Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Samuel
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Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Samuel »

Das Phänomen dürfte bekannt sein:
Wer Böses tut, der stellt sich oft nicht der Schwere dessen, was er getan hat, sondern er schwächt ab, gibt anderen die Schuld...
Das kann bis dahin gehen, dass ein Mann, der seine Tochter mißbraucht hat, lebenslänglich in Sicherheitsverwahrung untergebracht wird, weil er sich weigert, sich seiner Situation zu stellen, den Frauen die Schuld gibt, therapieresistent ist.
Es sieht so aus, als ob solche Menschen direkt auf dem Weg in die Hölle wären. (Es sei denn, sie bekommen nach ihrem Tod noch eine Chance, umzukehren. Aber eine solche Annahme steht in ziemlichem Gegensatz zu vielen Aussagen des NT).

Nun meine Frage, mit der ich nicht recht weiterkomme, und zu der ich gerne andere Meinungen hören möchte:

Warum ist das so? Warum hat Gott uns so geschaffen, dass wir blind gegenüber unserer Schuld werden? Wäre es nicht gnädiger, wenn er uns jederzeit sofort das volle Ausmaß unserer Schuld erkennen/verspüren lassen würde?

Natürlich hängt diese Frage mit der Theodizee zusammen. Aber während ich bei der üblichen Theodizeefrage ("Warum lässt Gott das Leid zu?") noch einen gewissen Sinn (notwendig mit der menschlichen Freiheit mitgegeben) und mildernde Umstände (Letztlich ist das Leid unerheblich gegenüber der ewigen Glückseligkeit) erkennen kann, sehe ich hier weder Sinn noch mildernde Umstände.

Deshalb würde ich mich freuen, wenn jemand hierzu etwas sagen könnte.

Gruß und Segen
Samuel
Wer einen Menschen verurteilt, kann irren. Wer ihm verzeiht, irrt nie. (Heinrich Waggerl)

Raphaela
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Raphaela »

Beim Durchlesen habe ich mich jetzt erst mal gefragt, welche Antwort du möchtest und habe gedacht, dass du als Priester (wahrscheinlich) zunächst eine Antwort aus dem Glauben heraus erwartest.
Aus der Bibel fällt mir dazu spontan jetzt nichts ein. - Aber Maria Goretti! Sie hat für ihren Peiniger auf dem Sterbebett gebetet, er hat sich irgendwann bekehrt und wurde sogar Franziskaner.
Vielleicht wird also oft die Schuld abgeschwächt, damit später die Gnade mehr wirken kann?

Ansonsten: Mit daran beteiligt, dass die eigenen Schuld oft nicht zu sehen ist, ist bestimmt ein Grund, wie jemand aufgewachsen ist, was alles verdrängt worden ist und was auf andere projeziert wird. Und wenn in der Kindheit schon thraumatische Erfahrungen gemacht worden sind, die nicht sehr gut aufgearbeitet wurden, dann ist es meistens so, dass man die Schuld beim anderen sucht und nicht bei sich selbst.

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julius echter
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von julius echter »

Das eingestehen von eigener Schuld macht den Menschn angreifbar und wer will sich schon so weit öffenen; da schaltet sich, für mich, immer ein Selbstschutzmechanismus ein.
Es sind immer die anderen die Schuldig sind.
Aber ist erst einmal die eigene Schuld eingetsanden dann ist es oft ein Neuanfang.
Honi soit qui mal y pense

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Samuel
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Samuel »

Raphaela hat geschrieben:Beim Durchlesen habe ich mich jetzt erst mal gefragt, welche Antwort du möchtest
Hallo Raphaela,
wenn ich wüsste, welche Antwort ich möchte, hätte ich die Frage nicht gestellt :)

Deine Antwort scheint mir insgesamt stimmig zu sein: Blindheit als (notwendiger) Schutzschild, damit wir am Bösen und am Leid nicht zerbrechen, sondern (evtl.) die Chance zur Bekehrung haben.
Aber: Wenn die Blindheit bewirkt, dass der Sünder hier weniger leidet, dafür aber dann in die Hölle kommt, dann hätte Gott uns damit einen Bärendienst erwiesen.
(N.B.: Deine Antwort zeigt auch, wie schlimm das Böse ist, da das Opfer nicht nur am Leib, sondern auch an der Seele verletzt wird.)

Gruß und Segen
Samuel
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regina 32
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von regina 32 »

Samuel hat geschrieben:[
(N.B.: Deine Antwort zeigt auch, wie schlimm das Böse ist, da das Opfer nicht nur am Leib, sondern auch an der Seele verletzt wird.)

