Apg. 8,37

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Angelika
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Apg. 8,37

Beitrag von Angelika »

Hallo,

in der Bibel-Übersetzung von Eugen Schlachter sind folgende Verse zu finden:
"Als sie aber des Weges dahinzogen, kamen sie zu einem Wasser, und der Kämmerer spricht: Siehe, hier ist Wasser! Was hindert mich, getauft zu werden? Da sprach Philippus: Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so ist es erlaubt. Er antwortete und sprach: Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist!" (Apg. 8,36-37)

Vers 37 ist interessanterweise weder in der Einheitsübersetzung noch in der Elberfelder Übersetzung und auch nicht in der Luther-Bibel zu finden. Wie kommt das? Wurde er in der Schlachter-Bibel eingefügt, was ich vermute, oder wurde er in den anderen Übersetzungen gestrichen ?

Da in dieser Bibelstelle der Glaube als Bedingung für die Taufe genannt wird, dient sie häufig als Beleg für die Glaubenstaufe und gegen die Gnadentaufe. Ein Fehlen in wichtigen Bibel-Übersetzungen wäre daher ziemlich brisant.

Gruß
Angelika

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Niels
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Beitrag von Niels »

Hallo Angelika,

das Auslassen dieses Verses ist wohl ein Ergebnis der Textkritik.
Dieser Vers findet sich nämlich nicht bei allen wichtigen Textzeugen (Codices, Papyri), sondern wird nur bei einigen Textzeugen erwähnt (darunter z.B.die Kirchenväter Irenaeus und Cyprian). Es handelt sich also durchaus um eine alte Überlieferung.

Gruß,
Niels
Zuletzt geändert von Niels am Sonntag 30. November 2003, 10:18, insgesamt 1-mal geändert.

Cicero
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Beitrag von Cicero »

Ich habe mein grch. NT nicht hier, deshalb kann ich nur vermuten,
daß die Quellenlage von den Übersetztern der EÜ
kritsch beurteilt wurde.
Deshalb habe ich keine Ahnung in welchen Papyri diese Stelle
so überliefert ist.

Bei Friedolin Stier steht sie drin

37 Phillipus sprach zu ihm: Wenn du glaubst aus deinem ganzen Herzen, ist es gestattet. Er hob an und sprach: ich glaube, daß Jesus der Messias ist - der Sohn Gottes.

Cicero
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Beitrag von Cicero »

Danke Niels

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Angelika
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Beitrag von Angelika »

Danke euch beiden. :)

Hm, wenn dieser Vers bei einigen Textzeugen enthalten ist, kann man davon ausgehen, dass er authentisch ist.

Ist das nicht ein schwer zu entkräftendes Argument gegen die Gnadentaufe, insbesondere die Kindertaufe?

Gruß
Angeika

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Niels hat geschrieben:Hallo Angelika,

das Auslassen dieses Verses ist wohl ein Ergebnis der Textkritik.
Dieser Vers findet sich nämlich nicht bei allen wichtigen Textzeugen (Codices, Papyri), sondern wird nur bei einigen Textzeugen hinzugefügt (darunter z.B.die Kirchenväter Irenaeus und Cyprian). Es handelt sich also durchaus um eine alte Überlieferung.
Evtl. hat Schlachter nach der Vulgata (Clementina) übersetzt. Die hatte den Text drin.


Nach Nestle-Aland findet sich der Vers in recht wenigen Handschriften:

Bei den ständige Zeugen erster Ordnung nur in:
E (6. Jh); 1739 (10. Jh)
bei ständige Zeugen zweiter Ordnung in:
323 (12. Jh.); 945 (11. Jh.);
ferner in weiteren späteren Handschriften: 36 (12. Jh); 453 (14. Jh.); 1891 (10. Jh.) sowie wenigen weiteren nicht aufgeführten Textzeugen

Ferner in einigen Übersetzungen:
"Itala" (als Zusammenfassung von altlat. Zeugen)
Vulgata Clementina (1592)
In der syrischen Übersetzung Th. von Harkel (616)
In einer mittelägyptischen Übersetzung (5. Jh)
Bei den Kirchenvätern Irernäus und Cyprian
Zuletzt geändert von Juergen am Freitag 28. November 2003, 11:18, insgesamt 1-mal geändert.
Gruß Jürgen

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Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Angelika hat geschrieben:
Ist das nicht ein schwer zu entkräftendes Argument gegen die Gnadentaufe, insbesondere die Kindertaufe?

