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Politisches Dilemma

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 11:27
von Ralf
Vielleicht kann mir das ja mal einmal jemand erklären - ich verstehe es nicht, seit ich bewusst darüber nachdenken kann.

Da wird vom linken politischen Spektrum "Kein Blut für Öl" gerufen (dem ich mich anschließen kann), aber gegen "Blut für Karriere", "Blut für persönliche Lebensplanung" und "Blut für Eigeninteressen" hat man nichts bzw. fördert das sogar.
Da wird vom rechten politischen Spektrum (besonders ausgeprägt in den USA) der Lebensschutz aufgegriffen (Stammzellen, Klonen, evtl. auch Abtreibung), aber man sieht Krieg als legitimes Mittel zur Durchsetzung eigener politischer Ziele und nicht wenige (auch die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung) halten die Todesstrafe im Einzelfall für angemessen.

Ich raffe das echt nicht.

Vielleicht denke ich da anders (zu logisch?), diese Denke hatte ich aber schon immer - auch weit vor meiner Zeit als gläubiger Christ - entweder man hält das Leben für, naja sagen wir mal "heilig" und aus dieser Maxime leiten sich alle anderen handlungsstränge ab oder eben nicht.

Das ist ja bei weitem kein westeurop. oder abendländisches Problem - das sieht in der ganzen Welt ähnlich aus. Liegt da das Problem in meinem Kopf? Ich versteh es echt nicht. Was liegt dieser sehr seltsamen Zweiteilung (die natürlich vergröbernd ist, aber tendenziell stimmt) als Grundgerüst zugrunde?

:ratlos:

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 11:32
von Juergen
Deswegen wurde der Papst in den USA von beiden Seiten gefeiert:

- von den "linken", weil er gegen den Krieg ist
- von den "rechten", weil er gegen Abtreibung ist

Allerdings höre da wohl jeder nur das, was er hören wollte...

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 11:40
von Clown
Jo, dem Papst ist vielleicht das Leben heilig, die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist es ihm nicht.

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 11:42
von Peter
Das ist mal eine ganz neue Sicht: Krieg als freie Entfaltung der Persönlichkeit zu sehen … :mrgreen:

(Wiewohl logisch – wie sähe wohl die freie Entfaltung der Persönlichkeit à la Goliath aus? Richtig: Rübe ab!)

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 11:44
von Clown
Ich habe nicht den Krieg gemeint. ;)

Aber für Georgie könnte ich mir das auch nicht vorstellen. Ein Deserteur der Krieg als Entfaltung seiner Persönlichkeit betrachtet. :kratz:

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 11:46
von Ralf
So neu ist diese Sicht nicht, Peter. Ohne McDonnel-Douglas kein McDonald's. Und für manche (besonders hierzulande) gehört auch das Auto zur Selbstentfaltung dazu. Der Feind kann aber auch im eigenen Bauch sein, oder eben ganz weit weg.

Doch genau da liegt das Problem. Wieso sind die politischen Lager beide so überzeugt inkonsequent?

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 11:48
von Peter
Allerdings sehe ich das Dilemma ebenso wie du, Ralf.

Vielleicht liegt es an der Entwicklung, die die Demokratien zur Zeit durchlaufen. Da weichen Ideale der Realität …

Wenn ich in Amerika wohnte (jetzt mal nur aus meiner europäischen Brille gesehen), erschiene mir die Präsidentschaftswahl wie die Wahl zwischen Teufel und Beelzebul …

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 11:51
von Ralf
Peter, es geht mir ja nicht primär um die Parteien, es geht mir um die einzelnen Menschen! Da ist es doch genauso! Die, die am lautesten "Kein Blut für Öl" schreien, legen sich am meisten für Abtreibungsrechte weltweit ein! Das sind nicht immer Politiker. Und andersherum genauso.

Woran liegt das?

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 11:52
von Clown
Ich würde trotzdem Kerry wählen. Er ist allemal besser als der jetztige Präsi. Bush ist wirklich einer der schlimmsten Präsidenten die die USA jemals hatten. Er ist strunzdumm, lügt, betrügt und ist ein Lakai der Lobbyisten.

