Türken machen Bartholomaios Ärger

Ostkirchliche Themen.
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Steffen
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Türken machen Bartholomaios Ärger

Beitrag von Steffen »

Das türkische Höchstgericht hat dem spirituellen Führer der orthodoxen Christen, Patriarch Bartholomaios von Istanbul, verboten, den Titel „ökumenisch” zu gebrauchen. Gemäß dem Urteil untersteht das Patriarchat vollständig den türkischen Gesetzen und ist nicht dazu berechtigt, einen universalen Titel zu tragen, schreibt die „Neue Zürcher Zeitung”. Das Patriarchat sei eine Institution einer religiösen Minderheit in der Türkei. Der Titel „ökumenisch” in Bezug auf das Patriarchat hat in Ankara immer wieder für Unbehagen gesorgt. Die Regierung sah in der Führung der griechisch-orthodoxen Kirche ein trojanisches Pferd Griechenlands. Nationalistische und fundamentalistische Kreise hingegen fürchteten, „internationale dunkle Kräfte” wollten das Patriarchat in eine vatikanähnliche Zentralstelle der Orthodoxie in Istanbul verwandeln. (kipa)

Henry44
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Beitrag von Henry44 »

Wieder ein Beleg dafür, dass die Türkei noch lange nicht EU-reif ist.

Ein Land, in dem z.B. die Beleidigung des Türkentums mit Gefängnis bestraft wird, ist keine Demokratie im westlichen Sinn.

Henry44
Und wenn ich auch wandere durchs finstere Tal, so fürcht ich kein Unglück, denn du, Herr, bist bei mir.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Henry44 hat geschrieben:Ein Land, in dem z.B. die Beleidigung des Türkentums mit Gefängnis bestraft wird, ist keine Demokratie im westlichen Sinn.
Doch. Genau in diesem Sinne. Auch bei uns wird mit Gefängnis bestraft, wer die ideologischen Grundlagen des Staats hinterfragt.
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sofaklecks
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Sicher nicht

Beitrag von sofaklecks »

Sicher nicht, Robert.

Die ideologischen Grundlagen des Staates hinterfragen darf man. Die Frage ist nur, welche Handlungen man darunter subsumiert.

sofaklecks

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Sicher gibt es Abstufungen. Das echte und wirkliche crimen læsæ majestatis wird aber unweigerlich entsprechend bestraft.
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Stephen Dedalus
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Beitrag von Stephen Dedalus »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Sicher gibt es Abstufungen. Das echte und wirkliche crimen læsæ majestatis wird aber unweigerlich entsprechend bestraft.

Und wer ist in Deutschland Deiner Ansicht nach die maiestas?
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

(Das ist ja tabu. Aber wir kommen vom Thema ab.)
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John Grantham
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Beitrag von John Grantham »

Es wäre interessant zu wissen, was die Erdogan-Regierung von der Sache hält. Hat sie Stellung dazu genommen?

Cheers,

John
Der Beweis, dass Gott einen Sinn für Humor hat: Er hat die Menschheit geschaffen.
[ Alt-Katholisch/Anglikanisch in Hannover ]

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Peregrin
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Re: Türken machen Bartholomaios Ärger

Beitrag von Peregrin »

Steffen hat geschrieben:Das türkische Höchstgericht hat dem spirituellen Führer der orthodoxen Christen, Patriarch Bartholomaios von Istanbul, verboten, den Titel „ökumenisch” zu gebrauchen. Gemäß dem Urteil untersteht das Patriarchat vollständig den türkischen Gesetzen und ist nicht dazu berechtigt, einen universalen Titel zu tragen, schreibt die „Neue Zürcher Zeitung”.
Endlich wieder ein humoristischer Beitrag nach dem ganzen Säbelgerassel. Haben sie ihm das "Konstantinopel" eigentlich auch schon verboten?
Ich bin der Kaiser und ich will Knödel.

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Nietenolaf
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Beitrag von Nietenolaf »

Ich frage mich gerade, ob das "türkische Höchstgericht" überhaupt eine Vorstellung davon hat, was "ökumenisch" bedeutet bzw. woraus es so messerscharf schließt, daß dies ein "universaler" (sic) Titel ist.

mitsch
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Beitrag von mitsch »

Liabe Lüt,

hier geht es doch nicht um Gesetze oder so etwas - hier geht es eindeutig um die Unterdrückung der Lehre Christie durch den Islam! Dieser beansprucht bei uns in Europa zwar die völlige Gleichstellung mit dem Christentum, läßt dieses in der Türkei selbst jedoch kriminalisieren!

Sind wir denn nicht Manns genug unseren Glauben zu verteidigen?

Mitsch :hmm:
wia dr Schreiner kaas keiner!

Flo77
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Beitrag von Flo77 »

Vielleicht kann mir hier ein Insider erklären, was in der Türkei wirklich los ist.

