Lateinschule II

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Lycobates
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Lycobates »

kukHofnarr hat geschrieben:
Dienstag 21. Januar 2025, 23:07
Als ewiger Lateinschüler stolperte ich nach Deinem Hinweis über "admiratione" mit der Fallfrage: Dativ? Ablativ? oder Vokativ? Der Vokativ wäre mit "Bewunderung" und wenigstens implizit in Verbindung mit Ortsangabe zu erwägen erscheint aber verwegen... Die drei Fälle habe ich dann so zusammengebastelt ...:

+

Vorgabe:

Et miratus sum cum vidissem illam admiratione magna.

+

Zerlegung:

Et miratus sum

cum

vidissem illam

- admiratione magna!

+

vidissem: 1. Pers. Singular Plusquamperfekt Konjunktiv Aktiv

sehen, anschauen, zuschauen, erblicken
besuchen, aufsuchen
merken, begreifen, wahrnehmen, erblicken, erkennen
überlegen, erwägen
sich kümmern um, darauf achten
besorgen, zusehen
wiedersehen
beabsichtigen, nach etwas streben

+

admiratio =
Bewunderung heischen
Verwunderung erzeugen
Aufsehen erregen
in Staunen versetzen

+

"admiratione" als Dativ (Zuordnung)
= jemandem Staunen entlocken

Und ich bin (über mich selbst) verwundert,
da
ich jene (früher, ohne die Schauung) so angesehen hätte,
dass sie (mir) grosses Staunen entlockte.

+

"admiratione" als Ablativ (Begründung)
= durch etwas in Staunen geraten

Und ich bin (über mich selbst) verwundert,
da
ich (früher ohne die Schauuung) danach gestrebt hätte,
durch sie in grosses Staunen zu geraten.

+

"admiratione" als Vokativ (mit Ortsangabe)
= heische dort um Bewunderung

Und ich bin (über mich selbst) verwundert,
da
ich sie früher (ohne die Schauung dort auf dem öffentlichen Platz [im Internet]) besucht hätte (gerade wegen ihres) - Admiratione magna!

Vlt. allzu weit hergeholt könnte hier der Vokativ-Fall als Ausdruck einer gesellschaftlichen Geisteskrankheit gedeutet werden, der im "Admiratione magna!" kulminiert - Immerhin geht es um einen Hurencharakter namens "Babylon" - TikTok und Instagram lassen grüssen...
admiratione kann nur Ablativ sein.
"admiratione magna" = "mit großer Bewunderung" oder (wohl eher hier) "mit großem Staunen"
(admiratio bedeutet sowohl Bewunderung als Verwunderung/Staunen)
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Sempre
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Sempre »

Lycobates hat geschrieben:
Mittwoch 22. Januar 2025, 12:08
admiratione kann nur Ablativ sein.
"admiratione magna" = "mit großer Bewunderung" oder (wohl eher hier) "mit großem Staunen"
(admiratio bedeutet sowohl Bewunderung als Verwunderung/Staunen)
Zur Frage "mit großer Bewunderung" oder "mit großem Staunen":

Wenn man etwa übersetzte
Und ich bin verwundert, weil ich dieselbe mit großem Staunen gesehen hatte.
dann hieße das, daß Johannes über sein Staunen verwundert ist. Das erscheint mir nicht sehr sinnvoll. Außerdem fragt man sich, warum er sie "gesehen hatte" (Plusquamperfekt).

Übersetzt man aber
Und ich bin verwundert, weil ich dieselbe mit großer Bewunderung gesehen hatte.
dann heißt das, daß Johannes darüber erstaunt ist, daß eine bewundernswerte Frau zu einer verachtenswerten Frau verkommen ist. Außerdem würde der Plusquamperfekt "gesehen hatte" überhaupt erst passen, wenn der Sinn ist: Ich hatte (irgendwann früher mal) eine bewundernswerte Frau gesehen, und ich bin nun verwundert, daß dieselbe hier zur Hure verkommen ist.

