Jesus und der Kapitalismus.

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Fragesteller
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Fragesteller »

Gallus hat geschrieben:
Torsten hat geschrieben:Jesus und der Kapitalismus, das ist unvereinbar, weil darin die niedersten menschlichen Interessen den Wegbereiter praktisch für alles spielen,
Das Gegenteil ist der Fall. Wettbewerb ist der große Entmachtungsmechanismus. Wettbewerb begrenzt Herrschaft und gewährt dem Einzelnen Freiheit. Und Wettbewerb limitiert auch den Spielraum, in dem unsere niedersten Interessen zur Geltung kommen können. Als politischer Verwalter des Machtmonopols kann ich Menschen gnadenlos ausbeuten. Als Arbeitgeber kann ich das nicht, die Leute werden mir was husten und zum nächsten Arbeitgeber wechseln, wenn ich das versuche.
Das gilt nur, wenn es so wenige Arbeitnehmer gibt, dass die Arbeitgeber um sie konkurrieren müssen. Das ist sicher in manchen Berufsfeldern der Fall; anderswo aber müssen die Leute nehmen, was sie kriegen, und haben es auch dementsprechend nicht so gut. (Deswegen legt Marx Wert darauf, dass am Anfang des Kapitalismus eine massenhafte Expropriation der "Arbeiter" steht, die fortan keine eigenen Produktionsmittel mehr ihr eigen nennen konnten und folglich darauf angewiesen waren, ihren Lebensunterhalt als Lohnabhängige zu verdienen, unter welchen Bedingungen auch immer - also auch denen des englischen Industriekapitalismus des 19. Jh.)

Tritonus
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Tritonus »

Gallus hat geschrieben:Wettbewerb ist der große Entmachtungsmechanismus. ... Auf dem Markt begegnen sich Menschen als Vertragspartner, in der Politik begegnen sie sich als Herrscher und Beherrschter.
Du bringst da leider zwei völlig verschiedene Dinge durcheinander.

Das Schlagwort, das Du anführst, vom Wettbewerb als Entmachtungsmechanismus bzw. als "Entmachtungsinstrument", stammt von Franz Böhm, Ökonom und CDU-Bundestagsabgeordneter in den 1950ern.

Man tut Böhm aber Unrecht, wenn man sein Gedankengut mit den PowerPoint-Phrasen aus dem BWL-Vorkurs ("Auf dem Markt begegnen sich Menschen als Vertragspartner ...") in eine Reihe stellt und einen diametralen Gegensatz zwischen Markt (gut) und Politik (böse) konstruiert, ohne zu bedenken oder zumindest redlicherweise zu erwähnen, dass die Art von Wettbewerb, die Böhm meinte, gerade nicht durch Verzicht auf politische Steuerung des Marktes entsteht, sondern dass nach Böhm so etwas wie "der Markt" überhaupt nur durch politische Steuerung dauerhaft funktionieren kann. Wenn es anders wäre, könnte ich jedenfalls kaum verstehen, warum sich damals ausgerechnet Böhm (gegen große Teile seiner eigenen Partei und gegen die Mehrheit der Vertreter der Industrie und des Handels) für eine Steuerung des Marktes durch die Politik eingesetzt hat und z.B. als Vater des deutschen Kartellrechts gilt.

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Gallus
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Gallus »

Tritonus hat geschrieben:Wenn es anders wäre, könnte ich jedenfalls kaum verstehen, warum sich damals ausgerechnet Böhm (gegen große Teile seiner eigenen Partei und gegen die Mehrheit der Vertreter der Industrie und des Handels) für eine Steuerung des Marktes durch die Politik eingesetzt hat und z.B. als Vater des deutschen Kartellrechts gilt.
Einen Ordnungsrahmen zu setzen ist gerade das genaue Gegenteil der Steuerung des Marktes durch die Politik.

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Gallus
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Gallus »

Um das nochmal etwas näher auszuführen: Ein konkretes Schachspiel wird nicht dadurch gesteuert, daß es Regeln des Schachspiels gibt. In der Regel entwickelt sich jede Partie anders. Genauso wenig wird der Markt durch die Existenz eines Ordnungsrahmens gesteuert. Man braucht Spielregeln, insbesondere eine Privatrechtsordnung, aber ansonsten ist der Markt idealerweise nicht Gegenstand politischer Steuerung.

Ansonsten ist das Verhältnis zwischen Poltiik und Markt natürlich der Schwachpunkt der ersten Generation der deutschen Ordnungsökonomik. Böhm u.a. hatten keine Theorie der Politik. Diese erscheint eher als deus ex machina, von dem man sich einfach erhofft, daß schon die richtigen Regeln gesetzt werden. In diese Theorielücke stieß dann Hayek ein wenig vor, aber vor allem die Virginia School um Buchanan und Tullock. Insofern, Herr Tritonius, ist der etwas klugscheißerisch formulierte Hinweis auf Böhm hier vor allem eines: zu kurz gesprungen.

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Torsten
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Torsten »

Gallus hat geschrieben:Wenn Du den Kapitalismus überwinden willst, dann denk daran: Die Alternative zum Markt ist die politische Macht, und die ist viel gefährlicher, grausamer und gnadenloser als es jeder Markt je sein könnte.
Die (Finanz-)Märkte, die töten auch. Wer da stirbt, das sind dann eben die Verlierer des Wettbewerbs. Aber eigentlich wollte ich nochmal auf Thatcher zurückkommen.
"Das Problem am Sozialismus ist, dass das Geld anderer Leute auch irgendwann alle ist" [Margaret Thatcher]
Der Sozialismus scheitert nicht daran, dass das System eklatant anders und eklatant untauglicher wäre, als der Kapitalismus. Es fehlt einfach wirklich der Wettbewerb, die Motivation. Und die liegt hier eben im niederen Interesse, in der Gier, oder auch im Erfolgsstreben, die "Chance" nutzen und was daraus machen. Der Sozialismus verlangte dem Menschen eigentlich ein geistliches Leben ab. Aber mit welchem Ziel, auf welcher Grundlage? Der sozialistische Mensch, die sozialistische Gesellschaft, der Weltfrieden unter der Diktatur der Arbeiterklasse. Die ganzen hohlen Phrasen, die nur im Suff zu ertragen sind. Denn es regiert die Tristesse und die Mittelmäßigkeit. Das ist kein Leben. Nun dürfen wir uns aber nicht der Illusion hingeben, dass im Kapitalismus die Geistlosigkeit geringer wäre. Sie ist keineswegs geringer, aber wesentlich unterhaltsamer. Aufgrund des Wettbewerbs und den Früchten, die er trägt, bei denen viel mehr geht, als nur ein Likörgesöff zu konsumieren ...

Es ist egal, welches System, der Mensch ist das Problem. Und sowohl der Sozialismus als auch der Kapitalismus sind ja aus diesem Menschen entstanden. Das eine als relativ leicht zu überwindende Ideologie, während das andere zu einer Maschine geworden ist, von der keiner weiß, wie sie anzuhalten ist, selbst wenn man den Mut aufbrächte, das tun zu wollen. Und da kommt für mich der Glaube ins Spiel. Nicht der Glaube, eine (bspw. sozialistische) Realität erschaffen zu können, und dabei die unangenehmen Begleiterscheinungen in den Griff zu bekommen. Und ebensowenig, wie ich das glaube, glaube ich daran, dass es eine oder zwei getrennte Realitäten gibt. Die eine in dem, was man Himmel nennt, und die andere hier auf Erden. Es existiert nur eine, allgemein und universal gültig. Sich in der zu bewegen, das ist das Ziel, und der Tod die Motivation, es zu erreichen. Nicht nur der persönliche Tod, sondern auch das allgemeine und gewaltsame Sterben, das wir beobachten müssen.

