Gerichtsurteil zur Beschneidung

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Fridericus
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Fridericus »

Tipheret hat geschrieben:Das sich eine - vielleicht alle - Religionsgemeinschaften durch dieses Urteil in ihrer Existenz, d. h. in der ungestörten Durchführung ihrer Riten gestört und behindert fühlen kann ich nachvollziehen und habe auch ein gewisses Verständnis dafür.
Ich persönlich hoffe - und gehe davon aus - dass es eine höchstrichterliche Entscheidung geben wird, die diese Frage klären kann.

Unerträglich ist die Art und Weise wie hier ein demokratischer Staat mit Diktaturen, wie Nazi-Deutschland oder dem System der UdSSR von manchen verglichen und gleichgestellt wird.

Offensichtlich sind sich einige überhaupt nicht im Klaren darüber, dass wenn es so wäre, eine derartige - unsachliche und falsche - Meinungsäußerung in derartigen Diktaturen zur alsbaldigen Verhaftung und/oder unsagbaren Repressalien geführt hätten.

Ihr solltet froh sein, dass ihr in einer - sicherlich nicht perfekten - Demokratie leben dürft und unsachlichen Quatsch und Stimmungsmache ungestört verbreiten dürft.

Wenn ihr euch schon "kreuzfidel, katholisch, kontrovers" nennt, dann darf ich euch an Luk 20,25 erinnern:
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ .

Tipheret
Wo die Demokratie sein soll, von der Du sprichst, weiß ich nicht. Robert hat alles schon so schön treffend gesagt
Das ist der moderne, libertär-demokratische Staat der Französischen Revolution, samt seiner vorübergehenden bolschewistischen und nationalsozialistischen Spielarten.

bogolismus
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von bogolismus »

Worum geht es hier rechtlich? Um die Frage, ob die Einwilligung der Eltern einen zulässigen Rechtfertigungsgrund für die Körperverletzung liefert, die eine Beschneidung nun mal im Sinne des Strafrechts darstellt. Und da kann man in der Tat ins Grübeln geraten, zumal nach Art. 2 Abs. 2 GG in die körperliche Unversehrtheit "nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden" darf. Und so ein Gesetz fehlt offenbar. Und darin kann man dann schön die köperliche Unversehrheit gegen die Religionsfreiheit und das Elternrecht abwägen und zu dem Ergebnis gelagen, daß eine Beschneidung einwilligungsunfähiger Minderjähriger eben trotzdem zulässig ist. Nun ist also der Bundestag gefragt. Richterschelte hilft da wenig weiter.

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lifestylekatholik
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von lifestylekatholik »

Interessant ist aber eben, dass das über 60 Jahre lang keinen gestört hat, dass man nicht auf die Idee kam, das hier das Recht auf körperliche Unversehrtheit tatsächlich so beeinträchtigt werde, dass man eingreifen müsse.

Hier haben sich meiner Meinung nach die Gewichtungen verschoben.
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

bogolismus
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von bogolismus »

lifestylekatholik hat geschrieben:Interessant ist aber eben, dass das über 60 Jahre lang keinen gestört hat, dass man nicht auf die Idee kam, das hier das Recht auf körperliche Unversehrtheit tatsächlich so beeinträchtigt werde, dass man eingreifen müsse.
Ich denke, die Antwort darauf ist recht einfach: früher gab es Beschneidungen hierzulande praktisch nur bei Juden. Und kaum ein Richter hätte sich dem Vorwurf aussetzen wollten, ein "antisemitisches" Urteil zu fällen. Ich glaube auch nicht, daß es ein Zufall ist, daß der Kölner Entscheidung ein Fall aus einer muslimischen und nicht aus einer jüdischen Familie zugrunde liegt.

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Torsten
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Torsten »

Vielleicht kam vorher noch nie einer auf die Idee, den Arzt zu verklagen, weil es zu Komplikationen kam?