Gemeint sein kann dann eigentlich nur die Frau aus Kapitel 12. Diese erscheint hier (wohl im Sinne des großen Abfalls nach 2 Thess 2:3) als Hure. Natürlich verstanden im Sinne der u.a. vom hl. Augustin in De doctrina Christiana empfohlenen Regeln des Tychonius, totum pro parte. Nicht die ganze Kirche fällt vom Glauben ab, sondern eben nur ein Teil, und die Hure repräsentiert nur diesen Teil, also die "die nicht im Buch des Lebens verzeichnet sind", wie es ja in der Offenbarung des Johannes des öfteren heißt.
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Protasius
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Protasius »

Ich würde nicht darauf bestehen, daß cum mit „weil“ zu übersetzen ist; ein Nebensatz im Konjunktiv mit cum kann auf vier verschiedene Arten übersetzt werden, die man sich mit dem Merkwort CNAC merken kann: concessiv (obwohl, wenngleich), narrativ bzw. historisch (als, nachdem), adversativ (während, wohingegen) und causativ (weil). Ich halte in diesem Satz eine narrativen Übersetzung für die passendste: „Und ich wunderte mich, nachdem ich sie mit großer Bewunderung gesehen hatte.“ Das wird auch durch das Partizip Aorist Aktiv ἰδὼν im griechischen Urtext bestätigt.
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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Sempre
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Sempre »

Protasius hat geschrieben:
Mittwoch 22. Januar 2025, 16:04
Ich würde nicht darauf bestehen, daß cum mit „weil“ zu übersetzen ist; ein Nebensatz im Konjunktiv mit cum kann auf vier verschiedene Arten übersetzt werden, die man sich mit dem Merkwort CNAC merken kann: concessiv (obwohl, wenngleich), narrativ bzw. historisch (als, nachdem), adversativ (während, wohingegen) und causativ (weil). Ich halte in diesem Satz eine narrativen Übersetzung für die passendste: „Und ich wunderte mich, nachdem ich sie mit großer Bewunderung gesehen hatte.“ Das wird auch durch das Partizip Aorist Aktiv ἰδὼν im griechischen Urtext bestätigt.
Nach Georges kann konzessives cum neben obwohl, wenngleich, obgleich auch mit da doch übersetzt werden. Eine m.E. auch nicht schlechte Alternative: „Und ich wunderte mich, da ich sie doch mit großer Bewunderung gesehen hatte.“ Aber besser ist, den griechischen Urtext zuhilfe zu nehmen.

Ich war über diese Sache gestolpert, weil mir schien, daß in diversen Übersetzungen die offenbare Aussageabsicht nicht rübergebracht wird. Im Englischen Rheims-NT heißt es „And I wondered, when I had seen her, with great admiration.“ Klingt in meinen Ohren eher sonderbar. Und nicht nur in Übersetzungen, auch in Apokalypse-Kommentaren dieselbe Situation.


Herzlichen Dank für die hilfreichen Kommentare!
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Peduli
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Peduli »

Sempre hat geschrieben:
Mittwoch 22. Januar 2025, 15:26
Nicht die ganze Kirche fällt vom Glauben ab, sondern eben nur ein Teil, und die Hure repräsentiert nur diesen Teil, also die "die nicht im Buch des Lebens verzeichnet sind", wie es ja in der Offenbarung des Johannes des öfteren heißt.
Dann stellt sich also nur noch die Frage, inwieweit Du Dir selber (berechtigterweise) zusprechen kannst, ob Du zu ersterem oder letzterem Teil gehörst. :hmm:
Wer nicht weiß, wo er herkommt, weiß auch nicht, wo er hinwill.
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kukHofnarr
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Re: Lateinschule II

Beitrag von kukHofnarr »

Eben diese Schlussfolgerung ist gerade das Problem des Ablativs, weshalb ich mittlerweile zur Schlussfolgerung aus dem Vokativ tendiere, der dem Bindestrich folgt, der auch ein Doppelpunkt hätte sein können. Was nämlich vom Glauben der Kirche z.B. durch Hurerei mit Mammon abfällt, kann nach APG 5.1 ff. gar nicht Teil der Kirche sein. Umgekehrt können Huren den Glauben der Kirche annehmen, indem sie ihn bekennen durch Beendigung der Buhlerei, und somit sind sie als Nichthuren Teil der Kirche. Die Rede von der Kirche als "Hure Babylon" ist dem Missverständnis geschuldet, der Cäsaropapismus wäre katholisch. Die Kirche war schon immer ein Underdog erst Recht nach 321 und ganz klar in den rotglühenden Resten des Scheiterhaufens Jeanne d'Arcs, dessen Rauch bis zum heutigen Tage den Cauchons aller Zeiten in die Nase beisst.
Zu Protokoll: Mein Schweigen ist weder als Zustimmung, noch als Ablehnung, noch als Gewähr dafür zu werten, den Sender verstanden zu haben.