Gruß
Angeika
Hallo Angelika!

Streng genommen wäre es nur ein Argument, Erwachsene nicht zu taufen, die nicht glauben. Aber auch bei der Kindertaufe ist es normalerweise so, dass die Eltern versprechen, das Kind im Glauben zu erziehen. Somit wäre auch dieser Aspekt bei der Kindertaufe nicht vernachlässigt.

Gottes Segen,
Dirk
Zuletzt geändert von Dr. Dirk am Freitag 28. November 2003, 11:27, insgesamt 1-mal geändert.

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Angelika hat geschrieben:Hm, wenn dieser Vers bei einigen Textzeugen enthalten ist, kann man davon ausgehen, dass er authentisch ist.
War das jetzt eine Frage oder eine Feststellung?

Bei den Exegeten gilt meist der Grundsatz, daß die kürzere Lesart die bessere ist, weil man der Meinung ist, daß den Kopisten die Texte so heilig waren, daß sie eher etwas hinzugefügt haben - z.B. als Randbemerkung oder auch direkt in den Text - als sich getraut haben, etwas wegzulassen.

Ein Beispiel für so eine Randbemerkung ist die Doxologie am Ende des Vaterunsers. Diese stand ursprünglich nicht drin; dann als Glosse am Rand; später ist der Text dann in den Bibeltext gerutsch, (- Vielleicht einfach aus Gewohnheit, weil man es so gebetet hat und der Kopist dann gar nicht wirklich kopiert hat, sonder auswendig niedergeschrieben hat.) und Luther hat ihn dann auch mit in die Bibelübersetzung aufgenommen.
Gruß Jürgen

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Cicero
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Beitrag von Cicero »

Juergen hat geschrieben:...und Luther hat ihn dann auch mit in die Bibelübersetzung aufgenommen.
... und ich muß heute immer darunter leiden,
wenn ich behaupte, das das nicht zum Vater unser gehört....
:motz:



Danke für die Quellenangaben aus dem Nestle Aland.

Warum haben Schlachter und Stier das dann aufgenommen?

In welcher Übersetzung taucht das noch auf?

Jetzt bin ich doch etwas neugierig geworden........

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Angelika
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Beitrag von Angelika »

Hallo Dirk,
Streng genommen wäre es nur ein Argument, Erwachsene nicht zu taufen, die nicht glauben.
In Apg. 8,37 wird eine Bedingung für die Taufe aufgestellt, nämlich der Glauben. Ohne Glauben keine Taufe. Da Kinder nicht (selbst) glauben können, wäre dies ein Argument gegen die Kindertaufe.


Hallo Jürgen,
War das jetzt eine Frage oder eine Feststellung?
Eigentlich war's eine Feststellung. ;)
Aber nach deinem Posting ist es zur Frage geworden. ;)

Gruß
Angelika

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Cicero hat geschrieben:In welcher Übersetzung taucht das noch auf?
Ich hab mal nachgeschaut, was ich so im Regal stehen habe....
Chronologisch sortiert:
----------------------------------
Carl Weizäcker (Übers): Das neue Testament. 1. Aufl. Tübingen 1927

Dort wird hinter dem Vers 36 eine Fußnote gesetzt in der dann der Text steht: Philippus sagte zu ihm: "Wenn du aus ganzem Herzen glaubst, ist es gestattet." Er aber antwortete: "Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist."
----------------------------------
Pius Parsch (Hg.): Die Heilige Schrift des Neuen Bundes / Übers. v. Jakob Schäfer. Klosterneuburg 1934 (ebenso in der Ausgabe von 1951)

