Der hl. Apostel Paulus (Gal III,24f.) hat geschrieben:Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister [παιδαγωγός/pædagogus] gewesen auf Christus hin, damit wir aus Glauben gerechtfertigt werden. Nachdem aber der Glaube gekommen ist, stehen wir nicht mehr unter dieser Zucht.
Der hl. Apostel Paulus (Rom III,21f.) hat geschrieben:Jetzt aber ist ohne Gesetz die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart worden, [>]von der das Gesetz und die Propheten Zeugnis geben[<]: Gerechtigkeit Gottes nämlich mittels des Glaubens an Jesus Christus für alle und über alle, die an ihn glauben, denn das ist kein Unterschied.
Das ist letztlich der Zweck des Gesetzes[1], darauf ist es auch ausgerichtet, das ist in ihm enthalten. Der Christus wurde ja praktisch von Beginn an – im Pentateuch und weiter über die Propheten bis zur Inkarnation des Herrn – verheißen. Durch Inkarnation, Leiden, Kreuz und Auferstehung des Herrn und den Glauben an Ihn wird das Gesetz in seiner Funktion gerade erfüllt und dieses bestätigt (cf. Rom III,31), nämlich auf Jesus Christus, den Sohn Gottes, hin zu erziehen, der die höchste Vollkommenheit ist. So erfüllt Er das Gesetz, ohne etwas daran aufzuheben, für die, die an Ihn glaub(t)en; Er, der gerade dem Volk Israel verheißen war. Es gehörte zum Alten Bund, das Gesetz zu halten, es war sein wesentlicher Bestandteil. Das Gesetz ist aber göttlicherseits an gewisse Bedingungen geknüpft, die mit ihrer Erfüllung durch die Menschwerdung, das Wirken, Leiden, den Tod und die Auferstehung des Messias Jesus' entfielen; es war auf diese Erfüllung hin angelegt und hat darauf vorbereitet.
Die aus freien Stücken Ungläubigen und Abgefallenen, die die Synagoge aufrichteten[2], quasi also eine Einrichtung der
civitas terrena für die überwiegend abgefallenen Kinder Abrahams dem Fleische nach[3], die sich an das Gesetz (aus Zwecken der Zucht und Einübung auf Christus hin) halten sollten – das aber bekanntermaßen nicht rettet[4] –, sind nicht Israel.[5] Denn was Israel erstrebt, erhielt nur der auserwählte Teil des Volkes, an denen sich besonders Gottes Treue zeigte, der Rest aber wurde verhärtet (cf. Rom XI,7). Diese Juden, d. h. das Volk der Synagoge, halten auch nicht einfach das Gesetz, sondern das Gesetz gemäß ihrer Auslegung und ihrem Verständnis, ihren Sonderlehren, die sich im Laufe der Zeit nach ihrer endgültigen Trennung vom neuen Gottesvolk[6], der Kirche, herausgebildet haben, durchaus in Opposition zu ihr, wo es von Bedeutung war.[7] Das Gesetz ist für die ungläubigen Abgefallenen, losgelöst von ihren sie behindernden und – wo sie für diese Frage relevant sind – für diesen Zweck ersonnenen Lehren, allerdings aufgrund von Gottes Treue weiterhin eine Chance, wenn sie der Anrufung Gottes nicht widerstehen, um zum Christus Jesus zu gelangen und wieder in den Stamm eingepfropft zu werden, aus dem sie herausgebrochen wurden, damit die Heiden eingepfropft werden konnten (Rom XI,19f.); der Alte Bund hatte gegenüber dem Neuen diese vorbereitende, dienende Funktion.[8] Das wollen sie aber nicht sehen. Dennoch ist Gott treu und diese Treue zeigt sich ebenso an einer gewissen Rolle auch dieser ungläubigen Abrahamskinder, die sie am Ende der Zeiten spielen. Die Juden sind, so, wie sie als Ungläubige sind, auch Feinde um des Evangeliums willen (Rom XI,28f.), gleichzeitig sind sie Geliebte
um ihrer edlen Väter willen – nicht aus sich selbst, aus ihrem gegenwärtigen Zustand heraus – , denn
ohne Bereuen/unbereubar sind Gottes Gnade(ngaben) und die Erwählung.[9] Schon alleine daher kann und muss man hoffen.