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Sempre
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Sempre »

kukHofnarr hat geschrieben:
Donnerstag 23. Januar 2025, 09:06
[...] weshalb ich mittlerweile zur Schlussfolgerung aus dem Vokativ tendiere [...]
Dem zufolge, was ich hier und im Netz gefunden habe, hat Lycobates recht: admiratione ist Ablativ und nur Ablativ. Die einzige Quelle, die anderes sagt, ist frag-caesar.de. Dort heißt es: Dativ, Ablativ und Lokativ. Der Vokativ hingegen lautet auch dort schlicht admiratio.

mlat.uzh.ch liefert über 5000 Textstellen mit admiratione, und wenn man da mal so quer durchschaut, findet sich nichts als Ablativ. Hier z.B. die Stellen in dort registrierten Werken des hl. Hieronymus aus der Patrologia Latina:
1. Hieronymus Stridonensis, Apocalypsis Joannis (419): Apocalypsis Joannis
Et miratus sum, cum vidissem illam, admiratione magna.

2. Hieronymus Stridonensis, Apologia adversus libros Rufini (420): LIBER PRIMUS. , 3.
Haec vox nec hominis est, nec ad hominem, aperte amicum petere, et crimina ejus sub persona laudatoris exponere: et illi ne hoc quidem liberum derelinqui, ut se catholicum probet, et laudationem haeretici, quae illi objicitur, non de assensu haereseos, sed de ingenii exstitisse admiratione respondeat.

3. Hieronymus Stridonensis, Commentaria in Abacuc (420): , ,
Vel certe admiratione turbatus, in laudes tuas trepidus erumpo dicens: In medio duorum animalium cognosceris.

4. Hieronymus Stridonensis, Commentaria in Abdiam (420): ,
Unde et cum admiratione dicitur, Quomodo perscrutatus est Esau, deprehensa sunt occulta ejus?

5. Hieronymus Stridonensis, Commentaria in Ezechielem (419): , ,
Habitatores quoque omnium insularum [si tamen voluerimus ad bonam partem referre quae dicta sunt] obstupescent super contritione Tyri, et reges insularum 326 omnium, vel ipsi quasi tempestate perculsi, mutabunt vultus, vel certe cordis moerorem fletu, et lacrymis indicabunt, stuporisque magnitudinem, admiratione et sibilo testabuntur quomodo nihili facta sit, et perierit quae salutem multis gentibus
promittebat.

6. Hieronymus Stridonensis, Commentaria in Job (419): INCIPIUNT EDISSERI CAPITULA. , CAPUT XXIX.
Et idcirco ipso a me pietatis fiebat studio, ut affectus amoris ac dilectionis eorum mei admiratione proficeret.

7. Hieronymus Stridonensis, Commentaria in Job (419): INCIPIUNT EDISSERI CAPITULA. , CAPUT XXVIII.
Proinde mihi videtur, quia hoc loco terram Sodomorum describat, cujus abundantiam, et amoenitatem cum admiratione collaudet.

8. Hieronymus Stridonensis, Commentaria in Job (419): INCIPIUNT EDISSERI CAPITULA. , CAPUT XXXIX.
Et propheta de hujusmodi: Post te ambulabunt, inquit, vincti compedibus: ubi admiratione dignos video tales pedes, qui quanto magis compediti fuerint, tanto velocius sine offensione egrediuntur.

