Wie frei ist der Mensch?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Pit
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Wie frei ist der Mensch?

Beitrag von Pit »

Hallo !

Wie frei sind wir Menschen, wie frei sind wir als Christen und - was ist eigentlich Freiheit?

Gruß, Pit
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John Grantham
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Beitrag von John Grantham »

Heh. Kannst Du die Frage etwas präzisieren? Meinst Du im Sinne von politischer Freiheit, moralischer Freiheit, dem "freien Willen"...?

Cheers,

John
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Pit
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Beitrag von Pit »

Ist es denn wirklich möglich, bei der Frage so explizit die Grenzen zu ziehen?
Sicherlich haben wir in der Bundesrepublik Deutschland politische Freiheiten, wir können die Regierung kritisieren, ohne anschliessend gefoltert zu werden.
Aber sind wir deshalb wirklich frei?
Moralisch betrachtet:
Bin ich wirklich frei, wenn ich - wie es viele heutzutage sehen - mache, was ich möchte (momentan) und nicht unbedingt mache, was ich (im Innersten) will?
Und habe ich sogesehen einen freien Willen?
Gestern Abend war ich bei einem Glaubensgrundkurs zum Thema Moral(philosophie,-theologie), und da wurden - es war der erste Abend - auch solche Fragen in den Raum geworfen.

Gruß, Pit
John Grantham hat geschrieben:Heh. Kannst Du die Frage etwas präzisieren? Meinst Du im Sinne von politischer Freiheit, moralischer Freiheit, dem "freien Willen"...?

Cheers,

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John Grantham
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Beitrag von John Grantham »

Pit hat geschrieben:Und habe ich sogesehen einen freien Willen?
Laut Philosophen und Mathematikern des 20. Jhd. wie J.R. Lucas oder Kurt Gödel, ja, Du hast einen freien Willen. (Ich erwähne das, weil der "freie Wille" offensichtlich wissenschaftlich belegbar ist.)

Allerdings stellt sich die Frage, ob man damit "wirklich frei" ist, denn Freiheit hat immer ihre Grenzen -- auch wenn diese rein pragmatischer Natur sind. Der menschliche Körper ist eine solche Grenze -- ich hätte den Willen, "to leap tall buildings in a single bound" wie Superman, aber der Wille bringt mir in dem Fall herzlich wenig.

Dann gibt es moralische Grenzen. Als Extrembeispiel: Ich hätte vielleicht den Willen, jemanden vorsätzlich zu töten, und danach auf freiem Fuß zu gehen -- aber realistisch gesehen kann ich davon ausgehen, daß ich im Gefängnis ende oder (in manchen Ländern) gar hingerichtet werde (geschweige von dem, was mich im Jenseits erwartet).

Oder die Grenzen, die man selber macht. Ich sage meiner Frau bestimmte Dinge nicht bzw. nicht auf einer bestimmten Art, weil ich sie nicht verletzen will.

Daher meine Frage. "Freiheit" ist ein dehnbarer Begriff...

Cheers,

John
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Pit
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Beitrag von Pit »

Ich verstehe, was Du meinst. Interessant ist nämlich, daß viele Kritiker des christlichen Glaubens argumentieren, daß Christen ja wenig Freiheit haben, weil sie auf Grund des Glaubens so oder so leben müssen.
Aber ich muss nicht so leben, ich möchte (!) es, weil mir die Beziehung zu Gott wichtig ist.
Denn diese Beziehung - richtig verstanden und gelebt - befreit (!) zur Freiheit. Freiheit - sagte gestern der Leiter des "Kurses" so treffend- ist das, was uns (wirklich) gut tut.

Gruß, Pit
John Grantham hat geschrieben: ...
Allerdings stellt sich die Frage, ob man damit "wirklich frei" ist, denn Freiheit hat immer ihre Grenzen -- auch wenn diese rein pragmatischer Natur sind.
...
Dann gibt es moralische Grenzen.
...
Oder die Grenzen, die man selber macht. Ich sage meiner Frau bestimmte Dinge nicht bzw. nicht auf einer bestimmten Art, weil ich sie nicht verletzen will.