Vorne (in der Ausgabe von 1951) steht folgende Erklärung: ...Was in eckigen Klammen steht, ist Schrifttext in der Vulgata oder in wenigen gut bezeugten Handschriften des Urtextes...
Der Vers Apg 8,37 steht in eckigen Klammern drin: Philippus erwiderte: "Wenn du aus ganzem Herzen glaubst, kann es geschehen." Da antwortete jener: "Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist."
----------------------------------
Josef Kürzinger (Hg./Übers.): Das neue Testament. 11. Aufl. Aschaffenburg 1961

Hat den Text in eckigen Klammern drin: Philippus sagte: "Wenn du aus ganzem Herzen glaubst, kann es geschehen." Er antwortete: "Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist."
----------------------------------
Gebhard Heyder (Übers./Komm.): Neues Testament. 3. Aufl. Ulm 1993.

Hat den Text in eckigen Klammern drin: Philippus aber sprach: Wenn du aus ganzem Herzen glaubst, ist es erlaubt. Er erwiderte darauf und bekannte: Ich glaube, daß Jesus der Sohn Gottes ist.

Dazu die Anmerkung: Vers 37 stammt aus sehr alten westlichen Handschriften, vielleicht aus der urchristlichen Taufliturgie.
----------------------------------
Josef Zmijewski: Die Apostelgeschichte. Regensburg 1994. (RNT)

Hat den Text in eckigen Klammern (natürlich) drin: Philippus aber sprach zu ihm: "Wenn du von ganzem Herzen glaubst, ist es möglich." Er antwortete und sprach: "Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist!"

Der Kommentar zu V 36f.
Das göttliche Wirken zeigt sich denn auch weiterhin, nämlich darin, daß der Eunuch auf die Christusverkündigung des Philippus, von der offensichtlich vorausgesetzt ist, daß sie auch eine Belehrung über die Taufe enthält (vgl. dazu den Inhalt der christl. "Grundlehren" nach Hebr 6,11f.), unverzüglich mit dem Taufbegehren antwortet, wie ebenso darin, daß auch sofort das für die Taufzeremonie notwendige Wasser zur Verfügung steht - und das in einer Wüstengegend! Was also sollte noch daran hindern, daß die Taufe stattfindet? Diese Frage, die Lukas den Eunuchen selbst auch so aussprechen läßt und die "vielleicht Teil einer liturgischen Formel der frühen Taufpraxis der Kirche" (vgl. Weiser, Apg I 213; so auch die meisten anderen Exegeten) ist (vgl. 10,47; 11,17), stellt natürlich eine rhetorische Frage dar. Sie soll unterstreichen, daß in diesem Fall nicht nur keine Hindernisse vorliegen - das im Judentum noch bestehende Hindernis der fehlenden Manneskraft (vgl. Dtn 23,2) gilt nicht mehr als ein solches -, sondern auch die entscheidende (positive) Voraussetzunge für den Taufempfang gegeben ist: der Glaube. Der an dieser Stelle in einem Teil der "westlichen" Textform anzutreffende Einschub (V. 37) eines Taufgesprächs ergänzt treffend den Inhalt des für die christliche Taufe erforderlichen Glaubens: Es ist der Glaube daran, "daß Jesus der Sohn Gottes ist". Schon durch diesen Glauben "wird der ...'Äthiopier', der mit dem Judentum sympathisierte, ein Christ" (F. Mußner, Apg 54). Durch die Taufe selbst wird er dann "in die Jesusgemeinde aufgenommen." (aaO.)
Gruß Jürgen

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Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Angelika hat geschrieben:Hallo Dirk,
Streng genommen wäre es nur ein Argument, Erwachsene nicht zu taufen, die nicht glauben.
In Apg. 8,37 wird eine Bedingung für die Taufe aufgestellt, nämlich der Glauben. Ohne Glauben keine Taufe. Da Kinder nicht (selbst) glauben können, wäre dies ein Argument gegen die Kindertaufe.
Nein, Du verallgemeinerst die Regel, dass ein Erwachsener erstmal glauben muss, bevor er getauft wird, auf die Taufe von Kindern, wo es gar nicht möglich ist, den Glauben zu bekennen. Das ist Deine Interpretation, aber das steht nicht im Text (wenn er denn authentisch ist).