9. Hieronymus Stridonensis, Commentaria in Job (419): INCIPIUNT EDISSERI CAPITULA. , CAPUT XXXVIII.
Dicamus de hac varietate morum, sive meritorum velut vestem vero Salomoni ministrantium, quod per figuram regina Saba dixit Salomoni, cum admiratione laudans sapientiam ejus, et domum, cibos, habitacula, et servorum ordinem, vestes et ministros, et holocausta, quae offerebant in domo Domini continenter, hanc officiorum varietatem contextam esse per diversas in toto mundo Ecclesias, per quas alibi conjugati, alibi continentes, alibi virgines: hi per eleemosynas, illi per alienationem omnium facultatum: illi per crucem, et mortificationem terrenarum cupiditatum, illi per scientiam Scripturarum multiplicibus sancti Spiritus gratiis, velut diversis coloribus Christi corpus exornant, sibique aeternae gloriae et immortalitatis vestimenta conficiunt.

10. Hieronymus Stridonensis, Epistolae (420): EPISTOLA CVI. AD SUNNIAM ET FRETELAM. , 18.
Aliter me in Hebraico legisse noveram, in stupore et admiratione mea.

11. Hieronymus Stridonensis, Epistulae 71-120 [CSEL] (420): CVI. AD SUNNIAM ET FRETELAM DE PSALTERIO, QVAE DE LXX INTERPRETUM EDITIONE CORRUPTA SINT. , cap. 18 , § 2
m eodem: ego autem dixi ln excessu mentis meae. pro quo in Latinis codicibus legebatur: in pauore meo, et nos iuxta Graecum transtulimus: ivtfjἐxστάειμου, id est 'in excessu mentis meae'; aliter enim ἔxστασιv Latinus sermo exprimere non potest nisi 'mentis excessum'. aliter me in Hebraico legisse noueram: in stupore et in admiratione mea.
Zuletzt geändert von Sempre am Donnerstag 23. Januar 2025, 13:12, insgesamt 1-mal geändert.
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kukHofnarr
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Re: Lateinschule II

Beitrag von kukHofnarr »

Danke!
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Lycobates
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Lycobates »

Sempre hat geschrieben:
Mittwoch 22. Januar 2025, 15:26
Lycobates hat geschrieben:
Mittwoch 22. Januar 2025, 12:08
admiratione kann nur Ablativ sein.
"admiratione magna" = "mit großer Bewunderung" oder (wohl eher hier) "mit großem Staunen"
(admiratio bedeutet sowohl Bewunderung als Verwunderung/Staunen)
Zur Frage "mit großer Bewunderung" oder "mit großem Staunen":

Wenn man etwa übersetzte
Und ich bin verwundert, weil ich dieselbe mit großem Staunen gesehen hatte.
dann hieße das, daß Johannes über sein Staunen verwundert ist. Das erscheint mir nicht sehr sinnvoll. Außerdem fragt man sich, warum er sie "gesehen hatte" (Plusquamperfekt).

Übersetzt man aber
Und ich bin verwundert, weil ich dieselbe mit großer Bewunderung gesehen hatte.
dann heißt das, daß Johannes darüber erstaunt ist, daß eine bewundernswerte Frau zu einer verachtenswerten Frau verkommen ist. Außerdem würde der Plusquamperfekt "gesehen hatte" überhaupt erst passen, wenn der Sinn ist: Ich hatte (irgendwann früher mal) eine bewundernswerte Frau gesehen, und ich bin nun verwundert, daß dieselbe hier zur Hure verkommen ist.

Gemeint sein kann dann eigentlich nur die Frau aus Kapitel 12. Diese erscheint hier (wohl im Sinne des großen Abfalls nach 2 Thess 2:3) als Hure. Natürlich verstanden im Sinne der u.a. vom hl. Augustin in De doctrina Christiana empfohlenen Regeln des Tychonius, totum pro parte. Nicht die ganze Kirche fällt vom Glauben ab, sondern eben nur ein Teil, und die Hure repräsentiert nur diesen Teil, also die "die nicht im Buch des Lebens verzeichnet sind", wie es ja in der Offenbarung des Johannes des öfteren heißt.
Ich hake noch einmal nach.