Gruß und Segen
Samuel

Die Verletzungen an der Seele sind meist die schwerwiegenderen

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Lioba
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Lioba »

Wenn wir alle Schuld sofort und bis in die Tiefe begreifen würden, wäre das Ergebnis wohl hofnungslose Verzweiflung- gerade bei denen, die gute Menschen sein wollen.nur wo auch gleichzeitig Hoffnung da ist, kann Sündenerkenntnis zu einer positiven Entwicklung führen.
Darum scheint es mir am Fruchtbarsten, wenn die Erkenntnis der Schuld und die Erkennnis der Liebe und Gnade Gottes zusammenwirken- Schritt für Schritt durch unser ganzes Leben.
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
M. v. Ebner- Eschenbach

Magnifikat
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Magnifikat »

Samuel hat geschrieben:Blindheit als (notwendiger) Schutzschild, damit wir am Bösen und am Leid nicht zerbrechen, sondern (evtl.) die Chance zur Bekehrung haben.
Aber: Wenn die Blindheit bewirkt, dass der Sünder hier weniger leidet, dafür aber dann in die Hölle kommt, dann hätte Gott uns damit einen Bärendienst erwiesen.
Ich glaube, dass Blindheit gegenüber von Schuld eine Bekehrung eher hemmt als fördert. Nur wer sich der Schuld bewusst ist, der erkennt, dass er Vergebung braucht. Erst angesichts von Schuld ist die Notwendigkeit von Erlösung, Barmherzigkeit und Gnade zu erkennen, was dann zur Bekehrung führen könnte. Blindheit gegenüber jeglicher Schuld führt doch dazu, dass man meint, alles wäre okay - auch ohne Vergebung und Erlösung.

Ich glaube nicht, dass Gott Menschen so geschaffen hat, dass sie blind gegenüber von Schuld werden. Ich meine eher, dass so jemand so geworden ist - warum auch immer. :hmm:

Die Frage, warum Gott manchen Menschen die Gnade schenkt, ihre Schuld, ihre Erlösungsbedürftigkeit zu erkennen, anderen aber nicht, kann ich auch nicht beantworten.
Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben. (Mt. 5,5,)

HeGe
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von HeGe »

Das Erkennen unserer eigenen Schuld und Sünde ist der erste, notwendige Schritt zur Reue und damit zur Vergebung Gottes. Und damit letztlich ins wahre Leben bei Gott.

Wenn man sich vor der eigenen Schuld verschließt, verbaut man sich diesen Weg. Ich würde daher behaupten, es ist nicht Gottes Wille, dass wir unsere Schuld ignorieren (können), sondern es ist Folge der Erbsünde. Wir verlieren unser Heil nicht nur, weil wir überhaupt sündigen, sondern auch, weil wir diese Sünde dann ignorieren, nicht um Vergebung bitten und Gottes Gnade damit ausschlagen.
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Maria Magdalena
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Maria Magdalena »

Ich denke mal ganz einfach, weil wir schlichtweg feige sind! Und der Mensch schon immer dazu neigte, doch lieber den einfachen Weg zu gehen ,anstatt sich mit seiner Schuld auseinander zu setzen. Also die Schuldfrage auf alles und jeden ( natürlich ausser auf sich selbst) verteilt. So unvollkommen sind wir nun einmal. Und ich denke das wahre Geschenk Gottes an uns ist, die Karft zu erlangen uns unserer Schuld irgendwann zu stellen. Also nicht mehr vor ihr davon zulaufen oder sie auf andere zu verteilen, sondern sie an zunehmen, uns damit auseinander zu setzen und zu bereuen, in dem wir sie wirklich, ohne uns irgendwie zu schonen oder sie zu beschönigen,offen vor Ihn alles aussprechen. Somit haben wir ausser Kraft, auch die Möglichkeit erhalten nicht mehr feige zu sein.
Und dass dies oft nicht von heute auf morgen geht, ist wohl auch jedem klar.
- Herr, erweise mir Deine Gnade, - Dich täglich etwas mehr erkennen zu dürfen und so zu handeln, wie es vor Dir wohlgefällig ist.

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Lupus
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Lupus »

Vielleicht haben wir uns auch eine all zu dicke Haut angeschafft, so dass die "helfende Gnade", die ja etwa so wie ein leichtes Kitzeln an den Fußsohlen uns einladen möchte, gar nicht mehr verspüren?

+L.
Christus mein Leben, Maria meine Hoffnung, Don Bosco mein Ideal!

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ar26
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von ar26 »

Eine gute Frage, ein interessantes Thema. Habe mir die Frage wegen meiner eigenen Biographie selber schon hin und wieder mal gestellt. Ich denke, daß es für einen Menschen, gerade für einen modernen Menschen gar nicht so leicht ist, sich selbst und seinen eigenen Weg in Frage zu stellen. Diese vorgetäuschte Selbstsicherheit ist auch ein Versuch in Freiheit zu bestehen, wenn auch einer, der am Ende scheitert. Wenn man nun seine Schuld immer ganz schnell erkennen würde, oder anders Gott einen immer sofort und mit aller Macht darauf stoßen würde, dann wäre das auch keine richtige Freiheit. Richtige Freiheit heißt eben auch, sich soweit von Gott zu entfernen, daß es schwer ist, ihn einfach so wieder zu finden.

