Ich bin kein NATO Fan, aber Du unterschätzt die NATO. Bereits in den Zeiten des Kalten Krieges, in denen die damalige Sowjetunion militärisch besser ausgerüstet war als Russland jetzt, war NATO militärisch dem Warschauer Packt überlegen - zumindest was die Luftwaffe betrifft (ich muss es ja wissen - habe 2 Jahre bei der Luftwaffe gedient) und mit den Flugzeugträgern und den U-Booten der USA ist die NATO in der Lage in allen Gewässern militärisch zu operieren.
Nach den letzten Erfahrungen kann man die NATO nicht genug unterschätzen. Sie berät die Ukraine operativ katastrophal. Siehe Operationen wie der verlustreiche ukrainische Angriff auf die Schlangelinsel (9. Mai) oder die "Gegenoffensive" nahe Zaporozhie Tage später. Wo immer die Ukraine aufs offene Feld geht, wird sie völlig vernichtet. Trotzdem drängten NATO-Berater zu diesen fatalen Angriffen. Aber wenig überraschend, denn sag mir - wer im Westen hat (noch) Ahnung, wie man einen echten Krieg führt?
Selbst die Amerikaner haben keine Ahnung von echtem Krieg. Schon gar nicht in diesem Maßstab. Die haben seit Korea keinen richtigen Krieg mehr geführt. Deren "Kriegserfahrung" besteht darin gegen sandalentragende Bauern mit Kalashnikov zu kämpfen und nach dem ersten Schußwechsel sofort CAS anzufordern. Aber nicht mal diese Kriege können sie gewinnen. Schau dir an, wie sie binnen 48 Stunden aus Afghanistan weggelaufen sind.
Schau dir die westlichen Söldner an, die in die Ukraine gegangen sind. Große Töne auf YouTube & co. Wenige Tage später war ein guter Teil wieder in der Heimat. Die dachten sie fahren in die Ukraine auf "Russen-Safari". Dann kam die Realität in Form einer 3M14 Kalibr Rakete.
In Mariupol wurden bekanntlich die fanatischsten und vielleicht besten ukrainischen Truppen in russische Kriegsgefangenschaft "evakuiert". Die Fotos von Nahrungsvorräten und Wasser gesehen? Zu essen und zu trinken hatten sie genug. Sie hätten durchaus weiter ausharren können. Aber der "echte Krieg" hat sie so zermürbt, dass selbst die hartgesottenen Kerle mit Hakenkreuz-Tattoos und "Meine Ehre heißt Treue" Anhängern die russische Kriegsgefangenschaft dem weiteren Kriegsdienst vorzogen.
Es ist eine Sache, sich auf YouTube hinzustellen und markige Sprüche zu reißen. Eine andere einen richtigen Krieg zu führen. Wer also soll in Europa dafür bereit sein?
Spielen wir das Szenario gedanklich durch! Stellen wir uns vor es kommt tatsächlich zum konventionellen Kampf NATO gegen Russland. Und alle sind dabei. Die Amerikaner und Europäer werden sich nicht wie die Ukrainer in Kellern und hinter Zivilisten verstecken. Die werden auf offenem Feld kämpfen. Auf offenem Feld gegen Russland kämpfen bedeutet aber auch Verluste in der Größenordnung von 5.000-10.000 Mann pro Woche.
Die Russen können 10.000 Mann pro Woche verlieren. Die USA / Europa auch?
Wie lange würde die US-Öffentlichkeit das mitmachen? Zum Vergleich, im "traumatischen" Vietnamkrieg verloren die Amerikaner knapp 58.000 Mann in 15+ Jahren.
Wie lange, ehe eine unzureichend ausgerüstete Mischtruppe aus Portugiesen, Franzosen und Polen die Waffen streckt?
Ich schrieb ja, die Ukraine ist das Beste was NATO-Europa aufzubieten hatte.
- 8 Jahre lang wurde die Ukraine genau für diesen Kampf trainiert.
- Die Truppen brachten 8 Jahre Kampferfahrung mit.
- Die ukrainischen Soldaten saßen im Donbass in hervorragend ausgebauten Stellungen.
- Die Truppen waren aufmunitioniert und mit Nachschub versorgt.
- Die ukrainischen Truppen waren den Russischen in Quantität überlegen.
Jetzt sieht man sich die Meldungen der letzten Tage an und sieht diese Stellungen erobert, zerstört oder von einer demoralisierten Rumpftruppe gehalten. Der Zusammenbruch der ukrainischen Ostfront deutet sich an. Und das wo man in der westlichen Presse kürzlich noch vor angeblich horrenden russischen Verlusten (1/3 Truppenstärke) feixte, die Ukraine an der russischen Grenze stehend vermeldete und den Sieg in greifbare Nähe schrieb.