Diese Realität zu erfahren, das wäre der Evolutionssprung, hin zum menschlichen Normal. Bei dem ich mir aber alles andere als sicher bin, ob das in dieser Welt noch kommt. Aufgrund der Erfahrungen mit "unserer Realität" müsste es so sein. Es ist die Frage, wie groß der Schaden sein muss, bis der Mensch daraus klug wird. Und da tendiere ich, angesichts dessen, was wir schon jetzt tagtäglich erleben, eigentlich zu der humaneren Variante - die Sache kommt vor Gericht, zur endgültigen Klärung. Humanere Variante deshalb, weil aus meiner Sicht die menschliche Existenz in dieser Form schon länger nicht mehr tragbar ist. Im Sinne des Schadens, den sie sich selber und anderen zufügt. Da hoffe ich wirklich auf Milde und Erbarmen, weil ich mir die Brutalität weder vorstellen noch ausmalen mag, zu der diese Existenz noch fähig ist. Das würden dann Abgründe sein, die wirklich bis an den Rand des Universums reichen.

Was nun eintreten wird, darauf habe ich keinen oder sagen wir kaum Einfluss. Man kann für das eine oder andere beten. Und ansonsten versuchen, anständig zu bleiben, nicht noch zusätzlich für unnötigen Ärger zu sorgen. Man weiß ja, mit wem bzw. was man es zu tun hat, und kann sich dementsprechend verhalten. "Ein guter Christ sein", mit dem Wissen um die eigene, menschliche Unterentwickeltheit, und die der anderen. Demütig und dabei locker bleiben. Den Blick auf das Geld auf das absolut notwendigste reduzieren. Das Evangelium als Entwicklungs- und Überlebenshilfe lesen lernen, um nicht ganz unvorbereitet auf die Realität zu sein.

Und bitte hört auf, euch irgendwelchen Illusionen hinzugeben, was das Verhältnis von Jesus zum Kapitalismus angeht, oder dass man mit der Gier auch Gutes tun könnte. Da bist du automatisch durchgefallen. Und hier gibt es keinen zweiten Versuch.

Tritonus
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Tritonus »

Gallus hat geschrieben:Insofern, Herr Tritonius, ist der etwas klugscheißerisch formulierte Hinweis auf Böhm hier vor allem eines: zu kurz gesprungen.
Man passt sich eben an, so gut es geht.

An so was, zum Beispiel:
Gallus hat geschrieben: ... das mag gut sozialdemokratisch sein, aber christlich ist es nicht. Christus ruft jeden individuell dazu auf, seinem Nächsten zu helfen. Von Politik, von Umverteilung durch staatlichen Zwang, spricht er dagegen nie.
Manche Katholiken orientieren sich eben, was diese Fragen angeht, unter anderem an den Inhalten der Sozialenzykliken. (Und das, obwohl auch sie ganz genau wissen: Jesus hat ebensowenig von Päpsten und Enzykliken wie vom Sozialstaat gesprochen.) Dass die Päpste von Leo XIII bis Benedikt XVI angeblich "gut sozialdemokratisches" Gedankengut verbreitet haben sollen, kann ich ja zur Not noch hinnehmen, obwohl ich mit der Verwirklichung der in den Enzykliken enthaltenen Grundideen eher die Zentrumspartei und die C-Parteien der frühen Nachkriegsjahre in Verbindung bringe. (Vielleicht muss man ja heute wirklich zum Sozialdemokraten werden, wenn man diese Päpste ernst nimmt.) Den Beweis dafür, dass diese Enzykliken in wesentlichen Teilen "nicht christlich" gewesen sein sollen, müsstest Du allerdings bei Gelegenheit noch nachreichen.
Enzyklika Rerum Novarum, Leo XIII, 1891 hat geschrieben:[...]Produktion und Handel sind fast zum Monopol von wenigen geworden, und so konnten wenige übermäßig Reiche einer Masse von Besitzlosen ein nahezu sklavisches Joch auflegen. [...] so ist es der Ordnung entsprechend, daß staatliche Hilfeleistung für die äußerst Bedrängten eintrete; die Familien sind eben Teile des Staates. [...]
Enzyklika Caritas in Veritate, Benedikt XVI, 2009 hat geschrieben: [...]Als jene Enzyklika [d.h. Rerum Novarum] als Antwort auf die industrielle Revolution erschien, setzte sich zum ersten Mal der damals sicher fortschrittliche Gedanke durch, dass der Fortbestand der gesellschaftlichen Ordnung auch eines umverteilenden Eingreifens des Staates bedarf. [...] Ebenso sind jedoch gerechte Gesetze, von der Politik geleitete Mechanismen zur Umverteilung und darüber hinaus Werke, die vom Geist des Schenkens geprägt sind, nötig. [...]
(Hervorhebungen von mir.)
Das liest sich von Beginn an völlig anders als Dein "Auf dem Markt begegnen sich Menschen als Vertragspartner". Da ist nämlich die Rede von einem "sklavischen Joch".

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Sarandanon
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Sarandanon »

Tritonus hat geschrieben:Das liest sich von Beginn an völlig anders als Dein "Auf dem Markt begegnen sich Menschen als Vertragspartner". Da ist nämlich die Rede von einem "sklavischen Joch".
Es gibt in unserem Land sicherlich noch Menschen, die sich auf verschiedenen Ebenen noch als Vertragspartner begegnen. Die neoliberale Marktordnung hat jedoch dafür gesorgt, dass diese Partnerschaften nur noch zu einem kleinen Teil wirklich auf Augenhöhe stattfinden. Insgesamt sind die imaginären "Märkte" sehr gezielt aufgeteilt und beeinflusst durch Banken und Großindustrie ins Ungleichgewicht gebracht worden. Deswegen ist die Kapitlverteilung auch sehr einseitig. Prinzipiell herrscht bei uns im Lande aber noch die Stimmung, dass, solange es uns noch gut geht, dieses System und die Welt völlig i.O. ist. Hier ist doch die Frage, ob es dies war, was ER für uns wollte.

Für traditionalistische Katholiken ist allein die politisch gesteuerte soziale Marktwirtschaft bereits Sozialismus und Freimaurerei. Sozialdemokratie wird da gern mit in einen Topf geworfen. Die von Dir angesprochenen Enzykliken werden vermutlich aus diesem Kreise heraus eh nicht akzeptiert. Dort sind in dieser Art denkende Päpste nicht wohl gelitten. Da kann man also sicherlich kein Verständnis erwarten.

Auf der anderen Seite tut man sich in der Sozialdemokratie keinen Gefallen damit, dass man pauschal alle Katholiken (oder vielleicht sogar alle gläubigen Christen) als verkappte reaktionäre Kapitalismusanhänger bezeichnet. Nach dem Motto: Wer an IHN glaubt, muss ein Befürworter der Ausbeutung sein.

Der Weg liegt doch irgendwo in der Mitte. Ich habe kein Problem damit, dass andere Leute mehr Geld haben als ich. Viele haben sich das sicherlich auch hart erarbeitet und verdient. Problematisch wirds aber, wenn die Gier nach mehr auf dem Rücken schwächerer und ärmerer Menschen ausgetragen wird und letztere durch ihre Hände Arbeit kein zum Leben notwendiges Auskommen mehr haben. Dann rufen nämlich diese "Märktler" nach dem Staat, um ihre unterbezahlten Arbeitskräfte mit sozialen, öffentlichen Mitteln unterstützen und damit ihre Produktion subventionieren zu lassen. Dieses Beispiel macht weiterhin Schule. Warum soll also die Politik nicht eingreifen, um für faire Bedingungen in der Arbeitswelt und damit auf den Märkten zu sorgen? Weil dann einige Banken und Wirtschaftsbosse auf wenige Prozent ihrer Gewinne verzichten müssten?
Dich, o Herr, kann nur verlieren, wer dich verlässt.
(Augustinus Aurelius)

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Gallus
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Gallus »

Zu Tritonus:

Rerum Novarum ist zunächst einmal eine große Verteidigung privater Eigentumsrechte, und damit des Marktes, auf der Grundlage des Naturrechts. Darüber hinaus fordert Leo XIII die Sicherung der Menschenwürde, wofür er zwei Möglichkeiten sieht: Einerseits eine staatliche Sicherung eines Existenzminimums, andererseits aber auch die Gründung privater Vereine und Genossenschaften zur gegenseitigen Hilfe. Gerade Letzteren bringt er besondere Sympathie entgegen, und sehr hellsichtig sieht er diese bereits durch den Staat bedroht, genauer durch die Neigung des Staates, solche Initiativen zu verbieten oder in ihrem Handlungsspielraum einzuschränken. Denn der Staat will Macht und Einfluß monopolisieren.

