Juergen hat geschrieben:
Wenn ein Streik den "normale Bürger" betrifft ist regelmäßig das Gezeter groß. Sei es bei Bahnstreiks, Fluglotsenstreiks, Pilotenstreiks etc. Sobald der Lustfaktor des normalen Bürgers ins Wanken gerät, hat keiner mehr Verständnis für die Streiks. Solange das „Ich will aber…“ befriedigt wird, dürfen die Gewerkschaften machen was sie wollen.
Andere Streiks, bei denen es beim Ottonormalverbraucher nicht zu Irritationen seines Lustzentrums kommt, werden kaum zur Kenntnis genommen. Wenn im Einzelhandel gestreikt wird, dann läuft der Betrieb weiter, weil streikende Arbeitskräfte kurzfristig durch Leiharbeiter ersetzt werden. So ist der normale Bürger nicht in seinem Wohlbefinden und seiner Kauflust gestört und alles ist in Ordnung.
Ich würde einen Streik, der die Logistik in einem Industrie- und Transitland in der Mitte Europas nicht als Beschädigung des Lustfaktors einstufen. Es soll auch Menschen geben, die auf den täglichen Transport zur Arbeitsstelle angewiesen sind und bei den Industrieunternehmen kann es bei der heute üblichen "just-in-time-delivery" zu erheblichen Auswirkungen kommen.
Der Streik hat allerdings auch gute Seiten:
- Man wird sich bewußt, daß die Freigabe des Personenverkehrs für Fernbusse eine kluge Entscheidung war. Dadurch wurde das Personenbeförderungsmonopol der Bahn gebrochen. Die Fernbusse profitieren vom Streik.
- Es werden erste Überlegungen laut, ob der Bahnverkehr auch künftig auf Lokführer angewiesen ist und auch in mittlerer Zukunft eine Rolle wie bisher spielen wird. Robert Tichy schreibt dazu:
An jedem Streiktag sollte man eigentlich eine Kerze zum Dank anzünden, dass der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer das Bahnmonopol auch auf der Autobahn gebrochen und Fernbusse zugelassen hat. Warum war das eigentlich nicht schon früher möglich?
(...)
Der Bahnstreik ist ein schlagender Beweis dafür, dass weniger Staat mehr Wohlfahrt und Anstand bedeutet.
Und warum gibt es eigentlich noch keine selbstfahrenden Züge? Wenn man die Fortschritte beim selbstfahrenden Auto sieht, kommt man zur Schlussfolgerung: Kann ja nicht so schwer sein, einen Zug zu lenken, der ohnehin kein Lenkrad braucht, weitgehend ferngesteuert ist, daher keinen Gegenverkehr kennt und keine Kreuzungen, Radfahrer und ähnliche Hindernisse? Vermutlich hat die Bahn da nur wieder geschlafen.
Vielleicht sollten wir ohnehin über neue individuelle statt alte kollektive Verkehrssysteme nachdenken: Wenn mich mein Auto selbstfahrend von der Haustür an ein fernes Ziel bringt, entfällt der einzige Vorteil der Bahn, der da lautet: Bei der Bahn kann ich an Tichys Einblick schreiben; im Auto ohne Fahrer derzeit (noch) nicht. Brauchen wir also langfristig überhaupt noch die Bahn? Oder kutschieren uns bald Selbstfahrmobile durch das Land; mit weiteren (zahlenden) Gästen an Bord, die wir per App dazu einladen? Lohnt sich da der Schienenausbau noch oder sind die Milliarden nicht doch besser ins Straßennetz investiert? Auch dieser Gedanke könnte in die Politik einfließen, wenn da nicht die alten Holzköpfe am Werk wären, die weiter am schienengebundenen Verkehrssystem von vorgestern festhalten.
http://www.rolandtichy.de/tichys-einbli ... ht-fahren/
Vielleicht führt der Bahnstreik auch in der Politik zu einem Umdenken - obwohl, realistisch betrachtet ist die Wahrscheinlichkeit dafür gering.