Trisagion hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 12:19
Du solltest in der Tat mal in der Realität ankommen. Du glaubst alles und jedes was gegen den Westen spricht, egal wer da was sagt - Hauptsache es ist negativ; aber den Agitprop aus Russland schluckst Du ganz unbesehen. Und wenn Russland sagt, daß es 700.000 oder 1 Millionen einsatzfähige Soldaten hat, dann sind die selbstverständlich alle hervorragend ausgerüstet, trainiert, erfahren und marschbereit...
Halt. Bitte nicht Dinge unterstellen, die ich nie schrieb. Die Diskussion zur tatsächlichen Größe der russischen Armee habe ich nicht begonnen und habe dazu auch nichts geschrieben. Da habe ich keine verlässlichen Angaben irgendwo gefunden und ich glaube es ist sehr schwer, eine realistische Einschätzung zu finden, ehe diese Armee in den breiten Einsatz kommt (hoffentlich nie!).
Denkbar, dass die russische Armee in der Breite viel schlechter ausgerüstet ist. Darauf deutet aber wenig hin. Es gibt aber Indikatoren, dass Russland sich im letzten Jahrzehnt auf diesen Konflikt vorbeitete und stark aufrüstete, d.h. über viel Kriegsmaterial für seine Armee, auch in der Breite, verfügt. In der "Verteidigungsindustrie" blickt man da in der Regel nicht auf Daten wie Bruttosozialprodukt oder Rüstungsausgaben. Man richtet sich z.B. danach, wie hoch Produktion & Nachfrage nach entsprechenden Ressourcen sind. Also z.B. Aluminum (u.a. Flugzeuge), Stahl (Panzer, Schiffe usw.) Hab ich mir sagen lassen, habe keine eigenen Erfahrungen und werde dort auch sicher nie arbeiten. Jemand mit entsprechender Erfahrung darf mich also gern korrigieren.
Und naja, ehrlich, dir als Physiker muss ich jetzt nicht die km und die durchschnittliche Geschwindigkeit von Transportmitteln wie Eisenbahn, Boot usw. vorrechnen!? Da käme ich mir blöd vor. Ich glaube, wir können spontan 10 Leute von der Straße holen und vor einen Globus gestellt fragen, von wem sie glauben, dass sie schneller Kriegsmaterial an eine mögliche Front in Polen bringen - Russland oder USA. Ich habe Vertrauen in meine Mitbürger, dass das Ergebnis recht eindeutig ausfallen dürfte ...
Meine Links in diesem Thread sind meines Wissens alle keine "russische Propaganda" bzw. aus deren Quelle (NYT ein Kreml-Outlet?) aber sie beinhalten sicher nicht das, was die offizielle westliche Propaganda vermitteln will. Insofern verstehe ich deine Anschuldigung bzgl. unkritischem Konsum russischer Propaganda eher als Anschuldigung "
nicht der offiziellen Version der Eliten zu folgen".
Damit kann ich ganz gut leben und nehme für mich in Anspruch, auch künftig mehrere Seiten zu hören und mir daraus eine Meinung zu bilden. Die russischen Medien lagen übrigens in den vergangenen Monaten erstaunlich oft richtig, auch weil sie meist mit Leuten
direkt vor Ort sind im Gegensatz zu westlichen Kollegen. Momentan hat m.W. keine einzige westliche Redaktion noch Leute im Donbass. Probiers auch mal aus.
Du schriebst davon, Russland führe einen "Angriffskrieg", was das offizielle und unsanktionierte Wort dafür im Westen zu sein scheint. Die Frage juckt mich jetzt schon: Ohne damit den Ukraine-Konflikt legitimieren zu wollen, aber was führte der Westen eigentlich im Irak, Afghanistan, Syrien, Libyen, Vietnam usw.?
Was führte z.B. ein Aserbaidschan, protegiert vom NATO-Mitglied Türkei, als es 2020 Armenien / Berg-Karabach angriff um sich - unter Schweigen des Westens - das Territorium einzuverleiben?
Wenn Baku als muslimische "Familiendiktatur" nicht genau das verkörpert, gegen das der Westen angeblich sein will, weiß ich es auch nicht. Trotzdem schwiegen weitgehend alle, leider inklusive unserer Kirche, zur Zerstörung und Schändung teils über Tausend Jahre alter Kirchen und der Vertreibung christlicher Armenier.
Wir leben in moralisierenden Zeiten und gerade wenn ich selbst den täglichen Gang zum Klo im Westen zur moralischen Prüfung stilisiere, muss ich dem auch selbst entsprechen. Ein afrikanischer Freund meinte kürzlich, die westliche "rule-based order" sei nur für den Rest der Welt "rule-based", für den Westen gelte immer ein anderes "rule-set", je nach Situation angepasst.
So ganz unrecht hat er damit nicht, oder doch @Trisagion?
Trisagion hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 12:19
Selbst Putin hat ja jetzt offenbar das Abdrosseln der Hochtechnologie aus dem Westen beklagt:
hier.
Ja, Russland hat unzweifelhaft Probleme in einigen Sektoren (z.B. Mikroelektronik) während man in anderen Sektoren vorne mit dabei ist. Es wird spannend zu beobachten, ob und wie man dies in den kommenden Jahren beheben will. Ich vermute, dass es schwer werden wird.
Trisagion hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 12:19
Aber wichtiger, hier träumt niemand von der "Zerstückelung und Unterwerfung Russlands", das ist auch wieder russischer Agitprop um zuhause 2. Weltkrieg Emotionen abzugreifen. Vielleicht träumen die "beschränkten Eliten" im Westen davon Russland militärisch einzuzäunen.
Das soll sogar genau in dieser Form ein Tagesordnungspunkt des NATO-Summit in Madrid am 28.,29. und 30 Juni gewesen sein. Als perfektes Endspiel des Westens. Die Ukraine verkündete das auch mehrmals öffentlich als Kriegsziel, gern nachlesen. Einen Vielvölkerstaat anhand nationaler Grenzen zu trennen ist jetzt auch nicht der Gipfel der Kreativität, oder? Wie war das noch mit "Divide and Conquer" ?
Trisagion hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 12:19
Nebenbemerkung: ich bin durchaus ein Freund der Idee einer deutsch-russischen Allianz mit der EU und "Euro-NATO" als Vasallen um so die USA als Weltmacht abzulösen. Nur wäre da eben absolut nötig, daß sich Russland endlich aus dem Zarentum befreit und von einer halbwegs stabilen Demokratie regiert wird und eine halbwegs zivile Gesellschaft mit Recht und Ordnung aufrecht erhält.
In der Tat. Geostrategisch hätte Russland mit seinen Ressourcen und Militär einen exzellenten Verbündeten gegen China abgegeben. Vielleicht war das die letzte Chance des Westens, die Chinesen "klein zu halten". Man hat sich das verbaut und jetzt Russland an Chinas Seite gebracht. Und das war alles andere als eine Liebesheirat. Und selbst wenn (sehr unwahrscheinlich) Russland diesen Konflikt verliert und zur westlichen Marionette wird, dürfte es so geschwächt sein, dass es kaum noch eine Hilfe wäre. Aber nochmal, das ist halt die politische Elite im Westen heute: viel Ego, viel Ideologie und wenig tiefgründige Gedanken.
Ja und das fehlende Wissen über das moderne Russland. Was fällt denn den meisten hierzulande zu Russland ein? Wodka, Stalin, Matroschka und - vielleicht - Tolstoi. Damit hat es sich schon erschöpft. Wer weiß welche Lieder gerade in Russland populär sind? Welche Filme? Wer weiß ungefähr wie gewöhnliche Russen leben / denken / fühlen? Was ihre Wünsche sind? Ihre Sorgen?
Es sind da häufig immer noch die von der Propaganda gezeichneten Bilder einer Sowjetunion oder der Gerd Ruge Reportagen über das 90er Jahre Russland in den Köpfen ...
War nicht unser @Protasius (hoffe ich verwechsle das nicht) in Russland? Es wäre mal interessant von ihm zu hören, was er für Erfahrungen und Beobachtungen im Alltag macht ...