Gottes Segen,
Dirk

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Angelika
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Beitrag von Angelika »

Hallo Dirk,
Das ist Deine Interpretation, aber das steht nicht im Text (wenn er denn authentisch ist).
Das ist nicht meine Interpretation. ;D
Das ist eine Argumentation der Verfechter der Glaubenstaufe, die ihre Ablehnung der Kindertaufe u.a. damit untermauern. Ich identifiziere mich nicht damit; ich vertrete - selbstverständlich ;) - die Gnadentaufe, von der auch Kinder nicht ausgeschlossen sind.

Ich habe versucht, mich in die Argumentation anderer Sichtweisen hineinzuversetzen, um Gegenargumente zu finden.

Gruß
Angelika

Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

Dann spielst Du also den "Advocatus diaboli". :D

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ein interessantes Thema. Eigentlich zwei Fragen: die quellenkritische und diejenige der Sakramentenpraxis. Fangen wir mit der Quellenkritik an. Ich konstatiere den Befund, wie er sich mir auf die Schnelle darstellt:

Die guten, alten Zeugen der alexandrinischen wie der älteren byzantinischen Tradition – wie die Codices Vaticanus, Alexandrinus und Sinaiticus – haben den Vers Act 8,37 nicht. Von den griechischen Manuskripten kennt ihn jedoch eine Reihe jüngerer Handschriften, die ganz überwiegend der „westlichen“ Rezensionsgruppe angehören.

Der sogenannte byzantinische Mehrheitstext hatte den Vers 37 darum nicht, wohl aber der textus receptus, der seit der Renaissance auch der offizielle Text der griechischen Kirche geworden ist. Von daher ist dieser Vers auch in der kirchenslawischen Heiligen Schrift und in der offiziellen russischen Übersetzung enthalten.

Die Kirche von Griechenland dagegen hat ihn bei der Textrevision von 1991 wieder entfernt und sich damit dem Weg der westlichen, lateinischen Kirche angeschlossen, die den Vers zwar in der authentischen Vulgatafassung hatte – der Clementina von 1592 –, ihn jedoch im Gefolge der modernen kritischen griechischen Textausgaben (Tischendorf, Westcott-Hort, von Soden) und der „revidierten“ protestantischen Übersetzungen zuerst aus den volkssprachlichen Übersetzungen, dann auch aus dem lateinischen Text der Nova Vulgata gestrichen hat.

Wo stammt dieser Vers nun her?

Jürgen hat geschrieben:»Bei den Exegeten gilt meist der Grundsatz, daß die kürzere Lesart die bessere ist, weil man der Meinung ist, daß den Kopisten die Texte so heilig waren, daß sie eher etwas hinzugefügt haben - z. B. als Randbemerkung oder auch direkt in den Text - als sich getraut haben, etwas wegzulassen.«
Das ist nicht plausibel. Richtig ist natürlich, daß gelegentlich Rand- oder Textglossen, die vom Schreiber keineswegs als Hinzufügung gedacht waren, von einem späteren Abschreiber versehentlich in den fortlaufenden Text übernommen wurden.

Im allgemeinen gilt aber als textkritischer Grundsatz, daß der lectio difficilior – der schwierigeren Lesart – der Vorzug zu geben ist, weil ein flüchtiger Abschreiber aus Versehen eher gewöhnliche Dinge schreibt, also leichtere Lesarten – auch sogar mal eine Zeile ausläßt –, als daß er etwas Kompliziertes schriebe, was die Vorlage gar nicht enthält. In der Regel bedarf daher die Entscheidung für die lectio facilior, die einfachere Lesart, viel mehr einer triftigen Begründung als umgekehrt.