Der Unterschied zu früher ist für mich ganz einfach derjenige, daß ich versuche mein Leben im Rythmus des Glaubens zu halten, regelmäßig zur Beichte zu gehen usw. Ich weiß gar nicht, warum ich zu manchen Zeiten nicht auf die Idee gekommen bin, daß zu tun. Vermutlich, weil ich es nicht gewohnt war und weil man wenig darüber sprach. Wenn wie hier ein Geistlicher fragt, kann ich nur als Antwort geben, immer wieder von der Hl. Beichte sprechen, sie häufig und unkompliziert anbieten. Gewissermaßen den Weg zurück zu Gott so kurz wie möglich halten. Darüber hinaus sollte vielleicht auch vor gewissen Sünden, etwa dem unbedachten Kommunizieren häufiger gewarnt werden.
...bis nach allem Kampf und Streit wir dich schaun in Ewigkeit!

Maja
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Maja »

Hallo!

Ich wollte euch nur kurz auf einen sehr guten Leserbrief zu diesem Thema in "Christ in der Gegenwart" (Nr. 5 / 2009, S. 64) hinweisen. Ich finde den einfach genial.
Der Autor unterscheidet zwischen "freien Entscheidung" (z.B. wenn der Alkoholiker beschließt "Ich bleibe trocken") und der "Macht/Ohnmacht des Willens" (die Versuchung Alkohol übersteigt seine Kräfte), und verweißt auf Paulus: "Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin ich nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde." (Röm 7,20).
Ein anderer Gedanke des Autors: "Der Mensch kann nur im Rahmen seiner Erkenntnis handeln. Wenn es niemand in unserem Leben gibt, der uns das Gute sozusagen nahelegt, handeln wir möglicherweise mit freiem Willen bösartig und werden doch nicht verurteilt." (--> Lk 12,48)

Aber am Besten im Original lesen, zumal es diesmal noch viele andere gute Artikel im CIG gibt.

LG, Maja :ikb_holiday:
"Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin." 1 Kor 12

Raphaela
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Raphaela »

Maja hat geschrieben:Hallo!

Ich wollte euch nur kurz auf einen sehr guten Leserbrief zu diesem Thema in "Christ in der Gegenwart" (Nr. 5 / 2009, S. 64) hinweisen. Ich finde den einfach genial.
Der Autor unterscheidet zwischen "freien Entscheidung" (z.B. wenn der Alkoholiker beschließt "Ich bleibe trocken") und der "Macht/Ohnmacht des Willens" (die Versuchung Alkohol übersteigt seine Kräfte), und verweißt auf Paulus: "Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin ich nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde." (Röm 7,20).
Ein anderer Gedanke des Autors: "Der Mensch kann nur im Rahmen seiner Erkenntnis handeln. Wenn es niemand in unserem Leben gibt, der uns das Gute sozusagen nahelegt, handeln wir möglicherweise mit freiem Willen bösartig und werden doch nicht verurteilt." (--> Lk 12,48)

Aber am Besten im Original lesen, zumal es diesmal noch viele andere gute Artikel im CIG gibt.

LG, Maja :ikb_holiday:
Um diesen Artikel zu lesen, muss man erst mal "Christ in der Gegenwart" haben. :kussmund: :ja:

Aber um auf das Beispiel mit dem Alkoholiker zu kommen: Ist es wirklich auf alle Fälle freie Entscheidung trocken zu werden/zu bleiben?
Ich habe mal lange Gefängnisarbeit gemacht. - Einer der Insassen war ein trockener Alkoholiker und sowohl ein Priester als auch ich fanden, dass man dazu bestimmt ganz schön stark sein muss.
Die Antwort des trockenen Alkoholikers: "Nein! Man muss schwach sein, um trocken zu werden und zu bleiben. - Solange ich nicht mir nicht bewusst bin, dass ich tatsächlich alkoholabhängig bin, fühle ich mich jederzeit stark genug, um zu sagen, dass ich aufhören kann. Erst wenn ich weiß, dass ich abhängig bin, muss ich diese Schwäche zugeben und dann kann ich aufhören."

Vielleicht ist es mit der eigenen Schuld genauso, dass man sich eingestehen muss, dass man schwach ist. Und dies ist wirklich nicht einfach. Wobei ja Paulus in einen seiner Briefe schreibt, dass in seiner Schwäche seine Stärke liegt.

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incarnata
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von incarnata »