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 12:01
von Peter
Lieber Ralf,

leider muss ich jetzt weg. Ein Gedicht, das mich seit Jahren in dieser Frage begleitet, ist, “The Medal” von John Dryden. Es ist jetzt vielleicht etwas anspruchsvoll, ich kenne es auch nicht in einer Übersetzung.
John Dryden hat geschrieben:Crowds err not, though to both extremes they run;
To kill the father and recall the son.
Some think the fools were most, as times went then,
But now the world's o'erstocked with prudent men.
The common cry is even religion's test;
The Turk's is at Constantinople best,
Idols in India, Popery in Rome,
And our own worship is only true at home,
And true but for the time; 'tis hard to know
How long we please it shall continue so;
This side to-day, and that to-morrow burns;
So all are God Almighties in their turns.
Die Massen – und wir übernehmen Massen-Ansichten – sind verführbar. Und der Pferdefuß unserer Demokratien ist der religiös-inbrünstige Glaube an die Gültigkeit von Mehrheitsmeinungen. (Hier geht Dryden natürlich auch mit der Religion ins Gericht … Man kann nicht alles haben.)

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 12:10
von Peter
Clown hat geschrieben:Ich würde trotzdem Kerry wählen. Er ist allemal besser als der jetztige Präsi. Bush ist wirklich einer der schlimmsten Präsidenten die die USA jemals hatten. Er ist strunzdumm, lügt, betrügt und ist ein Lakai der Lobbyisten.
Na ja. Wie sieht Mr. Kerry die Todesstrafe? Wie verhält er sich zur Abtreibung? Hat es unter den Demokraten in Amerika eine Besinnung über das Verhalten ihrer eigenen Regierung unter Clinton und Albright gegenüber dem Irak gegeben?

Ich wüsste wirklich nicht, wen ich wählen sollte. Die Argumente gegen Bush hast du genannt …

Hi Ralf, könnte es vielleicht sein, dass es sich um eine Lagermentalität handelt? Jemand identifiziert sich mit dem vermeintlich frommen Politiker Bush und nimmt den Leichengeruch in seinem Keller nicht mehr wahr? Oder ist es die Angst vor dem Schritt in die Totalopposition; sagen und zugeben zu müssen, dass in Wirklichkeit das Fundament der Demokratien so morsch ist, wie es morscher nicht sein kann?

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 12:13
von Ralf
Ja, aber warum sind denn diese Lager erst so entstanden? Welche Idee steckt hinter dem "Frieden in der Welt!" und bspw. dem Töten von Ungeborenen. Welche Idee steckt hinter dem Schutz Ungeborener und dem Töten fremder Zivilisten und Schuldiggewordener?

Habe ich da die Kohärenz noch nicht erkannt?

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 12:29
von Clown
Ich könnte mir vorstellen, dass die Pro-Choice bewegung in der Frauenbewegung entstanden ist und da die mehrheitlich links war war auch die Pro-Choice bewegung links.


@Peter

Kerry ist soweit ich weiß gegen die Todesstrafe oder zumindest für ein Moratorium. Nein Kerry bleibt die bessere Wahl.

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 13:32
von Biggi
Ralf hat geschrieben:Ja, aber warum sind denn diese Lager erst so entstanden? Welche Idee steckt hinter dem "Frieden in der Welt!" und bspw. dem Töten von Ungeborenen. Welche Idee steckt hinter dem Schutz Ungeborener und dem Töten fremder Zivilisten und Schuldiggewordener?

Habe ich da die Kohärenz noch nicht erkannt?
Ich möchte jetzt nicht als Befürworterin von Krieg und Todesstrafe (miss-)verstanden werden, aber ich denke, der Knackpunkt liegt in der Frage der Schuld und des Umgangs damit. Bei der Todesstrafe geht es um die Schuld des Einzelnen, beim (Verteidigungs-)Krieg - und das ist der einzige, der eventuell zu legitimieren ist - um die Schuld eines Staates oder Volkes. Dass im Krieg auch immer viele individuell Unschuldige getötet werden, ist noch ein eigenes Problem. - Zumindest alttestamentlich sind Todesstrafe und Krieg völlig selbstverständlich. Aus dem NT lässt sich ihre Ablehnung auch nicht unmittelbar und direkt ableiten. Nun kann man natürlich mit der aktuellen Auflage des KKK sagen, dass die modernen Gesellschaften inzwischen weit genug sind, um Krieg und Todesstrafe obsolet zu machen, aber ich denke nicht, dass man frühere Generationen als inkonsequent und/oder unchristlich verurteilen kann, wenn sie das anders sahen.

