Petrus_Damiani hat geschrieben:Kurz zu meiner Person, ich bin katholischer Theologiestudent und aktuell nicht sehr glücklich in der römischen Kirche. Im Verlauf meines Studiums bin ich mit einer Vielzahl von Abirrungen vom traditionellen Christentum konfrontiert worden; auch in der Pastoral scheint mir ganz entschieden ein bedeutsamer Teil - Sündenbewußtsein, die Möglichkeit der ewigen Verdammnis, die Existenz und das Wirken Satans, um einige Punkte zu nennen - der christlichen Lehre gemeinhin schlicht verschwiegen zu werden. Ich habe deshalb eine gewisse Offenheit für die orthodoxe Theologie entwickelt und mich in der letzten Zeit sehr intensiv mit ihr befasst. Dabei konnte ich viele Aspekte kennenlernen, die ich überaus schätze, beispielsweise das Wirken des amerikanischen Mönches Seraphim Rose, der sich sehr fundiert mit zeitgeistigen Verirrungen auseinandergesetzt hat, mit der asketischen Theologie des in der ,,Schule" von Sophrony von Essex denkenden Archimandriten Zacharias Zachariou; ich könnte noch viel mehr nennen, aber das ist ja nicht das Thema.
Was mich im Zusammenhang mit der Orthodoxe befremdet, ist zum einen bereits genannt worden und zwar die enge Verbindung von Volk und Religion. Ich finde diese Verbindung zumindest unglücklich, weil sie geeignet ist, Grenzen zu zementieren, die das Christentum eigentlich überwinden sollte, weil sie temporär und nur diesseitig sind.
Ich besuchte und besuche z.B. in Münster ab und an orthodoxe Gottesdienste; diese finden in Münster nie wöchentlich statt, sondern meist monatlich. Ich habe es aber fast nie erlebt, daß jemand, den ich z.B. im russischen Gottesdienst gesehen habe auch im griechischen gesehen hätte.
Das Selbstbewußtsein der Orthodoxen in konfessioneller Hinsicht ist zwar beeindruckend und in sich stimmig, aber man hat vielfach den Eindruck, als betrachteten nicht ganz unmaßgebliche orthodoxe Theologen, Nichtorthodoxe als Stiefkinder Gottes. In der orthodoxen Dogmatik von M. Pomazanskij las ich z.B. den ( sinngemäß wiedergegebenen ) Satz, daß es auch sein könnte, daß Gott Gebete Nichtorthodoxer erhöre. Warum sollte Gott das nicht sogar überaus häufig tun; vor allem vor dem Hintergrund, daß nur ein Bruchtteil der Weltbevölkerung von den genauen dogmatischen Unterschieden zwischen Orthodoxie und Katholizismus etc. pp weiß? Ein solches Denken läuft de facto auf ein neuartiges Verständnis von einem ,,auserwählten Volk" hinaus - speziell vor dem Hintergrund der engen Bindung von Konfession und Volk! Wohin das führt, las ich dann bei dem ( insgesamt sehr lesenswerten ) Alexei Osipov, der den Eindruck vermittelt, als sei Franz von Assisi dämonisch besessen gewesen. Oder bei S. Rose, der ernsthaft behauptet, daß nach dem Schisma die westlichen Heiligenbiographien immer fantastischer und unrealistischer geworden seien, und die Nüchternheit der orthodoxen Heiligenleben vermissen ließen - die Position empfinde ich vor dem Hintergrund, daß ich relativ häufig im ,,Prolog von Ochrid" von Velimirovic lese, schon als abenteuerlich.
Vielen Dank für deinen Beitrag. In der Tat, bei so manchen craddle-orthodoxen Ansichten schüttelt man erstmal mit dem Kopf, aber auch wenns von noch so einem berühmten orth. Theologen stammt, er redet in aller Regel nur als Privatperson.
Wenn die Russen am 1. WE eines Monats Liturgie feiern, die Serben am 2., die Griechen am 3., die Araber am 5. und an jedem 4. WE eine
Dominica vacat ist - und obendrein alles in getrennten Gotteshäusern von Statten geht, dann hat die Orthodoxie m.E. ein Glaubwürdigkeitsproblem: nämlich überzeugend darzulegen, die
eine Kirche Christi, seine legitime, stiftungsgemäße Versammlung an einem Ort, zu sein.
De facto sind bzw. wirken die nationalkirchlichen Strukturen wie Konfessionsgrenzen. Russen können und wollen nicht in einem Tempel das hl. Opfer darbringen, in welchem Bänke stehen; Griechen und Araber hingegen sind daran gewöhnt und wollen, so denke ich, darauf nicht dauerhaft verzichten. Russische Frauen bedecken ihr Haupt, bei den arabischen Frauen hat sich - wohl in Abgrenzung zu den muslimischen Frauen - die Barhäuptigkeit durchgesetzt.
Aber wie auch immer, wenn die hl. Orthodoxie die katholische Kirche ist, MUSS sie ihre Emigrantennische und ethnische Aufsplittung in Deutschland aufgeben. Am Anfang sollte m.E. der Erwerb oder die Nutzung eines einzigen Gotteshauses stehen; dann kann übergangsweise immer noch im gewohnten Turnus der jeweilige Priester die Liturgie feiern.
Dazu braucht es dann wohl auch viel innerorthodoxe Toleranz. Eines der wichtigeren Punkte als Kopftuch dürfte nach meinem Dafürhalten die Beichtpraxis sein. Der Beichtzwang vor der Kommunion, wie er bei den Russen gilt, gehört dann auf den Prüfstand. Wer regelmäßig sonntäglich kommuniziert, sollte seine Beichtfrequenz m.E. mit seinem Beichtvater absprechen oder ähnliche Regelung wie in der OCA.