Genau dies ist der Heilsweg des Christentums:da wir als von Christus Erlöste wissen,dass wir mit unserer Schwäche zu IHM und einem liebenden Vater kommen dürfen, können wir einen Weg zur Erkenntnis der Schuld vor uns selbst und zum Bekenntnis gegenüber dem,an dem wir uns schuldig gemacht haben finden;letztlich kommt nur so wirkliche Versöhnung mit Gott und dem Mitmenschen zu Stande.Die "natürliche Schutzfunktion" der eigenen Psyche"Ich war´s nicht-ich hab´s nicht so gemeint etc"gibt zunächst einmal dem sich seiner Erlösung aktuell nicht bewussten Menschen eine Hilfe,überhaupt mit der Schuld weiterleben zu können;schon Adam und Eva haben sich nach dem
Sündenfall so verhalten und dieses Muster wurde offensichtlich weitervererbt,wie die Neigung zur Sünde selbst.Die Lebenskunst und wahre Stärke aber besteht darin ,es zu wagen von dem Podest,auf das wir uns selbst gegenüber anderen gestellt haben durch Wahrnehmen der eigenen Schuld herunter zu kommen und so die Freiheit zu gewinnen, um Vergebung bitten und diese auch annehmen zu können.
Siehe auch Strang zu Vergebung und Verzeihung.Wir sind nicht ursprünglich so geschaffen,aber schon durch die Erbsünde so geworden.
Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende
Licht aus der Höhe.......(Lk1,76)

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cooltobecatholic
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von cooltobecatholic »

Mir fallen dazu zwei Sachen ein.

Das eine ist eine Begebenheit aus meinem Leben, als ich mit 18 Jahren einen Autounfall mit mindestem einen, wenn nicht sogar zwei Totalschäden verursacht hatte. Kein Personenschaden allerdings, Deo gratias! Nicht aus Raserei, sondern aus Unerfahrenheit - trotz Stau war die Gegenverkehrsspur leer, und ich dachte, ich hätte ein Schild übersehen, daß diese Spur gesperrt ist. Rückwärtsgang auf der Autobahn zu fahren ist nicht ganz gesund...

Ich mußte dann natürlich eine Zeugenaussage machen, schriftlich. Und die habe ich total verdreht, und beschönigt usw. Warum: ich konnte es einfach nicht vor mir selber ertragen, daß ich so dumm bin, auf der Autobahn rückwärts zu fahren. Heute, viele Jahre später, finde ich das alles gar nicht so furchtbar. Ich habe das als Anfänger halt nicht richtig wahr genommen. Kann ja passieren. Aber der Knackpunkt war, daß ich es vor mir selber nicht eingestehen konnte, diesen Fehler gemacht zu haben.

Das zweite ist eine Erfahrung der letzten beiden Jahre, in denen ich einen äußerst barmherzigen Beichtvater gefunden habe. Nichts erscheint zu schlimm, nichts zu furchtbar oder peinlich. Der ist immer sehr entgegenkommend und verständnisvoll, manchmal verrät er mir, daß er das selber auch leider ab und zu macht... der wird nur streng und nagelt mich fest, wenn ich etwas umscheibe, ausweiche etc.

Das hat mich ziemlich verändert. Ich habe gelernt, daß es kein Problem ist, vor mir Schuld zuzugeben, das muß mir nicht peinlich sein, das passiert halt. In zwei Wochen habe ich ein Gespräch über eine Sache, wo ich auch ziemlich daneben lag - und wieder habe ich es erst mal abgewehrt, ich doch nicht... das war weil bla bla bla... mit zwei Wochen Bedenkzeit hoffe ich, daß ich es hinkriege, den Fehler vor mir selber zugeben zu können. Mit mir selber barmherzig zu sein, und dann auch dazu zu stehen. - Gut,im "weltlichen" Bereich kommt die Angst vor Mißachtung dazu und daß man mir abspricht, kompetent zu sein. Letzteres bin ich meiner Meinung schon, auch wenn mal ein Fehler passiert. Da merke ich den Unterschied zu meinem Beichtvater. Dort werde ich nicht runtergemacht, wenn etwas falsch war. Im normalen Leben wird man meistens runtergemacht. Vielleicht ist es diese Erfahrung, warum wir die Schuld und die Fehler auch vor uns selber verstecken? Ich jedenfalls mache mich selber auch runter für meine Fehler. Aber immer weniger. Un das verdanke ich meinem Beichtvater.

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mtoto
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von mtoto »

Hallo,
nun wenn man nur noch Schuld sieht, ist man auch nicht mehr fähig Gutes zu tun und seinen Weg weiterzugehen. Es braucht einen Ort, wo man sicher ist und seine Schuld auch los wird.
Die Beichte kann so ein Raum sein, aber sie kann auch zum Ort tiefer Verletzung werden.
Ich denke zum einem kann diese Blindheit etwas gnädiges sein, damit man zu Gott zurückfindet und nicht mit einem Schrecken über das Ausmaß der Schuld ihm ganz davon läuft. Zum anderen ist es wohl auch ein Wesenszug von Sünde, daß sie einem die Sicht auf das Maß der Sünde vernebelt. Und dann ist es Gnade, wenn Gott einem die Augen öffnet.