Also bleibt RN eine Verteidigung subsidiären Handelns. Menschen sollen sich gegenseitig helfen. Freiwillige Caritas hat aus christlicher Sicht eine viel größere Dignität als staatliche Zwangssysteme. Und wenn all das nicht mehr hilft, dann kommt der Staat, aber nicht als Vollstrecker egalitärer Verteilungsträume, sondern als Instanz, die ein Existenzminimum sichert.

So, und nun schau Dir nochmal den Beitrag von umusungu an, auf den mein oben ausgeschnittenes Zitat die Reaktion war. Der ist soweit von Rerum Novarum entfernt, wie es das Kommunistische Manifest ist.

Lacrimosa
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Lacrimosa »

Torsten hat geschrieben:Es ist egal, welches System, der Mensch ist das Problem.

Nein, der Mensch hat ein Problem … Ein Versuch mit meinen (nicht theologisch geschulten, vielleicht geschwurbelten) Worten :): Jesus war kein systemischer Denker. Er stand jenseits des Systems (der Systeme) seiner Zeit. Und genau das macht ihn gottesebenbildlich. Er sagte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham war, bin ich.“

Das Erhabene, das Zeitlose an dieser Position – ich bin – ist, dass er sich nicht mit dem System identifizierte, es aus seiner göttlichen Präsenz heraus betrachtete und tiefe „Systemveränderung“ bewirken wollte. Auf der alltäglichen Ebene erscheint er wie einer von uns, als Opfer der Umstände, ohne sich jedoch selbst als Opfer zu begreifen. Als Wanderprediger lag ihm voller Nächstenliebe und Barmherzigekeit an der Befreiung der Menschen aus dem Joch seiner Zeit. (Er war in dieser, aber nicht von der Welt.)

Von unerschütterlichem Gottvertrauen begnadet (aus seiner gegenwärtigen Haltung des „Ich bin“) trat er, der von Gott gesandte, zudem selbstbewusst rebellisch auf und formulierte deutliche Wort gegenüber Machthabern, Hohepriestern und Gesetzesbrechern. (Ich bin das Schwert.)

Nicht der Mensch ist das Problem, er hat eins. Das Problem des Menschen ist, dass er das Bewusstsein für Gottes Gegenwart und die Gegenwart Gottes verloren hat.

Auch wenn mir persönlich das Bild vom Hamsterrad missfällt, sind es doch die Systeme, die uns immer beschleunigter antreiben und uns unerfüllt zurücklassen: besser, schneller, höher. Mehr. Bequemer. Allzeit mit dem Kopf in der Zukunft (Illusion) oder in der Vergangenheit (Illusion), nur nicht im Hier und Jetzt (Realität).

Jesus sprach: „Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat. (Matthäus 6, 31–24)
Torsten hat geschrieben:Und ebensowenig, wie ich das glaube, glaube ich daran, dass es eine oder zwei getrennte Realitäten gibt.

So lange Menschen von zwei getrennten „Realitäten“ ausgehen, haben sie Gott nicht verstanden, von dem keine Dualität ausgeht. Gott erkennen heißt auch, den inwendigen Gott in uns zu begreifen. Gott in uns zu erkennen heißt, das Zeitlose als wahrhaftige Realität zu begreifen, als Reich Gottes, das mitten unter uns ist.
Torsten hat geschrieben:Das Evangelium als Entwicklungs- und Überlebenshilfe lesen lernen, um nicht ganz unvorbereitet auf die Realität zu sein.

Um nicht unvorbereitet auf die falsche Realität zu sein, denn die wahre Realität ist bei Gott. Es gilt unsere Wahrnehmung für Gott zu öffnen. Und dahin führen uns Praktiken wie das Gebet, die Liturgie, Exerzitien, Kontemplation, Naturbetrachtungen, Selbstreflexion oder persönliche Beziehungen. Es geht vorrangig um die Schulung der inneren Wahrnehmung des „Ich bin“.

Nur aus dieser Realität heraus strebte Jesus eine Veränderung an und wusste, ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen. Veränderungen am System bleiben an der Oberfläche. Die innere Haltung der Menschen müsste sich zuerst ändern (siehe Mätthaus: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“).
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Piusderdritte
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Piusderdritte »

Der Schein der Scheine
Der Ökonom Guido Hülsmann über die Folgen des Zwangs einer einheitlichen Währung, die Nachteile nicht-edelmetallischen Geldes und die Gefahren einer bargeldlosen Gesellschaft. Ein Interview von Stefan Frank/Factum.

Angers (kath.net/Factum November 213)
factum: Sie halten unser Geldsystem für aus christlicher Sicht anfechtbar und ungerecht. Warum?

Guido Hülsmann: Aus zwei wesentlichen Gründen. Zum einen wird den Bürgern das staatliche Geld aufgezwungen. Autos, Kleidung, Ehepartner, Sportvereine usw. dürfen wir frei wählen, aber beim Geld wird uns vorgeschrieben, dass wir nur D-Mark bzw. heute Euros benutzen dürfen. Es gibt für diese Einschränkung der Wahlfreiheit keine haltbare Rechtfertigung.

factum: Die Bibel lehrt, dass der Mensch die Wahl hat und auch haben soll?

Hülsmann: Das ist eine der wichtigsten Botschaften des Neuen Testaments. Der Herr Jesus ist ja nicht mit einem grossen Knüppel gekommen, um uns zum Glauben zu zwingen. Er macht uns ein Angebot, er stellt uns vor die Wahl. Und die gleiche Freiheit haben wir auch in allen anderen wirklich wichtigen Angelegenheiten, z.B. bei der Wahl des Ehepartners und bei der Wahl unserer Freunde. Warum sollte uns diese Freiheit ausgerechnet im Falle eines zweitrangigen Gutes wie dem Geld verwehrt sein?

factum: Und der zweite Grund?

Hülsmann: Es gibt keine gesamtwirtschaftlichen Vorteile, die sich aus diesem Zwang ergeben. Es gibt lediglich einzelwirtschaftliche Vorteile für den Staat und einige Privatinteressen, insbesondere in der Finanzwirtschaft.

factum: Hat die vom Staat bewirkte Vereinheitlichung der Zahlungsmittel aber denn nicht der Industrialisierung einen wichtigen Impuls gegeben? Würde eine Vielzahl an Devisen, die, wie im Mittelalter, auf demselben Marktplatz konkurrieren und verrechnet werden müssen, nicht den Handel lähmen?

Hülsmann: Zunächst einmal ist zu bemerken, dass die Währungsanarchie des Mittelalters auf die ständigen staatlichen Eingriffe in das Münzwesen zurückging. Die Kaufleute haben im Hochmittelalter irgendwann angefangen, ihr eigenes Geld zu schaffen und haben dadurch eine relative Vereinheitlichung des Münzwesens erzielt. Auf einem freien Währungsmarkt würde es auch heute noch solche Bestrebungen geben. Natürlich würde das nicht unbedingt zu einer völligen Vereinheitlichung führen, und eine solche wäre im Übrigen auch nicht besonders erstrebenswert. Verbraucher, Produzenten und Handel können sehr wohl mit einer gewissen Anzahl bewährter Geldarten umgehen. Wir geraten ja schliesslich auch nicht in lähmende Verzweiflung, weil wir von Zürich nach München auf verschiedenen Strassen fahren können oder weil bei den Wahlen zahlreiche Bewerber ihre Dienste feilbieten.

factum: In ihrem Buch „Ethik der Geldproduktion“ sprechen Sie von den „spirituellen Opfern der Geldproduktion“, Inflation mache eine Gesellschaft materialistisch, immer mehr Menschen strebten „auf Kosten ihres persönlichen Glücks nach Geldeinkünften.“ Viele Zeitgenossen teilen diese Ansicht, machen aber entweder „den Kapitalismus“ oder einen diffusen „Zeitgeist“ verantwortlich. Sie sagen, es ist die Inflation. Heisst das, unser krankes Geld macht auch die krank, die es benutzen?