(bezieht sich auf lsk)

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Florianklaus
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Florianklaus »

lifestylekatholik hat geschrieben:Interessant ist aber eben, dass das über 60 Jahre lang keinen gestört hat, dass man nicht auf die Idee kam, das hier das Recht auf körperliche Unversehrtheit tatsächlich so beeinträchtigt werde, dass man eingreifen müsse.

Hier haben sich meiner Meinung nach die Gewichtungen verschoben.
Genau, zum einen werden religiöse Gegebenheiten heute weniger respektiert und zum anderen wäre in Deutschland im vergangenen Jahrhundert schon wegen der Verfolgung und Ermordung der Juden im 3. Reich niemand auf die Idee gekommen, diese in der Ausübung ihrer Religion zu behindern.

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Robert Ketelhohn
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Die zionistischen Springer-Stürmer hauen voll drauf:
http://www.welt.de/debatte/kommentare/a ... Allah.html

Da nun einmal klar ist, daß keiner den Synagogensöhnen die Beschneidung verbieten kann noch will, die Springer-Stürmer am wenigsten, bin ich gespannt, welche Gedankenakrobatik sie uns vorführen werden, um zu begründen, weshalb man Muselmanen die Beschneidung untersagt, der Synagoge aber nicht. Ich meine, ohne das schlichte Autoritätsargument anführen zu müssen, von wegen Häuptlinge und Indianer etc.
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lifestylekatholik
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von lifestylekatholik »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Die zionistischen Springer-Stürmer hauen voll drauf:
http://www.welt.de/debatte/kommentare/a ... Allah.html
Na ja, das ist nicht der typische Springerschreiber. Die Autorin ist Frau Dr. Kelek. Frau Kelek ist eine Säkularistin. Sie kritisiert insbesondere den starken Einfluss des Islam auf die türkische Gesellschaft. Religionsfreiheit heißt für sie vor allem auch das Recht darauf, frei von Religion leben zu können. (Hat sie ziemlich wörtlich so gesagt.) Als Türkischstämmige ist bei ihr der deutsche Reflex, bei allem, was auch Jüdisches betrifft, zurückzuzucken, nicht so stark ausgeprägt. Dafür ist ihre Abneigung gegen den Islam (und damit wohl gegen alle religiöse Bevormundung) recht stark. Eine interessante Konstellation.
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bogolismus
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von bogolismus »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Da nun einmal klar ist, daß keiner den Synagogensöhnen die Beschenidung verbieten kann noch will, die Springer-Stürmer am wenigsten, bin ich gespannt, welche Gedankenakrobatik sie uns vorführen werden, um zu begründen, weshalb man Muselmanen die Beschneidung untersagt, der Synagoge aber nicht.
Da wird es gar keine Begründung geben. Der Artikel in der "Welt" ist von Necla Kelek. Der sind jüdische Befindlichkeiten egal, bzw. sie wird sich dazu nicht anders positionieren wie gegenüber dem Islam. Die Gegenauffassung findet sich ebenfalls in der "Welt" nur einen Mausklick von Kelek entfernt: http://www.welt.de/kultur/article107289 ... esetz.html

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lifestylekatholik
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von lifestylekatholik »

@bogolismus: Danke, wollte ich auch gerade anführen. :)
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Niels
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Niels »

bogolismus hat geschrieben: Die Gegenauffassung findet sich ebenfalls in der "Welt" nur einen Mausklick von Kelek entfernt
Das machen diese Opportunisten von "Welt online" seit einiger Zeit immer so...
dann ist man am Ende immer auf der "richtigen Seite"... :koenig:
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civilisation
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von civilisation »

Und jetzt bringt sich Westerwelle in die Diskussion ein:
"Es muss klar sein, dass Deutschland ein weltoffenes und tolerantes Land ist, in dem die Religionsfreiheit fest verankert ist und in dem religiöse Traditionen wie die Beschneidung als Ausdruck religiöser Vielfalt geschützt sind."
-> http://www.spiegel.de/panorama/gesellsc ... 4155.html

