Zinsverbot

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Raphael

Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Raphael »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Ich komme mir allmählich vor, als redete ich hier mit Legasthenikern.
Ich finde gut, daß Du weiterhin Deine didaktischen Fähigkeiten fortzubilden versuchst! :pfeif:

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Sempre
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Sempre »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Ich komme mir allmählich vor, als redete ich hier mit Legasthenikern.
Nur so zur Info: Legastheniker sind Leute, die Probleme mit der Umsetzung der gesprochenen in geschriebene Sprache und umgekehrt haben.

Robert Ketelhohn hat geschrieben:– Du meinst offenbar jenes «licet … mutuum accipere sub usuris, propter aliquod bonum, quod est subventio suae necessitatis vel alterius», hier konkret den Begriff der necessitatis. Der ist freilich mit „Not“, wie wir das verstehen, nicht treffend übersetzt. Es geht vielmehr schlicht um des Darlehensnehmers oder eines Dritten Bedürfnis oder Bedarf. Was wir heute als wirkliche Notlage bezeichneten, ist nicht gefordert.
Es gibt keinen Grund dafür, „necessitas“ hier nicht mit „Not“ zu übersetzen. Ginge es nicht um Not, dann wäre bereits die Erwähnung der „necessitas“ gänzlich überflüssig. Auch das von St. Thomas unmittelbar folgend angeführte Beispiel zeigt ganz eindeutig, dass es um Not geht: Wenn ich unter Diebe falle, die mich bedrohen, dann darf ich ihnen mitteilen, wo sich mein Geld befindet, obwohl ich erst dadurch den Dieben den Diebstahl ermögliche.

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Wäre es so, würfe das im übrigen ganz neue Probleme auf: Wo begänne solcherlei „Not“? Wer entschiede das?
Dass solche Fragen auftreten, ist kein Argument dafür, dass „necessitas“ hier nicht mit „Not“ zu übersetzen ist. Man darf auch nur in Not „Fringsen“, obwohl zuvor zu klären ist, ob überhaupt Not vorliegt.
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Robert Ketelhohn
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Freut mich, daß du mir in der Hauptsache endlich schweigend zustimmst:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Doch abgesehen davon spielt diese Frage für die Beurteilung des Darlehensbegehrens keinerlei Rolle.
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Sempre »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Freut mich, daß du mir in der Hauptsache endlich schweigend zustimmst:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Doch abgesehen davon spielt diese Frage für die Beurteilung des Darlehensbegehrens keinerlei Rolle.
Ich stimme dem natürlich nicht schweigend zu, ich spare mir nur einen Kommentar dazu, da ich bereits Deine Voraussetzung ablehne, man dürfe ohne Not einen Wucherkredit aufnehmen sowie auch die Inanspruchnahme des Hl. Thomas für diese Deine Position.
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Robert Ketelhohn
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Deine Logik wird immer notleidender. Brauchst du ein Darlehen?

Das rechte Verständnis des Begriffs necessitatis ist weder bei mir noch bei Thomas
Voraussetzung für weiteres, denn dessen Argumente ad 1 & 2 bauen logisch in kei-
ner Weise auf der Aussage um jenen Begriff auf.

Aber nun verbeiß dich mal nicht darein. Dir fällt kein Zacken aus der Krone, wenn
du einsiehst, daß du deine spontane Meinung zur Sache revidieren mußt.
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Sempre »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Deine Logik wird immer notleidender. Brauchst du ein Darlehen?
Quark, Robert. Du pickst Dir einzelne Sätze heraus, die Dir in den Kram passen, ignorierst, was St. Thomas hauptsächlich sagt, und versuchst eine gewagte Übersetzung, die dazu führt, dass Thomas' Gedankengang sinnlos wird.

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Das rechte Verständnis des Begriffs necessitatis ist weder bei mir noch bei Thomas
Voraussetzung für weiteres, denn dessen Argumente ad 1 & 2 bauen logisch in keiner Weise auf der Aussage um jenen Begriff auf.
Diese Argumente folgen dem eigentlichen Kommentar und können nicht ohne denselben für sich allein herausgepickt werden.