Weiterlesen:
http://www.kath.net/news/43722
"Katholische Haus- und Schulbibel" (aus1928) von Paul Bergmann, ist eine sehr gute Zusammenfassung der Bibel! Sollte jeder Katholik mal gelesen haben. Verständlich geschrieben und schnell durchgelesen!

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Torsten
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Torsten »

Piusderdritte hat geschrieben:http://www.kath.net/news/43722
Hülsmann: Konsumieren bedeutet Zerstören. Ganz klar ist das im Falle von Lebensmitteln: Wenn ich beispielsweise eine Banane esse, versetze ich sie in einen Zustand, in dem sie für niemanden mehr zu gebrauchen ist.
Man kann es ja auch so sehen, dass die Banane in einen Zustand versetzt wurde, in dem sie gebraucht wurde ..
Der gesamte Fortschritt der Wirtschaftsentwicklung beruht darauf, dass wir nicht alles verbrauchen, was wir geschaffen haben. [...] Auch das Geldkapital, das die Firmen ausgeben können, um Angestellte und Zulieferer zu bezahlen, ist nur durch Sparentscheidungen verfügbar. Wenn die Unternehmer sich beispielsweise entschieden, alle Erlöse, die sie durch den Verkauf ihrer Produkte erzielen, für den persönlichen Konsum zu verwenden, dann stünden bald alle Räder still.


"Sparentscheidungen." Es geht um den Gewinn und dessen Reinvestition, um noch mehr zu machen an Gewinn, ohne Ziel und ohne Sinn.
exit-online hat geschrieben:Gegen die Wand
Von Claus Peter Ortlieb

Was wächst da eigentlich so zwanghaft?

Wer vom Wachstumszwang wegkommen will, muss erst einmal verstehen, worin er besteht. Den übermäßigen Konsum dafür haftbar zu machen, verfehlt die tatsächlichen Zwänge, denn anders, als es uns die Lehrbücher der Volkswirtschaftslehre weismachen wollen, ist der Konsum nicht der Zweck der kapitalistischen Produktion. Wäre das so, bedürfte es der Werbung nicht. Bekanntlich stand ja die von manchen Postwachstumsideologen jetzt wieder propagierte protestantische Ethik der Askese und des Verzichts an den Anfängen des Kapitalismus: Geld zu verdienen, nicht um es zu verprassen, sondern um immer mehr Geld daraus zu machen, ist seitdem der irre Selbstzweck allen Wirtschaftens. Der Kapitalismus ist damit zum Wachsen verdammt: Wenn er sie absetzen kann, produziert er Waren ohne Ende; wenn er es nicht kann, gerät er in die Krise. In diesem Prozess ist der Konsum bloßes Mittel, weil die Waren zum Zweck der Geldvermehrung ja auch verkauft werden müssen.
Kapitalismus ist, wenn ich die Banane nicht esse, um satt zu werden, weil sie "dann für niemandem mehr zu gebrauchen ist", sondern dass ich Werbung dafür betreibe, sie massenhaft zu verschwenden, um einen Reichtum zu schaffen, bei dem wir verhungern werden.

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Torsten
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Torsten »

Dieser Professor Hülsmann ist ein irrer Mensch, der in einer Realität lebt, in der eine Banane keine Banane ist, sondern ein Anlass für Sparentscheidungen, die ihn über das Rad philosophieren lassen, an dem diese Welt dreht.

Lacrimosa
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Lacrimosa »

Der gesamte Fortschritt der Wirtschaftsentwicklung beruht darauf, dass wir nicht alles verbrauchen, was wir geschaffen haben. [...]

Das insgesamt als Fortschritt zu bezeichnen, ist bereits falsch: Es gibt Produkte, die der Menschheit dienen und der Schöpfung nicht schaden und solche, die den Menschen krank machen und die Schöpfung zerstören. Ich sehe da einen Mangel an Entscheidungskraft für das eine oder gegen das andere.
Torsten hat geschrieben:Kapitalismus ist, wenn ich die Banane nicht esse, um satt zu werden, weil sie "dann für niemandem mehr zu gebrauchen ist", sondern dass ich Werbung dafür betreibe, sie massenhaft zu verschwenden, um einen Reichtum zu schaffen, bei dem wir verhungern werden.
Die Menschen verhungern am Reichtum, da sie ihren Hunger am Materialismus stillen, anstatt nach dem Reich Gottes zu trachten. Solange der Schöpfungsakt (Erfindungen) von Menschen missbraucht wird, um Produkte herzustellen, die die Schöpfung nicht braucht, wird Jesus Botschaft nicht verstanden. Und wenn ich von dem zerstörerischen Ausmaß meiner Erfindung weiß (siehe Atombombe), muss ich sie für mich behalten und darf sie nicht in die Schöpfung entlassen.

Die Werbung kann nur greifen, weil sie den „Hunger“ bewusst schürt. Wem ist da ein Vorwurf zu machen: Den Menschen, die Bedürfnisse wecken oder den Menschen, die anfällig dafür sind?
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Gallus »

Sarandanon hat geschrieben:Es gibt in unserem Land sicherlich noch Menschen, die sich auf verschiedenen Ebenen noch als Vertragspartner begegnen. Die neoliberale Marktordnung hat jedoch dafür gesorgt, dass diese Partnerschaften nur noch zu einem kleinen Teil wirklich auf Augenhöhe stattfinden.
Kannst Du mir Auskunft darüber geben, wann genau in den letzten zweitausend Jahren der Lebensstandard und die Möglichkeit zur freien Entfaltung des Einzelnen größer war als heute?

Das Problem mit Leuten, die gegen die böse "neoliberale Marktordnung" wettern besteht meist darin, daß sie als Maßstab für diese Ordnung keine realistische Alternative, oder gar historische Vorläufer heranziehen, sondern irgendwelche utopischen Wolkenkuckucksheime. Aber indem ich das allseligmachende iridische Nirvana als Maßstab für reale Verhältnisse nehme, kann ich diese natürlich immer diskreditieren. Das ist so einfach wie intellektuell anspruchslos.

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Torsten
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Torsten »

Gallus hat geschrieben:Kannst Du mir Auskunft darüber geben, ...
Robert Kurz geht in seinem Schwarzbuch Kapitalismus an vielen Stellen auf dieses Argument ein, dass wir jetzt in der besten aller Welten lebten, und dass davor alles ganz schlimm und schrecklich war. Anhand einer Vielzahl von Beispielen wird im Buch deutlich, dass es so einfach bzw. so einfach nicht ist. Gerade was die Anfänge und die Krisenerscheinungen beim erreichen der "inneren Schranke" des Kapitalismus betrifft. Gegen Ende des Buches versucht er auch, Alternativen zu zeichnen. Und die werden nicht nur gezeichnet, die werden auch versucht, zu leben. In Kooperativen, hier in Deutschland. Aber Geld verdienen oder um Spenden oder gar einen Kredit bitten, das müssen die auch. Sie sind ja nicht ausgekoppelt aus dieser (kapitalistischen) Gesellschaft.

Man kann es als eine Art Laborversuch betrachten, wie der Stillstand zu überwinden ist, in dem wir leben. Denn du darfst dich von dem ganzen "Reformeifer", den "Reformbemühungen", dem "Einfordern von Reformen" nicht täuschen lassen. Das dient alles nur der Durchsetzung der Sachzwänge, die der Stillstand erzeugt, und produziert am laufenden Band schlechtere Lebensbedingungen und Möglichkeiten zur Entfaltung des Einzelnen, wie du so schön schreibst. Lies dir ruhig mal das Buch durch. Es liest sich teilweise spannend wie ein Krimi - es ist auch nicht frei von Polemik, zugegeben - aber es ist auch nicht intellektuell anspruchslos, und man lernt dabei mehr über dieses Wirtschaftssystem, als wenn ich nur den Vorträgen eines Professor Hülsmann folgen würde, der nicht über den Tellerrand blicken kann.