Christian
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Christian »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Die zionistischen Springer-Stürmer hauen voll drauf:
http://www.welt.de/debatte/kommentare/a ... Allah.html

Da nun einmal klar ist, daß keiner den Synagogensöhnen die Beschenidung verbieten kann noch will, die Springer-Stürmer am wenigsten, bin ich gespannt, welche Gedankenakrobatik sie uns vorführen werden, um zu begründen, weshalb man Muselmanen die Beschneidung untersagt, der Synagoge aber nicht. Ich meine, ohne das schlichte Autoritätsargument anführen zu müssen, von wegen Häuptlinge und Indianer etc.
Ich lese z.Zt. die Welt als gedruckte Ausgabe (Urlaubsvertretung) hier schreibt Michel Friedmann pro Beschneidung ich denke es werden beide Seiten zu Wort kommen in der Springerpresse.

Des weiteren gehe ich davon aus das es nach einer höchstrichterlichen Entscheidung zu einer schwedischen Lösung kommen wird.
Erst das Lazarett zeigt was Krieg ist.
Erich Remaque

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ziphen
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von ziphen »

Darf ich eigentlich mein Baby/Kleinkind piercen bzw. mit Ohrringlöchern versehen lassen?
Darf ich es tätowieren lassen?
Wenn böse Zungen stechen, / mir Glimpf und Namen brechen, / so will ich zähmen mich; /
das Unrecht will ich dulden, / dem Nächsten seine Schulden / verzeihen gern und williglich.

Paul Gerhardt: O Welt, sieh hier dein Leben

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Niels
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Niels »

ziphen hat geschrieben:Darf ich eigentlich mein Baby/Kleinkind piercen bzw. mit Ohrringlöchern versehen lassen?
Darf ich es tätowieren lassen?
Nein.
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Torsten
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Torsten »

Welche Gründe könnte es dafür geben, dass Gott ein männliches Kind aus seinem auserwähltem Volk verstößt, wenn es nicht am achten Tag nach der Geburt beschnitten wird?

"Dieses Volk wird nie erwachsen."

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Ewald Mrnka
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Ewald Mrnka »

Torsten hat geschrieben:Welche Gründe könnte es dafür geben, dass Gott ein männliches Kind aus seinem auserwähltem Volk verstößt, wenn es nicht am achten Tag nach der Geburt beschnitten wird?

"Dieses Volk wird nie erwachsen."
Ist in der Thora nachzulesen.
Wer die wirklichen Herrschenden identifizieren will, braucht sich nur zwei Fragen zu stellen:
WEN und WAS darfst Du NICHT kritisieren?
WESSEN INTERESSEN verfolgt das System?

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Florianklaus
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Florianklaus »


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Linus
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Linus »

Die Initative gegen Kirchenprivilgien und der Verein "Religion ist Privatsache" fordern für Österreich, sich auf das Beschneidungsverbot aufhängend:
Beschneidungsverbot: Jetzt auch Verbot der Schulbeichte verlangt

http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_ ... e-verlangt
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

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lifestylekatholik
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von lifestylekatholik »

Ich finde das erstaunlich. Eine Beschneidung von Minderjährigen soll strafbar sein, aber eine Tötung von Ungeborenen, auch wenn sie nicht medizinisch indiziert ist, nicht? :hmm:
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

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Robert Ketelhohn
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Robert Ketelhohn »

bogolismus hat geschrieben:Worum geht es hier rechtlich? Um die Frage, ob die Einwilligung der Eltern einen zulässigen Rechtfertigungsgrund für die Körperverletzung liefert, die eine Beschneidung nun mal im Sinne des Strafrechts darstellt.
Einspruch, Ew. Ehren. Es ist völlig verfehlt, die Sache auf der Ebene von Rechtfertigungsgründen zu behandeln (oder gar von Entschuldigungsgründen, wie es das rechtsbeugende Kölner Schandgericht getan hat).