Bei der Abtreibung wie bei der Euthanasie liegt insofern die Sache anders, als es sich hier um unschuldige Menschen handelt - und für die ist das Tötungsverbot sowohl biblisch als auch naturrechtlich klar.

So scheint mir zumindest die Haltung der "Rechten" nicht so inkohärent zu sein wie du sie siehst.

Und bei den "Linken" scheint mir ein Teil der "Kohärenz" darin zu bestehen, dass sie sich selbst die Definitionsmacht darüber zubilligen, wer Mensch ist und wer nicht, wer das Recht auf Leben hat und wer nicht. Oder seh ich das falsch?

LG
Biggi

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 16:08
von Werner001
Biggi hat geschrieben:Und bei den "Linken" scheint mir ein Teil der "Kohärenz" darin zu bestehen, dass sie sich selbst die Definitionsmacht darüber zubilligen, wer Mensch ist und wer nicht, wer das Recht auf Leben hat und wer nicht
Bei der "Rechten" besteht die "Kohärenz" darin, daß sie willkürlich einen "Angriff" konstruiert, um dann einen "gerechten" Verteidigungskrieg führen zu können (als solchen hat Bush den Irakkrieg immer dargestellt, und tut es auch heute noch).
Die aus dem AT ableitbare biblische Billigung der Todesstrafe wurde durch eine "Kreuzige ihn" Mentalität ersetzt, bei der Staatsanwälte möglichst hohe "Abschussquoten" zu erreichen suchen um wiedergewählt zu werden und bei der ein Gouverneur Bush stolz darauf war, den Rekord in unterschriebenen Todesurteilen aller demokratischen Politiker weltweit zu halten.

Beide Seiten bleiben sich da nichts schuldig, und da außer pathetischen Worten in Punkto Abtreibung in den letzten 4 Jahren von Bush rein gar nichts kam, bleibt auf alle Fälle Kerry die bessere Wahl (vielleicht keine gute, aber sicher die bessere)

Werner

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 16:29
von Peter
Hi Werner,

ich glaube, darum ging es Biggi nicht in erster Linie. Bei der Kohärenzproblematik ging es ihr um die grundsätzliche Möglichkeit, Kriege oder auch die Todesstrafe mit der eigenen Linie in Übereinstimmung zu bringen.

Dass die amerikanische Regierung im Irak-Konflikt die Welt getäuscht und an der Nase herumgeführt hat (was die Welt den Mächtigen immer wieder gerne vergibt), dass die Todesstrafe auch an psychisch kranken, beziehungsweise sehr jungen Menschen vollstreckt wird – sind an dieser Stellle eher Detailfragen …

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 16:52
von Nietenolaf
Ralf, Du sprichst mir hier aus der Seele. Diese ganze Sache ist v.a. auch der Grund dafür, daß ich nicht mehr wählen gehe (ich bin jahrelang Ganz-weit-links-Wähler gewesen). Nachdem vor Jahren endlich die Schnarchnasen-CDU abgewählt wurde, haben wir jetzt fortschrittliche Dinge wie den Raketenkochtopf und die Homo-Ehe. Ich weiß auch nicht, warum das eine nicht ohne das andere geht, warum Energie und frisches Denken den Menschen immer an die moralischen Wurzeln zu wollen scheint. Letztendlich muß ich mir das aber auch nicht erklären, denn ich kümmere mich inzwischen recht wenig um Politik und deren Machenschaften. Wir wissen doch beide, daß wir uns hier kein Himmelreich aufbauen können.

Andererseits ist mir ein orthodoxes Kloster auf deutschem Boden bekannt, in dem der Abt eine Wahlpflicht verhängt hat. Er schreibt seinen Mönchen vor, "das kleinste Übel" zu wählen (so wörtlich!). Was das dann konkret ist, bleibt natürlich dem Mönch überlassen.