Lacrimosa
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Lacrimosa »

Torsten hat geschrieben:Robert Kurz geht in seinem Schwarzbuch Kapitalismus an vielen Stellen auf dieses Argument ein, dass wir jetzt in der besten aller Welten lebten, und dass davor alles ganz schlimm und schrecklich war.
Ich habe aus dem Schwarzbuch zwei Passagen herausgegriffen, da sie mir geeignet erscheinen, Jesu radikale Weitsicht in puncto Wirtschaftssysteme und Menschenkenntnis zu untermauern. Er riet: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen.“ (Matthäus 6,33). Was wir aber tun ist meistens diametral verschieden davon: Wir stillen unsere Bedürfnisse zuerst im Außen (Konsum), statt daran zu arbeiten, frei von Habgier, Neid, Anerkennung, Profilsucht, Machtstreben, Abhängigkeiten aller Art und dergleichen zu werden. Auf der Seinsebene, von der Jesus aus denkt (im Bewusstsein Gottes), sind wir aber „bedürfnislos“. So vergleicht Jesus uns mit den Lilien auf dem Feld, die sich nicht ums Morgen sorgen. Bei Jesus liegt wahre Befriedigung in liebevollen, persönlichen Beziehungen und im inneren Wachstum (nicht im Wirtschaftswachstum). Wenn wir Jesus folgen, kommen wir zu uns (werden wir innerlich heil), statt uns von unserem Wesenskern zu entfremden. Von der Entfremdung haben auch Marx und Hegel auf ihre Weise gewusst:

[...] Selbst wenn die Arbeitszeit ein wenig verkürzt und die Kinderarbeit abgeschafft würde, blieben jene an ihr selber unaufhebbaren Momente der Betriebswirtschaft zurück, die Karl Marx mit dem allgemeinen Begriff der »Entfremdung« bezeichnet hat: Wer Geld verdienen muß in den »dark satanic mills«, der muß sich selber fremd werden, ohne es am Ende überhaupt noch zu merken. [...]

»Der Arbeiter«, so schrieb der 28jährige Emigrant Karl Marx 1844 in sein Pariser Notizbuch, »fühlt sich erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich« (Marx 1968/1844, 55). Und der junge Engels brachte in seinem ein Jahr später erschienenen Buch erstmals das Lebensgefühl auf den Punkt, das den geldverdienenden Arbeitsmenschen bis heute niemals losgelassen hat, auch wenn es ins Unbewußte gerutscht ist: „Nichts ist fürchterlicher, als alle Tage von morgens bis abends etwas tun zu müssen, was einem widerstrebt. Und je menschlicher der Arbeiter fühlt, desto mehr muß ihm seine Arbeit verhaßt sein, weil er den Zwang, die Zwecklosigkeit für sich selbst fühlt, die in ihr liegen. Weshalb arbeitet er denn? Aus Lust am Schaffen? Aus Naturtrieb? Keineswegs. Er arbeitet um des Geldes, um einer Sache willen, die mit der Arbeit selbst gar nichts zu schaffen hat [...]“ (Engels, a.a.O., 346).


Dass wir in stark „geldgierigen“ Ländern wie Deutschland zudem ein „Nachwuchsproblem“ haben, erscheint mir beinahe allegorisch; gottgewollt. Nicht nur das monetäre Wachstum Einzelner stagniert (geht zurück), einher geht auch die Stagnation der Geburtenrate. Wie sollte die auch bei der Entfremdung wachsen? Geldsysteme haben einen Punkt erreicht, an denen man befürchten muss, dass sie jeder Zeit implodieren, aber da hinein macht uns Jesus ein Angebot. „Trachtet nach dem Reich Gottes“ ist für mich die Aufforderung, erst einmal innerlich unabhängig zu werden. Dann könnten wir uns auf individueller Ebene aus dem Teufelskreis, den uns Systeme jedweder Art oktroyieren, ausbrechen. Es geht nicht darum, dieses oder jenes System besser oder schlechter zu finden, es geht Jesus um ein völlig anderes Menschenbild:

Paulus an die Galater: „Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas (dieses oder jenes System), sondern eine neue Kreatur.“
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Pilgerer
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Pilgerer »

Man müsste klarer zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft unterscheiden. Im Kapitalismus gibt es große Kapitalgesellschaften, die Politik und Gesellschaft durch ihr Kapital beeinflussen, und in denen die Mitarbeiter "kleine Würmer" im Getriebe sind. In der gesunden Marktwirtschaft gibt es dagegen zahlreiche kleine Unternehmen, die persönlich betrieben werden, in denen der Unternehmer volle Verantwortung/Haftung besitzt und keine Macht in der Gesellschaft und Politik ausüben kann, weil in der Gesellschaft volle Konkurrenz besteht und das Unternehmen zu klein ist, um sich Einfluss auf die Politik zu kaufen.

Insgesamt ist die Marktwirtschaft das natürliche System, solange wir in einer Welt der Knappheit leben und Werte wie "Du sollst nicht stehlen" akzeptieren. Im Paradies, wo keine Knappheit besteht, endet die Marktwirtschaft. Wo jeder alles besitzt, was er bedarf und begehrt, besteht kein Bedarf mehr an Tauschgeschäften.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Lacrimosa
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Lacrimosa »

Pilgerer hat geschrieben:Man müsste klarer zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft unterscheiden. Im Kapitalismus gibt es große Kapitalgesellschaften, die Politik und Gesellschaft durch ihr Kapital beeinflussen, und in denen die Mitarbeiter "kleine Würmer" im Getriebe sind. In der gesunden Marktwirtschaft gibt es dagegen zahlreiche kleine Unternehmen, die persönlich betrieben werden, in denen der Unternehmer volle Verantwortung/Haftung besitzt und keine Macht in der Gesellschaft und Politik ausüben kann, weil in der Gesellschaft volle Konkurrenz besteht und das Unternehmen zu klein ist, um sich Einfluss auf die Politik zu kaufen.

Insgesamt ist die Marktwirtschaft das natürliche System, solange wir in einer Welt der Knappheit leben und Werte wie "Du sollst nicht stehlen" akzeptieren. Im Paradies, wo keine Knappheit besteht, endet die Marktwirtschaft. Wo jeder alles besitzt, was er bedarf und begehrt, besteht kein Bedarf mehr an Tauschgeschäften.
Die Betonung bei dem was du schreibst, liegt für mich auf "gesunde" Marktsysteme, "persönlich" betriebene Unternehmen, "Verantwortung" des Unternehmers ... Gesunde Systeme können nur durch gesunde Menschen betrieben werden. (Prinzipiell sehe ich das sonst auch so, dass wir zurück zu einer sozialen Marktwirtschaft kommen müssten. Aber der gesunde Menschenverstand scheint vielfach abhanden gekommen zu sein.)
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

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TeDeum
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von TeDeum »

Spannende Diskussion. Versuche mich in die verschiedenen Standpunkte hineinzuversetzen und nicke bei fast jedem Posting mal. Pilgerer hat das schon gut geschrieben, man müsste klarer trennen und dann würde auffallen, dass wir alle nicht so weit weg voneinander sind. Das heutige System ("Kapitalismus", "Neoliberalismus", "Marktwirtschaft" - nennt das Kind, wie ihr wollt) ist das Problem, denn es erzeugt den hedonistischen Konsummenschen, dem die Umwelt egal ist, der nur auf seinen persönlichen Nutzen getrimmt ist und nur raffen raffen raffen kennt, bis er den letzten Atemzug tut. Die Frage ist, wie kann ein funktionierendes System aussehen, dass dies nicht begünstigt, sondern Nachhaltigkeit und Umsicht belohnt? Und wer kann es einführen?