Nach diesem Exkurs zurück zur oben gestellten Frage: Woher stammt nun der Vers Act 8,37? Würde er tatsächlich erst in vergleichsweise sehr jungen Handschriften greifbar, während die ganze ältere Tradition dagegenstünde, dann hätten wir in der Tat einen triftigen Grund im oben dargestellten Sinne. Doch dies ist nicht der Fall. Im Gegenteil, die Zeugen für unsern Vers sind deutlich älter als die oben genannten Codices, die ihn nicht kennen.

Bloß handelt es sich bei diesen alten Entlastungszeugen unseres Angeklagten nicht um griechische Bibelmanuskripte. Daß es solche aber gegeben haben muß, beweist der Umstand, daß Irenæus von Lyon den Vers zitiert: zwar im Westen, aber auf griechisch und jedenfalls nach griechischer Vorlage – und dies schon im zweiten Jahrhundert.

Die erwähnten jüngeren Handschriften hängen also keineswegs in der Luft, sondern gehen offensichtlich auf eine sehr alte Tradition zurück, für die es lediglich über längere Zeit hin keine überlieferten Textzeugen gibt; was auch nicht verwundert, nachdem im Osten die byzantinische Rezension vorherrschte, im Westen dagegen die Kenntnis der griechischen Sprache notleidend geworden war.

Es gibt aber noch weitere Zeugen unsres Verses, nämlich die alten Übersetzungen: So etwa die unter dem Oberbegriff Vetus Latina zusammengefaßten älteren lateinischen Bibelübersetzungen vor Hieronymus, die sich auch in Zitaten bei den alten Kirchenschriftstellern widerspiegeln, wie etwa beim oben angeführten Afrikaner Cyprian. Diese lateinischen Fassungen weisen ebenfalls ins zweite Jahrhundert. Jünger kann der Vers nicht sein.

Diesen Befund stützen auch die gleichfalls sehr alten Übersetzungen ins Syrische und Armenische, die eine griechische Vorlage gehabt haben müssen – und zwar im Osten –, die auch den Vers 37 umfaßte. Ähnliches gilt für die von Jürgen angeführte koptische Übersetzung. Zwar sind die ältest überlieferten Handschriften dieser drei Übersetzungen deutlich jünger als ihre Ersteller und auch jünger als die genannten griechischen Manuskripte, die den Vers nicht haben; doch wäre die Annahme kaum plausibel, daß ihre Schreiber ausgerechnet zu einer Zeit, aus der wir im Osten griechische Manuskripte allein ohne den Vers 37 kennen, genau diesen nach einer damals allein im fernen Westen bezeugten Tradtion ergänzt haben sollten.

Übrigens scheint die Vulgata ursprünglich den Vers nicht gehabt zu haben. Hieronymus hat im Osten übersetzt, und zwar augenscheinlich nach einer Vorlage ohne Vers 37. Allerdings setzte sich die Vulgata, Ende des 4. Jahrhunderts entstanden, nur sehr langsam durch. Der Durchbruch kam erst im 9. Jahrhundert nach der karolingisch-alcuinischen Reform. Dabei drangen nicht selten Lesarten der Vetus Latina ein. Alcuin allerdings hat in seiner Rezension offensichtlich ganz bewußt die Texte abgeglichen und dabei unseren Vers 37 ergänzt. So kommt es, daß schließlich, als Ende des sechzehnten Jahrhunderts die Vulgata als authentische Bibel vorgeschrieben wurde, die verbindliche Fassung den Vers 37 doch wieder enthielt.

Uns liegen also, um zusammenzufassen, zwei hauptsächliche Rezensionszweige vor, einer mit Vers 37, der andere ohne denselben. Der erstgenannte ist dabei, was die überlieferten Textzeugen betrifft, gewiß nicht jünger als der zweite. Die Regel von der lectio difficilior veranlaßt mich, hier dem längeren Text tendenziell den Vorzug zu geben.