LG mtoto

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Maria Magdalena
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Maria Magdalena »

cooltobecatholic hat geschrieben:

Das hat mich ziemlich verändert. Ich habe gelernt, daß es kein Problem ist, vor mir Schuld zuzugeben, das muß mir nicht peinlich sein, das passiert halt. In zwei Wochen habe ich ein Gespräch über eine Sache, wo ich auch ziemlich daneben lag - und wieder habe ich es erst mal abgewehrt, ich doch nicht... das war weil bla bla bla... mit zwei Wochen Bedenkzeit hoffe ich, daß ich es hinkriege, den Fehler vor mir selber zugeben zu können. Mit mir selber barmherzig zu sein, und dann auch dazu zu stehen. - Gut,im "weltlichen" Bereich kommt die Angst vor Mißachtung dazu und daß man mir abspricht, kompetent zu sein. Letzteres bin ich meiner Meinung schon, auch wenn mal ein Fehler passiert. Da merke ich den Unterschied zu meinem Beichtvater. Dort werde ich nicht runtergemacht, wenn etwas falsch war. Im normalen Leben wird man meistens runtergemacht. Vielleicht ist es diese Erfahrung, warum wir die Schuld und die Fehler auch vor uns selber verstecken? Ich jedenfalls mache mich selber auch runter für meine Fehler. Aber immer weniger. Un das verdanke ich meinem Beichtvater.

Ctbc
Nur geht dieser Weg nicht noch weiter ? Denn, wenn man erfahren durfte, dass man " Schuld" aus menschlicher Schwäche auf sich genommen hat und Gott, sie einem durch die Beichte von den Schultern nimmt, obwohl diese Schwäche in einem Selbst vorhanden bleibt ( wie oft beichten wir im Grunde immer die gleichen Sünden).Könnt man da nicht auch, vielleicht, so weit in dem Verständnis( was man selbst erfahren hat) gehen, dass man auch seinen Nächsten gegenüber Verständnis aufbringt, da er auch menschliche Schwächen hat.Und dies auch in beruflicher Hinsicht, weil es keinen Menschen gibt, der keine Fehler hat oder macht .
- Herr, erweise mir Deine Gnade, - Dich täglich etwas mehr erkennen zu dürfen und so zu handeln, wie es vor Dir wohlgefällig ist.

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cooltobecatholic
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von cooltobecatholic »

Maria Magdalena hat geschrieben:
cooltobecatholic hat geschrieben:

Das hat mich ziemlich verändert. Ich habe gelernt, daß es kein Problem ist, vor mir Schuld zuzugeben, das muß mir nicht peinlich sein, das passiert halt. In zwei Wochen habe ich ein Gespräch über eine Sache, wo ich auch ziemlich daneben lag - und wieder habe ich es erst mal abgewehrt, ich doch nicht... das war weil bla bla bla... mit zwei Wochen Bedenkzeit hoffe ich, daß ich es hinkriege, den Fehler vor mir selber zugeben zu können. Mit mir selber barmherzig zu sein, und dann auch dazu zu stehen. - Gut,im "weltlichen" Bereich kommt die Angst vor Mißachtung dazu und daß man mir abspricht, kompetent zu sein. Letzteres bin ich meiner Meinung schon, auch wenn mal ein Fehler passiert. Da merke ich den Unterschied zu meinem Beichtvater. Dort werde ich nicht runtergemacht, wenn etwas falsch war. Im normalen Leben wird man meistens runtergemacht. Vielleicht ist es diese Erfahrung, warum wir die Schuld und die Fehler auch vor uns selber verstecken? Ich jedenfalls mache mich selber auch runter für meine Fehler. Aber immer weniger. Un das verdanke ich meinem Beichtvater.

Ctbc
Nur geht dieser Weg nicht noch weiter ? Denn, wenn man erfahren durfte, dass man " Schuld" aus menschlicher Schwäche auf sich genommen hat und Gott, sie einem durch die Beichte von den Schultern nimmt, obwohl diese Schwäche in einem Selbst vorhanden bleibt ( wie oft beichten wir im Grunde immer die gleichen Sünden).Könnt man da nicht auch, vielleicht, so weit in dem Verständnis( was man selbst erfahren hat) gehen, dass man auch seinen Nächsten gegenüber Verständnis aufbringt, da er auch menschliche Schwächen hat.Und dies auch in beruflicher Hinsicht, weil es keinen Menschen gibt, der keine Fehler hat oder macht .
Du hast Recht, Maria Magdalene. Ich bemerke schon so eine Veränderung bei mir. Mich regt vieles meiner lieben Mitmenschen nicht mehr so auf, weil ich denke, ach, die haben das wahrscheinlich nicht böse gemeint, oder, sie sind halt auch verletzt und reagieren deswegen so unschön. Weil ich das von mir ja auch kenne.

maria reinecke

Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von maria reinecke »

Samuel schreibt:
"... Das kann bis dahin gehen, dass ein Mann, der seine Tochter mißbraucht hat, lebenslänglich in Sicherheitsverwahrung untergebracht wird, weil er sich weigert, sich seiner Situation zu stellen, den Frauen die Schuld gibt, therapieresistent ist..."

Es ist signifikant, dass bei dem Stichwort Missbrauch wir ohne mit der Wimper zu zucken den "Täter" am besten "in der Hölle schmoren" sehen und div. Aversionen, böse Gedanken, pauschale Verurteilungen, mitleidiges Kopfschütteln angesichts des aussichtslosen Falles parat haben - einstimmig. Ohne auch nur einen Augenblick inne zu halten und zu fragen, ob die Tatsachen wirklich so sind.