Zu der Sache mit dem Sparen. Mir leuchtet das von dem Professor schon ein. Die Banane ist nur ein schlechtes Beispiel zum Nachvollziehen, wegen der naturbedingten Kurzlebigkeit. Mal praktisch aus meinem Leben: Meine Frau und ich sparen seit Jahren Geld. Bausparen. Wir sparen es, damit wir uns in x Jahren ein Eigenheim kaufen können. Da wir weder Finanzheuschrecken noch Lottospieler sind, werden wir niemals ohne Sparen den Schotter auf einmal verfügbar haben. Aber wenn wir das Geld schließlich gespart haben, dann kaufen wir das Haus (bzw. tendieren zu selber bauen - was dann wiederrum anderen Menschen zu Arbeit / Lohn hilft). Mir scheint das Problem eher darin zu liegen, dass heute niemand mehr spart, sondern jeder gleich jetzt und sofort alles haben möchte. Haus sofort her ohne Anzahlung. Scheißegal, was morgen ist und ob jemand anderer darunter leidet. Hedonistischer Konsum halt.

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Juergen
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Juergen »

Papst Franziskus: Evangelii Gaudium hat geschrieben:58. Eine Finanzreform, welche die Ethik nicht ignoriert, würde einen energischen Wechsel der Grundeinstellung der politischen Führungskräfte erfordern, die ich aufrufe, diese Herausforderung mit Entschiedenheit und Weitblick anzunehmen, natürlich ohne die Besonderheit eines jeden Kontextes zu übersehen. Das Geld muss dienen und nicht regieren! Der Papst liebt alle, Reiche und Arme, doch im Namen Christi hat er die Pflicht daran zu erinnern, dass die Reichen den Armen helfen, sie achten und fördern müssen. Ich ermahne euch zur uneigennützigen Solidarität und zu einer Rückkehr von Wirtschaft und Finanzleben zu einer Ethik zugunsten des Menschen.
6. Die Mechanismen der augenblicklichen Wirtschaft fördern eine Anheizung des Konsums, aber es stellt sich heraus, dass der zügellose Konsumismus, gepaart mit der sozialen Ungleichheit das soziale Gefüge doppelt schädigt. Auf diese Weise erzeugt die soziale Ungleichheit früher oder später eine Gewalt, die der Rüstungswettlauf nicht löst, noch jemals lösen wird. Er dient nur dem Versuch, diejenigen zu täuschen, die größere Sicherheit fordern, als wüssten wir nicht, dass Waffen und gewaltsame Unterdrückung, anstatt Lösungen herbeizuführen, neue und schlimmere Konflikte schaffen. Einige finden schlicht Gefallen daran, die Armen und die armen Länder mit ungebührlichen Verallgemeinerungen der eigenen Übel zu beschuldigen und sich einzubilden, die Lösung in einer „Erziehung“ zu finden, die sie beruhigt und in gezähmte, harmlose Wesen verwandelt. Das wird noch anstößiger, wenn die Ausgeschlossenen jenen gesellschaftlichen Krebs wachsen sehen, der die in vielen Ländern – in den Regierungen, im Unternehmertum und in den Institutionen – tief verwurzelte Korruption ist, unabhängig von der politischen Ideologie der Regierenden.
Am besten auch den Kontext lesen: http://www.vatican.va/holy_father/franc ... um_ge.html
Gruß Jürgen

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Torsten
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Torsten »

nachdenkseiten hat geschrieben:Schaut Euch das an:

Da rühmt sich der Fraktionsvorsitzende Steinmeier auf dem Deutschen Arbeitgebertag 2013 - ab Minute 15:45, und extrem ab Minute 17:00, der Agenda 2010, der Steuersenkungen für die Wirtschaft, auch der Halbierung der Besteuerung der Zinseinkommen – Halbierung im Vergleich zur Steuer auf Eure sauer verdienten Löhne.
jungewelt hat geschrieben:Die Ausputzer

[...] Ja, die viertgrößte Stadt Deutschlands ist arm, ewig droht die Haushaltspleite. Nicht nur, weil man das Geld gern in Großprojekten versenkt, sondern auch, weil Köln, wie andere Kommunen, durch zahlreiche Steuerreformen zugunsten von Unternehmen und Reichen finanziell austrocknete, während gleichzeitig die Zahl der Armen und Bedürftigen stieg. [...] So sucht man in der rheinischen Metropole nicht nur ständig nach Ehrenamtlichen, die Grünflächen pflegen, sondern auch nach freiwilligem Personal für Schulen, für Besuchsdienste in Altenheimen oder bei Familien mit neugeborenen Kindern. Die Kölner Freiwilligen-Agentur, eine Art Jobcenter für Ehrenamtler, hat täglich über 400 Stellen für Gratisarbeiter im Angebot.
Gallus hat geschrieben:Mit dem Finger auf andere zeigen und rufen: "Nehmt denen was weg und gebt es den Armen!", das mag gut sozialdemokratisch sein, aber christlich ist es nicht. Christus ruft jeden individuell dazu auf, seinem Nächsten zu helfen. Von Politik, von Umverteilung durch staatlichen Zwang, spricht er dagegen nie.

Pilgerer
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Pilgerer »

Lacrimosa hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Man müsste klarer zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft unterscheiden. Im Kapitalismus gibt es große Kapitalgesellschaften, die Politik und Gesellschaft durch ihr Kapital beeinflussen, und in denen die Mitarbeiter "kleine Würmer" im Getriebe sind. In der gesunden Marktwirtschaft gibt es dagegen zahlreiche kleine Unternehmen, die persönlich betrieben werden, in denen der Unternehmer volle Verantwortung/Haftung besitzt und keine Macht in der Gesellschaft und Politik ausüben kann, weil in der Gesellschaft volle Konkurrenz besteht und das Unternehmen zu klein ist, um sich Einfluss auf die Politik zu kaufen.

Insgesamt ist die Marktwirtschaft das natürliche System, solange wir in einer Welt der Knappheit leben und Werte wie "Du sollst nicht stehlen" akzeptieren. Im Paradies, wo keine Knappheit besteht, endet die Marktwirtschaft. Wo jeder alles besitzt, was er bedarf und begehrt, besteht kein Bedarf mehr an Tauschgeschäften.
Die Betonung bei dem was du schreibst, liegt für mich auf "gesunde" Marktsysteme, "persönlich" betriebene Unternehmen, "Verantwortung" des Unternehmers ... Gesunde Systeme können nur durch gesunde Menschen betrieben werden. (Prinzipiell sehe ich das sonst auch so, dass wir zurück zu einer sozialen Marktwirtschaft kommen müssten. Aber der gesunde Menschenverstand scheint vielfach abhanden gekommen zu sein.)
Kapitalismus ist die Trennung von Arbeit und Kapital, wo einer den Betrieb besitzt ohne zu arbeiten und ein anderer im Betrieb arbeitet, ohne davon etwas zu besitzen. In der traditionellen Marktwirtschaft arbeitet(e) der Unternehmer jedoch in seinem Betrieb persönlich mit, also der Bäcker, Schuster, Schmied, Landwirt, Friseur ... Der klassische Tagesablauf eines Kleinunternehmers umfasst sowohl handwerkliche Tätigkeiten als auch Marketing, Geschäftsverhandlungen, kaufmännische Arbeit, Analysen und Planen. Diese vielseitige Tätigkeit kommt den menschlichen Bedürfnissen nach "guter Arbeit" näher als die arbeitsteilige Struktur der modernen Gesellschaft.
Der Sozialismus/Kommunismus bewirkt nicht die Überwindung des Kapitalismus, sondern dessen schlimmste Ausformung. Hier sind nämlich die Politiker und Spitzenbeamten Besitzer des Kapitals im Land, während die Bürger - auch per Zwangsarbeit - schuften müssen, ohne anständigen Lohn zu erhalten. Hier haben die Bosse - anders als in freien Wirtschaftsordnungen - zusätzlich noch die Polizei- und Militärgewalt zur Hand, die sie auch reichlich eingesetzt haben. Zudem setzt sich hier die Arbeitsteilung fort, die ursprünglich ein Kritikpunkt von Karl Marx am Kapitalismus war.
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Torsten
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Torsten »

Pilgerer hat geschrieben:In der traditionellen Marktwirtschaft
Soetwas wie ein Markt existiert nicht. Punkt.