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[1] Gerade durch die Erkenntnis der eigenen Schuldhaftigkeit vor Gott, die als solche auf einen verweist, der diese Schuld von uns nehmen kann und uns rettet:
Der hl. Apostel Paulus (Rom III,19) hat geschrieben:Wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz sagt, es zu denen redet, die unter dem Gesetz sind, damit jeder Mund verstopft werde und die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei.
[2]Ein Teil derer, denen der Alte Bund gehörte, die dann aber, als der eingeborene Sohn und Erbe kam, sprachen:
Der hl. Evangelist Lucas (Lc XX,14) hat geschrieben:Dieser ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, damit das Erbe unser werde!
St. Johannes Chrysostomus, [i] In epistula ad Romanos commentarius[/i], 17. Homilie, Cap. IX, V. 1—33, 3 hat geschrieben:Wenn er nämlich sagt: „Denen die Kindschaft, die Herrlichkeit, der Bund, die Gesetzgebung, der Gottesdienst und die Verheißungen gehören“, so will er damit nichts anderes sagen, als daß Gott den Willen gehabt hat, sie zu retten. Diesen Willen hat Gott zum Ausdruck gebracht durch das, was er ihnen im Alten Bunde tat, dadurch, daß er Christus von ihnen abstammen ließ und daß er ihren Vätern Verheißungen gab. Die Juden aber haben in undankbarer Weise dieses ganze Wohlwollen unbeachtet gelassen. Der Apostel erwähnt jene Wohltaten Gottes als ebensoviele Beweise seiner Gnade, nicht aber um die Juden zu erheben. Denn die Gotteskindschaft ist eine Gnade, ebenso die Herrlichkeit und die Verheißungen und das Gesetz. Bei Betrachtung alles dessen und bei dem Gedanken, welche Mühe sich Gott im Verein mit seinem Sohne gegeben hat, um sie zu retten, ruft der Apostel laut aus: „Der da hochgelobt sei in Ewigkeit; Amen.“ Damit spricht er dem eingeborenen Sohne für alles den Juden erwiesene Gute seinen Dank aus.
[3] Die Abstammung ist im Herrn, in der Kirche, nicht mehr relevant:
Der hl. Evangelist Matthäus (Mt III,9) hat geschrieben:Und maßt euch nicht an, bei euch selbst zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater! Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Und die Axt ist schon an die Wurzel gelegt. Ein jeder Baum also, der keine gute Frucht bringt, wird ausgehauen und ins Feuer geworfen.
Der hl. Apostel Paulus (Rom IX,8) hat geschrieben:Nicht die Kinder des Fleisches, diese sind Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung werden als Nachkommen gerechnet
St. Johannes Chrysostomus, [i] In epistula ad Romanos commentarius[/i], 17. Homilie, Cap. IX, V. 1—33.4 hat geschrieben: V. 8: „Das heißt: Nicht die Kinder des Fleisches, die sind Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung, die werden als Nachkommenschaft verstanden.“
Beachte da den Scharfsinn und den hohen Standpunkt der Betrachtungsweise des Paulus! In seiner Erklärung sagt er nicht, daß nicht die Kinder des Fleisches Kinder Abrahams sind, sondern daß sie nicht „Kinder Gottes“ sind. Er stellt eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her und zeigt, daß auch Isaak nicht ein Kind Abrahams schlechtweg war. Der Sinn seiner Worte ist der: Alle die, welche nach Art des Isaak (von Abraham) abstammen, die sind Kinder Gottes und zugleich Nachkommen Abrahams. Denn deswegen hat Gott gesagt: „In Isaak wird dir Nachkommenschaft zuteil werden.“ Du sollst daraus ersehen, daß nur die, welche in derselben Weise Abraham zum Vater haben wie Isaak, im eigentlichen Sinne die Nachkommenschaft Abrahams sind. Wie hatte nun Isaak den Abraham zum Vater? Nicht nach dem Gesetze der Natur, nicht infolge der Zeugungskraft des Abraham, sondern kraft der Verheißung Gottes. Was heißt: „Kraft der Verheißung Gottes“?