Was bedeutet dies nun für die andre Frage, die Sakramentenpraxis? – Offen gesagt kann ich mit einer Unterscheidung in Glaubenstaufe und Gnadentaufe nicht viel anfangen. Ich skizziere einmal den regulären Ablauf der Dinge:
1. Jemand ist irgendwie neugierig geworden und kommt zur Kirche.
2. Er bekommt eine Erstunterweisung (-katechese).
3. Er entscheidet sich für oder gegen den Weg in die Kirche.
4. Er tritt, falls die Entscheidung positiv war, in den Katechumenat ein.
5. Er durchläuft den Katechumenat als eine längere Zeit der Umkehr, Exorzisierung und Unterweisung.
6. Nach verschiedenen Prüfungen auf Ernsthaftigkeit der Bekehrung wird er zur Taufe zugelassen (als competens)
7. Er bekommt förmlich den Glauben übergeben (traditio symboli).
8. Er bekennt feierlich den Glauben vor der versammelten Kirche (redditio symboli).
9. Nach weiteren Unterweisungen (Gebet) und Prüfungen wird er vom Bischof in der Osternacht getauft; dabei
a) begehrt er auf Frage des Bischofs den Glauben, der ihm das ewige Leben gibt,
b) widersagt er auf Frage des Bischofs dem Satan,
c) bekennt er auf Frage des Bischofs den Glauben,
d) empfängt das Sakrament,
e) wird noch weiteren Riten unterzogen und schließlich mit dem weißen Taufkleid der Neophyten bekleidet.
10. Er empfängt das Sakrament der Firmung.
11. Er nimmt erstmals an der heiligen Messe teil empfängt das Sakrament der Eucharistie.
12. Er erhält nach der Taufe einige Zeit lang weitere Unterweisungen, die Mystagogie als Einführung in die Sakramente.

Zentrale Elemente dieser Riten erkennen wir in der Taufe des Äthiopiers durch Philippus, wie sie in der Apostelgeschichte beschrieben ist – und zwar gerade auch in jenem Vers 37. Denn er enthält, nach der zuvor dargestellten Unterweisung durch den Apostel, das Taufbegehren des Kompetenten, die Frage nach dem Glauben und dessen Bekenntnis. Weshalb sollte das als Frühform des Taufritus nicht authentisch sein?

Nun aber der Einwand: Das stehe, so meinen welche, der Kindertaufe entgegen. Denn ein Kind werde ja nicht auf den Glauben hin getauft, sondern aus Gnade. Aus Gnade? Als Gnadenakt? Das wäre doch merkwürdig. „Gnadentaufe“ also, weil die Gnade Gottes in ihr vermittelt wird? Doch wohl auch dem Erwachsenen, der zuvor seinen Glauben bekannt hat!

Aber wird nicht auch das Kind nach dem Glauben gefragt? Ja, natürlich! Nicht anders! Denn im Grundsatz sind alle Elemente der Kindertaufe dieselben wie bei der Erwachsenentaufe. Gewiß, in den Katechumenat kann man einen Säugling nicht stecken. Das fällt aber nicht weg: Zentrale Katechumenatsriten werden in den Taufritus hineingezogen: Exorzismen, Salzritus, Katechumenensalbung, Ephata-Ritus.

Das Kind widersagt dem Satan, das Kind bekennt den Glauben. Freilich durch den Mund des Paten, doch es bekennt. Die tatsächliche Unterweisung wird auf die Zeit nach der Taufe verschoben. Sie obliegt den Eltern und Paten und erfolgt nach Maßgabe der sich entwickelnden Fähigkeiten des Kindes. Aber sie findet statt. (Sollte sie wenigstens: Hier liegt heute das größte Problem.) Die lateinische Kirche hat später, anders als die östlichen Riten, auch den Empfang der weiteren Sakramente an den Vernunftgebrauch gekoppelt und damit weiter hinausgeschoben.