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Aber nun verbeiß dich mal nicht darein. Dir fällt kein Zacken aus der Krone, wenn du einsiehst, daß du deine spontane Meinung zur Sache revidieren mußt.
Ich trage keine Krone und folge schlicht dem vorliegenden Text, der Deine These nicht unterstützt.
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Robert Ketelhohn
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Sempre hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Deine Logik wird immer notleidender. Brauchst du ein Darlehen?
Quark, Robert. Du pickst Dir einzelne Sätze heraus, die Dir in den Kram passen, ignorierst, was St. Thomas hauptsächlich sagt, und versuchst eine gewagte Übersetzung, die dazu führt, dass Thomas' Gedankengang sinnlos wird.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Das rechte Verständnis des Begriffs necessitatis ist weder bei mir noch bei Thomas
Voraussetzung für weiteres, denn dessen Argumente ad 1 & 2 bauen logisch in keiner Weise auf der Aussage um jenen Begriff auf.
Diese Argumente folgen dem eigentlichen Kommentar und können nicht ohne denselben für sich allein herausgepickt werden.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Aber nun verbeiß dich mal nicht darein. Dir fällt kein Zacken aus der Krone, wenn du einsiehst, daß du deine spontane Meinung zur Sache revidieren mußt.
Ich trage keine Krone und folge schlicht dem vorliegenden Text, der Deine These nicht unterstützt.
Ich habe hier keine Thesen geäußert, sondern dargestellt, was hinsichtlich der sittlichen Beurteilung des Darlehensnehmers der gesunde Menschenverstand dafürzuhalten gebietet, was völlig evident ist und darum immer auch die Meinung der Kirche war, was daraus erhellt, daß niemals jemand auf die Idee verfallen ist, kirchlicherseits den Abschluß eines Darlehensvertrags unter Zinsen als seitens des Darlehensnehmer sündhaft anzusehen. (Wobei ich wegen der Evidenz der Antwort von allein nie darauf gekommen wäre, ein Wort darüber zu verlieren. Erst wegen des absonderlichen Einfalls von Ar26, dem du dann folgtest, mußte ich das tun.)

Zweitens hat Pelikan dankenswerterweise auf die Erörterung eben dieser Frage durch Thomas von Aquin aufmerksam gemacht, der – nicht aus aktuellem Anlaß schreibend, sondern motiviert von der scholastischen Methode und Systematik und dem Summencharakter des Werks – genau auf der Linie meiner Argumente liegt, freilich viel ausführlicher und ordentlich scholastisch.

Drittens hast du dich in deine einmal gefaßte Meinung verbissen und suchst Anhaltpunkte dafür bei Thomas zu finden, die es nicht gibt, was wiederum evident ist. Du solltest einmal nach den psychologischen Mechanismen fragen, die dich zu solchem Verhalten veranlassen. Irgendwie ist das ein Zwang zu größtmöglichem Rigorismus. Aber ich warne dich. Verwechsel unbeirrbare Glaubensfestigkeit nicht mit Rigorismus. Vielleicht studierst du einmal den Fall Tertullians.

Zur Sache. Ich unternehme einen letzten Versuch, obgleich längst alles gesagt ist und die Argumentation des Aquinaten auch ohne weitschweifige Erklärung sonnenklar ist und für sich selber spricht.

A. Zum Begriff necessitatis. Necessitas stellt sich als nomen abstractum zu necesse – „das Unausweichliche, daher: 1. unabänderlich; 2. notwendig, nötig, erforderlich“. Necesse kommt nur als Neutrum des Adjektivs in prädikativer Geltung vor, und zwar in den Wendungen necesse est (unpersönlich, eher objektiv: „es ist nötig“, c. inf. auch: „man muß“) und necesse habeo (persönlich, eher subjektiv: 1. c. inf. „halte für nötig, habe nötig, muß“; 2. c. abl. „habe nötig, bedarf“).

Entsprechend die Bandbreite der Bedeutungen von necessitas. Es kann objektive Notwendigkeit gemeint sein (was bei Darlehensaufnahme freilich kaum in Betracht kommt) oder subjektiver Bedarf.

Was nicht gemeint sein kann, ist so etwas wie „bittere Armut, bittere Not“ oder „akute Notlage aufgrund eines Unglücks- und Krankheitsfalls“. Solch bittere Armut wird am ehesten durch ein zu egeo gehörendes abstractum (egentia, egestas) beschrieben oder verbal eben durch egeo ausgedrückt.

B. Völlig unabhängig hiervon ist die Argumentation des Aquinaten ad 1 & 2; und zwar dies logisch völlig offensichtlich und notwendig. Die Begründung ad 1, weshalb Thomas zufolge, wer Geld als Darlehen unter Zinsen aufnimmt, den Wucherer nicht dazu verführt, Zins zu nehmen, ist unabhängig von seinen eigenen „Rahmenbedingungen“, Anlaß, Motivation oder Zweck der Darlehensaufnahme. Der Darlehensnehmer stimme nicht dem Wucher zu, sondern dem Darlehen; der Sünde des Wucherers bediene er sich dabei zum Guten.

