Werner hat geschrieben:Nochmal drei Anmerkungen zur These von Robert, dass die Eltern irgendwie durch Änderungen ihrer Erziehungsmethoden "verhindern" könnten, daß ihr Kind "homosexuell wird" […]
und drittens: Wenn du deinem Sohn verbieten willst mit Puppen zu spielen (hat mein (heterosexueller) Bruder als Kleinkind gern gemacht), oder ihn mit Gewalt zum "richtigen Mann" erziehen willst gegen seine Art, nur weil du Angst hast, er könnte sonst "schwul werden", dann wirst du deinen Sohn erst psychisch vermurksen und später mit hoher Wahrscheinlichkeit verlieren.
Angelika hat geschrieben:Mein Sohn hat als Kleinkind auch gern mit Puppen gespielt und (relativ) lange Haare gehabt.
Werner hat geschrieben:[…] stellt sich doch die Frage, spielen sie mit Puppen weil sie schwul sind, oder werden sie vom Puppenspielen schwul […]
Laßt mal die Puppen stecken, Leute. Wenn ein Junge (hauptsächlich) mit Puppen spielt, dann könnte das allenfalls ein Mosaiksteinchen im Bilde sein, aber sicher nicht das erste und nicht das zentrale. Es ist allerdings durchaus nicht ganz leicht, Anhaltspunkte für ein eher „anfälliges“ Temperament konkret zu beschreiben, zumal in der Abgrenzung von bereits umgebungsbedingten Faktoren.
Was sich sagen läßt, ist wohl am besten mit dem Begriff eines gewissen Geschlechtsnonkonformismus beschrieben. Das ist (bei Jungen) etwa eine gewisse weiche, auch eher musische Tendenz. Das ist auffällige Sensibilität, Ausweichen vor gleichaltrigen Geschlechtsgenossen, vor „wilden“ Spielen; stattdessen Spiel eher mit Mädchen. Das eigene Empfinden von Andersartigkeit bereits im Kleinkindalter. Meiden direkter Konkurrenz, stattdessen individuelles (und dabei dann oft einsames) Erbringen von Leistungen. Auffälliges Bravsein.
Natürlich ist damit nicht der Weg in die Homosexualität vorgezeichnet. Aber – und darum geht es – er ist erheblich erleichtert, oder – außerordentliche Einflußfaktoren außer Acht gelassen – überhaupt erst möglich. Weitere Faktoren treten hinzu, die Umgebung nimmt Einfluß. Diesbezüglich scheint hier aber ein gravierendes Mißverständnis vorzuliegen; noch einmal aus deinem obigen Zitat, Werner:
Werner hat geschrieben:Wenn […] ihn mit Gewalt zum "richtigen Mann" erziehen willst gegen seine Art, nur weil du Angst hast, er könnte sonst "schwul werden", dann wirst du deinen Sohn erst psychisch vermurksen
Da sind wir ganz einer Meinung. Es kann und darf nicht darum gehen „gegenzusteuern“, indem man das natürliche Temperament eines Kindes umzubiegen versucht. (Ein reifer Mensch wird sich schon damit auseinandersetzen müssen, aber nicht das Kind.) Zuerst und vor allem müssen die Eltern sich selbst anschauen, ihr Verhältnis untereinander und zum Kind.
Ein typisches Muster ist die gestörte Beziehung der Eltern; eine ferne Vaterfigur, die dem Sohn nicht die väterliche Liebe zu geben vermag, derer der Junge bedarf; eine Mutter, die sich beim Kind über den Vater beklagt und mit welcher der Sohn sich (oft trotz eines gewissen unangenehmen Empfindens) solidarisiert.
Dabei ist das gestörte oder nicht vorhandene Verhältnis zum Vater wohl der auffälligste und statistisch signifikanteste Punkt. Das im Klischee verbreitetere Bild der engen Beziehung zur Mutter („Muttersöhnchenkomplex“) ist statistisch zwar auch häufig, jedoch nicht derart signifikant wie der Mangel der Vaterfigur.
