Bruder Donald hat geschrieben:In welchen Schriften genau erläuter[t] er das?
Vornehmlich in seinen „Quaestiones Parisiensis“, die möglicherweise allesamt während seiner ersten Pariser Lehrtätigkeit 1302/03 entstanden. Das Verfahren dort ist eine reduktive Analyse, nach der das komplexe, bewegliche, veränderliche und vielheitliche Sein(ende) auf ein Einfaches, Unbewegliches, Invariantes und Einheitliches zurückgeführt wird. Dies aber ist die göttliche Vernunft. Wie sie genau beschaffen ist und all das folgt.
Das, was Meister Eckhart als Universitätslehrer entwickelte, taucht bei ihm aber natürlich auch in andern Zusammenhängen auf – in seiner Schriftauslegung, in seinen Predigten –, ferner sind die Pariser Quaestionen komplementär zu dem zu sehen, was er in seinem Propositionenwerk entwickelte. Es geht ihm wohl letztlich um dasselbe, jedoch in anderer Hinsicht, mit einer andern Methode. Im Letztgenannten verfährt er, an Proklos angelehnt, more geometrico, geht also von allgemeinen Axiomen aus (also eher ein deduktives Vorgehen). In den Pariser Quaestionen dagegen ist die „resolutio“ die Methode der Wahl, die oben genannte (reduktive) Analyse (also eher ein induktives Vorgehen). Was er jeweils in diesen – etwas anachronistisch gesprochen – akademischen Schriften entwickelt, sind seine denkerischen Grundlagen, allerdings als die „Metaphysik des Lebemeisters“ (Theo Kobusch).
Ich persönlich würde damit (und mit seinen Schriftauslegungen) nicht anfangen, da man, selbst, wenn man nicht irgendetwas in die Schriften reinliest, also seinen eigenen Projektionen erliegt, noch immer größte Schwierigkeiten hat, sie zu verstehen, zumal als Teile eines Gesamtwerks.[*] In seinen Predigten und Unterweisungen wurde z. T. viel daraus verarbeitet.
Trisagion hat ja bereits etwas dazu gesagt:
Trisagion hat geschrieben:Er wollte mit seinen Worten Leute auf den rechten Weg bringen. Ein anderer Zugang zu seinen Werken ist ihm zuzuhören, als ob man Teil des Publikums gewesen wäre. Gelegentlich muß man da ein bißchen Wissen mitbringen, damit man Dinge aus einer doch recht anderen Zeit nicht falsch versteht. Aber das hält sich in Grenzen, denn dies waren eben keine akademischen Veranstaltungen an der Universität von Paris.
Bruder Donald hat geschrieben:Trisagion hat ja schon paar Schriften angesprochen, hast auch eine Empfehlung?
Ich ich würde die Werkausgabe aus dem „Deutsche Klassiker Verlag“ empfehlen. Dort hat man Text und Übersetzung der Stuttgarter Ausgabe (ohne kritischen Apparat) von allem, was man als normaler Mensch benötigt. Die Stuttgarter bzw. kritische Gesamtausgabe dagegen bekommt man vollständig doch eher schwer (und nicht billig), benötigt man aber auch nicht. Es sei dann natürlich, man ist ein akademischer Eckhart-, Scholastik-, Philosophiegeschichte- oder Mystikforscher wie Professor McGinn und mag nicht ständig in die Bibliothek rennen. Es gibt dann sicher noch mal speziell ein paar Schriften, die man hervorheben könnte, wie z. B. die sehr früh entstandene (noch vor der Pariser Zeit) „Rede der unterscheidunge“. Diese ist höchst praktisch orientiert.
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[*] Im Propositionenwerk liegt eine platonisierende Transzendentalienlehre vor, in der gilt: „Deus est esse“, jedoch in einem ganz bestimmten Sinne. In den Pariser Quaestionen dagegen gilt: „Deus est intelligere“, es scheint auch keinen einheitlichen Seinsbegriff zu geben. Wie sich das miteinander vereinbaren lässt, kann man erklären (s. die knappen, nicht ganz perfekt gelungenen Bemerkungen weiter oben), aber wenn man das einfach so liest, ganz unbedarft, versteht man überhaupt nicht was das soll. Ja mehr noch, manche würden meinen, der Typ widerspricht sich doch und verwerfen alles als Unsinn. Andere geheimnissen irgendwelche den Verstand übersteigenden Mysterien in ihn hinein. Beides ist seiner nicht angemessen.