Daß die Zustimmung des Darlehensnehmers dem Darlehen gilt und nicht dem Zins – der bloß gezwungenermaßen in Kauf genommen wird –, ist eine Aussage, die für Thomas und mich ganz evident ist, die du dagegen bestreitest, deren Gültigkeit aber rein logisch nicht von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Darlehensnehmers abhängen kann.

Dasselbe ist über die Argumente ad 2 zu sagen. Thomas führt aus, daß der Wucherer passiv Anstoß zur Sünde nehme (veranlaßt also vom sittlich guten oder neutralen Verhalten eines Dritten) und daß keineswegs der Darlehensnehmer ihm aktiv den Anstoß zur Sünde gebe (durch ein sittlich schlechtes Tun also). Die Wurzel der Sünde des Wucherers sei daher, so Thomas, die Bosheit des Herzens (im Wucherer selbst).

Auch hier kann aus logischen Gründen die wirtschaftliche Lage des Darlehensnehmers keinen Einfluß haben. Wenn der Ursprung der Sünde des Wucherers in diesem selbst liegt, spielen weder objektive noch subjektive Umstände des Darlehensnehmers dabei irgendeine Rolle. Sie können logisch nicht ins Spiel kommen.

Darum sagt Thomas denn auch ausdrücklich, daß keiner wegen der Wuchersünde der Wucherer darauf verzichten müsse, verzinste Darlehen zu begehren.
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Protasius
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Protasius »

Nachdem wir jetzt über Darlehen gesprochen haben, wie sieht es denn mit den gewöhnlichen Zinsen auf einem Sparbuch, Girokonto etc. aus?
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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Torsten
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Torsten »

Protasius hat geschrieben:Nachdem wir jetzt über Darlehen gesprochen haben, wie sieht es denn mit den gewöhnlichen Zinsen auf einem Sparbuch, Girokonto etc. aus?
Die sind definitiv ein Witz gegenüber den Zinsen, die man zahlt, wenn man sein Konto mal überzieht ..

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cantus planus
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von cantus planus »

Die bleiben ja nicht lange. Das, was auf einem Girokonto im Jahr an Zinsen gezahlt wird, ist nach einem Quartal schon dank der überteuerten Kontoführungsgebühren weg...
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Marion
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Marion »

Protasius hat geschrieben:Nachdem wir jetzt über Darlehen gesprochen haben, wie sieht es denn mit den gewöhnlichen Zinsen auf einem Sparbuch, Girokonto etc. aus?
Hier geht es um Wucherzins. Wucherzins ist sündhaft. Bei den Girokonten gibt es wohl gerademal (wenn überhaupt) die Inflation drauf. Da kann man nicht von Wucherzins sprechen.
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Protasius
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Protasius »

Marion hat geschrieben:
Protasius hat geschrieben:Nachdem wir jetzt über Darlehen gesprochen haben, wie sieht es denn mit den gewöhnlichen Zinsen auf einem Sparbuch, Girokonto etc. aus?
Hier geht es um Wucherzins. Wucherzins ist sündhaft. Bei den Girokonten gibt es wohl gerademal (wenn überhaupt) die Inflation drauf. Da kann man nicht von Wucherzins sprechen.
Wo liegt denn die Grenze zum Wucherzins?
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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Robert Ketelhohn
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Zins ist Wucher.
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taddeo
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Re: Zinsverbot

Beitrag von taddeo »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Zins ist Wucher.
Guthabenzins auch? :hmm:

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Marion
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Marion »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Zins ist Wucher.
Die Frage von Protasius hast du schon mal besser beantwortet, sodaß man damit auch was anfangen kann :blinker:
Robert Ketelhohn hat geschrieben: ... anderseits aber ist eine (vertraglich vereinbarte) Entschädigung des Darlehensgebers etwa für entstandenen Schaden (damnum emergens), entgangenen Gewinn (lucrum cessans) oder Kapitalrisiko (periculum sortis) wie auch eine Vertragsstrafe für Verzug (pœna conventionalis) auch nach der kirchlichen Sittenlehre legitim; also ein Augleich für tatsächliche und nachgewiesene Nachteile des Darlehensgebers.

Erst was darüber hinausgeht, ist Zins (usura, Wucher) und darum unbegründet und ungerecht.
Auf Girokonten bei Guthaben gibt es doch im Regelfall nicht mehr. Aber läuft halt heutztage ebenfalls unter dem Namen Zins. Das ist aber mit Sicherheit kein Wucherzins.
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Robert Ketelhohn
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Danke dir. Dies Selbstzitat wollte ich eben auch raussuchen. Man muß auch die
Inflation einkalkulieren, was zu Zeiten eines Thomas von Aquin oder auch Bene-
dikts XIV. so nicht bekannt war und jedenfalls in den lehramtlichen Dokumenten
und theologischen Traktaten nicht berücksichtigt ist. Ich würde daher einen Infla-
tionsausgleich als Entschädigung für entstandenen Schaden ansehen, nicht als
Zins oder Wucher.