Wenn wir in den nächsten Tagen und Wochen den Weihnachtsmarkt besuchen, dann können wir alle mal an der Krippe halt machen, und einen Blick auf das riskieren, was den einen von uns naheliegt, zu sein, und den anderen, zu dienen - was schon immer bedeutete, zu herrschen. Nur das Bewusstsein darum, das ist verloren gegangen. Oder es zeigt sich korrumpiert:"Wenn dein starker Arm es will, dann ... alle Räder still." etc. Ja, es ist eine Frage der Klasse. Aber die richtet sich nicht nach der Schicht in "einem Dreieck". Dienen, verwalten, herrschen. Diese Klasse richtet sich nach dem Angesicht Gottes, als Mann und Frau. Und der Rolle, die sie füreinander spielen, mit nichts gesegnet als einem himmlischen Vater. Dem einzigen, wie im Himmel so auf Erden.

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Juergen
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Juergen »

Torsten hat geschrieben:Soetwas wie ein Markt existiert nicht. Punkt.
Achwas!? :detektiv:
Gruß Jürgen

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Lacrimosa
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Lacrimosa »

Pilgerer hat geschrieben:
Lacrimosa hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Man müsste klarer zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft unterscheiden. Im Kapitalismus gibt es große Kapitalgesellschaften, die Politik und Gesellschaft durch ihr Kapital beeinflussen, und in denen die Mitarbeiter "kleine Würmer" im Getriebe sind. In der gesunden Marktwirtschaft gibt es dagegen zahlreiche kleine Unternehmen, die persönlich betrieben werden, in denen der Unternehmer volle Verantwortung/Haftung besitzt und keine Macht in der Gesellschaft und Politik ausüben kann, weil in der Gesellschaft volle Konkurrenz besteht und das Unternehmen zu klein ist, um sich Einfluss auf die Politik zu kaufen.

Insgesamt ist die Marktwirtschaft das natürliche System, solange wir in einer Welt der Knappheit leben und Werte wie "Du sollst nicht stehlen" akzeptieren. Im Paradies, wo keine Knappheit besteht, endet die Marktwirtschaft. Wo jeder alles besitzt, was er bedarf und begehrt, besteht kein Bedarf mehr an Tauschgeschäften.
Die Betonung bei dem was du schreibst, liegt für mich auf "gesunde" Marktsysteme, "persönlich" betriebene Unternehmen, "Verantwortung" des Unternehmers ... Gesunde Systeme können nur durch gesunde Menschen betrieben werden. (Prinzipiell sehe ich das sonst auch so, dass wir zurück zu einer sozialen Marktwirtschaft kommen müssten. Aber der gesunde Menschenverstand scheint vielfach abhanden gekommen zu sein.)
Der klassische Tagesablauf eines Kleinunternehmers umfasst sowohl handwerkliche Tätigkeiten als auch Marketing, Geschäftsverhandlungen, kaufmännische Arbeit, Analysen und Planen. Diese vielseitige Tätigkeit kommt den menschlichen Bedürfnissen nach "guter Arbeit" näher als die arbeitsteilige Struktur der modernen Gesellschaft.
Mit den unterschiedlichen unternehmerischen Kontexten bin ich, teilweise aus eigener Berufserfahrung, teils aus familiärer Einbindung, vertraut. Kleinunternehmer unterstütze ich wo ich kann. Insgesamt ging es mir jedoch in diesem Strang um eine Akzentverschiebung in der Diskussion – weg von den unterschiedlichen Wirtschaftsystemen oder Geschäftsformen mit ihren Vor- und Nachteilen – hin zum Evangelium. Erst wenn wir nach dem Reich Gottes trachten, so sagt Jesus uns auch heute, geht uns (ein Licht) auf, dass wir, sofern wir den Verführungen des Marketing erlegen sind, immer mehr arbeiten müssen, um einen hochgezüchteten Lebensstil zu erhalten, indem sich auch Mann und Frau voneinander entfremden. Auch das Kleinunternehmertum scheint mir immer mehr nur noch ein Ideal zu sein, da die Konkurrenz aus Mittelständlern und Großunternehmen leider zu unausgewogenen Marktverhältnissen führt; der Schwächste unterliegt. (Und schon dieses „unterliegen“ weist auf den „Überlebenskampf“ dieses modernen Kriegs unter dem Deckmäntelchen des hart erkauften Friedens hin.)
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overkott
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von overkott »

Der Papst hat sich in seinem ersten Rundschreiben mit Jesus Christus in die prophetische Tradition der Mahnung zur Gottes- und Nächstenliebe gestellt und die christliche Kapitalismuskritik fortgesetzt. Diese Kritik ist jedoch nicht grundsätzlich, da der Schöpfer nicht nur Urheber der ewigen spirituellen Güter, sondern auch der zeitlichen materiellen Güter ist. Schließlich ist Kapitalismus als neutraler Begriff auch die abstrakte Bezeichung eines Rentensystems im allgemeinen Sinne. Allerdings hat Christus die Akkumulation geistlicher Schätze im Himmel über die Anhäufung verderblicher Güter gestellt. Vor allem kritisiert der Papst mit ihm unmenschliche Nebeneffekte einer ungleichen Verteilung materieller Güter über einen zügellosen Markt ohne politisches Korrektiv.

Piusderdritte
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Piusderdritte »

Lars Schall: Ein zentraler Begriff im Werk von Baader ist das Wort vom "Gottspielertum". Was hat es damit auf sich?

Gregor Hochreiter: Die Zentralität dieses Begriffs zeigt sich schon allein dadurch, dass es dieser in einen Buchtitel geschafft hat: "Geld, Gold und Gottspieler". Das Besondere an Roland Baaders fundamentaler Kritik am "fiat money" liegt darin, dass er diese nicht nur ökonomisch, rechtlich und ethisch zu begründen versucht. Wesentlich tiefer gehend wagt er wie z.B. auch Jeffrey Herbener und Prof. Hülsmann eine theologische Deutung des englischen Fachbegriffs "fiat money."

Im Schöpfungsbericht der Hl. Schrift begegnet uns das Wort "fiat" in der Zusammensetzung "fiat lux" - "Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht." (Gen 1, 3) Schöpfen heißt ja, etwas aus Nichts hervorzubringen und dies kann nach christlicher Auffassung Gott allein. Der Mensch ist hingegen dazu berufen, die Materie zu verfeinern und zu veredeln. Falls der Mensch hingegen wie bei der Schöpfung von Papiergeld versucht etwas aus dem Nichts hervorzubringen, maßt er sich nichts Geringeres an als wie Gott sein zu wollen.

Mit dem Versprechen - "Ihr werdet sein wie Gott" - verführt ja die Schlange, die im christlichen Verständnis immer als Verkörperung des Teufels verstanden wurde, Adam und Eva zur unheilvollen Tat, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen.

Mit dem Ansatz, die ideologischen Wurzeln des neuzeitlichen Geldsystems auf theologische Einsichten zurückzuführen, gelingt Roland Baader eine wichtige Ausweitung der Analyse des "fiat money", die meines Erachtens erst am Anfang steht. Darüber hinaus treffen wir das Gottspielertum ganz augenscheinlich nicht nur im Bereich der Ökonomie an. Diese fatale Anmaßung scheint sich in immer mehr Lebensbereichen durchzusetzen: Gender Mainstreaming, Genmanipulation, der fortgesetzte Angriff auf das menschliche Leben (Abtreibung, Eugenik, Euthanasie,…), der Rechtspositivismus.…


Lars Schall: Welche Rolle spielen Christentum und Liberalismus in Baaders Denken, und wo setzt er jeweils den Schwerpunkt?

