Henry Krause hat geschrieben:Eine Reaktion auf die Folgen der Litur-giereform nach dem II. Vaticanum ist der Wunsch mancher Katholiken, wieder im alten tridentinischen Ritus Gottes-dienste zu feiern. Der Papst hat dies mit dem Apostolischen Schreiben Ecclesia dei vom Juli 1988 zugestanden, und inzwischen ist die vorkonziliare römische Liturgie wieder in vielen Diözesen an ausgewählten Orten zugelassen. Die Feier dieses Ritus erfordert die Geneh-migung des Ortsbischofs, die meist nur widerstrebend erteilt wird.
Bei den Gläubigen, die diesen Ritus bevorzugen, egal ob sie ihn noch in ihrer Kindheit erlebten oder ihn erst später kennengelernt haben, lassen sich im wesentlichen zwei Motive unterschei-den: Die einen haben grundsätzliche Probleme mit dem neuen Ritus. Sie empfinden ihn als Bruch in der Überlie-ferung; statt in der Praxis gewachsen, an Schreibtischen entworfen und durch eine kirchliche Bürokratie durchgesetzt. Andere fühlen sich von der Art und Weise abgestoßen, wie der neue Ritus vieler-orts gefeiert wird, können seine Belie-bigkeit, wie auch die Verdrängung der liturgischen Sprachen und der Gregoria-nik aus der Liturgie nicht akzeptieren. Martin Mosebach läßt beide Motive erkennen. Der Titel seines Buches
Martin Mosebach, Häresie der Form-losigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind. Karolinger Verlag, Wien 2002, 157 S. 15.- €.
läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und erinnert an die prägnanten Formulierungen von Carl Schmitt. Die Texte des Buches sind dennoch keine juristischen oder scholastischen Überle-gungen. Mosebach erhebt auch nicht „den Anspruch theologischer Deutung, es ist die Betrachtung Christi und seiner Werke aus einer bestimmten Lebenser-fahrung heraus“. Neben der inhaltlichen Argumentation macht vor allem die Form, die Sprache, das Buch zu einem Lesegenuß – denn Martin Mosebach ist Schriftsteller. Der Inhalt der meist schon andernorts publizierten Texte ist die katholische Liturgie, deren Reform nach dem II. Vaticanum in Anspruch und Wirklichkeit für ihn weit hinter dem vorkonziliaren Ritus zurückbleibt. „Wir haben mit sprachlosem Entsetzen gese-hen, daß die oberste katholische Autori-tät die ganze Macht, die ihrem Amt in Jahrtausenden zugewachsen ist, dazu verwandt hat, die Gestalt der Kirche, die Liturgie auszulöschen und etwas anderes an ihre Stelle zu setzen.“
Zweifellos empfiehlt sich der Frankfur-ter Schriftsteller mit solchen Sätzen nicht als Vortragsredner in Katholischen Akademien oder auf Priesterkonferen-zen. Dennoch könnten seine Betrach-tungen näher an Romano Guardinis „Geist der Liturgie“ liegen als manche Priester oder Laien, die sich im ver-meintlichen „Geiste des Konzils“ um die „Verständlichkeit“ ihrer Gottesdienste sorgen und deshalb die Liturgie mit belehrenden und unterhaltenden Elementen verunstalten. Die Lektüre von Guardinis Schriften und ihr Vergleich mit der heutigen liturgischen Praxis legt nahe, daß die Anliegen der Liturgiebe-wegung der ersten Hälfte des 20. Jahr-hunderts nur bedingt Früchte getragen haben. Guardinis Anliegen liturgischer Bildung dürfte inzwischen noch drin-gender sein als zu seiner Zeit; doch „die Aussichten auf ein liturgisches Christen-tum sind schlecht. Das Zukunftsmodell der christlichen Religion scheint, von heute aus betrachtet, die nordamerikani-sche Sekte zu sein, das schrecklichste Gesicht, das die Religion auf der Welt angenommen hat.“
Mosebach lehnt die Liturgiereform prinzipiell ab und bezeichnet sie als Iko-noklasmus. Er beruft sich auf Basilius den Großen, der die Liturgie wie die Heilige Schrift als Offenbarung verstand, die deshalb nicht angetastet wer-den dürften. Zwar habe sich die Liturgie im Laufe der Jahrhunderte verändert und weiter entwickelt, doch „diese Änderun-gen geschahen organisch, unbewußt, unbeabsichtigt, ohne theologisches Kon-zept, sie wuchsen aus der kultischen Praxis hervor, wie sich eine Landschaft durch Wind und Wasser in Jahrtausen-den umformt“. Die Liturgiereform habe dagegen zu einer „grundsätzlichen Be-schädigung der Brücke des Menschen zu Gott“ geführt. Sprachlicher und musika-lischer Kitsch, der Kitsch in Malerei und Architektur hätten das Erscheinungsbild der öffentlichen Akte der Kirche voll-kommen überflutet. „Das Modell der neuen Liturgie ist der Vorstandstisch bei einer Partei- oder Vereinsversammlung mit Mikrophon und Papieren, links steht eine Ikebana-Schale ...“
Der Autor verfolgt mit der Publikation seiner Texte kein missionarisches An-liegen; entstanden ist vielmehr ein Buch der Trauer und des Verlustes. Vermut-lich empfindet eine nennenswerte Min-derheit der Katholiken heute diesen Verlust ähnlich; viele werden ihn nicht artikulieren, einige bleiben ganz weg. Man-che der im kirchennahen Bereich Täti-gen lesen dieses „Kultbuch“ (Christian Geyer am 19. April in der FAZ) „heim-lich“, stimmen dem Autor zu oder schüt-teln über „diesen Unsinn“ den Kopf. Einen offenen Dialog über diese The-men gibt es in der katholischen Kirche zur Zeit nicht: „Es scheint so, als lebten in der Kirche inzwischen zwei verschie-dene Menschentypen, die sich nicht mehr miteinander verständigen können, auch wenn beide guten Willens wären.“
Die Einwände der Reformer gegen seine Position kennt und nennt der Autor. Zum Beispiel den Vorwurf des Ästheti-zismus, der den Liebhabern feierlicher Messen oder den Kritikern mancher Exponate moderner Kunst in Kirchen ent-gegengehalten wird. An vielen Stellen geht er auf diese Einwände ein und versucht sie zu entkräften, freilich ohne Hoffnung, etwas zu bewirken. Resig-niert bezeichnet er sich deshalb als „Steinzeitmenschen“, dem es nicht gelinge, intellektuelle Einsichten mit „tief im Physischen wurzelnden Grundüber-zeugungen in Übereinstimmung zu bringen“.
Was erwartet nun dieser Steinzeit-mensch, wenn er eine Kirche zum Got-tesdienst betritt? „Ich will in der Heili-gen Messe das Glück eines Mannes aus dem neuen Testament finden, der am Wegrand sitzt und Christus vorüberge-hen sieht.“ Ob diese Glückserfahrung ausschließlich im alten oder im neuen Ritus möglich ist oder in beiden, mag jeder anhand seiner Erfahrungen selbst beurteilen; daß sie ein Erkennungsmerkmal einer tatsächlichen „göttlichen Li-turgie“ ist, muß dem Autor zugestanden werden.
http://www.die-neue-ordnung.de/Nr52003/ ... ungen.html
Hat jemand von Euch das Buch von Mosebach schon gelesen?