Du sagst schon richtig, Marion, daß die Banken das heute nun einmal Zins nenn-
ten. Aus diesem System kann man schwer heraus.

Im einzelnen ist es nicht leicht, Anlageformen auf sittliche Erlaubtheit hin zu prü-
fen. Neben der Zinsfrage ist auch diejenige spekulativen Gewinns (oder Verlusts)
zu prüfen. Jedenfalls aber ist eine „Verzinsung“, besser: Entschädigung, in Höhe
ungefähr der Inflation m. E. unbedenklich. Drunter sowieso, und sollte ein Spar-
buchzins mal kurzfristig knapp über der Inflation liegen, ist das auch noch kein
Grund, sich ’nen Kopp zu machen.

Bei anderen und zumal höher verzinsten Anlageformen sollte man aber gründlich
nachdenken.
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Clemens
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Clemens »

Kann es sein, dass das kirchliche Zinsverbot darauf zielt, die Ausnutzung der Not des Armen durch den Reichen zu unterbinden, nicht aber das wirtschaftlich sinnvolle Kooperieren von Kapitaleigner und Unternehmer?

Wenn ich investieren will und dafür Geld aufnehme, ist es doch gerecht, demjenigen, der mir das Geld gibt, einen Teil des Gewinnes, den ich damit erziele, abzugeben.
Wenn ich mir bei der Bank Geld leihe, damit ich mir ein Haus bauen kann, mache ich ja (hoffentlich) auch ein vorteilhaftes Geschäft. Ich will ein Ziel erreichen und bezahle denjenigen, der mir dabei mit seinem Kapital hilft.

Anders wäre es, müsste ich Geld leihen, um meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Wenn ich Saatgut brauche, damit ich nicht verhungere, und muss mehr zurückgeben, als ich geliehen habe (wohl der klassische Fall des von den Propheten im AT verurteilten Ausbeutens der Armen), dann ist das unmoralisch.

Aber lässt sich diese Grenze stets zuverlässig ziehen?
Müsste man unterscheiden zwischen Geldverleih, bei dem im voraus ein fester Zinssatz vereinbart ist, und einer Investitionshilfe, bei der der Lohn am Erfolg bemessen wird?
Wären Aktien(fonds) moralisch also besser, als festverzinsliche Kapitalbriefe?

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Sempre
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Sempre »

@Robert Ketelhohn

Das Beispiel, das Thomas anführt, um zu zeigen, was er mit necessitas meint, widerlegt Deine Übersetzungskünste.
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Raphael

Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Raphael »

Sempre hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:– Du meinst offenbar jenes «licet … mutuum accipere sub usuris, propter aliquod bonum, quod est subventio suae necessitatis vel alterius», hier konkret den Begriff der necessitatis. Der ist freilich mit „Not“, wie wir das verstehen, nicht treffend übersetzt. Es geht vielmehr schlicht um des Darlehensnehmers oder eines Dritten Bedürfnis oder Bedarf. Was wir heute als wirkliche Notlage bezeichneten, ist nicht gefordert.
Es gibt keinen Grund dafür, „necessitas“ hier nicht mit „Not“ zu übersetzen. Ginge es nicht um Not, dann wäre bereits die Erwähnung der „necessitas“ gänzlich überflüssig. Auch das von St. Thomas unmittelbar folgend angeführte Beispiel zeigt ganz eindeutig, dass es um Not geht: Wenn ich unter Diebe falle, die mich bedrohen, dann darf ich ihnen mitteilen, wo sich mein Geld befindet, obwohl ich erst dadurch den Dieben den Diebstahl ermögliche.
Bei dem von dir geschildeten Beispiel handelt es sich um Raub und nicht um einen Diebstahl! :doktor:

Zum Zweiten paßt das Beispiel nicht als "Vorlage" für einen verzinslichen Darlehensvertrag, weil man gemeinhin nicht gezwungenermaßen in eine Bank geht, um einen Kreditvertrag abzuschließen.
Auch wird man vom Autoverkäufer des Volkswagens nicht gewürgt, weil man das Auto nicht mithilfe einer Finanzierung der VW Bank bezahlen möchte, sondern nach alter Väter Sitte in bar.