Im Griechischen steht: καὶ ἐθαύμασα ἰδὼν αὐτὴν θαῦμα μέγα. Was ich übersetze: Und ich wunderte mich als ich sie sah, (es/sie war wie) ein großes Wunder.
Übersetzt von der Vulgata: Et miratus sum cum vidissem illam admiratione magna. Was ich übersetze: Und ich wunderte mich, als ich sie sah, mit großem Staunen.
Man kann θαῦμα μέγα auch als internen Akkusativ (Verb und Substantiv desselben Stammes) bei ἐθαύμασα auffassen. Dann verstärkte es nur die Bedeutung des Verbs, wie es die Vulgata ausdrückt: Und ich wunderte mich über die Maßen, als ich sie sah, was m.E. die bessere Übersetzung wäre.

Auf das Plusquamperfekt vidissem würde ich nicht so viel Gewicht legen. Im 4. Jh. kann es schon einmal schiefgehen mit der consecutio temporum. Viderem wäre auch möglich, und vielleicht besser gewesen, als Ausdruck der Simultaneität, wie im Griechischen kompakt ἐθαύμασα ἰδών.
Die beiden Aoriste im Original deuten auf ein punktuelles, einmaliges (abgeschlossenes) Ereignis (Momentanbegriff des Aorists) und sind als quasi gleichzeitig geschehend aufzufassen (zumal die Nebenhandlung des Sehens nicht sachlich verschieden ist von der Haupthandlung des Wunderns), wobei das nachgestellte Partizip grammatisch die Hypotaxe andeutet (im Lateinischen mit dem cum-Satz, der hier m.M.n. auch temporal aufzufassen ist), u.U. aber auch modal übersetzt werden kann ("indem", "dadurch, daß").
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Peduli
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Peduli »

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Re: Lateinschule II

Beitrag von Sempre »

@Lycobates

Du gehst praktisch allein vom Griechischen aus, wo man das ἰδὼν im Prinzip sowohl als sehend als auch als gesehen habend lesen kann. Den Plusquamperfekt des Hieronymus wischst Du beiseite. Ich denke schon, daß er den bewußt gewählt hat, denn er übersetzt auch an anderen Stellen jeweils dem Kontext gemäß ἰδὼν mal so und mal so.
Apg 3:3 hat geschrieben: Is cum vidisset Petrum et Joannem [ὃς ἰδὼν Πέτρον καὶ Ἰωάννην] incipientes introire in templum, rogabat ut eleemosynam acciperet.
Apg 7:31 hat geschrieben: Moyses autem videns, admiratus est visum [ὁ δὲ Μωϋσῆς ἰδὼν ἐθαύμασεν τὸ ὅραμα]. Et accedente illo ut consideraret, facta est ad eum vox Domini, dicens:

Hinzu kommt der Sinn der Aussage des Johannes.
Lycobates hat geschrieben: Und ich wunderte mich als ich sie sah, (es/sie war wie) ein großes Wunder
Daß Johannes ob der Hure in der Wüste auf dem Tier betrunken vom Blut der Märtyrer mit all den weiteren Umständen erstaunt ist, kann ich kaum nachvollziehen, wenn ich an all die anderen Dinge denke, die Johannes in den sechzehn Kapiteln vorher gesehen hat. Jetzt auf einmal staunt er angesichts der N plus ersten Darstellung von Blasphemie? Und dann bezeichnet er diese N plus erste Darstellung von Blasphemie als großes Wunder?

Lykobates hat geschrieben: Und ich wunderte mich, als ich sie sah, mit großem Staunen.
Das Staunen am Ende drückt nichts anderes aus, als das Wundern am Anfang. Warum aber staunt Johannes? Die ganze Apokalypse ist ja, wie der hl. Hieronymus sagt, ein Gewebe, das recht weitgehend aus Prophezeiungen des alten Testaments besteht, die zitiert bzw. paraphrasiert bzw. in ein neues Licht gerückt werden. Johannes kennt die Hure Babylon, sowie Oolla und Ooliba u.v.a.m. bereits aus Jesaias, Jeremias, Ezechiel usf.

Zwei Fragen bleiben bei derartiger Übersetzung offen: 1.) Warum staunt Johannes bzw. warum wundert er sich überhaupt? 2.) Warum wundert er sich oder staunt er insbesondere auch noch mit großem Wundern oder Staunen?