Daher meine Frage. "Freiheit" ist ein dehnbarer Begriff...

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John Grantham
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Beitrag von John Grantham »

Pit hat geschrieben:Ich verstehe, was Du meinst. Interessant ist nämlich, daß viele Kritiker des christlichen Glaubens argumentieren, daß Christen ja wenig Freiheit haben, weil sie auf Grund des Glaubens so oder so leben müssen.
Aber ich muss nicht so leben, ich möchte (!) es, weil mir die Beziehung zu Gott wichtig ist.
Tja, das ist wohl der Kern des Christ seins -- die freie Entscheidung, Christus' bzw. Gottes Angebot im Neuen Bund anzunehmen. In so fern ist da durchaus Freiheit involviert, auch wenn es bedeutet, daß man dadurch sich selber Grenzen setzt.

Ich sehe das nicht viel anders, als wenn man heiratet. Klar gehen bestimmte Freiheiten "verloren", aber man machte die Entscheidung aus freiem Willen heraus, und aus dem "Verlust" der Freiheit gewinnt man viel mehr.

Cheers,

John
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Esperanto
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Beitrag von Esperanto »

Der Christ bemüht sich halt, seine Freiheit zur Sünde einzuschränken. Christentum ist Selbstbeschränkung, Einengung der Freiheit. Deswegen hassen ja auch Leute, die die Sünde lieben, das Christentum und andere restriktive Religionen wie die Pest.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Esperanto hat geschrieben:Der Christ bemüht sich halt, seine Freiheit zur Sünde einzuschränken. Christentum ist Selbstbeschränkung, Einengung der Freiheit. Deswegen hassen ja auch Leute, die die Sünde lieben, das Christentum und andere restriktive Religionen wie die Pest.
Nein, es ist ja gerade umgekehrt. Die Sünde und die Neigung zu ihr schränken unsere Freiheit ein, ja sie knechten uns und halten uns gefangen in den Banden des Scheol. Die Gnade befreit uns aus diesem Kerker. Wenn die Gnade uns berührt, werden wir frei, den niederwärts gesenkten Knechtsblick zu erheben zum Herrn, zu den Himmeln, zum Reich.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Raphaela
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Beitrag von Raphaela »

Die Sicht meines Bruders zur Freiheit:
Freiheit gibt es nur insofern, so weit sie nicht die Freiheit des anderen begrenzt.

Meine Einstellung zur Freiheit:
Die Freiheit, die ich durch Gott habe und die wirklich frei macht. - Freiheit, Gottes Gebote zu leben, die man übrigens auch am anders übersetzen kann: Nicht beginnen mit "Du sollst...", sondern "Weil ich dich liebe...."
Die Freiheit zu spüren, was ich alles nicht brauche, wenn ich mich an Gott und nicht an den Menschen binde.

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Janet1983
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Beitrag von Janet1983 »

John Grantham hat geschrieben:
Pit hat geschrieben:Ich verstehe, was Du meinst. Interessant ist nämlich, daß viele Kritiker des christlichen Glaubens argumentieren, daß Christen ja wenig Freiheit haben, weil sie auf Grund des Glaubens so oder so leben müssen.
Aber ich muss nicht so leben, ich möchte (!) es, weil mir die Beziehung zu Gott wichtig ist.
Tja, das ist wohl der Kern des Christ seins -- die freie Entscheidung, Christus' bzw. Gottes Angebot im Neuen Bund anzunehmen. In so fern ist da durchaus Freiheit involviert, auch wenn es bedeutet, daß man dadurch sich selber Grenzen setzt.

Ich sehe das nicht viel anders, als wenn man heiratet. Klar gehen bestimmte Freiheiten "verloren", aber man machte die Entscheidung aus freiem Willen heraus, und aus dem "Verlust" der Freiheit gewinnt man viel mehr.