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Robert Ketelhohn
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Sempre hat geschrieben:Das Beispiel, das Thomas anführt, um zu zeigen, was er mit necessitas meint, widerlegt Deine Übersetzungskünste.
Mein Lieber, erstens ist dies, wie mehrfach gezeigt, ganz unerheblich für die Argumente ad 1 & 2, und zweitens bringt Thomas seine Beispiele nicht als Beispiele für Notlagen, sondern weshalb uti .. peccato alterius ad bonum licitum sei (weshalb es erlaubt sei, sich der Sünde eines andern zum Guten zu bedienen). Dies sagt Thomas nicht nur ausdrücklich, es erhellt auch notwendig aus seinem andern, von dir nicht beachteten Exempel, das er aus Augustin nimmt: nämlich dem Beispiel vom Schwur des Heiden bei falschen Göttern. Auch dessen dürfe sich der Christ ohne Sünde zum Guten bedienen. Schließlich sagt Thomas sogar, daß ja auch Gott so handle und sich der Sünden der Geschöpfe zum Guten bediene. Oder handelt selbst Gott aus Not?
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Marion »

Im Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon ist ein ausführlicher Artikel zum Thema Zins und Wucher. Auch der genaue Unterschied zwischen Zins und Wucher, die Geschichte dazu, und die ganzen Bibelstellen. (Lesenswert!)

Darnach bedeutet heute Wucher (welcher wohl immer sittlich verboten ist) im Gegensatz zum Zins (welcher nicht in jeder Situation verboten ist), "die Ausbeutung der Noth des Nächsten zu eigenem Gewinne." und "indem augenblickliche Noth und Hilfsbedürftigkeit, Leichtsinn und Unerfahrenheit nur die Momente der Schwäche bilden, die der überlegene Wucherer zur Aneignung des fremden Eigenthums benutzt."


P.S. Auch unter dem Begriff Nothilfe im selben Lexikon steht etwas zum Kampf zwischen Selbsterhaltung und dem Eigenthumsrecht, um welches es hier ja indirekt auch geht.
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Re: Zinsverbot

Beitrag von lifestylekatholik »

Marion hat geschrieben:Darnach bedeutet heute …
Damals.
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

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Re: Zinsverbot

Beitrag von Marion »

Da steht aber darnach :narr:

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Re: Zinsverbot

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Marion hat geschrieben:Im Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon ist ein ausführlicher Artikel zum Thema Zins und Wucher. Auch der genaue Unterschied zwischen Zins und Wucher, die Geschichte dazu, und die ganzen Bibelstellen. (Lesenswert!)

Darnach bedeutet heute Wucher (welcher wohl immer sittlich verboten ist) im Gegensatz zum Zins (welcher nicht in jeder Situation verboten ist), "die Ausbeutung der Noth des Nächsten zu eigenem Gewinne." und "indem augenblickliche Noth und Hilfsbedürftigkeit, Leichtsinn und Unerfahrenheit nur die Momente der Schwäche bilden, die der überlegene Wucherer zur Aneignung des fremden Eigenthums benutzt."
Das könnte im damaligen Brockhaus stehen, oder meinetwegen im Zedler. Das erklärt den profanen Sprachgebrauch, nicht die Lehre der Kirche.
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Re: Zinsverbot

Beitrag von lifestylekatholik »

Marion hat geschrieben:Da steht aber darnach
Quack. Du schriebst »heute«.
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

Pilgerer
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Pilgerer »

Im Kern geht es bei der Zinsfrage doch eigentlich darum, wie Zinsen das Verhältnis zu Gott und den Menschen beeinflussen. Wie ist mein Verhältnis zum Mitmenschen, wenn ich ihm etwas einmal mit Zinsen und einmal ohne Zinsen leihe? Wie sieht das Verhältnis zum Mitmenschen aus, wenn das Geldleihen über die Mittelsmänner der Bank geschieht? Da jeder Mensch ein Abbild Gottes ist, ist das Verhältnis zu Gott vom Verhältnis zum Menschen abhängig (und umgekehrt).

Zinsen machen das Geldverleihen zum Geschäft anstelle eines barmherzigen Aktes. Das ist, denke ich, der Unterschied. Ein Geschäft ist keine Sünde, denn Jesus hat als Zimmermann Geschäfte gemacht und die Jünger haben ihren Lebensunterhalt ebenfalls durch Geschäftstätigkeiten (z.B. Fischerei) gesichert. Trotzdem bedeutet ein Geschäft zunächst einmal ein nüchternes, rationale Verhältnis zwischen den Vertragsparteien. Das gilt auch für das Geldgeschäft. Es hat keinen Einfluss darauf, wie sich die Beziehung zum Nächsten oder zu Gott verhält, weder zum Guten noch zum Schlechten.