Die Frage ist vielmehr, ob der Tatbestand erfüllt ist. Und genau dies ist nicht der Fall. Darf ich an § 223 StGB erinnern?
Körperverletzung.
(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Beschneidung ist ebensowenig wie auch elterliche Züchtigung etwa in Gestalt einer Ohrfeige oder eines strammgezogenen Hosenbodens eine Mißhandlung oder Gesundheitsschädigung. Jeden Gedanken daran hätte der Gesetzgeber, der das StGB erlassen hat, als völlig absurd zurückgewiesen. Hier unterlegen nachträglich despotische Ideologen den völlig klaren Gesetzestext mit konträrem Sinn. Das allein schon ist Rechtsbeugung und höchst strafwürdig, abgesehen davon, daß höheres – nämlich Natur- – Recht mit Füßen getreten wird.
bogolismus hat geschrieben:Und da kann man in der Tat ins Grübeln geraten, zumal nach Art. 2 Abs. 2 GG in die körperliche Unversehrtheit "nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden" darf.
Das Grundgesetz tut hier überhaupt nichts zur Sache, aber auch da gilt: Der Tatbestand ist nicht erfüllt. Der Beschnittene ist kein Versehrter (nur der Verschnittene).
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Niels
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Niels »

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Caviteño
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Caviteño »

Die Urteilspassagen zur Abwägung zwischen Elternrecht und Anspruch auf körperliche Unversehrtheit des Kindes:
Die Handlung des Angeklagten war auch nicht durch Einwilligung gerechtfertigt. Eine Einwilligung des seinerzeit vierjährigen Kindes lag nicht vor und kam mangels hinreichender Verstandesreife auch nicht in Betracht. Eine Einwilligung der Eltern lag vor, vermochte indes die tatbestandsmäßige Körperverletzung nicht zu rechtfertigen.

Gemäß § 1627 Satz 1 BGB sind vom Sorgerecht nur Erziehungsmaßnahmen gedeckt, die dem Wohl des Kindes dienen. Nach wohl herrschender Auffassung in der Literatur (vgl. Schlehofer in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., vor §§ 32 ff. Rn. 43; Lenckner/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., vor §§ 32 ff. Rn. 41; Jerouschek NStZ 28, 313, 319; wohl auch Exner a.a.O.; Herzberg a.a.O.; Putzke a.a.O.) entspricht die Beschneidung des nicht einwilligungsfähigen Knaben weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiös gesellschaftlichen Umfeldes noch unter dem des elterlichen Erziehungsrechts dem Wohl des Kindes. Die Grundrechte der Eltern aus Artikel 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG werden ihrerseits durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Abs.1 und 2 Satz 1 GG begrenzt. Das Ergebnis folgt möglicherweise bereits aus Artikel 14 GG i.V.m. Artikel 136 Abs. 1 WRV, wonach die staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt werden (so: Herzberg JZ 29, 332, 337; derselbe Medizinrecht 212, 169, 173). Jedenfalls zieht Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst den Grundrechten der Eltern eine verfassungsimmanente Grenze. Bei der Abstimmung der betroffenen Grundrechte ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich sein sollte, jedenfalls unangemessen. Das folgt aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können zuwider. Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind abzuwarten, ob sich der Knabe später, wenn er mündig ist, selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam entscheidet (zu den Einzelheiten vgl.: Schlehofer a.a.O.; a.A. im Ergebnis Fischer, 59. Aufl., § 223 Rn. 6 c; inzident wohl auch: OLG Frankfurt NJW 27, 358; OVG Lüneburg NJW 23, 329; LG Frankenthal Medizinrecht 25, 243, 244; ferner Rohe JZ 27, 81, 82 jeweils ohne nähere Erörterung der Frage). Schwarz (JZ 28, 1125, 1128) bewertet die Einwilligung unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Kriterien als rechtfertigend, er geht jedoch nur auf die Elternrechte aus Artikel 4 und 6 GG, nicht hingegen – was notwendig wäre - auf die eigenen Rechte des Kindes aus Artikel 2 GG ein. Seine Auffassung kann schon aus diesem Grunde nicht überzeugen.
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln ... 257.html