Zuerst dachte ich nur, daß das türkische Gericht einfach nur übergeschnappt ist.

Heute finde ich bei Kirchensite.de einen Artikel mit folgender Info:
Das Patriarchat unterstehe den türkischen Gesetzen, nach denen es keine rechtliche Grundlage für die Bezeichnung "ökumenisch" gebe, entschied das Gericht in einem Rechtsstreit zwischen dem Patriarchat und der bulgarisch-orthodoxen Kirche.
Was hat die bulgarisch-orthodoxe Kirche mit dem ganzen zu tun?

Außerdem habe ich in einem russisch-orthodoxen Forum das Statement gelesen, daß die russisch-orthodoxe Kirche den Titel "Ökumenischer Patriarch" gar nicht anerkennen würde.

Ist das so korrekt???
Viele Grüße

Flo

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ottaviani
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Beitrag von ottaviani »

laut radio vatikan ist seine seligkeit von der polizei vorgeladen worden
http://www.oecumene.radiovaticana.org/t ... p?c=151248

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Nietenolaf
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Beitrag von Nietenolaf »

Flo77 hat geschrieben:Was hat die bulgarisch-orthodoxe Kirche mit dem ganzen zu tun?
M.W. hat ein bulgarischer Priester Mann (?) in der Türkei irgendwas eingeklagt. (Er wird in den Nachrichten als "ehemaliger Anhänger der bulgarisch-orthodoxen Kirche" bezeichnet.)
Flo77 hat geschrieben:Außerdem habe ich in einem russisch-orthodoxen Forum das Statement gelesen, daß die russisch-orthodoxe Kirche den Titel "Ökumenischer Patriarch" gar nicht anerkennen würde.

Ist das so korrekt???
Nein.

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Edi
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Beitrag von Edi »

Nietenolaf hat geschrieben:
Flo77 hat geschrieben:Was hat die bulgarisch-orthodoxe Kirche mit dem ganzen zu tun?
M.W. hat ein bulgarischer Priester Mann (?) in der Türkei irgendwas eingeklagt. (Er wird in den Nachrichten als "ehemaliger Anhänger der bulgarisch-orthodoxen Kirche" bezeichnet.)
http://www.kipa-apic.ch/meldungen/sep_s ... hp?id=3835

Flo77
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Beitrag von Flo77 »

Edi hat geschrieben:
Nietenolaf hat geschrieben:
Flo77 hat geschrieben:Was hat die bulgarisch-orthodoxe Kirche mit dem ganzen zu tun?
M.W. hat ein bulgarischer Priester Mann (?) in der Türkei irgendwas eingeklagt. (Er wird in den Nachrichten als "ehemaliger Anhänger der bulgarisch-orthodoxen Kirche" bezeichnet.)
http://www.kipa-apic.ch/meldungen/sep_s ... hp?id=3835
Welcher Teufel hat den denn geritten?

Ich kenne mich im türkischen Recht nicht aus, aber mir erscheint es etwas seltsam aus diesem Ehrentitel eine Amtsanmaßung ableiten zu wollen. :hmm:
Viele Grüße

Flo

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Nietenolaf
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Beitrag von Nietenolaf »

Flo77 hat geschrieben:Ich kenne mich im türkischen Recht nicht aus, aber mir erscheint es etwas seltsam aus diesem Ehrentitel eine Amtsanmaßung ableiten zu wollen. :hmm:
Eben, und deswegen will ich nämlich meine Frage von letztens wiederholen, nämlich ob das "türkische Höchstgericht" überhaupt eine Vorstellung davon hat, was "ökumenisch" bedeutet bzw. woraus es schließt, daß dies ein "universaler" Titel ist. Auf diese Weise könnte das Gericht dem Patriarchen auch verbieten, sich "Patriarch" zu nennen oder einen Bart zu tragen, "Amen" zu sagen oder beim Gebet Kerzen zu entzünden. Es ist dies eine völlig unbegreifliche und unbefugte Einmischung der weltlichen Justiz in Fragen des Glaubens, von denen sie keinerlei Vorstellung haben. Mag der ökumenische Patriarch im Sinne der Osmanen auch noch so sehr der Ethnarch der Griechen sein, davon völlig unbetroffen ist die Tatsache, daß er das Oberhaupt einer Kirche ist, deren Vorsteher nun einmal - kirchenintern - den Titel "ökumenischer Patriarch" führt.

Flo77
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Beitrag von Flo77 »

Worauf hat sich denn eigentlich dieser "bulgarische Funktionär" berufen? Ist über dessen Motivation irgendwas bekannt?