Etwas anderes ist, wenn wir aus Barmherzigkeit Geld verleihen, um jemandem persönlich zu helfen. Das ist eine völlig andere Sache als das geschäftliche Geldverleihen. Hier wird das Verhältnis zwischen dem Leihenden und dem Verleihenden gebessert. Barmherzigkeit gegenüber Menschen verbessert die Beziehung zu den Menschen wie auch zu Gott. Geld ohne Zinsen an einen bedürftigen Nachbarn zu leihen, ist darüber hinaus ein Vertrauensakt, denn ich muss ihm vertrauen, dass er mir das Geld ehrlich zurück bezahlen wird. Dieses Vertrauen bedeutet eine weitere Verbesserung des zwischenmenschlichen Verhältnisses und indirekt auch des Verhältnisses zu Gott.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Thomas_de_Austria
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Thomas_de_Austria »

[quote="P. Bernard Kälin OSB, "Ethik", S. 195-198"]
Unter Zins im eigentlichen Sinne versteht man die Entschädigung die der Eigentümer einer Sache für deren zeitweise Überlassung an einen andern oder für deren Gebrauch oder Nutzung erhält; so redet man von Pacht- oder Mietzins. Unter Zins im uneigentlichen Sinn oder unter Geldzins versteht man heutzutage die Entschädigung, die jemand für eine geliehene Summe Geldes vom Entlehner verlangt. Sofern diese Entschädigung auf Grund von gewissen äußern Rechtstiteln gefordert wird, wird sie auch Interesse genannt.
Was nun die Frage betrifft, ob in der heutigen Zeit für ein Gelddarlehen eine Entschädigung verlangt werden darf, so beantworten wir sie in folgender Weise:
Es ist nicht erlaubt, auf den Titel des Gelddarlehens als solchen eine Entschädigung oder Zins im eigentlichen Sinne zu fordern (1); wohl ist es erlaubt, auf Grund von gewissen Rechtstiteln, die außer dem Gelddarlehen liegen, aber mit ihm gegeben sein können, eine Entschädigung oder Zins im uneigentlichen Sinne zu fordern (2).
Beweis zu 1. Es ist, wie Thomas von Aquin[1] betont, ungerecht und daher unerlaubt, etwas, das nicht vorhanden ist oder ein und dieselbe Sache zweimal zu verkaufen. Auf Grund des Gelddarlehens als solchen für das geliehene Geld eine Entschädigung verlangen, heißt aber soviel, als ein und dieselbe Sache zweimal oder etwas verkaufen, das nicht vorhanden ist. Also ist es nicht erlaubt, für das geliehene Geld auf Grund des Darlehens als solchen eine Entschädigung zu verlangen.
Der Obersatz ist gewiß und wird von niemanden bezweifelt.
Den Untersatz beweisen wir also: Es gibt Dinge – sie sind Gegenstand des Darlehensvertrages – deren Gebrauch zugleich auch deren Verbrauch mit sich bringt; so wird der Wein, der als Getränk gebraucht wird, zugleich auch verbraucht, und der Weizen, der als Speise verwendet wird, wird eben dadurch verbraucht. Obschon bei diesen Dingen hinsichtlich ihrer Eigenart der Gebrauch von ihnen selbst unterschieden werden kann, da der wein etwas von dem Gebrauch des Weines Verschiedenes ist, so wird, wenn sie an jemand geliehen werden, ihm doch sowohl die Sache wie auch deren Gebrauch übertragen; denn es wäre lächerlich und unbegreiflich, wenn jemand einem andern den Wein und dazu noch besonders den Gebrauch des Weines verkaufen wollte. Bei den vertretbaren Sachen kann also nicht die Sache getrennt davon noch deren Gebrauch an einen andern übertragen werden. Wenn also jemand den Wein und getrennt davon den Gebrauch des Weines verkaufen würde, so würde er ein und dieselbe Sache zweimal oder etwas verkaufen, das nicht vorhanden ist, und dadurch würde er sich eines Unrechtes schuldig machen. In gleicher Weise begeht aber auch derjenige ein Unrecht, der auf Grund des Titels eines Gelddarlehens als solchen eine Entschädigung verlangt; denn einerseits fordert er das geliehene Geld zurück, anderseits aber dazu noch den Gebrauch des Geldes. Da aber das Geld und der Gebrauch des Geldes zusammenfallen, so fordert er, wenn er zum Geld noch den Gebrauch des Geldes verlangt, zweimal das gleiche oder weil der Gebrauch des Geldes vom Gelde sich nicht trennen läßt, etwas, was nicht vorhanden ist.