Ob das klug war, stehe dahin. Inzwischen wurde leider mit der Reform des Taufritus für Kinder dieser stärker vom Ritus der Erwachsenentaufe abgegrenzt, die Parallele ist nicht mehr so deutlich erkennbar. Der Ritus wurde „verkindlicht“ und „vereltert“. Der Ernst der Sache ist leider in erheblichem Maß verloren gegangen. Aber der Grundsatz bleibt: Getauft wird immer aufgrund des Glaubens und aus der Gnade.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Ketelhohn hat geschrieben:
Jürgen hat geschrieben:»Bei den Exegeten gilt meist der Grundsatz, daß die kürzere Lesart die bessere ist, weil man der Meinung ist, daß den Kopisten die Texte so heilig waren, daß sie eher etwas hinzugefügt haben - z. B. als Randbemerkung oder auch direkt in den Text - als sich getraut haben, etwas wegzulassen.«
Das ist nicht plausibel. Richtig ist natürlich, daß gelegentlich Rand- oder Textglossen, die vom Schreiber keineswegs als Hinzufügung gedacht waren, von einem späteren Abschreiber versehentlich in den fortlaufenden Text übernommen wurden.

Im allgemeinen gilt aber als textkritischer Grundsatz, daß der lectio difficilior – der schwierigeren Lesart – der Vorzug zu geben ist, weil ein flüchtiger Abschreiber aus Versehen eher gewöhnliche Dinge schreibt, also leichtere Lesarten – auch sogar mal eine Zeile ausläßt –, als daß er etwas Kompliziertes schriebe, was die Vorlage gar nicht enthält. In der Regel bedarf daher die Entscheidung für die lectio facilior, die einfachere Lesart, viel mehr einer triftigen Begründung als umgekehrt.
Hier sprichst Du von Äpfeln und Birnen, aber in einen Obstsalat gehört beides!
Zwei Faustregeln sollte man sich merken: 1. Die kürzere Lesart ist im allgemeinen die bessere, denn die Abschreiber haben eher Zusätze gemacht als Streichungen vorgenommen (Kurzformel: "lectio brevior potior")...
2. Die Textaussagen, die man nicht mehr recht verstand, wurden aufgehellt oder inzwischen veränderten dogmatischen Situationen angepasst ... Hier gilt die Regel der sogenannten "lectio difficilor"...


Quelle: Conzelmann ; Lindemann Arbeitsbuch zum Neuen Testament. Tübingen 1995, S. 31.
Gruß Jürgen

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Nummer eins bestreite ich. Es ist zum Beispiel weitaus häufiger, daß ein Kopist eine Zeile (oder sogar mehrere) glatt übersprungen hat, als daß er eine oder mehrere Zeilen doppelt bringt. Für einzelne Wörter gilt Ähnliches. Etwas anderes ist das Eindringen von Glossen in den eigentlichen Text, wie ich oben schon sagte. So etwas kommt vor. Es scheidet im vorliegenden Fall jedoch aus, denn Act 8,37 ist definitiv nicht als Randglosse vorstellbar.

Was gelegentlich noch zu beobachten ist, ist die „Kontamination“ eines Verses durch einen sehr ähnlichen, von einer andern Stelle stammenden, meist aus einen der andern Evangelien. Zum Beispiel:

In A steht: »Äpfel, Birnen und Tomaten kann man essen«. In B steht: »Äpfel, Birnen, Kirschen und Tomaten kann man essen«. Der Kopist kopiert gerade A, kennt aber B besser und schreibt beim Abschreiben von A an der fraglichen Stelle automatisch und ohne es zu merken: »Äpfel, Birnen, Kirschen und Tomaten kann man essen«, also wie in B.

Dasselbe funktioniert umgekehrt jedoch auch. In solchen Fällen kommt deshalb man mit Regeln über lectiones breviores oder longiores nicht weiter. Da schaut man besser, wie sorgfältig der jeweilige Kopist sonst arbeitet.