Cheers,

John
Im Grunde verliert man den freien Willen doch nie. Ich kann mich fuer oder gegen Gott entscheiden, aber ich muss dann auch die Konsequenzen tragen.
Ich kann mich auch dazu entscheiden die Ehe zu brechen und muss dann auch die Konzequenzen tragen.
Freier Will besteht nicht darin alle Freiheiten zu haben, aber in den gegebenen Umstaenden frei zu handeln und mich fuer oder wider etwas zu entscheiden.
Das hat dann immer Folgen, positive wie negative, aber dies ist dann der freie Wille.
Absolute Freiheit gibt es nicht und sie waere auch nicht sozialvertraeglich oder menschenmoeglich.
Freier Wille und diese Art von Freiheit sind 2 verschiedene Dinge.
Mein Woerterbuch sagt dazu folgendes (ich habe es mal eben uebersetzt)
Freier Wille:
1. Die Faehigkeit zu waehlen; freie Wahl
2. Die Moeglichkeit eine freie Wahl zu treffen, ohne Beeinflussung durch die Umstaende oder durch das Schicksal oder goettlichen Willen.

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pierre10
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Beitrag von pierre10 »

Freiheit, das Gegenteil wäre Unfreiheit.

Bedeutet Christentum Unfreiheit?

Bedeutet Ehe Unfreiheit?

Ist jede Einschränkung meiner Lebensart Unfreiheit?

Bedeutet Glaube an den christlichen Gott Unfreiheit?

Vielleicht ist Freiheit der Glaube an einen universellen Gott?

Pierre, nachdenklich
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tam
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Re: Wie frei ist der Mensch?

Beitrag von tam »

Pit hat geschrieben:Hallo !

Wie frei sind wir Menschen, wie frei sind wir als Christen und - was ist eigentlich Freiheit?

Gruß, Pit
Freiheit ist dort, wo die Möglichkeit ist. Ohne Möglichkeit keine Wahl, ohne Wahl keine Freiheit.

Vor die Wahl gestellt, sich für eine Möglichkeit zu entscheiden, wählen Menschen in aller Regel diejenige aus, die die Zahl ihrer künftigen Möglichkeiten erweitert oder erhält. Das halte ich persönlich für die grundlegende Maxime aller menschlichen Handlungen, wenn man Selbige unter dem Gesetz der großen Zahl beobachtet.

Das ist für mich alles, was man zur Freiheit sagen kann und was man sagen muss. Denn habe ich eine Möglichkeit unter vielen gewählt, dann habe ich entschieden einen bestimmten Weg zu gehen. Diese Entscheidung ist deshalb irreversibel, weil der thermodynamische Zeitpfeil nur eine Richtung kennt, die Erhöhung der Entropie. Nur wer ein Bewusstsein für die Unumkehrbarkeit seiner Entscheidungen entwickelt, wird letztlich auch verantwortlich handeln. Freiheit wird im Augenblick der Entscheidung schon obsolet. Jede Bindung, nach modernistischer Lesart also Unfreiheit, ist die logische Konsequenz einer freien Entscheidung. Im wahren Leben gibt es keine Reset-Taste.

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Linus
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Beitrag von Linus »

Pierre hat geschrieben:Freiheit, das Gegenteil wäre Unfreiheit.
Nein. das ist Neusprech. das Gegenteil ist Gefängnis.
Bedeutet Christentum Unfreiheit?
Nein. Im Gegenteil. Nicht nur die Gedanken sind dann frei. Der Mensch ist Frei.
Bedeutet Ehe Unfreiheit?
Nein. Im Gegenteil. Freiheit wie sie nur in einer zwischenmenschlichen Beziehung zu dritt (Gott selbst ist der dritte (der Zählung nach, in Wahrheit der erste) im Bunde)
Ist jede Einschränkung meiner Lebensart Unfreiheit?
Zu pauschal um damit was anfangen zu können.
Bedeutet Glaube an den christlichen Gott Unfreiheit?
Nein. Im Gegenteil. Freier als man sichs erträumen könnte. Die Freiheit einer Bruderkette ist niemals perfekt. Sie wähnen sich frei, merken ihre Ketten aber nicht, weil sie sich nicht bewegen.
Vielleicht ist Freiheit der Glaube an einen universellen Gott?
Darin liegt die Freiheit begründet. Im übrigen was für ein Gott wäre Gott wenn er nicht universell ist?
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John Grantham
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Beitrag von John Grantham »