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 18:03
von Lucia
Nietenolaf hat geschrieben: haben wir jetzt fortschrittliche Dinge wie den Raketenkochtopf
Was ist das denn?

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 18:30
von Ralf
Ich wäre froh, wenn es hier nicht um den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf ginge (auch wenn das das Lagerdenken exemplarisch ausgeprägt ist).

Nietenolaf, Du gehst nicht mehr wählen. Ich verstehe das zusehends, zumal mir eben auch die irdische Heimatlosigkeit immer bewusster wird. Dennoch habe ich für mich noch nicht diese Option ergriffen (wähle aber zumeist "Sonstige"). Früher habe ich auch links gewählt.

Biggi, es geht mir nicht um das, was früher evtl.(!) zu rechtfertigen gewesen war (Stichwörter: Todesstrafe und "gerechter" Krieg), sondern es geht um das Jetzt und die grundsätzliche Haltung, über Leben mit Daumen hoch oder runter zu entscheiden. Gleichzeitig gibt man sich dem Leben verpflichtet. Was soll das?

Clown, natürlich war die Bewegung für die straflose Abtreibungsmöglichkeit mehrheitlich links, aber ich verstehe eben nicht, wie man als Linker die Abneigung gegen Krieg und Imperialismus jeglicher Art (dazu gehören auch Kultur und Wirtschaft) und die Freigabe des Tötens Ungeborener problemlos in eine politische Überzeugung harmonisiert bekommt. Das beißt sich doch aufs Ärgste!

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 18:45
von Clown
Nachdem vor Jahren endlich die Schnarchnasen-CDU abgewählt wurde, haben wir jetzt fortschrittliche Dinge wie den Raketenkochtopf und die Homo-Ehe.

Was ist gegen die Homo-ehe einzuwenden?

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 18:52
von Peter
Dass sie wesensmäßig keine Ehe ist, sondern eine Paarbeziehung. Wird ja auch nicht Ehe genannt. Ich finde, dass dem gegenüber intensive nicht-erotische Freundschaften und Geistliche Lebensgemeinschaften sträflich benachteiligt werden.

(Aber das ist sicherlich off-topic.)

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 18:54
von Ralf
Eben, und deswegen macht Euch, wenn Ihr das ausdiskutieren wollt, einen eigenen Thread dazu auf bitte.

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 20:27
von Robert Ketelhohn
Ralf hat geschrieben:»entweder man hält das Leben für, naja sagen wir mal "heilig"«
Das halte ich für einen tendenziell gefährlichen und jedenfalls genuin nicht christlichen Satz. Das ist eher pantheistisch oder esoterisch-naturreligiös. Was man heute gemeinhin unter dem Begriff „Leben“ versteht, endet ohnehin zumeist mit dem Tode.

„Heilig“ ist zunächst nur Gott. „Heilig“ ist sodann auch der Mensch, als nach dem Ebenbild des Schöpfers geschaffene Kreatur. Doch hat der Mensch diese Heiligkeit verloren. Seine Natur ist gefallen, ist verdorben. Unheilig wird der Mensch geboren. Die Heiligkeit gewinnt er erst zurück aus der erlösenden Kraft des Blutes Christi.

Gerettet werden kann jeder, der kraft der Gnade in der Lage ist, den Kelch des Heils zu trinken. Gerettet aber wird nicht diese Welt, die unter der Gewalt ihres Fürsten steht und deren Gestalt vergeht. Deshalb auch bleibt der irdische Staat – und zwar jeder, von Korea bis zum Staat der Vatikanstadt – immer in der Sphäre des irdischen Staats, bleibt Teil Babylons.

Darum auch bedarf jeder irdische Staat, um wenigstens versuchen zu können, seiner Krückenfunktion des Erhalts irdischen Rechts und irdischen Friedens gerecht zu werden, jener Gewalt, die man eben „staatlich“ nennt und die zumindest potentiell auch Gewalt über irdisches Leben und irdischen Tod umfaßt, die Kriegführung ebenso einschließt wie Strafgewalt, wobei grundsätzlich in ihrer Begründung zwischen einfachem Bußgeld und Kapitaljustiz gar kein Unterschied besteht. Dies zu leugnen ist nicht christlich und widerspricht fundamental aller Tradition und dem Lehramt.