Die formal genausogute Übersetzung
Und ich war erstaunt, ich hatte sie ja mit großer Bewunderung gesehen.
erklärt hingegen den Ursprung des Erstaunens.
Ich war satt, mit großer Sättigung.
Ich war satt, ich hatte ja drei Würste gegessen.
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Sempre »

Ich habe jetzt doch noch einen katholischen Kommentator gefunden, der in Offenbarung 17:6 (Vulgata) das Wort admiratio als Bewunderung versteht. Es handelt sich um den Abt Rupert von Deutz, der Anfang des 12. Jahrhunderts weite Teile der hl. Schrift kommentiert hat:
Rupertus Tuitiensis, Commentaria in Apocalypsim (1129): LIBER DECIMUS. , CAP. XVII. hat geschrieben: « Et miratus sum, cum vidissem illam, admiratione magna. »
Admiratio haec cordis imperfecti est. Neque enim cor perfectum purpuram, coccinumque, aurum, lapidesque pretiosos et margaritas meretricis multum admiratur aut magnipendit. Num ergo Joannes iste cordis erat imperfecti? Non utique sed imperfectorum formam in semetipso gerit.
Meine Übersetzung hat geschrieben: Diese Bewunderung kommt von einem unvollkommenen Herzen. Denn ein vollkommenes Herz bewundert oder schätzt den Purpur, den Scharlach, das Gold, die Edelsteine [...] nämlich nicht. [...]
Der Sinn der Aussage macht klar, daß Rupert hier das Wort admiratio im Sinne von Bewunderung verwendet und auch in Offb 17:6 so versteht. Er findet allerdings eine ganz andere Erklärung für die Bewunderung des Johannes: dieser spreche nicht in seinem eigenen Sinne, sondern in der Person solcher, die im Herzen unvollkommen sind.
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Sempre »

@Lycobates

Der hl. Beatus von Liébana kommentiert eine lateinische Übersetzung der Apokalypse, in der es nicht cum videssem sondern et miratus sum, videns eam admiratione magna heißt.
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Lycobates »

Sempre hat geschrieben:
Freitag 24. Januar 2025, 20:43
@Lycobates

Der hl. Beatus von Liébana kommentiert eine lateinische Übersetzung der Apokalypse, in der es nicht cum videssem sondern et miratus sum, videns eam admiratione magna heißt.
Ich danke für die weiteren Ausführungen und Zitate.

Ich habe im Moment leider keine Zeit, die Väterkommentare zu der Stelle eingehend vorzunehmen (es gibt bestimmt noch mehrere), daraus ergäbe sich u.U. ein Konsens für die Interpretation, oder wenigstens eine gewisse Interpretationsrichtung. Eindeutigkeit wird wohl nicht vorliegen.
Ich habe lediglich einige philologische Bemerkungen beisteuern wollen, ohne zu dogmatisieren.
:huhu:
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Sempre »

:daumen-rauf:
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Re: Lateinschule II

Beitrag von Sempre »

Anselm von Laon, der Vater der Glossa ordinaria (interlinear und marginal), schreibt über die sieben Donner aus der Geheimen Offenbarung des Johannes, Kapitel 10
Allioli, Offb 10:1-4 hat geschrieben: Und ich sah einen andern mächtigen Engel vom Himmel herabsteigen [...] Und als er gerufen hatte, sprachen die sieben Donner ihre Stimmen. Und als die sieben Donner ihre Stimmen gesprochen hatten, wollte ich schreiben, und ich hörte eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: Versiegle was die sieben Donner gesprochen, und schreib es nicht!
folgendes:
Anselmus Laudunensis, Enarrationes in Apocalypsin, Caput X hat geschrieben: Hic per suam personam ubi scribere prohibetur, significat nobis quod tempore Antichristi praedicatio cessabit.
Ich verstehe, daß das Verbot zu schreiben uns anzeigt, daß während der Zeit des Antichristen die Predigt (der Kirche) aufhört. Wie aber läßt sich der erste Halbsatz mit hic und ubi und per suam personam vernünftig übersetzen? Etwa einfach „Indem hier dem Johannes das Aufschreiben verboten wird, wird uns angezeigt, ... “?
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