Linus hat geschrieben:
Pierre hat geschrieben:Freiheit, das Gegenteil wäre Unfreiheit.
Nein. das ist Neusprech. das Gegenteil ist Gefängnis.
Hey! Solltest Du nicht mehr an Pierres Schnurz ziehen?

Cheers,

John
(an Linus' Stürze ziehend)

PS: Oh, äh, On-Topic-Teil des Beitrags: Der Mensch ist frei! Er kann Off-Topic-Zeugs überall schreiben, wo er will! Muahahahahaha!
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Linus
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Beitrag von Linus »

John Grantham hat geschrieben:Pierres Schnurz
Bitte W A S ? :shock: :shock: :shock:

Ich zieh doch eh nicht an Pierres Schurz. Der Bart ist viel effektiver ;D
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pierre10
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Beitrag von pierre10 »

Am Barte zuziehen, dass darf nur meine Frau und meine Enkeltöchter.

Zum Thema Freiheit. Ich las vor einigen Jahren einen Text zum Thema Sekten. Erkannte Kriterien waren, dass man sehr leicht eintreten kann, nur schwer wieder rauskommt, dass viele Sekten davon ausgehen, der Mensch ist zu verbessern, am besten im Sinne des Sektengründers.

Auch bei den christlichen Kirchen kann man schnell hinein, aber auch genau so schnell wieder raus, wenn Mensch will.

Und dann gibt es noch Vereinigungen, da ist es schwer hineinzukommen, viele Gespräche sind vorher notwendig bis Mensch, meistens noch Männer, aber auch immer mehr Frauen, aufgenommen wird. Und um raus zu gehen genügt ein kurzer Brief, auch ohne Angabe von Gründen.

Ich will nicht behaupten, das eine sei besser als das andere, vielleicht braucht jeder Topf sein Deckelchen. ;)

Viele Menschen können auch mit großer Freiheit nicht umgehen.... missbrauchen sie, siehe z.B. die Drogenprobleme, das Rauchen und der Alkohol unserer Zeit.

So, das waren nur einmal ein paar Gedanken zum Thema.
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sofaklecks
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Kontolliert mal

Beitrag von sofaklecks »

Also, ihr Freien,

dann kontrolliert mal euer Verhalten.

Wie viel davon ist von freiem Willen getragen?

Wieviel ist nur Gewohnheit?

Wieviel unausweichliche Folge eurer früheren Entscheidungen?

Wieviel Sucht?

Bleibt da noch viel?

sofaklecks

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pierre10
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Re: Kontolliert mal

Beitrag von pierre10 »

sofaklecks hat geschrieben:Also, ihr Freien,

dann kontrolliert mal euer Verhalten.

Wie viel davon ist von freiem Willen getragen?

Wieviel ist nur Gewohnheit?

Wieviel unausweichliche Folge eurer früheren Entscheidungen?

Wieviel Sucht?

Bleibt da noch viel?

sofaklecks
Richtig, aber das Wissen, dass ich mich frei entscheiden kann.... ist ein wesentliches Element menschlichen Lebens, auch wenn vieles Gewohnheit... etc.ist.

Pierre
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Kirchgarten

Beitrag von sofaklecks »

Der, der ich bin, betrachtet traurig den, der ich sein könnte.


sofaklecks

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Re: Kirchgarten

Beitrag von tam »

sofaklecks hat geschrieben:Der, der ich bin, betrachtet traurig den, der ich sein könnte.


sofaklecks
Ich bin der ich sein könnte.