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ar26
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von ar26 »

@ Robert
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Beschneidung ist ebensowenig wie auch elterliche Züchtigung etwa in Gestalt einer Ohrfeige oder eines strammgezogenen Hosenbodens eine Mißhandlung oder Gesundheitsschädigung. Jeden Gedanken daran hätte der Gesetzgeber, der das StGB erlassen hat, als völlig absurd zurückgewiesen. Hier unterlegen nachträglich despotische Ideologen den völlig klaren Gesetzestext mit konträrem Sinn. Das allein schon ist Rechtsbeugung und höchst strafwürdig, abgesehen davon, daß höheres – nämlich Natur- – Recht mit Füßen getreten wird.
Wiewohl ich Dir im Ergebnis zustimme, so sehr muss ich Dir in der juristischen Argumentation, vor allem in der Behauptung zum Tatbestandsbegriff widersprechen. Der ärztliche Eingriff erfüllt nach Meinung höchstrichterlicher Rechtsprechung seit der Entscheidung des Reichsgerichtes vom 31.05.1894 (RGSt 25, 375) vgl. hier den objektiven Tatbestand der Körperverletzung. Das ist zwar immer noch über 20 Jahre nach Einführung des StGB, gleichwohl ist es keine "Verfremdung" des Anwendungsbereichs aus "jüngerer" Zeit. Was sich der Gesetzgeber gedacht hat, kann ich nicht sagen. Im Zweifel schon damals nicht viel, vielleicht werde ich bei Gelegenheit mal die Motive zum StGB heraussuchen und prüfen, ob dort etwas zu finden ist.

Das Problem wird aber seit mehr als Hundert Jahren auf der Rechtfertigungsebene bearbeitet. Dort kam es gewiss vor allem in jüngerer Zeit zu einer unzulässigen Einschränkung der Elternrechte, die sich in diesem Urteil fortsetzt.

PS: Nichts desto trotz erfüllt mich mit ein bisschen Freude, daß die Note vollbefriedigend nicht zwingen mit genügend Allgemeinbildung einhergeht. Sonst hätte man an das Judentum gedacht.
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Tipheret
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Tipheret »

Die Beschneidung auf "eine Stufe" mit
einer Ohrfeige oder eines strammgezogenen Hosenbodens eine Mißhandlung oder Gesundheitsschädigung. Jeden Gedanken daran hätte der Gesetzgeber, der das StGB erlassen hat, als völlig absurd zurückgewiesen
ist juristisch offensichtlich längst eindeutig geklärt und die Aussage von Robert Ketelhohn unzutreffend.
Bei der Uni Saarland wird der § 223 im Zusammenhang mit einer unabgesprochenen Blutabnahme wie folgt beurteilt:
Eine körperliche Misshandlung ist eine üble unangemessene Behandlung, die das körperliches Wohlbefinden
oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt ( Wessels /
Hettinger StR BT 1 Rz 255 ). Ein Stich mit einer Kanüle wird von dem Betroffenen regelmäßig
nicht nur als Unannehmlichkeit, sondern als Schmerz und damit als nicht nur unerhebliche
Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens empfunden.
Wenn der vergleichsweise harmlose Stich mit einer Kanüle zwecks Blutentnahme so beurteilt wird, ist die Entfernung der Vorhaut durchaus in glaicher "Qualität" anzusehen.
Persönliche Erziehungsvorstellungen - strammgezogener Hosenboden, Ohrfeige etc. - können als Maßstab für eine juristische Beurteilung eines glasklaren Tatbestandes nicht herangezogen werden.

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ar26
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von ar26 »

@ Tipheret
Die Ohrfeige fällt regelmäßig nicht unter den "glasklaren Tatbestand" des § 223 StGB sondern unter den nicht ganz so glasklaren des § 185 StGB als tätliche Beleidigung. Im übrigen gibt es abseits der Rechtsprechung in der juristischen Literatur zahlreiche Stimmen, die die Ansicht des Reichsgerichtes zur Tatbestandsmäßigkeit des ärztlichen Eingriffs ablehnen.