Beweis zu 2. Obschon auf Grund des Gelddarlehens als solchen keine Entschädigung oder kein Zins im eigentlichen Sinne gefordert werden darf, so ist es doch erlaubt, auf gewisse Rechtstitel hin, die außer dem Gelddarlehen liegen, eine Entschädigung, das Interesse oder Zins im uneigentlichen Sinn zu fordern. Zu diesen Titeln werden heute folgende gerechnet:
a) Das Lucrum cessans. Es kann nämlich dem Darleiher durch die Übertragung der geliehenen Geldsumme an den Entlehner ein Gewinn entgehen; er könnte mit dem Gelde eine Sache kaufen, die von selbst Früchte trägt; diese Früchte muß er nun entbehren. In diesem Falle ist er, wenn ihm wirklich ein Gewinn entgeht, berechtigt, eine entsprechende Entschädigung zu verlangen.
b) Das Damnum emergens. Es kann dem Darleiher durch die Übertragung des geliehenen Geldes ein Schaden erwachsen, weil er zur Zeit, da er das Geld ausgeliehen hat, zufällig ein Gut wohlfeil erwerben könnte, während er dieses nach der Rückzahlung des Geldes voraussichtlich teuer erstehen muß. Auch in diesem Falle ist er zur Forderung einer entsprechenden Entschädigung berechtigt.
c) Das Periculum sortis. Besonders in der heutigen unsicheren Zeit setzt sich der Darleiher der Gefahr aus, das geliehene Geld nicht mehr zurückzuerhalten. Im Hinblick auf dieses Risiko hat der Darleiher das Recht, sich einen Ersatz für den eventuellen Verlust zu sichern.
d) Die Poena conventionalis. Wenn der Darleiher den Entlehner vertraglich verpflichtet hat, das geliehene Geld zu einer bestimmten Zeit zurückzuzahlen und dieser an die Abmachung sich nicht hält, so ist der Darleiher berechtigt, zu fordern, daß der Entlehner die Konventionalstrafe zahle.
e) Das Bonum commune. Der Darleiher, der im Darlehen Geld hergibt, ermöglicht in vielen Fällen den häufigeren Abschluß von Handelsgeschäften und trägt dadurch zur Förderung des Allgemeinwohls bei; daher hat er das Recht auf eine Belohnung für seine an die Allgemeinheit geleisteten Dienste.
Einwände gegen die aufgestellte These. Um die Ansicht zu rechtfertigen, daß es erlaubt sei, beim Gelddarlehen eine Entschädigung anzunehmen, wenn auch die äußern Titel nicht vorhanden sind, oder Zins im eigentlicen Sinne zu fordern, werden u. a. folgende Gründe angeführt:
1. Eine Belohnung zu fordern für etwas, wozu man keine Verpflichtung hat, ist nichts Schlechtes. Nun aber ist der Mensch nicht verpflichtet dem Nebenmenschen Geld zu leihen. Wenn er es aber doch macht, so darf er dafür eine Entschädigung fordern. Antwort: Es wäre in diesem Falle erlaubt, eine Entschädigung zu fordern, wenn es nicht gegen die Gerechtigkeit wäre. Nun aber ist es gegen die ausgleichende Gerechtigkeit, sich für nichts oder sich zweimal bezahlen zu lassen.
2. Das Geld ist heutzutage eine gewinnbringende Sache; denn es kann heutzutage jeder leicht mit Geld einen Gewinn erzielen. Wer aber eine gewinnbringende Sache einem andern für einige Zeit überläßt und dafür eine Entschädigung fordert, verletzt damit die Gerechtigkeit nicht. Also ist es heutzutage erlaubt, für das Gelddarlehen zins zu fordern. Antwort: Das Geld trägt als solches oder aus sich auch heute keine Früchte, es sei denn, daß menschlicher Fleiß dazu kommt. Derjenige, der einem andern Geld gibt, auf daß dieser damit einen Gewinn erziele, hat allerdings einen Anspruch oder ein Recht auf einen Teil des Gewinns, wenn unter den beiden nicht ein Darlehens-, sondern ein Geschäfts- oder Handelsvertrag abgeschlossen wird.
3. Die Staatsgesetze erlauben heutzutage das Zinsnehmen. Antwort: Wenn die Staatsgesetze für ein Gelddarlehen Zins im eigentlichen Sinne des Wortes oder eine Entschädigung auf Grund des Darlehens als solchen erlauben würden, so wären sie ungerecht.
Wenn die Kirche in Can. 1543 ihres Gesetzbuches bestimmt, daß auf Grund des Darlehensvertrages als solchen kein Zins gefordert werden dürfe, daß aber nichts im Wege stehe, den gesetzlichen Zins zu vereinbaren, falls dieser nicht übermäßig hoch ist, so hat sie ihre Prinzipien damit nicht preisgegeben, sondern offenbar in Rücksicht auf da gewöhnliche Vorhandensein der äußern Titel eine Entschädigung für das Gelddarlehen erlaubt.