Nirgendwo sonst sind wir so schnell beim Täter-Opfer-Klischee wie bei Missbrauch; ich finde das gefährlich, sagt es doch mehr über uns aus als über die Tat. Selbst bei Mord haben wir noch Interesse am Mörder und fragen nach. Bei Missbrauch fragt keiner- die Dinge sind ja so klar.

Es erscheint mir auch fragwürdig, dass ein Geistlicher - den die Abgründe des Seelischen nicht derart erstaunen sollten, Bibel und Menschheitsgeschichte sind voll davon - ein intimes Familiengeschehen anderer plakativ als Beispiel zum Thema des eigenen Schuldeingeständnisses zur Diskussion stellt...
Bei der Forderung oder Frage nach dem Schuldeingeständnis kann es m.E. nur um die Betrachtung des je eigenen Vermögens oder Unvermögens des Eingeständnisses gehen und nicht um das Schielen auf andere.

Abgesehen davon.
Fakt ist u.a.: dass es unzählige hoch dramatische, tragische Fälle gibt, in denen die angeblichen "Täter" nachweislich (nach furchtbaren, zermürbenden, verzweifelten Jahren juristischer Auseinandersetzungen und Einholen von psychischen Gutachten etc.) unschuldig sind und nachträglich das Entsetzen groß ist, wenn sich herausstellt, dass Töchter, Stieftöchter, Frauen aus div. Gründen (Neid, Hass, Eifersucht, extremem Narzissmus, Egozentrik, Rache, div. krankhafter Veranlagung, Minderwertigkeitskomplexen etc...) die vermeintlichen "Täter" fertig machen wollen, und nicht nur diese, sondern das ganze familiäre Netz zerstören wollen etc.
Darüber verliert in der Öffentlichkeit niemand ein Wort.

Erschwerend bei später Aufarbeitung von Missbrauch-Fällen kommt noch hinzu: Die Auswirkungen, Schäden, Defizite des "Opers" bei sexuellem Missbrauch, der wirklich statt gefunden hat sind von einem aus welchen Gründen auch immer (Kinder sind hochsexuelle Wesen!) hysterisch vorgestellten, phantasierten, heimlich gewünscht-gefürchteten, geträumten, krankhaft erträumten Übergriff die gleichen etc.

Rein psychologisch, immanentatistisch, von der Welt her gesehen, sind Täter bekanntlich immer auch Opfer, und die Opfer werden wieder zu Tätern, in je eigener Weise, ohne Ende.

C.G. Jung schreibt an Bill Wilson, den Mitbegründer der Anonymen Alkoholiker, über einen Klienten:
"Sein Drang nach Alkohol war der Ausdruck auf einer niederen Stufe des spirituellen Durstes unseres Wesens nach Ganzheit...nach der Einung mit Gott... wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott nach dir..."
Was C.G. Jung hier poetisch gefärbt über den spirituellen Durst des Alkoholikers auf niederer Stufe sagt: gilt das nicht für alle menschlichen Maßlosigkeiten, Süchte und Verbrechen: Esssucht, Rauchsucht, Sexsucht, Machtsucht, Geldsucht, Spielsucht, Kaufsucht, Gewaltsucht bis hin zu Kindesmissbrauch und Mord: ist da nicht immer etwas ungestillt im Menschen, im Täter - auf niederer und niedrigster Ebene?

Und aus dem Blickwinkel der barmherzigen Ewigkeit? Wir haben keinen Schimmer, wie die Unterschiede in den Verbrechen, Gebrechlichkeiten, Vergehen der Menschen da zählen.

Wir wissen nur eines: vor dem ewigen, liebenden Gott sind wir alle „Täter“, mögen wir noch so feine Bürger sein und uns sonst nichts zu Schulden kommen lassen: sind wir doch Sünder auf höchster, feinster Ebene, denn wir vergehen uns ständig an seiner Liebe... "Heile mich o Herr, ich habe gegen dich gesündigt..." Das ist der größte Schmerz, dass wir Gottes Liebe immerfort vergessen und zur Selbstgerechtigkeit neigen.

M.R.

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overkott
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von overkott »

maria reinecke hat geschrieben:Es erscheint mir auch fragwürdig, dass ein Geistlicher - den die Abgründe des Seelischen nicht derart erstaunen sollten, Bibel und Menschheitsgeschichte sind voll davon - ein intimes Familiengeschehen anderer plakativ als Beispiel zum Thema des eigenen Schuldeingeständnisses zur Diskussion stellt...
Bei der Forderung oder Frage nach dem Schuldeingeständnis kann es m.E. nur um die Betrachtung des je eigenen Vermögens oder Unvermögens des Eingeständnisses gehen und nicht um das Schielen auf andere.
Der Geistliche orientiert sich am Evangelium. Dieses schildert, ein intimes Familiengeschehen einer anderen plakativ als Beispiel zum Thema des eigenen Schuldeingeständnisses. Es gipfelt in dem Christuswort: Wer von euch ohne Schuld ist... Tatsächlich lässt sich das Eingestehen von Fehlern nicht völlig individualisieren und internalisieren. Denn Sünde ist immer Ausdruck einer gestörten Beziehung zu Gott, zum Nächsten, zu sich selbst. Der Herr will versöhnen und die Beziehungen wieder ins Gleichgewicht bringen. Dazu gehört zunächst das Erkennen des Guten, das Bekennen der Unterlassung oder des gegenteiligen Tuns, die Bereitschaft umzukehren und die Vergebung dem Nächsten gegenüber. Christus erinnert die anderen an ihre Schuld, um eine Situation zu deseskalieren.