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pierre10
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Re: Kirchgarten

Beitrag von pierre10 »

sofaklecks hat geschrieben:Der, der ich bin, betrachtet traurig den, der ich sein könnte.


sofaklecks
So habe ich vor 20 Jahren auch gedacht. Nur bin ich heute, im Alter, ganz anderer Meinung.

Ich, der ich heute bin, freue mich ob des Weges, den ging und der mich dahinführte, wo ich heute bin. Ohne Bedauern über die nicht erfüllten Wünsche und mit großem Dank denen, die mir halfen, auf den verschiedenen Ebenen natürlich.

Pierre, in Harmonie lebend (meistens ;) )
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Linus
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Beitrag von Linus »

Wo bist du Pierre?


Linus, eine Vermutung habend
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
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Allons
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Beitrag von Allons »

Der Sofaklecks hat nicht unrecht. Vieles spricht dafür dass sich unser Bewußtsein nur für frei hält aber tatsächlich grundsätzlich vom Un(ter)bewußten gesteuert ist. Da das Unbewußte nun qua definitionem nicht bewußt ist und nicht Bewußtes auch nicht gesteuert werden kann und Freiheit nunmal ohne Steuerung nicht denkbar ist könnte es mit der Freiheit nicht sehr weit her sein. Die Frage ist bloß was wir mit dieser Erkenntnis anstellen wollen, sollte sie sich allgemein durchsetzen.

@ sofaklecks
Das mit der traurigen Betrachtung hatte sich bei mir etwas relativiert als mir ein guter Freund, der dem den ich traurig betrachte schon recht ähnlich sieht, mir im Verlaufe eines bewegenden Nachtgespräches anvertraute, dass er traurig jemanden betrachtet, dir mir wiederum ähnlich sieht. Es tut also manchmal gut durch mehrere Augen zu schauen.. ;)

Best, Allons!

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Beitrag von pierre10 »

@ allons

sicher hast Du Recht. Wir werden durch unendlich viele meist unbewusst ablaufenden inneren Bedürfnissen getrieben, aber das ist nicht das, was wir unter unfreiem Willen verstehen.

Vielleicht geht es mehr um die Entscheidungsfreiheit auf den ganz unterschiedlichen Ebenen, von der Familie, über die Politik bis hin zu den ganz persönlichen Fragen unseres individuellen, privaten und beruflichen Lebens.

Wir sollten dafür sorgen, dass es neben den inneren Zwängen nicht auch noch unnötige Einschränkungen gibt, die oft nur von denen "erlassen" werden, die daraus einen Vorteil ziehen. Politiker, Vorgesetzte und warum nicht auch Ehepartner.

Pierre
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Beitrag von Allons »

@Pierre

sicherlich - nur dass die Neurologie mit einigen Argumenten schon bewzeifelt, dass wir überhaupt frei sind in dem Entschluß uns bspw. in der Küche eine Milch zu holen. Von komplexen Entscheidungen wie solchen in einem sozialen Umfeld ist da noch gar nicht die Rede.

Gruß, Allons!

tam
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Beitrag von tam »

Allons hat geschrieben:@Pierre

sicherlich - nur dass die Neurologie mit einigen Argumenten schon bewzeifelt, dass wir überhaupt frei sind in dem Entschluß uns bspw. in der Küche eine Milch zu holen. Von komplexen Entscheidungen wie solchen in einem sozialen Umfeld ist da noch gar nicht die Rede.