Die Jurisprudenz ist wissenschaftliches Handwerk und eignet sich nicht für den Stammtisch.
...bis nach allem Kampf und Streit wir dich schaun in Ewigkeit!

bogolismus
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von bogolismus »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Die Frage ist vielmehr, ob der Tatbestand erfüllt ist. Und genau dies ist nicht der Fall. Darf ich an § 223 StGB erinnern?
Doch, der Tatbestand ist erfüllt, siehe die Antwort von ar26.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Das allein schon ist Rechtsbeugung und höchst strafwürdig, abgesehen davon, daß höheres – nämlich Natur- – Recht mit Füßen getreten wird.
Es gibt einen naturrechtlichen Anspruch auf Beschneidung? Wie das?
ar26 hat geschrieben:Sonst hätte man an das Judentum gedacht.
Ich kann mir schwerlich vorstellen, daß die Kölner Richter nicht an das Judentum gedacht haben. Das Urteil zitiert ja einiges an Literatur zum Thema, d.h. der Urteilsverfasser hat schon eine Weile über der Problematik gebrütet. Selbst wer völlig ahnungslos in Sachen Judentum ist, würde allerspätestens im Rahmen so einer Recherche auf die Brit Mila stoßen. Ich denke, daß die Richter die Folgen entweder betriebsblind ignoriert haben (zur Entscheidung stand ein muslimischer Fall) - was ich für sehr unwahrscheinlich halte - oder aber ihre klammheimliche Freude dabei hatten, dem Judentum ordentlich eines vor den Latz knallen zu können, ohne es in irgendeiner Weise ausdrücklich erwähnen zu müssen (zur Entscheidung stand ja ein muslimischer Fall). Die Folgen sind ja im Judentum ungleich gravierender, da hier eine Beschneidung am 8. Lebenstag ausdrücklich vorgeschrieben ist, während die Sunna für Muslime keinen konkreten Zeitpunkt benennt, an dem die Beschneidung durchzuführen wäre. Der Islam könnte sich also durchaus mit dem Urteil arrangieren, das Judentum kann das nicht.

Alles in allem: hier muß der Gesetzgeber tätig werden. Und zwar schnell, noch bevor der erste Mohel in Handschellen aus einer Synagoge geführt wird.

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Peregrin
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Peregrin »

bogolismus hat geschrieben: Es gibt einen naturrechtlichen Anspruch auf Beschneidung? Wie das?
Es ist bekanntlich ein göttliches Gebot. Wie könnte ein solches rechtswidrig sein?
Eine Rechtsordnung, die das nicht erkennt, verstößt ganz offenbar gegen das Naturrecht.
Ich bin der Kaiser und ich will Knödel.

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Tipheret
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Tipheret »

ar26 hat geschrieben:@ Tipheret
Die Ohrfeige fällt regelmäßig nicht unter den "glasklaren Tatbestand" des § 223 StGB sondern unter den nicht ganz so glasklaren des § 185 StGB als tätliche Beleidigung.
Das habe ich auch nicht gesagt - lies meine Aussage bitte nochmals nach.
ar26 hat geschrieben:Im übrigen gibt es abseits der Rechtsprechung in der juristischen Literatur zahlreiche Stimmen, die die Ansicht des Reichsgerichtes zur Tatbestandsmäßigkeit des ärztlichen Eingriffs ablehnen.

Die Jurisprudenz ist wissenschaftliches Handwerk und eignet sich nicht für den Stammtisch.
Ich habe auch keine Kritik oder Anmerkung zur Ansicht des Reichsgerichtes geäußert, sondern - und das ist sicher kein Stammtisch, die Uni Saarland, jur.Fakultät, die einen vergleichbaren Fall zur Klärung als Aufgabe im Examen stellte.
Und ob die Jurisprudenz wirklich ein wissenschaftliches Handwerk ist - lass uns darüber in einem anderen Thread diskutieren -hier würde es unnötige Ablenkung vom Thema bedeuten.