Gregor Hochreiter: Roland Baader hat versucht zu zeigen, dass Christentum und Liberalismus einander nicht ausschließen sondern dass der Liberalismus sogar dauerhaft auf das Christentum als Grundlage angewiesen ist. Diese Angewiesenheit kommt in dem Titel eines Artikels besonders deutlich zum Vorschein: "Der Dekalog als Verfassung der Freiheit." Die zentrale Trias des Christentums - Glaube, Hoffnung und Liebe - sind allesamt innere Akte und damit notwendigerweise freie Akte. Schließlich kann niemand dazu gezwungen werden, zu glauben, zu hoffen oder zu lieben.

So lehnt Roland Baader den Sozialstaat auch deswegen ab, weil die vom Christentum gebotene Nächstenliebe gerade nicht durch staatliche Umverteilung erzwungen werden kann. Der freigiebige Umgang mit dem Eigenen setzt schließlich das Recht auf das Eigene voraus. Allerdings würde das Verhältnis Liberalismus-Christentum eine weitaus tiefergehende Auseinandersetzung verlangen, zumal die Hauptströmungen des Liberalismus mindesten ebenso viele Schattierungen aufweisen wie die unterschiedlichen christlichen Konfessionen. Der Verweis auf das Christentum, wie es Roland Baader tut, greift meines Erachtens zu kurz.
http://www.goldseiten.de/artikel/197875 ... ml?seite=1
"Katholische Haus- und Schulbibel" (aus1928) von Paul Bergmann, ist eine sehr gute Zusammenfassung der Bibel! Sollte jeder Katholik mal gelesen haben. Verständlich geschrieben und schnell durchgelesen!

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Yeti
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Yeti »

Ein interessanter Artikel. Aber die Ablehnung des Sozialstaates von diesem Autor (aus den genannten Gründen) finde ich als nicht vereinbar mit der Soziallehre der Kirche; die Soziale Marktwirtschaft (oder wie manche mit Blick nicht nur auf Adenauer sagen: Der "rheinische Kapitalismus") war ja geradezu eine maßstabsgetreue "Kopie" dieser Soziallehre, die nun seit mehreren Jahren immer mehr ausgehöhlt wird. Ich habe erst letzthin einen klugen Satz gehört, der aus "Centesimus annus" hätte stammen können: "Der Sozialismus scheiterte daran, dass er nicht verwirklicht wurde, der Kapitalismus wird daran scheitern, dass er verwirklicht worden ist."
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Peregrin
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Peregrin »

Yeti hat geschrieben:Ein interessanter Artikel. Aber die Ablehnung des Sozialstaates von diesem Autor (aus den genannten Gründen) finde ich als nicht vereinbar mit der Soziallehre der Kirche;
Gregor Hochreiter ist bekennender Katholik und Anhänger der Wiener Schule der Nationalökonomie. Seine hier angedeuteten Ansichten wurzeln in der Tat nicht in dem, was man heute "Katholische Soziallehre" nennt, sondern gehen auf die neuscholastische jesuitische Schule von Salamanca zurück, insbesondere in ihrer Rezeption durch Schumpeter.
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Pilgerer
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Pilgerer »

Yeti hat geschrieben:Ein interessanter Artikel. Aber die Ablehnung des Sozialstaates von diesem Autor (aus den genannten Gründen) finde ich als nicht vereinbar mit der Soziallehre der Kirche; die Soziale Marktwirtschaft (oder wie manche mit Blick nicht nur auf Adenauer sagen: Der "rheinische Kapitalismus") war ja geradezu eine maßstabsgetreue "Kopie" dieser Soziallehre, die nun seit mehreren Jahren immer mehr ausgehöhlt wird. Ich habe erst letzthin einen klugen Satz gehört, der aus "Centesimus annus" hätte stammen können: "Der Sozialismus scheiterte daran, dass er nicht verwirklicht wurde, der Kapitalismus wird daran scheitern, dass er verwirklicht worden ist."
Wir müssen zwischen der Armenfürsorge und dem "Mittelstandssozialstaat" unterscheiden. Ersteres ist notwendig, um denen, die im marktwirtschaftlichen Spiel verlieren, eine Lebensgrundlage zu geben, damit die Wirtschaft nicht zur sozialdarwinistischen Auslese ausartet. Das zweitere ist dagegen weniger notwendig und in der Regel mit sehr viel Zwang verbunden. Denn um der Masse der Mittelschicht einen Sozialstaat zu garantieren, muss sehr viel mehr Geld umverteilt werden, als es bei der Grundsicherung der relativ wenigeren Armen nötig wäre. Zum Mittelstandssozialstaat gehören insbesondere Renten-, Kranken- und Pflegesozialversichung. Rund 1/3 der Arbeitskosten werden hierfür zwangweise aufgewendet.
Zugleich wäre es notwendig, die freie Solidarität in der Gesellschaft zu fördern, z.B. indem sich die freiwillige Unterstützung von Bedürftigen von der Steuer absetzen lässt. Hier sind aber auch die Kirchen gefragt, Solidarität als Tugend zu predigen.
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Lacrimosa
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Lacrimosa »

In diesem Zusammenhang ist auch der in der Pforte aktuell verlinkte Artikel im Thread „Ökonomie – die neue Religion?“ interessant: http://www.idea.de/detail/thema-des-tag ... -156.html. Hieraus zwei Passagen:

Er sprach dort beim Impulstag des Kongresses christlicher Führungskräfte. Nach Sedláceks Worten haben sich die Wertigkeiten verkehrt und Dinge wurden auf den Kopf gestellt: „Wir hatten die Wirtschaft erschaffen, weil sie uns Freiheit und Wohlstand ermöglicht. Aber inzwischen sind wir Sklaven der Ökonomie geworden.“

Maximiere deine Nützlichkeit und unterdrücke deine Gefühle! Das wiederum führe dazu, dass immer mehr Menschen Werte wie Nächstenliebe in Institutionen auslagerten. So kümmere sich kaum noch jemand selbst um Arme und Kranke. Dafür seien Versicherungen oder Hilfswerke zuständig. Sedlácek verwies auf die bleibende Aktualität der Bibel. Was etwa die Financal Times heute zur Unterstützung Schwächerer durch Stärkere in der Euro-Krise schreibe, stehe schon im Neuen Testament: Einer trage des anderen Last (Galater 6,3).

Ich glaube, einseitige Systemkorrekturen von außen (Politik) bringen auf lange Sicht nur marginale Veränderungen oder Verschiebungen, während die Werte wie Nächstenliebe und Solidarität durch die ökonomischen Zwänge weiter ausgehöhlt werden. Die notwendige Veränderung wäre eine Umkehr wie der emeritierte Papst Benedikt – in einem anderen Kontext zwar – sehr schön formulierte. Das einleitende Wort „Versöhnung“ könnte man gut mit Nächstenliebe oder Solidarität ersetzen:

„[…] Versöhnung ist ein vorpolitischer Begriff und eine vorpolitische Realität, die gerade so von höchster Bedeutung für die Aufgabe der Politik selbst ist. Wenn nicht in den Herzen die Kraft des Versöhnens geschaffen wird, fehlt dem politischen Ringen um den Frieden die innere Voraussetzung. […]“ (http://www.katholisches.info/213/9/24 ... iebt-leer/)

Die Quintessenz: Strukturen können sich nur ändern, wenn sich die Menschen von innen her ändern.
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Knecht Ruprecht
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Re: Jesus und der Kapitalismus.

Beitrag von Knecht Ruprecht »

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, rief zur Überwindung des Kapitalismus auf. Vor Beginn des Katholikentags sagte der Münchner Erzbischof nach Angaben der Bischofskonferenz: „Wir müssen über die Neubestimmung der Gesellschaft und des Staates auf globaler Ebene diskutieren, über den Kapitalismus hinausdenken, denn Kapitalismus ist nicht das Ziel, sondern wir müssen ihn überwinden.“
http://www.tz.de/bayern/katholikentag-r ... 93398.html

Also dieser Bolschewist stösst mir sehr negativ auf....

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