Gruß, Allons!
Mit den Singerschen Argumenten man freilich jeden Kinderschänder freisprechen, weil niemand mehr verantwortlich für seine Taten gemacht werden kann. Die besten Zukunftsaussichten für Psychologen, die jetzt schon dreiviertel der Menschheit meschugge nennen. Diese Schwätzer stochern ein wenig in der Großhirnrinde herum und geben, obwohl sie noch nicht einmal die elementarsten Zusammenhänge begriffen haben, schon mal den Hobbyphilosophen, die aus dem Energieerhaltungssatz schon mal auf die Ähnlichkeit zur Information verweisen. Früher nannte man soewas Scharlatanerie. Im Enterprise-Universum unserer „Physiklehrbücher“ bemerkt den Unterschied allerdings keiner mehr. Dort ist nämlich jeder schon einmal durch ein Wurmloch geflogen.

Von den „für-nichts-mehr-verantwortlich-Positionen“ aus kann man auch trefflich die Unterschiede zwischen Mensch und Tier wegdiskutieren und Gottes Schöpfung endgültig zum triebgesteuerten darwinistischen Affen degradieren. Bliebe bloß zu klären, warum der Mensch zum Mond fliegt und nicht der Schimpanse. Die Antwort kenne ich schon: Der Affe ist einfach schlauer.

Solche Pseudowissenschaften, die alles erklären, aber nichts mehr beweisen, breiten sich in letzter Zeit offenbar genauso schnell wie die Pest im Mittelalter aus. Von der „Zukunftsforschung“ bis zur spekulativen Physik „vor sich hin blubbernder Universen“, sie alle haben den Vorteil, dass man auf die Empirie als krönenden Beweis sehr schön verzichten kann und trotzdem damit Geld verdient.

@Allons: Verzeihen Sie mir meine Polemik. Sie ist nicht persönlich gemeint. Im Zweifel kann ich auch gar nichts dafür, weil ich ja angeblich gar nicht anders kann.

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pierre10
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Beitrag von pierre10 »

@ allons

sicher sind diese Theorien nun aber nicht, Ok, dass man sich auf dieser Ebene Gedanken macht, aber sie nun als der Weisheit letzten.... zu bezeichnen, scheint zweifelhaft.

@ tam

vielleicht aber haben wir die Komplexität des Lebens, und vor allem des Menschen noch nicht wirklich erkannt.

Lasst mich ein wenig mit Begriffen spielen:

Wir leben zunächst auf einer körperlichen Ebene.

Wenn wir uns weiter umsehen, werden wir eine emotionale Ebene finden, die sich von der ersteren grundsätzlich unterscheidet.

Nicht zu vergessen unser Verstand, den wir auf einer geistigen Ebene ansiedeln können.

und zum (wahrscheinlichen) Schluss die spirituelle Ebene.

Das sind natürlich nur angenommene Unterschiede, da wir eigentlich komplizierte Zusammenhänge nur in kleinen Häppchen verstehen.

Auf jeder Ebene geschieht ununterbrochen Vieles, passt oft nicht zusammen und ist meist nur schwer wahrnehmbar.


So ist es nicht verwunderlich, dass jede Theorie in diesem toll organisierten, von uns meist als Wirrwar empfunden wird.


Pierre
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Beitrag von tam »

Pierre hat geschrieben: @ tam

vielleicht aber haben wir die Komplexität des Lebens, und vor allem des Menschen noch nicht wirklich erkannt.
Nein, darum ging es in meinen Einlassungen nicht. Es ging um die Kritik an solchen "Wissenschaften", die zwar kaum neue, konkrete oder beobachtbare Ergebnisse vorzuweisen haben, dafür aber reichlich mit Spekulationen wuchern, die allesamt nicht einmal mehr indirekt falsifizierbar, weil ihre Thesen per Definitionen unbeobachtbar, sind. Kant hat die Scholastik für ihre wilden und manchmal kruden Spekulationen kritisiert und deshalb in Bausch und Bogen verworfen. Nun scheint es, dass genau diese Methoden im anderen Gewand zurückkehren. Die Aussagen von Singer und Konsorten gehören mit einiger Sicherheit dazu dazu.