Tipheret
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bogolismus
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von bogolismus »

Peregrin hat geschrieben:Es ist bekanntlich ein göttliches Gebot. Wie könnte ein solches rechtswidrig sein?
Doch bestenfalls eine göttliche Empfehlung, siehe Röm 2,25 und 3,1-2. Ich nehme an, daß Du ohne den kleinsten Anflug von schlechtem Gewissen unbeschnitten bist. Wie könnte das sein, wenn es ein "Gebot" wäre?

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ar26
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von ar26 »

bogolismus hat geschrieben:Ich kann mir schwerlich vorstellen, daß die Kölner Richter nicht an das Judentum gedacht haben. Das Urteil zitiert ja einiges an Literatur zum Thema, d.h. der Urteilsverfasser hat schon eine Weile über der Problematik gebrütet. Selbst wer völlig ahnungslos in Sachen Judentum ist, würde allerspätestens im Rahmen so einer Recherche auf die Brit Mila stoßen. Ich denke, daß die Richter die Folgen entweder betriebsblind ignoriert haben (zur Entscheidung stand ein muslimischer Fall) - was ich für sehr unwahrscheinlich halte - oder aber ihre klammheimliche Freude dabei hatten, dem Judentum ordentlich eines vor den Latz knallen zu können, ohne es in irgendeiner Weise ausdrücklich erwähnen zu müssen (zur Entscheidung stand ja ein muslimischer Fall). Die Folgen sind ja im Judentum ungleich gravierender, da hier eine Beschneidung am 8. Lebenstag ausdrücklich vorgeschrieben ist, während die Sunna für Muslime keinen konkreten Zeitpunkt benennt, an dem die Beschneidung durchzuführen wäre. Der Islam könnte sich also durchaus mit dem Urteil arrangieren, das Judentum kann das nicht.
Es widerspricht meinem Weltbild, daß es in NRW, namentlich in Köln, Landrichter gibt, die "dem Judentum ordentlich einen vor den Latz geben wollen". Ich gehe vielmehr davon aus, daß dort alle Menschen politisch korrekte Bundesrepublik-Bürger sind :pfeif: Wenn Du recht hättest, wären mir derart politisch unkorrekte Landrichter allerdings ebenso suspekt, da sie ihre persönlichen Überzeugungen über das Naturrecht stellen.
Zuletzt geändert von taddeo am Sonntag 1. Juli 2012, 09:54, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Zitatformatierung repariert.
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Ivo Matthäus
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Re: Gerichtsurteil zur Beschneidung

Beitrag von Ivo Matthäus »

Wenn man sich die Begründung der Kleinen Strafkammer ansieht, fällt die geradezu kurze, schon apodiktische Passage zum unvermeidbaren Verbotsirrtum auf, auf dem aber der Freispruch im Wesentlichen gründet. Man könnte fast meinen, dass dieser Teil der Begründung eine Art Verlegenheitslösung des entscheidenden Richters darstellt, so verhuscht ist dieser Begründungsteil. Für einen Staatsanwalt ist das schon allein eine Einladung, in Revision zu gehen, denn die Fragestellung zum Verbotsirrtum ist eine Rechtsfrage und keine Tatfrage, welche so nicht revisible wäre.

Da wäre auch eine Gelegenheit, das Urteil aus der Welt zu schaffen. Da könnte der Generalstaatsanwalt auf Geheiß des Justizministeriums die entsprechende Weisung an die StA Köln geben...


I. M.
Ich schenke Euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in Euch. Ich nehme das Herz von Stein aus Eurer Brust und gebe Euch ein Herz von Fleisch. Ich lege meinen Geist auf Euch und bewirke, dass .. Ihr auf meine Gebote achtet und sie erfüllt. (Ez 36)

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