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[1] S. th. II, II, qu. 78. a. 1.
[/quote]

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Und eines noch:

Was für eine Not soll das eigentlich sein, unter der das prinzipiell unerlaubte Nehmen eines verzinsten Darlehens doch erlaubt ist? Gibt es so etwas überhaupt? Wenn nicht, erscheint doch ein Verweis darauf eher sinnlos ...

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Marion
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Marion »

Thomas_de_Austria hat geschrieben: Und eines noch:

Was für eine Not soll das eigentlich sein, unter der das prinzipiell unerlaubte Nehmen eines verzinsten Darlehens doch erlaubt ist? Gibt es so etwas überhaupt?
Sowas wahrscheinlich: Zahltag gibt es erst in 14 Tagen und das Kind hat Hunger. Solcherlei gibt es auf jeden Fall und nicht zu selten.
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Ja, echte Notlagen an sich gibt es schon öfters, das ist ja nicht die Frage, aber Notlagen in denen man alternativlos, sozusagen, nur noch die Möglichkeit hat, durch ein verzinstes Darlehen zu überleben, erscheinen mir schon wesentlich weniger häufig der Fall zu sein …

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Peregrin
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Peregrin »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:[quote="P. Bernard Kälin OSB, "Ethik", S. 195-198"]
Beweis zu 1. Es ist, wie Thomas von Aquin[1] betont, ungerecht und daher unerlaubt, etwas, das nicht vorhanden ist oder ein und dieselbe Sache zweimal zu verkaufen. Auf Grund des Gelddarlehens als solchen für das geliehene Geld eine Entschädigung verlangen, heißt aber soviel, als ein und dieselbe Sache zweimal oder etwas verkaufen, das nicht vorhanden ist. Also ist es nicht erlaubt, für das geliehene Geld auf Grund des Darlehens als solchen eine Entschädigung zu verlangen.
Der Obersatz ist gewiß und wird von niemanden bezweifelt.
[/quote]

Doch, von mir, nämlich die Anwendbarkeit auf Darlehen. Wie ich an anderer Stelle bereits ausgeführt habe, kann man ein Darlehen als Verkauf einer Aussicht auf Rückzahlung zu einem zukünftigen Zeitpunkt betrachten (als "Option" im Sinn der Optionentheorie). Diese Aussicht ist natürlich vorhanden, kann daher auch verkauft werden. Ex falso quodlibet.
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Sempre
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Re: Finanzmärkte - Finanzkrise - Zentralbanken

Beitrag von Sempre »

Raphael hat geschrieben:Zum Zweiten paßt das Beispiel nicht als "Vorlage" für einen verzinslichen Darlehensvertrag, weil man gemeinhin nicht gezwungenermaßen in eine Bank geht, um einen Kreditvertrag abzuschließen.
Das Beispiel ist auch gar nicht als "Vorlage" für einen verzinslichen Darlehensvertrag gedacht. Es soll lediglich demonstrieren, dass es zwar normalerweise nicht erlaubt ist, einem Übeltäter seine Übeltat überhaupt zu ermöglichen, es aber Notsituationen geben kann, in denen das trotzdem zulässig ist, um Schlimmeres zu vermeiden.
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

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Sempre
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Re: Zinsverbot

Beitrag von Sempre »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:Das Beispiel, das Thomas anführt, um zu zeigen, was er mit necessitas meint, widerlegt Deine Übersetzungskünste.
Mein Lieber, erstens ist dies, wie mehrfach gezeigt, ganz unerheblich für die Argumente ad 1 & 2 [...]
Du hast nicht mal einmal gezeigt, sondern lediglich wiederholt behauptet. Man kann aber in der Summa nicht die Antworten zu den Einwänden im Widerspruch zum eigentlichen Kommentar interpretieren bzw. übersetzen.

Robert Ketelhohn hat geschrieben:[...] und zweitens bringt Thomas seine Beispiele nicht als Beispiele für Notlagen, sondern weshalb uti .. peccato alterius ad bonum licitum sei (weshalb es erlaubt sei, sich der Sünde eines andern zum Guten zu bedienen).
Das sagt er zwar, er sagt aber auch, dass ein Wucherkreditnehmer sich ja eben gerade nicht einer bereits begangenen Sünde bedient, sondern eine noch nicht begangene Sünde erst möglich macht.
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

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