Eine andere Frage ist die, an welchen Kriterien der Inhaber der Staatsgewalt sein Handeln ausrichten soll, und dies um so mehr, wenn er gläubig ist. Hier nun ist leider ein Teil der Gläubigen offenbar nicht in der Lage, die Ungerechtigkeit gewisser Kriege zu erkennen oder nicht willens, sie anzuerkennen. Mir scheint, daß da politische Erwägungen oder Haltungen das sittliche Denken hemmen und binden.

Wenn andererseits Ungläubige besagte Kriege verurteilen, dann sind dort ebenso politische Grundhaltungen ausschlaggebend, wie sich meist schon daran zeigt, daß andere ungerechte Gewalttat keineswegs mit gleicher Entschiedenheit abgelehnt wird. Was das „ungeborene Leben“ betrifft, so zeigt sich aber nicht selten eine zwiespältige Haltung. Man anerkennt den Menschen von der Zeugung an als Menschen und will ihn vor der „Verwertung“ etwa durch medizinische Forschung schützen, hält aber zugleich am „Recht auf Abtreibung“ fest.

Die in diesem Zwiespalt gefangen sind, gehen in der Regel von jener oben angedeuteten „Heiligkeit des Lebens“ nach esoterisch-naturreligiösem Verständnis aus. Wenn sie solche „Heiligkeit“ teils sogar schon für die unbelebte Natur postulieren, dann begreifen sie, daß sie dies dem Menschen nicht vorenthalten können, und lehnen „verbrauchende Forschung“ und ähnliche Scheußlichkeiten ab.

Eines aber ist bei ihnen meist noch stärker als die ökoideologische Haltung: die Prägung nämlich durch die feministische Ideologie. Die Unvereinbarkeit wird in diesem Punkt offenkundig, und doch können sie diese Hürde nicht überspringen. Die Prägung ist so tief eingeschlagen ins eigene Selbst und vielfach wohl auch durch die eigene Geschichte verstärkt, daß sie in ihrer disparaten Haltung gefangen bleiben, selbst wenn sie sie eingestanden oder uneingestanden wahrnehmen.

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 21:49
von Ralf
Die Heiligkeit des Lebens ist für einen Christen hoffentlich nur begründet (welche größere Begründung gäbe es auch) in der Gottebenbildlichkeit des Menschen.
Da aber in der Politik Sünder über ihresgleichen regieren, auch wenn sie durch Taufe vielleicht einige direkte Folgen der Erbsünde nicht erdulden müssen, gilt, wenn diese Heiligkeit Geltung hat, für alle und jeden in gleich beschränktem Maße.
Genau deswegen hatte ich das Wort auch in "" gesetzt (und dieses obern erwähnte politische Dilemma ist ja ein Phänomen, was bei Glaubensgrenzen nicht haltmacht). Und genau deswegen sind diese "" bei Gott selbst unangebracht, Robert.

Mir geht es auch nicht grundsätzlich um das Gewaltmonopol des Staates, sondern um die vollkommen verqueren Maßstäbe, die von beiden politischen Tendenzen angelegt werden, wenn es um das Leben selbst geht, also das irdische Gut, ohne dass alle anderen Güter hinfällig und belanglos werden.

Es scheint so, als könne hier niemand diesen eklatanten Widerspruch auflösen. Aber warum ist er denn weltweit vorhanden?

Persönlich habe ich einen Freund, der politisch eher links (also Kriegsgegner, gegen Kapitalismus-Globalisierung etc.), aber für Todesstrafe und gegen Abtreibung ist. Auch seltsam.

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 22:50
von Nietenolaf
Lucia Hünermann hat geschrieben:
Nietenolaf hat geschrieben: haben wir jetzt fortschrittliche Dinge wie den Raketenkochtopf
Was ist das denn?
Ein Schnellkochtopf. Man nannte das bisweilen in der DDR so.