Allons
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Beitrag von Allons »

tam hat geschrieben:Mit den Singerschen Argumenten man freilich jeden Kinderschänder freisprechen, weil niemand mehr verantwortlich für seine Taten gemacht werden kann.
...
Dort ist nämlich jeder schon einmal durch ein Wurmloch geflogen.
...
@Allons: Verzeihen Sie mir meine Polemik. Sie ist nicht persönlich gemeint.
Ob man mit den singerschen Argumenten jemanden freisprechen kann oder vielleicht sogar muß steht imho auf einem gänzlich anderen Blatt. Es gibt mehrere Strafzwecktheorien, die das BVerfG gelten läßt. Die Theorien und die Implikationen, die häufig da hineininterpretiert werden zur Kenntnis zu nehmen, zu bedenken und dem nicht so Bewanderten Auskunft erteilen zu können ist zumindest nützlich.

Ich bin übrigens auch schon mal über ein Wurmloch geflogen :)

Die Polemik sehe ich als Ausdruck einer Berührungsangst, die ich häufig bei Älteren beobachte. Ich sehe soundso nix persönlich. Aber Danke der Klarstellung :)

Besten Gruß, Allons!

tam
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Beitrag von tam »

Allons hat geschrieben:
Ob man mit den singerschen Argumenten jemanden freisprechen kann oder vielleicht sogar muß steht imho auf einem gänzlich anderen Blatt.
Das behauptet er selber. Zumindest ergibt sich das zwingend aus seinen Implikationen.
Allons hat geschrieben: Es gibt mehrere Strafzwecktheorien, die das BVerfG gelten läßt. Die Theorien und die Implikationen, die häufig da hineininterpretiert werden zur Kenntnis zu nehmen, zu bedenken und dem nicht so Bewanderten Auskunft erteilen zu können ist zumindest nützlich.

Unbestreitbar sind die nicht zu übersehenden Tendenzen aus Kriminellen Kranke zu machen, die nicht mehr bestraft, sondern therapiert werden. Wie die Schuldfähigkeit heute definiert wird, weiß ich, Sorgen machen mir jene Begriffe, die morgen gelten. Ich hielte es für eine Katastrophe, wenn sich die Gesellschaft die Entscheidung über Schuld und Sühne durch Pseudowissenschaften aus der Hand nehmen ließe.

Ein Rechtssystem steht mit Urteilen, die "wenig Bewanderte" als gerecht empfinden, und fällt mit solchen, die nur noch "wenige Bewanderte" verstehen, selbst dann, wenn diese keine Pseudowissenschaftlicher wären. Im Zentrum des irdischen Rechtes soll nicht die Schuldfähigkeit stehen, sondern jene Wahrheiten, die den Rechtsfrieden erhalten und für Rechtssicherheit sorgen. Sonst könnte man gleich wieder Orakel befragen oder auf Gottesurteile vertrauen.
Allons hat geschrieben:Ich bin übrigens auch schon mal über ein Wurmloch geflogen :)

Dann haben Sie etwas mit Singer gemeinsam. Der behauptet solcherlei Unmöglichkeiten auch in Bezug auf den freien Willen.
Allons hat geschrieben:Die Polemik sehe ich als Ausdruck einer Berührungsangst, die ich häufig bei Älteren beobachte. Ich sehe soundso nix persönlich.
Bisher dachte ich Polemik wäre die Wissenschaft von der Streitkunst, nun erfahre ich, dass diese eigentlich ein Ausdruck für Berührungsängste ist. Wenn das heute an Universitäten gelehrt wird, wundert mich der moderne Mangel an guten Polemikern allerdings nicht mehr.

Allons
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Beitrag von Allons »

Allons hat geschrieben:Das behauptet er selber. Zumindest ergibt sich das zwingend aus seinen Implikationen.

Unbestreitbar sind die nicht zu übersehenden Tendenzen aus Kriminellen Kranke zu machen, die nicht mehr bestraft, sondern therapiert werden. Wie die Schuldfähigkeit heute definiert wird, weiß ich, Sorgen machen mir jene Begriffe, die morgen gelten. Ich hielte es für eine Katastrophe, wenn sich die Gesellschaft die Entscheidung über Schuld und Sühne durch Pseudowissenschaften aus der Hand nehmen ließe.