Das erste ist also, daß Eltern bei sich selbst beginnen und – nicht nur, aber besonders dann –, wenn ihr Sohn ein eher empfindliches Temperament zu zeigen scheint, sich bemühen, wahrhaft Vater und Mutter zu sein – und einander Mann und Frau: auch das wahrzunehmen ist für Kinder wichtig. Natürlich wird man sich auch um eine gewisse Einflußnahme auf das Kind bemühen, im Sinne einer Hilfe. Oft steht ja das Kind in Gefahr, durch seine Art sich noch immer weiter zu isolieren.
Nehmen wir meinetwegen das blöde Puppenbeispiel. Ein Junge, der hauptsächlich mit Puppen spielt, wird spätestens im Kindergarten oder in der Schule damit Probleme bekommen: nicht weil das von Natur aus schlecht wäre, sondern weil’s ungewöhnlich ist und von der Mehrheit der gleichaltrigen Geschlechtsgenossen mit Hänseleien oder Schlimmerem abgestraft wird. Der Junge würde so weiter isoliert, betrachtete die andern Jungen aus der Ferne, entwickelte dabei für diesen oder jenen – dem er selber gern gliche – Bewunderung, zumal der Vater als männlicher Bezugspunkt fehlt, und geriete so allmählich immer deutlicher auf einen Weg, auf welchem dann irgendwann homoerotische Empfindungen erwachen können.
Wenn verantwortungsvolle Eltern also erkennen, daß ihr Sohn sich in solche Isolierung begibt, dann werden sie versuchen, ihm Hilfen zu bieten, dort herauszukommen. Druck oder Zwang helfen dabei wenig, im Gegenteil. Konkret raten kann man nur im Einzelfall. Viele Eltern brauchen in solcher Lage selbst Hilfe – doch wer kann sie geben? Heute geschieht das Gegenteil, und dieser Strang ist das beste Beispiel dafür. Man suggeriert, es sei alles vorgegeben, und verhindert so echte Hilfe. Suchen Eltern aber nach Hilfe, geraten sie nur zu oft an falsche Ratgeber, selbst in der Kirche.
Ich will übrigens beifügen, daß ich – obgleich die obigen Angaben auf statistischen Untersuchungen beruhen und also eher von der objektiven Seite her ans Thema herangehen – nicht völlig wie der Blinde von der Farbe rede. Ich kenne aus eigener Anschauung solche „typischen“ Fälle (und keine „untypischen“). Vor allem aber kann ich nicht umhin festzustellen, daß ein beträchtlicher Teil der oben skizzierten Kriterien auch auf mich selbst zutrifft. Was fehlt, sind eigentlich bloß die musische Tendenz, das Spielen mit Mädchen und die Identifikation mit der Mutter, wenn sie sich über den Vater beklagte.
Wer mich in meiner Entwicklung beobachtet hat, hatte also wohl Grund zur Sorge. Weshalb aber bin ich dennoch nicht tatsächlich in die hier behandelte Gefahr geraten? Weshalb habe ich meine Geschlechtsidentität nicht in Zweifel gezogen? – Vielleicht, weil ich, soweit ich denken kann, von Anfang an eine starke, unanfechtbare Überzeugung davon hatte, wie die Dinge sein sollen. Woher, das weiß ich nicht. Leider stand dem theoretisch so starken Willen eine ebenso große Schwäche gegenüber, ihn praktisch ins Werk zu setzen.
So wurde ich – Gott sei Dank – vor homoerotischen Versuchungen bewahrt, fand aber auch lang nicht aus der Isolation und geriet reichlich auf andere Irrwege. Das möchte ich hier auch deswegen anmerken, weil es keineswegs nur darum geht, homoerotischen Irrwegen vorzubeugen. Es gibt eine Vielzahl anderer Störungen der seelischen Gesundheit, vor welchen wir unsere Kinder, so gut wir können, bewahren sollen. Ich jedenfalls hätte wohl der Hilfe bedurft, bekam aber keine. Vielleicht würden meine Eltern sagen: Du hast keine Hilfe angenommen. Was wiederum zeigt, wie sehr auch Eltern oft der Hilfe bedürfen.