Stephen Dedalus hat geschrieben:Ebenso halte ich es für falsch, Päpste der Vergangenheit als "schwul" zu bezeichnen. "Schwul" gab es damals noch nicht, es ist ein modernes Konzept der Beschreibung sexueller Identität, das nicht rückwirkend anwendbar ist.
Daran ist jedenfalls soviel richtig, als "schwul" ja heute ein Konzept von - du sagst es - "sexueller Identität" bezeichnet, das sich vom natürlichen Geschlecht gelöst hat. Dadurch erst gewinnt dieses Konzept seine ganz wesentliche Qualität der Schuldbefreiung: Wer "schwul" ist, vestößt nicht wie der Sodomit unseligen Angedenkens gegen göttliches und natürliches Recht, sondern bedient sich in freier Selbstbestimmung der Optionen, die dem Menschen in der aufgeklärten Gesellschaft zur Verfügung stehen.
Ganz klar: In dem Sinne war nie ein Papst schwul und wird auch nie ein Papst schwul sein können. Gleichzeitig wird erkennbar, warum die Kirche das "Schwulentum" kritischer sieht bzw. schärfer verurteilt als die Sünde gegen das 6. Gebot von Männern, die es mit Männern treiben: Die Sünde gegen das 6. Gebot verstößt gegen die Nummer 6 in der Rangliste - das Bekenntnis zum Schwulentum - selbst wenn es gar nicht praktisch ausgelebt würde - enthält eine frontale Attacke auf die natürliche und göttliche Ordnung der Welt und muß auch als Verstoß gegen das 1. Gebot gewertet werden. Es enthält eine Souveränitätserklärung des "aufgeklärten modernen Menschen" gegenüber Gott, die verdächtig nach dem altbekannten "non serviam" klingt. (Das klang auch beim Treiben der Männer von Sodom an, die ihre Lust an den Gästen des Hauses wie ein "natürliches Recht" einforderten).
Sich soweit zu versteigen wäre wahrscheinlich den sittenlosesten Prälaten des Barock nicht eingefallen. Nicht eingefallen ist es offensichtlich dem Maler Caravaggio, der zwar kein Prälat, aber dafür besonders sittenlos war, und das in einigen seiner Bilder, am deutlichsten wohl im "Narziss", auch zum Ausdruck brachte.