heiliger_raphael hat geschrieben:Das trifft aus Deiner Sicht nicht auf Katholiken zu? Verantwortung für sein Denken und Handeln hat jeder Gläubige, selbst die Entscheidung dem Lehramt zu gehorchen ist eigenverantwortlich, da sie der freien Entscheidung entspringt.
Autorität und Hierarchie spielen in den christlichen Kirchen der protestantischen Tradition eine geringere Rolle. Der Christ ist zunächst einmal Gott direkt gegenüber gestellt, einmal im Vertrauen in Jesus Christus als Erlöser, dann aber auch im Leben mit Gott. Dieses direkte Verhältnis beschert unmittelbar ein gewichtiges Maß an Freiheit, das die Stellung der Pfarrer und Bischöfe relativiert.
heiliger_raphael hat geschrieben:Unklar ist für mich auch, warum im evangelischen Gottesdienst die Predigt fast den ganzen Raum einnimmt, wenn doch die Eigenverantwortlichkeit, selbst denken und reflektieren, bei den Protestanten ausgeprägter sein soll als bei den Katholiken. Ist das nicht ein Widerspruch, dass der Protestantismus offensichtlich viel fixierter auf regelmäßige Belehrungen und Richtungsweisungen durch den örtlichen Pfarrer ist?
Die Predigt ist in der Reformation ein quasi-Sakrament geworden, auch wenn es nicht als solches betitelt wird. Luthers Überzeugung war, dass in der christlichen Predigt der Heilige Geist über die Gemeinde kommt und in ihr den rettenden Glauben erweckt. Die Predigt soll im Glauben bestärken und das geistliche Denken anregen. Doch kann ein Zuhörer durchaus anhand der Bibel selbst schauen, ob eine Predigt mit ihr übereinstimmt.
Fragesteller hat geschrieben:Pilgerer hat geschrieben:Es ist letztlich die Zielsetzung Gottes, die Schafe Christi alle auch zu Hirten zu machen.
Das steht wo?
"1 Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und
wir sind es auch!
2 Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist." (1. Johannes 3,1-2)
Schon in der Schöpfungsgeschichte sehen wir den Menschen in eine Rolle als Hirte gegenüber der Schöpfung gesetzt. Ebenso sehen wir es bei David, der als Hirte von den Schafen genommen wird, um Hirte Israels zu werden und dennoch sich als "Schaf Gottes sieht", das sich über den guten Hirten freut (Psalm 23). Die neutestamentliche Rede von den "Kindern Gottes" knüpft an diese Linie an. Gott will nicht nur einen Christus haben, sondern viele Christusse als Seine Glieder, die so weit wie möglich Ihm ähnlich werden. Jesus war Lamm Gottes und Hirte zugleich. Er hat als Schaf Gottes vom Vater gehorsam Weisungen empfangen und hat als Hirte das Empfangene auf schöpferische Weise an die Jünger und andere weitergegeben.
San Marco hat geschrieben:Auch auf reformierter Seite gingen Zwingli, Calvin und Bullinger ganz selbstverständlich davon aus, dass es zum Erhalt der kirchlichen Gemeinschaft am Ort des Gemeinwesens natürlich einer geistlichen Unterweisung bedarf. Die hier teils vertretene, irrige, Meinung, der Protestant könne nach Auffassung der evangelischen Kirchen anhand der Schrift sich selbst lehren, ist ein simpler Zirkelschluss.
Die geistliche Unterweisung hatte jedoch auch das Ziel, die Christen zu verständigen Lesern der Bibel zu machen. Dazu ging es bei der Predigt/Lehre auch darum, die christliche Gesinnung zu schaffen, die Grundlage für das christliche Leben ist, in dem dann auch die Bibel persönlich gelesen und ausgelegt werden kann.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)