Die ganze Geschichte erscheint so völlig absurd.
Viele Grüße

Flo

Flo77
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Beitrag von Flo77 »

So langsam kommt etwas Licht ins Dunkel:
„200 Meter von der Kathedrale des Patriarchen Bartholomaios I. entfernt, gibt es die alte bulgarische Kirche. Nun hat Bulgarien ein eigenes Patriarchat. In Istanbul ist aber nur ein einziger Pfarrer. Und dieser Pfarrer hat eben in der Heiligen Liturgie seinen bulgarischen Bischof erwähnt und nicht den Patriarchen – also sozusagen den Ortsbischof – der 200 Meter neben ihm wohnt. Daraufhin hat Bartholomaios ihn exkommuniziert. Danach sind die Spannungen entstanden. Man kann sich nun gut vorstellen, dass eben von der Seite gesagt wird: ´Bartholomaios, du bist der Patriarch der Griechen. Wir sind Bulgaren, so lass uns zufrieden. Wir beten für unseren eigenen Patriarchen.“
radio vatikan

Untersteht ein orthodoxer Priester immer der Jurisdiktion seines Heimatpatriarchen?

Ich dachte die Orthodoxie legt soviel Wert auf das Territorialprinzip.
Viele Grüße

Flo

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Außer (übergangsweise, sag’ich mal) in der Diaspora.

Aber Constantinopel wird man kaum als Diaspora bezeichnen
dürfen. Weswegen Bartholomæus hier wohl klar im Recht ist.
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Walter
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Beitrag von Walter »

Flo77 hat geschrieben:So langsam kommt etwas Licht ins Dunkel:
„200 Meter von der Kathedrale des Patriarchen Bartholomaios I. entfernt, gibt es die alte bulgarische Kirche. Nun hat Bulgarien ein eigenes Patriarchat. In Istanbul ist aber nur ein einziger Pfarrer. Und dieser Pfarrer hat eben in der Heiligen Liturgie seinen bulgarischen Bischof erwähnt und nicht den Patriarchen – also sozusagen den Ortsbischof – der 200 Meter neben ihm wohnt. Daraufhin hat Bartholomaios ihn exkommuniziert. Danach sind die Spannungen entstanden...“
Die "Neuigkeit" ist allerdings schon über fünf Jahre alt. Im Jahre 2002 verklagte dieser bulgarische Priester mit Namen Kostantin Kostov den Ökumenischen Patriarchen deswegen (nicht wegen dessen Titel!) vor einem türkischen Gericht. Der eigentliche Prozess wurde zwar kurz darauf wieder eingestellt, weil sich das Gericht für Exkommunikationen und Liturgiesprachen nicht zuständig fühlte. Er wurde aber von der türkischen Staatsanwaltschaft zum Anlass genommen, sich genauer mit dem rechtlichen Status des Ökumenischen Patriarchen zu beschäftigen.

Im Jahre 2004 schon wurde daraufhin dem Patriarchen von Konstantinopel verboten, den Titel "Ökumenischen Patriarch" weiterhin zu führen, weil er dem türkischen Religionsministerium unterstehe, das ihm keine Jurisdiktion außerhalb des türkischen Staates zubilligt (das gilt übrigens auch für islamische Imame etc.: der laizistische Staat steht über allen religiösen Instanzen und kann deshalb z.B. auch ein Kopftuchverbot für Moslems verhängen).

Im Juni 2007 würde das 2004 gefällte Urteil nur noch einmal vom Höchstgericht bestätigt und somit unanfechtbar. Da der Patriarch den Titel bislang nicht abgelegt hat, wurde er vor wenigen Tagen zum Verhör eingestellt und ihm eine Haftstrafe angedroht.

M.E. will die Türkei langfristig erreichen, dass der Patriarch ganz aus der Türkei z.B. nach Thessaloniki übersiedelt. Das Amt darf sowieso nur ein gebürtiger Türke übernehmen und die Priesterausbildung in der Türkei ist seit Jahrzehnten verboten. Momentan kämen für den 67-jährigen Bartholomaios somit nur noch sehr wenige Nachfolgekandidaten in Frage, bald wohl keine mehr, die von der Türkei geduldet würden.

Hat der Patriarch Konstantinopel aber erst einmal verlassen, muss die Türkei wohl nicht mehr befürchten, die Hagia Sophia (heute Museum) könnte noch einmal zur Patriarchatskirche gemacht werden. Eine "friedliches" Aussterben des angestammten Christentums im Lande wäre der Türkei auch lieber als durch islamistische Anschläge, die das Image des modernen, laizistischen Staates verletzen könnten.

PS: Dass die russisch-orthodoxe Kirche den Titel "Ökumenischer Patriachat" nicht anerkennen soll, ist wie schon geschrieben absoluter Unsinn. Der Titel ist wesentlich älter als die russische Kirche selbst. Es geht bei den Meinungsverschiedenheiten zwischen Konstantinopel und Moskau statt dessen um die mit dem Ehrenvorsitz verbundenen Privilegien in gesamtorthodoxen Angelegenheiten und der pastoralen Betreuung von Diasporagebieten.
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