V. 9: („Die Worte der Verheißung sind diese:) Um diese Zeit werde ich kommen, und Sara wird einen Sohn haben“ [1]
Diese Verheißung aus dem Munde Gottes war es, die Isaak Sein und Leben gab. Aber die weiblichen Gebärorgane wirkten doch auch mit? Ja, aber nicht ihre Lebenskraft, sondern die Kraft der Verheißung Gottes brachte das Kind zur Welt. — In derselben Weise sind auch wir (wieder) geboren worden durch das Wort Gottes. Auch im Taufbade ist die zeugende und gebärende Kraft das Wort Gottes; denn „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes“ sind wir getauft worden. Das ist eine Geburt nicht nach den Gesetzen der Natur, sondern kraft der Verheißung Gottes. Ebenso wie er die Geburt des Isaak vorausverkündigte und sie dann erst geschehen ließ, hat er auch unsere (Wieder-) Geburt durch alle Propheten lange Zeit voraus angekündigt und sie dann erst verwirklicht. Siehst du da, wie groß sich Gott gezeigt hat und wie er seine großen Verheißungen mit aller Leichtigkeit hat in Erfüllung gehen lassen?
Wenn aber die Juden behaupten sollten, jenes: „In Isaak wird dir Nachkommenschaft zuteil werden“ besage, daß alle, die von Isaak abstammen, zur Nachkommenschaft Abrahams gerechnet werden, so würde daraus folgen, daß auch die Idumäer und alle anderen Abkömmlinge Abrahams als seine Söhne gelten mußten; denn ihr Stammvater Esau war ein Sohn des Isaak. Nun gelten aber die Idumäer nicht nur nicht als Abrahams Kinder, sondern sie sind ein ihm ganz und gar fernstehendes Volk. Siehst du, daß nicht die Kinder, die dem Fleische nach von Abraham abstammen, deswegen schon Kinder Gottes sind, und daß durch die Art der natürlichen Abstammung (der wahren Kinder Abrahams) die Wiedergeburt durch die Taufe vorgebildet war? Was dort das natürliche Gebärorgan, ist hier das Wasser. Aber wie hier alles eine Wirkung des Hl. Geistes ist, so dort alles eine solche der Verheißung. Kälter als Wasser war das mütterliche Gebärorgan der Sara infolge der Unfruchtbarkeit und des Alters. — Führen wir was also den hohen Adel unserer Abstammung recht zu Gemüte, und erweisen wir uns seiner würdig durch unser Leben! Nichts Fleischliches, nichts Irdisches hat daran teil. Also wollen auch wir nichts dergleichen an uns tragen. Denn weder Beischlaf noch fleischliche Begierde noch Umarmung noch Sinnenlust, sondern einzig: die Liebe Gottes war die wirkende Ursache dieser unserer Wiedergeburt. Wie dort im hoffnungslosen Alter der Sara, so tritt hier im eingetretenen Greisenalter der Sünde der neue Isaak zutage, und alle sind wir Kinder Gottes und Nachkommenschaft Abrahams geworden.
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[1] 1 Mos 18,10
[4] Der hl. Apostel Paulus (Rom III,20) hat geschrieben:Denn durch die Werke des Gesetzes wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt; denn durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde.
Der hl. Apostel Paulus (Col II,14) hat geschrieben:... als er ausgetilgt hat, die/den uns entgegenstehende(n) Handschrift/Schuldschein, in Geboten, die gegen uns waren, hat er sie auch aus der Mitte weggenommen, indem er sie an das Kreuz nagelte.