sofaklecks
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Lewis

Beitrag von sofaklecks »

Ich habe mir die Krimireihe "Lewis" im ZDF angesehen. Ein zynischer Kommissar in Oxford, der den Glauben an Gott durch den Unfalltod seiner Frau verloren hat, klärt die Fälle mit einem Assistenten, der früher in Cambridge Theologie studiert und sich den Glauben bewahrt hat.

Die Mischung ist erfrischend und eben gerade nicht seicht.

In der letzten Folge verspricht ein todkranker Professor dem Team den entscheidenden Hinweis, wenn man ihm einen früheren Studenten auftreibe, dessen Karriere und Leben er ruiniert, dem er bitter Unrecht getan hat. Man treibt den ehemaligen Studenten auf; er wurde nach dem Vorfall medikamentenabhängig, kann sich kaum mehr konzentrieren und vollständige Sätze bilden.

Als die beiden aufeinandertreffen, liest der ehemalige Student seinen Text, den er sich aufgeschrieben hat, ab. Beide hätten unter der begangenen Ungerechtigkeit gelitten. Er sei medikamentenabhängig geworden, der Professor mittlerweile erblindet. Es sei unerheblich, ob die Erblindung eine Strafe oder was aus ihm, dem Studenten geworden sei. Wichtig sei jetzt nur noch eines: Er, der Student habe es jetzt in der Hand, die Situation von mindestens einem entscheidend zu verbessern, nämlich die des Professors durch seine, des Studenten Verzeihung. Und er erkläre, er verzeihe ihm. Bedingungslos und endgültig.

Hat mich sehr nachdenklich gemacht. Einsicht in die Schuld auf der einen, Verzeihung als rational gebotenes Mittel zur Verbesserung der Situation wenigstens eines der Beteiligten und damit der gesamten Situation.

sofaklecks

Aletheia
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von Aletheia »

maria reinecke hat geschrieben: Wir wissen nur eines: vor dem ewigen, liebenden Gott sind wir alle „Täter“, mögen wir noch so feine Bürger sein und uns sonst nichts zu Schulden kommen lassen: sind wir doch Sünder auf höchster, feinster Ebene, denn wir vergehen uns ständig an seiner Liebe... "Heile mich o Herr, ich habe gegen dich gesündigt..." Das ist der größte Schmerz, dass wir Gottes Liebe immerfort vergessen und zur Selbstgerechtigkeit neigen.
"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" - Blindheit gegenüber der Wirklichkeit ist die Voraussetzung dafür, dass wir schuldig werden. Es ist dabei unerheblich, ob wir uns auf die Seite der Opfer oder Täter stellen. Die Erzählung von Eva und Adam macht das deutlich - Adam verweist auf Eva, diese verweist auf die Schlange - es ist also eine Kette von Opfer-Täter-Beziehungen zwischen den Menschen.
Diese Kette ist durch das Opfer Jesus durchbrochen worden und dies war nur möglich, indem er die Wirklichkeit so gesehen hatte, wie sie eben ist, als göttliche Wirklichkeit - alles ist sein Eigentum. Und wir haben daher nichts eigenes, außer dieses Eigentum.
Jesus hat sich freiwillig geopfert - sein Opfer war also eine Tat und damit hat er Opfer-Sein und Täter-Sein zusammen geführt, in Christus sind sie eins.

"Die Verzeihung bricht die Ursachenkette dadurch, dass der Verzeihende - aus Liebe - die Verantwortung für die Folgen dessen, was Du getan hast, auf sich nimmt. Sie enthält deshalb immer ein Opfer" (Dag Hammarskjöld).

"Jesus hat recht in alle Ewigkeit. Mögen wir begreifen, dass wir niemals wirklich Kinder unseres himmlischen Vaters sein können solange wir nicht u nsere Feinde lieben und für unsere Verfolger beten" (Martin Luther King).

