritáte carnis nostræ visibíliter corporális appáruit:
Indem wir Gemeinschaft halten und den hochheiligen Tag feiern, an dem dein Eingeborener, in deiner Herrlichkeit gleichewig, in der Wahrheit unseres Fleisches leiblich sichtbar erschienen ist:
Ant. zum Magn. an Weihnachten:
Hodie * Christus natus est: hodie Salvator apparuit: hodie in terra canunt Angeli, laetantur Archangeli: hodie exsultant justi, dicentes: Gloria in excelsis Deo, alleluia.
Heute ward Christus geboren: heute ist der Heiland erschienen: heute singen die Engel auf Erden, es freuen sich die Erzengel: heute frohlocken die Gerechten, indem sie sprechen: Ehre sei Gott in den Höhen, halleluja.
Oder in einem Sermo aus Rom um 450, fälschlich dem hl. Augustinus zugeschrieben (PL 39, 1997, Sermo CXXVIII):
"Unser Herr Jesus Christus, sehr geliebte Brüder, der da von Ewigkeit her Schöpfer aller Dinge ist, ward heute durch die Geburt von der Mutter unser Heiland. Freiwillig ist er uns heute in der Zeit geboren worden, um uns zur Ewigkeit des Vaters zu führen. Gott ist Mensch gewprden, damit der Mensch Gott werde. (...) Heute ist die Weissagung in Erfüllung gegangen, die da fleht: Tauet, ihr Himmel (...)".
Oder in einem Sermo des hl. Papstes Leo (Sermo XXXVI, PL 54, 237ff.):
"Kurz nach der Feier der Geburt Christi ist uns das Fest seiner Erscheinung aufgeleuchtet. Den an jenem Tage die Jungfrau gebar, hat heute die Welt erkannt."
Oder in einem echten Sermo des hl. Augustinus (Sermo CC, PL 38, 1028ff.):
"Um den Sohn der Jungfrau anzubeten, kamen Weise aus dem Morgenlande. Diesen Tag feiern wir heute, diesem Feste weihen wir die gebührende Predigt. Den Weisen ging dieser Tag erstmalig mit seinem Leuchten auf, wir feiern sein Jahresgedächtnis."
Das Heute des Gründonnerstags, des Pascha-Mysteriums, der Himmelfahrt und des Pfingstfestes kehrt wieder nach dem ersten Frühjahrsvollmond, das der übrigen Feste, die sich nach dem Sonnenjahr richten, nach
365 Tagen und nicht nach 355 (bzw. 352 Tagen in Griechenland etc.) wie dies in dem Jahr der Einführung des Reformkalendars war.
In Bezug auf die Ewigkeit, wo es kein Gestern, Heute und Morgen gibt, sondern wo das, was sich zu unserm Heil und zur Verherrlichung Gottes auf Erden ereignet hat (das Leiden Christi und der Martyrer), dennoch gegenwärtig ist, mag dies nicht relevant sein, aber es ist und bleibt ein menschliches, namentlich autoritäres Eingreifen in den Lauf der Dinge, den die Kirche weder vorher noch nachher gesehen hat. Die Abkoppelung des Osterdatums vom Mondkalendar wäre so ein zweiter aberwitziger Versuch, die Tradition abzuschneiden und sich im jakobinischem Geist nicht nur die Welt, sondern auch die Zeit nach eigenem Gusto zu gestalten.