[5] Der hl. Apostel Paulus (Rom IX,6f.) hat geschrieben:Denn nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israel; auch nicht alle, weil sie Nachkommen Abrahams sind, sind deshalb schon seine Kinder
[6] Der hl. Apostel Petrus (I Petr II,9f.) hat geschrieben:Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum, damit ihr die Tugenden dessen verkündigt, der euch berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; die ihr einst nicht ein Volk wart, jetzt aber ein Volk Gottes seid
Gott der Herr hat sich ein neues Volk gemacht, wie er sich auch das alte Volk gemacht hat.
[7] Gerade in Hinsicht auf Zweck, Nutzen und Erfüllung des Bundes.
[8] Der hl. Apostel Paulus (Rom IX,12 – und die vorhergehenden Verse) hat geschrieben:Der Ältere wird dem Jüngeren dienen; wie geschrieben steht: Jakob habe ich geliebt, Esau habe ich gehasst
[9] Cf. Rom XI,28f. — Das sagt nun über das Weiterbestehen des Bundes noch gar nichts aus. Die Erklärung Nostræ ætate sagt, was das angeht, m. E. nichts, was der oben zitierten Passage von S. Hl. Papst Pius XII. widerspricht.
St. Johannes Chrysostomus, [i]In epistula ad Romanos commentarius[/i], Cap. XI. V. 7—36., 7 hat geschrieben:Aber gleichwohl hat Gott ihre Berufung nicht ganz und gar fallen gelassen, sondern er wartet die Zeit ab, bis alle Heiden, die willens sein werden, zu glauben, zum Glauben gelangt sein werden; dann werden auch die Juden dazu kommen. Hierauf sagt ihnen der Apostel noch etwas anderes zu Gefallen: „In Hinsicht auf die Tatsache ihrer Auserwählung dagegen sind sie Gottes Lieblinge um der Väter willen.“ Was soll das heißen? Sind sie einmal Gottes Feinde, dann bleibt ihnen die Strafe nicht aus; sind sie aber seine Lieblinge, dann nützt ihnen auch die Tugend ihrer Vorfahren nichts, wenn sie nicht glauben. Aber immerhin sind es tröstliche Worte, die da der Apostel, wie ich schon sagte, zu den Juden spricht, um sie für sich zu gewinnen. [...] — Hier weist der Apostel darauf hin, daß die Heiden zuerst berufen gewesen, und dann erst, als sie nicht wollten, die Juden auserwählt worden seien, und daß sich dasselbe nachher wiederholt habe. Denn erst, als die Juden nicht glauben wollten, kam Gott wieder zurück auf die heidnischen Völker. Aber dabei bleibt der Apostel nicht stehen. Er läßt die ganze (Heilsgeschichte) nicht auf die Verwerfung der Juden hinauslaufen, sondern gibt ihr eine solche Wendung, daß diese wieder das Erbarmen (Gottes) erfahren. Sieh, wieviel er den Heiden einräumt! Ebensoviel hat er früher den Juden eingeräumt. Als ihr, die ihr einstmals Heiden waret, spricht er, euch ungehorsam gegen Gott zeigtet, da kamen die Juden an die Reihe; als aber wieder diese ungehorsam waren, kamet ihr daran. Die Juden sind aber nicht endgiltig verloren. „Gott hat sie alle in Ungehorsam verstrickt“, d. h. er hat zugelassen, daß sie sich als ungehorsam erwiesen, nicht damit sie ungehorsam blieben, sondern um die einen durch die Eifersucht auf die andern zu retten: die Juden durch die Heiden und die Heiden durch die Juden. Sieh nur: Ihr waret ungehorsam, und die Juden sind gerettet worden; dann waren wieder diese ungehorsam, und ihr wurdet gerettet. Aber nicht dazu seid ihr gerettet worden, daß ihr auch wieder abtrünnig werdet wie die Juden, sondern daß ihr durch euren anhaltenden Eifer diese wieder heranzieht.