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overkott
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Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von overkott »

Schuld ist zunächst nicht etwas, auf das man einen aufmerksam machen müsste, sondern das jemand empfindet und darunter leidet. Schuld wurde zur Zeit Jesu als Ursache für Krankheiten verstanden, Krankheiten als Strafe für Schuld empfunden. Schuld wurde erblich verstanden mit Auswirkungen über mehrere Generationen. Man war der Meinung: Nur Gott kann von Schuld befreien. Um so größer war die Wirkung Jesu durch seine Vergebung der Sünden. Christus befreit von Schuld und heilt die Wunden der Seele sowie die negativen Auswirkungen auf das Zusammenleben. Die Voraussetzung dafür ist die Einsicht und das Eingestehen sowie die Bereitschaft zur Umkehr. Gott gibt eine neue Chance auf ein neues Leben, lautet das Evangelium Christi. Dieses Leben beginnt schon heute, wenn du dazu bereit bist.

maria reinecke

Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von maria reinecke »

...ja, heute und in jedem Augenblick: jetzt und jetzt und jetzt.

Es wurde das Wort "Verzeihen" erwähnt.
Es kann gar nicht genug betont werden, wie wichtig u.a. das Verzeihen im seelischen Heilungsprozess ist. Doch wirkliches Verzeihen übersteigt unsere Kraft, Verzeihen schaffen wir nicht alleine, diese Kraft kommt nicht aus uns. Darum bleiben Opfer meist/oft in ihrem Opferverhalten stecken und "gesunden" höchstens in der Weise, dass sie wieder funktionstüchtig sind...
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Ein Nebengedanke dazu sei erlaubt:
Die vielen Selbsthilfegruppen in Fällen von Missbrauch, Inzest, Sucht, Gewalt in der Ehe etc... sind ohne Zweifel gut gemeinte Einrichtungen. Hilfesuchende erhalten hier oft zum ersten Mal dringend benötigte Rechtfertigung für die Wunden, die ihnen massiv zugefügt worden sind. Es ist wichtig, einmal in sein eigenes Trauma hineingeschaut zu haben und mit dem Wesen und für das Wesen in uns, das so sehr gelitten hat, bitterlich zu weinen. Mitgefühl und Verständnis der Gruppe sind dabei Labsal, Balsam für jeden einzelnen.

Ursprünglich sollten Selbsthilfegruppen lediglich dabei helfen, Menschen in einer schweren persönlichen Krise mitfühlend und den Schmerz des je anderen zulassend, eine Weile zu begleiten, als Übergangsphase. Aber nur wenige wollen aus dieser „Übergangsphase“ schließlich heraus. Mehr und mehr wird die Offenlegung und der Austausch der Wunden bindendes Element der Beziehung untereinander. Jeder lernt bald, sich therapeutisch flüssig auszudrücken, und es entsteht dabei eine exklusive Sprache der Intimität, „Wundologie“, nennt das Carolyne Myss (Ärztin, Theologin).
Aus einer Übergangsphase wird eine Ganztagsbeschäftigung auf Lebenszeit. Das Leiden erhält einen Namen, die Wunden werden zu einer „gesellschaftlichen Währung“ umgewandelt, und mit der erlernten Sprache der „Wundologie“ fällt es den Betroffenen umso schwerer, die Privilegien aufzugeben, die sie meinen, für immer als Opfer in der Gesellschaft in Anspruch nehmen zu können. So klammern sich die Mitglieder der Gruppe in ihrer Bedürftigkeit heftig aneinander, lassen sich immer mehr Zeit zur „Verarbeitung“ und kommen aus dem Unterstützungssystem nicht mehr heraus, wollen es auch gar nicht.
Ein unheilvoller Zirkel, wenn Mitgefühl in der Anerkennung des Leidens stecken bleibt.
Unser Verständnis von „geheilt“ darf insgesamt nicht mit „völlig unabhängig“, „immer glücklich“, „immer selbstsicher“ oder „nicht bedürftig“ verwechselt werden. Auch wenn wir stark und gesund sind, bleiben wir verletzlich.
Der Betroffene müsste irgendwann begreifen, dass er genug Unterstützung bekommen hat, die Opferrolle aufgeben muss und selbstverantwortlich mit seinem eigentlichen Leben fortfahren oder neu beginnen muss, voller Vertrauen, dass das geht. Vertrauen in eine heil machende Kraft in uns und über uns...

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Niederknien, den Blick ganz auf den Herrn richten, seine Gnade wirken lassen, dankbar seine Liebe zulassen, begreifen, empfangen, empfinden und reumütig weinen über die eigene Lieblosigkeit angesichts seiner Liebe; das unsägliche Leid, das uns angetan wurde und uns zu ersticken droht, alle Gemeinheit, Verleumdung, Ungerechtigkeit, Bosheit, Intrigen etc., die uns von außen möglicherweise oder tatsächlich widerfahren sind, wegströmen lassen in seine geöffneten Arme und die Bitterkeit und Verzweiflung in uns verwandeln lassen durch IHN in allmähliches Verstehen, Verzeihen, Versöhntsein, im vollendeten Falle: Liebe.
Liebe = Heilung.

maria reinecke

Re: Blindheit gegenüber der eigenen Schuld

Beitrag von maria reinecke »

In meinem ersten Beitrag, den ich leider nicht mehr bearbeiten kann, muss es heißen "Einholen von psychiatrischen Gutachten" , sorry. M.R.

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