"Reality is a bitch" wie der Amerikaner sagt. Realität kann verdammt weh tun, wenn man dafür nicht bereit ist. Man kann sich alles schön reden, aber es holt dich irgendwann ein.
Heute dürften die USA und damit die NATO insbesondere i.S. "Satellitenaufklärung" führend sein. Schließlich hat man nicht nur Zugriff auf die militärischen Satelliten, sondern kann auf eine Vielzahl kommerzieller Satellitenbetreiber und auf deren Fotos zurückgreifen. Eine Beobachtung der gegnerischen Aktivitäten praktisch "in Echtzeit" ist ein großer Vorteil.
Wenn die Russen eines militärisch können, dann Aufklärung. Quasi aus Tradition. (Sputnik). Sie verfügen auch über entsprechende Gegenmaßnahmen. Google: Peresvet.
Die Russen beobachten das Kampfgeschehen per Satellit - und nicht nur die Frontlinie, sondern die gesamte Ukraine. Jede Truppenbewegung. Das ist nicht mehr 1943. Jede Lieferung von schweren Waffen als "game changer" zu verkaufen, mag Journalisten beeindrucken, ist operativ in diesem Konflikt aber unsinnig. Jede Lieferung ist vom ersten Überqueren der Landesgrenze unter Beobachtung und wird zur rechten Zeit ausgeschaltet.
Schau dir dieses Video zu den vielbeschworenen amerikanischen Haubitzen nach ihrer Verlegung Richtung Front an, um einen Einblick in die Realität zu erhalten:
https://tass.ru/armiya-i-opk/14657745
Man kann das noch weiter durchdenken - stellen wir uns vor, die Amerikaner liefern tatsächlich störungsfrei - mit kleiner Verzögerung - Daten an die Ukraine. Damit verbunden ist die Annahme, dass der Empfänger irgendetwas mit diesen Daten anfangen kann. Wie hat das in Mariupol funktioniert? Wie hat das bei dem Debakel in Desna funktioniert? US-Satellitendaten mit der Ukraine zu teilen ist eine leere Geste ohne operativen Nutzen.
Die Frage ist: Was heißt "besiegen"? NATO-Panzer in Moskau sind nicht zu machen, aber das will auch niemand. Die Verhinderung russischer Kriegsziele ist hingegen nicht unrealistisch und teilweise bereits gelungen (oder bestehen Zweifel daran, dass eine Eroberung Kiews und ein Regierungswechsel dort angedacht war?).
Das Kriegsziel wurde vom Westen zu Beginn ausgegeben. Russland muss so geschwächt werden, dass es nie mehr in der Lage sein wird, einen derartigen Angriff auszuführen. Ich weiß nicht, ob es irgendwo auf der Welt irgendjemanden gibt, der das Ziel als erreicht einordnen würde. Ich vermute nicht mal Ljoscha Arestovich würde das.
Ob Kiew hätte erobert werden sollen? Ob nur die Frontlinie verlängert werden sollte, um Kräfte zu binden? Ob ein Putsch in Kiew ausgelöst werden sollte? Ich weiß es nicht. Außer der westlichen Presse und dem Kreml weiß es niemand und es ist irrelevant für den Ausgang des Konflikts.
Ich bin überzeugt, dass wenigstens im Pentagon noch einige kluge Leute sitzen, welche die Realität nicht durch die ideologische Brille sehen. Die verstehen, was Sache ist. Und die das "nach oben" melden. Anders ist nicht zu erklären, dass bereits am 13. Mai US-Verteidigungsminister seinen russischen Gegenpart Shoigu anrief und um einen sofortigen Waffenstillstand bat.
Hier der Wortlaut von der
Webseite des US-Verteidigungsministerium. Daraus:
On May 13, Secretary of Defense Lloyd J. Austin III spoke with Russian Minister of Defense Sergey Shoygu for the first time since February 18. Secretary Austin urged an immediate ceasefire in Ukraine and emphasized the importance of maintaining lines of communication.
Nochmal: Austin hat Shoigu angerufen. Nicht andersrum. Vermeldet auf der Seite des US-Verteidigungsministeriums. Das sagt alles über den Verlauf des Konflikts. Der Krieg ist militärisch entschieden. Die NATO wird nicht eingreifen, sie werden nicht mal mehr großartig schwere Waffen liefern. Als nächstes werden die USA die Ukraine fallen lassen, so wie sie es bereits mit Südvietnam, den Kurden & co. taten. Die ersten Äußerungen im Sinne von "Ukraine muss über ihr Schicksal selbst entscheiden" fallen bereits.