Alex hat geschrieben:»… aber aus den Erfahrungen einer Kollegin bzw. ihrer Verwandtenkreises war ganz klar, dass eine solche kirchliche Feier bei den Verwandten und Freunden des Paares eben nicht anders als wie eine schlichte Hochzeit angekommen ist«
Das ist der Knackpunkt. Ich erinnere an Geronimos obiges Zitat aus entsprechenden Anweisungen für solche Feiern. Da wird zwar formal im Sinne der kirchlichen Lehre bestimmt, daß kein falscher Eindruck erweckt werden dürfe, daß keine Segnung der Verbindung, sondern bloß privates Gebet für die einzelnen Partner erlaubt sei – doch sobald man eine öffentliche Feier daraus macht, sind diese schönen Worte schon konterkariert, und es entsteht – wie bei Geronimo selbst – der Eindruck einer kirchlichen Segnung von „Zweitehen“.
Ich möchte aber noch einmal auf meine obige Andeutung zurückkommen, daß die Problematik auch vom geltenden Kirchenrecht mitverursacht wird. Zwar ist richtig, daß die Ehe ebenso Sakrament wie auch Vertrag ist. Nun wirkt sich aber die Verrechtlichung in einer Weise auf die Frage nach dem Sakrament aus, die der Sache und dem Wohl der Gläubigen nicht unbedingt immer dienlich ist.
Zunächst eine allgemeine Frage: Wie steht es generell um die Gültigkeit der Sakramente? Was etwa, wenn fraglich wird, ob einer gültig getauft ist? – Er wird
bedingungsweise neu getauft (
sub condicione – unter der Bedingung nur soll es eine Taufe sein, daß er noch nicht getauft ist). Ähnlich auch mit der Weihe.
Was nun aber, wenn wirklich einer nicht gültig getauft ist, es jedoch niemand bemerkt, nicht einmal er selbst es ahnt? Ist er dann verloren? – Das wird keiner ernsthaft erwägen. Aber wie das Problem formal lösen, wie erklären, daß er dennoch gerettet werden kann? – Man könnte an eine Anwendung des eher kirchenrechtlichen Prinzips
Ecclesia supplet denken. Näher liegt aber noch der Gedanke an die Begierdtaufe.
Dasselbe ließe sich vielleicht analog auf die Ehe übertragen. Denn wenn eine Ehe objektiv ungültig ist, es jedoch niemand bemerkt, weil kein Kläger da ist und sogar das Paar selbst ohne irgendeinen Gedanken, seine Ehe sei womöglich gar keine, bis ans Ende seiner Tage lebt, wer wollte sie da beim Letzten Gericht des Unzucht bezichtigen?
Wenn sie nun aber umgekehrt subjektiv von der Ungültigkeit einer ersten Verbindung überzeugt sind, und sogar zu Recht, es dafür jedoch keine objektiven Beweise gibt, dann sind sie durch das kanonische Verfahren dennoch in jedem Fall an einer neuerlichen kirchlichen Eheschließung gehindert. Infolge der kirchlichen Formvorschrift wird nun aber jede zivil geschlossene Ehe unter Gläubigen von vornherein als nichtig angesehen, die so entstandene Verbindung als Konkubinat.
Die Formvorschrift ist jedoch nur kirchlichen Rechts, nicht aber vom Wesen des Ehesakraments verlangt. Es wäre denkbar, sie zu lockern. Das würde dem, der in der subjektiven Überzeugung, seine erste Ehe sei nichtig gewesen, zivil eine neue geschlossen hat, ermöglichen, sich ehrlichen Gewissens für christlich verheiratet anzusehen, in gewisser (begrenzter) Analogie zur Begierdtaufe. Oder jemand könnte, weil er von der Nichtigkeit seiner ersten Ehe überzeugt ist, unter Berufung auf das
Ecclesia supplet zivil heiraten.
Allerdings könnte eine solche Lösung – nun kommt der Pferdefuß – zu reinem Subjektivismus führen. Dem Mißbrauch wären schnell Tür und Tor geöffnet. Darum will ich die eben vorgetragenen Erwägungen keineswegs propagieren. Aber vielleicht muß man sie bei der Betrachtung des Einzelfalles in der Seelsorge im Hinterkopf behalten. Auch die Praxis der Orthodoxen könnte man bedenken, anstelle einer „Feier“ einer zweiten Eheschließung eher Formen der Buße aufzuerlegen, nicht zuletzt zum Beleg der Aufrichtigkeit der vorgetragenen Gewissensgründe. (Die orthodoxe Berufung auf Mt 19,9 dagegen steht auf sehr unsicherem Boden, erst recht die extensive Auslegung des Ehebruchsbegriffs).
Jedenfalls müssen wir uns bewußt sein, daß nicht alles mit absoluter Gewißheit erkannt und entschieden werden kann; ebenso muß aber jeder Eindruck vermieden werden, die Unscheidbarkeit der Ehe werde irgendwie aufgeweicht.
Vor allem aber bedarf es einer erneuertem Ehekatechese. Da liegt nämlich der gewaltigste Hase im Pfeffer. Es sollte möglichst niemals soweit kommen, daß eine Ehe geschieden wird, oder daß man nach erfolgter Trennung über ihre Nichtigkeit nachdenken muß. Wie viele stehlen sich heute aus der Verantwortung, kaum daß Schwierigkeiten auftauchen! Beisammenbleiben in schlechten Tagen, schlechten Jahren und sogar Jahrzehnten. Genau das ist nämlich nicht das Schlechteste, im Gegenteil.