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 22:51
von Robert Ketelhohn
Ralf hat geschrieben:»Persönlich habe ich einen Freund, der politisch eher links (also Kriegsgegner, gegen Kapitalismus-Globalisierung etc.), aber für Todesstrafe und gegen Abtreibung ist. Auch seltsam.«
Dieser Titel ehrt mich, mein Freund. 8)

Verfasst: Mittwoch 16. Juni 2004, 23:13
von Ralf
Da ich Dich persönlich noch nicht kenne, kann ich das leider auf Dich persönlich noch nicht anwenden. Vielleicht später einmal. :)
Aber danke für die Blumen.

Verfasst: Donnerstag 17. Juni 2004, 09:17
von Stefan
Jedenfalls müssen Kriegsbefürworter, die Krieg mit der Verteidigung unschuldigen Lebens rechtfertigen, konsequenterweise auch einen Krieg gegen Abtreibungsbefürworter befürworten.

Verfasst: Donnerstag 17. Juni 2004, 09:20
von Robert Ketelhohn
Ralf hat geschrieben:Da ich Dich persönlich noch nicht kenne, kann ich das leider auf Dich persönlich noch nicht anwenden. Vielleicht später einmal. :)
Aber danke für die Blumen.
Na, dann hatte ich das wohl mißverstanden … ;)

Verfasst: Freitag 18. Juni 2004, 00:07
von Robert Ketelhohn
Passend hierzu dies:
kath.net hat geschrieben:

Katholiken, Abtreibung und der Irak-Krieg

Ein Kommentar von P. Frank Pavone, Vorsitzender von "Priests for Life", der weltweit größten klerikale [sic!] Pro-Life-Organisation.

New York (www.kath.net / LSN.com) Viele fragen sich, ob jemand ein guter Katholik und gegen Abtreibung sein kann und trotzdem den Krieg im Irak unterstützen kann. Die Antwort lautet Ja. Das heißt, die katholische Kirche lehrt, daß es Umstände gibt, unter denen ein Krieg gerechtfertigt ist, und daß manchmal ein Krieg genau deswegen geführt werden muß, um menschliches Leben zu verteidigen. [weiter]
Man lese den Artikel unter angegebener Adresse ganz. Man denke nicht, der Autor versuche auch bloß, die Kriterien der angedeuteten Lehre vom gerechten Krieg konkret auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Er suggeriert bloß, solche Kriterien lägen vor. Jedenfalls dürften, so resumiert er, die Gläubigen in Kriegsfragen legitimerweise unterschiedlicher Meinung sein.

Ein perfide Argumentation, denn indem Pavone gezielt jegliche Äußerung zur Sache vermeidet, also zum konkreten Krieg, sucht er jene Gläubigen einzulullen, deren Gewissen beunruhigt ist – und sich noch mehr beunruhigt angesichts des täglich auch in der amerikanischen Öffentlichkeit immer unabweisbarer zutagetretenden verbrecherischen Charakters des Krieges und des Régimes.

Es ehrt die kath.net-Redaktion nicht, solchen Schmutz publiziert zu haben. Und es ist geradezu bedrückend, daß Leute wie jener Frank Pavone, und namentlich die Vordenker dieses zeitgenössischen Amerikanismus wie Michael Novak, George Weigel und Richard John Neuhaus, sich das Mäntelchen eines „konservativen Katholizismus“ umhängen. Nein. Diese Herren irren nicht nur in Sachfragen, sie verbreiten irrige Lehren. Macht man sich die Mühe, ihre ausführlichen Rechtfertigungen des Irak-Krieges zu lesen, dann wird der fundamentale Gegensatz zur traditionellen kirchlichen Lehre vom „gerechten Krieg“ mehr als deutlich.

Verfasst: Freitag 18. Juni 2004, 00:18
von Edith
Ralf hat geschrieben:»Persönlich habe ich einen Freund, der politisch eher links (also Kriegsgegner, gegen Kapitalismus-Globalisierung etc.), ....


ach? Wer gegen Krieg und Globalisierung ist, ist links?
aha. man lernt doch hier wirklich fürs Leben..... :(

ist der Papst dann "eher links"?

Verfasst: Freitag 18. Juni 2004, 00:27
von Robert Ketelhohn
Edith hat geschrieben:ist der Papst dann "eher links"?
Nein, ich. :ja: