Falsche Homo-Politik
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Veröffentlicht am: 03.08.2004
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Dirk Ludigs stellt in seinem Editorial die Frage, was Schwule und
Lesben wirklich wollen und schreibt warum die Homo-Politik von Volker
Beck verfehlt ist.
Ein Fremder, der auf dem Berliner CSD die Kampfrede der Speerspitze
der deutschen Schwulenbewegung vernommen hat, muss glauben, Lesben
und Schwule hätten den ganzen Tag nichts anderes im Kopf, als die
deutsche Alterspyramide in Ordnung zu bringen. Von „unseren Kindern
und Familien“ war in jedem zweiten Satz die Rede, und Volker Beck,
rosa Rächer der Enterbten, kämpft wacker ¯ und einsam ¯ gegen die
„Diskriminierung über den Tod hinaus“.
Gegen die rechtliche Anerkennung von Partnerschaften, die monetäre
Absicherung von Kindern ist nichts zu sagen. Wohl aber gegen das Bild
von Schwulen und Lesben, das der Befreiungskämpfer Beck nach außen
hin vermittelt:
Es ist kitschig, spießig und falsch. Was noch schlimmer wiegt: Beck
fördert damit genau das reaktionäre Familienbild, das er zu bekämpfen
glaubt, und lenkt den Blick weg von den wichtigen Problemen schwuler
und lesbischer Menschen. Grüne Homo-Politik unter Volker Beck ist
eine Geschichte verpasster Chancen und schlechter Gesetze.
Allein die Tatsache, dass der Papst gegen die Homo-Ehe ist, macht aus
ihr noch keine moderne Beziehung. Ehe war und ist eine Lebensform,
die die meisten Schwulen und Lesben wenig attraktiv finden. Überall
in Europa, wo Homo-Ehe existiert, ist sie ein Rohrkrepierer. Auf dem
Bagger-Portal Gayromeo treiben sich zu jeder Zeit mehr sexwillige
Homos herum, als heiratswillige in ganz Deutschland aufzutreiben
sind. Nicht einmal Heterosexuelle finden die klassische Ehe mehr
sonderlich attraktiv, haben aber bis heute genauso wenig Alternativen
wie Schwule und Lesben: auch dank Beck’scher Fixierung auf „Ehe und
Familie“!
Was wir dafür haben, ist ein schlechtes Sondergesetz für Schwule und
Lesben, jederzeit wieder abschaffbar, wenn der Wind sich dreht, und
ein paar Privilegien, die auf unabsehbar im Bundesrat festhängen. Ein
Blick nach Frankreich hätte gezeigt, dass man modernere Wege
beschreiten kann: Der Pacte Civil de Solidarité (Pacs) steht allen
offen, ist ein flexibles Instrument rechtlicher Absicherung und löst
die Ehe mehr und mehr ab. Wenn Rot-Grün 2006 abgewählt wird, werden
deutsche Homo-Ehe-Paare absehbar mit weniger Rechten dastehen als
französische Pacsler. Und deutsche Heteros weiter nicht anderes haben
als die ungeliebte Ehe. Agenda 1910, sozusagen.
Wer mit einem reaktionären Bild von Schwulen und Lesben als treuen
Familienvätern und -müttern vor dem Kopf herumrennt, sieht die
wirklichen Probleme nicht: die extrem hohen Selbstmordraten
homosexueller Jugendlicher, den Anstieg der HIV-Infektionen, die
miserablen Lehrpläne an den Schulen. Auch zu der katastrophalen
finanziellen Ausstattung der Aids-Hilfen und anderer Projekte: kein
Wort von Herrn Beck auf dem Berliner CSD.
Die meisten Schwulen sind anders, als Beck sie uns malt: Viele leben
promisk, gehen wechselnde Bindungen ein, wollen keine Kinder.
Schwulenpolitik heute ist in erster Linie Gesundheits-, Sozial- und
Bildungspolitik. Die Familienpolitik, auch die schwullesbische,
sollte Kunstgeschichtler Beck lieber seiner Parteikollegin Claudia
Roth („Ich bin stolz darauf, nicht geheiratet zu haben!“) überlassen.
Vielleicht muss man Frau sein, um mit seinen Überlegungen im 21.
Jahrhundert anzukommen, statt im 19. stecken zu bleiben.
Aber, heißt es da aus gut unterrichteten Kreisen, privat sei der
Volker gar nicht so prüde, wie er tut: wolle selbst ja gar keine
eingetragene Lebenspartnerschaft, verfüge aber über ein Gayromeo-
Profil. Na danke. Heute macht so einer wohl „Realpolitik“. Früher
hätte man einfach scheinheilig dazu gesagt.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Ludigs