Hier jedoch geht es gewiß um keinen Kopistenfehler, jedenfalls nicht hinsichtlich einer eventuellen Hinzufügung. Eher könnte man sich die versehentliche Auslassung eines Verses denken, jedoch auch kaum in solcher Konsequenz, wie sie die älteren östlichen griechischen Rezensionen erkennen lassen. Ich gehe darum von einer bewußt veranstalteten Redaktion aus. Aber worin bestand die Redaktion? Ergänzung oder Weglassung? Und was war das Motiv?

Ich war nicht dabei. Aber der Vers 37 hat nichts Anstößiges, nicht was ihn aus sich heraus verdächtig machte. Die Erfindung eines solchen Verses ist mir wesentlich schwerer vorstellbar als irgendwelche Gründe für die Weglassung. Könnten gerade im Osten christologische Streitigkeiten dazu beigetragen haben? Tatsächlich gebrauchte Taufbekenntnisse, die sich mit jenem von Act 8,37 nicht recht vertrugen?

Ich weiß es nicht. Aber solange ich keine plausible Theorie vernehme, woher der Vers stammen könnte und weshalb er eingefügt worden sein sollte, solange veranlaßt mich das Alter und die Verbreitung seiner Bezeugung, ihn für ursprünglicher zu halten. Das ausschlaggebende Gewicht bringt dabei Irenæus in die Waagschale, um es deutlich auszusprechen. Ohne sein Zeugnis wagte ich nicht, eine Präferenz zu äußern.
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Ketelhohn hat geschrieben:Nummer eins bestreite ich.
Auch wenn dieser Grundsatz einer der ersten war, den ich in den Einleitungswissenschaften gelernt habe, so tut sich auch Conzelmann nicht ganz leicht hier Beispiele zu finden. Er führt hier die Doxologie im Anschluß an das Vaterunser an:
... Ein Beispiel: Die Schlußdoxologie des Vaterunsers wäre nicht gestrichen worden, wenn sie von Anfang an dazu gehört hätte; vielmehr fehlte sie im ursprünglichen Text und wurde, weil sie liturgisch in Gebrauch war, sekundär ergenzt. Konsequenz für die Textkritik: Die Lesart ohne Doxologie ist die bessere.
Einige Zeilen vorher verweist er ebenfalls auf das Vaterunser und wendet diese Regel (mehr oder weniger) an:
... Häufig wird ein Text auch durch Material aus den Seitenreferenten, vor allem aus Mt, aufgefüllt; hier ist ein gutes Beispiel die textliche Überlieferung des Vaterunsers bei LK (11,2-4) im Vergleich zu Mt (6,9-13): Ganz offensichtlich ist die kürzere Überlieferung bei LK in vielen Handschriften nachträglich entprechend dem Matthäustext ergänzt worden.
Und noch eine Ergänzungen zu den "Grundsätzen" nach Conzelmann, den er aber nicht als "dritten Grundsatz" anführt:
...Der schwieriger zu verstehende, anstößigere Text ist im allgemeinen der bessere, sofern er nicht so "schwierig" ist, daß er gar keinen Sinn ergibt. J. A. Bengel formuliert daher präzise: proclivi praestat ardua.
Die äußerste textkritische Maßnahme ist die Konjektur: Wenn kein überlieferte handschriftlicher Text einen verständlichen Sinn gibt, dann - aber auch nur dann! - ist vermutungsweise festzustellen, wie der Urtext gelautet haben könnte. Konjunkturen werden in der modenen Exegese des NT nur noch in seltensten Fällen vorgeschlagen. Ein Beispiel ist Apg 4,25, wo keine der handschriftlich überlieferten Lesarten einen vernünftigen Sinn ergibt.
Nun, gut.
Ich denke keiner der drei Grundsätze ist in diesem Fall wirklich anzuwenden.
Den Grund, daß Irenäus die längere Lesart bevorzugt, würde ich als überzeugensten - und auch ältesten - Hinweis auf die längere Lesart sehen, und denke das er auch überzeugend ist.
Gruß Jürgen

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Beitrag von Angelika »

Danke euch allen für die aufschlußreichen Antworten. :)

Gruß
Angelika

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