Bisher dachte ich Polemik wäre die Wissenschaft von der Streitkunst.
Hallo Tam,

vorweg: Sie entschuldigten sich also für ihre Wissenschaft von der Streitkunst ?

Zu Singer: Wir sind wohl einer Meinung, dass die Definition von Strafzweck, Zurechnung und Strafzumessung aus dem öffentlichen Raum nicht delegierbar ist, an welche wissenschaft auch immer.

Singers Einfluß auf die Rechtswissenschaften beschränkt sich, soweit ich das beurteilen kann auf Verwirbelungen im Wasserglas und das wird wohl noch eine gewisse Zeit so bleiben.

Singer selbst weist, in exakt diesem Artikel, den Sie zitiert haben, Determinismus im Sinne von plumpen vorhersagbaren Automatismen von sich. Singer bestreitet weder den Willen an sich noch die Fähigkeit zur Erkenntnis (i.S.v. Kognition), noch die Verknüpfung beider.

Was Singer allerdings deutlich macht: Die Illusion einer freien Willensentscheidung zum Zeitpunkt der Ausführung "gezielter wuchtiger Schläge des Hammers gegen den Hinterkopf" (hat mal ein Gericht entschieden dass in solchen Fällen auch ohne Geständnis Vorsatz vermutet werden darf) werden wir uns wohl abschminken müssen und in Fällen von einer Vorverlagerung der Schuld sprechen, wie es bei Trunkenheitsfällen bereits jetzt praktiziert wird.
süddüce hat geschrieben:sueddeutsche.de: Philosophen und Strafrechtler werfen Ihnen vor, dass Sie ein Menschbild propagieren, demzufolge sich niemand mehr für seine Taten zu verantworten hätte.

Singer: Das ist ja völlig unsinnig. Auch wenn man unterstellt, dass es keinen freien Willen gibt, bleibt die Person als Verursacher für ihre Taten verantwortlich. Und so wird man weiterhin Straftäter zur Rechenschaft ziehen und versuchen, sie durch Erziehungsmaßnahmen und Strafandrohung dazu zu bringen, sich nicht mehr so zu verhalten.
Zugegebenermaßen fällt damit das Talionsprinzip aus dem Strafrecht raus. Aber ernsthaft vermissen wird es dort wohl keiner.

Gruß, Allons!

P.S. Tatsächlich sind die Reaktionen Vieler auf das was sie aus Singer so alles rauslesen recht heftig. Mein Posting über Berührungsängste bezog sich daher weniger auf Sie selbst als auf die generelle Rezeption des Themas.

tam
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Beitrag von tam »

Allons hat geschrieben:
Hallo Tam,

vorweg: Sie entschuldigten sich also für ihre Wissenschaft von der Streitkunst ?
Mitnichten. Nur ist die edle Streitkunst genauso auf den Hund gekommen, wie die Harmoniehuberei zu ihrer unverdienten Ehre. Eine polemische Finte wird nicht mehr mit einer wortgewaltigen Volte pariert, sondern ein Betroffenheitsgeheul angestimmt, das die Lautstärke und Penetranz muselmanischer Klageweiber übertrifft. Ich wollte meine Ohren schonen.
Allons hat geschrieben: Zu Singer: Wir sind wohl einer Meinung, dass die Definition von Strafzweck, Zurechnung und Strafzumessung aus dem öffentlichen Raum nicht delegierbar ist, an welche wissenschaft auch immer.
Gut. Wenn „wir“ einig sind, können „wir“ einen Streitgrund ad acta legen. Wer immer wir auch sind.
Allons hat geschrieben: Singers Einfluß auf die Rechtswissenschaften beschränkt sich, soweit ich das beurteilen kann auf Verwirbelungen im Wasserglas und das wird wohl noch eine gewisse Zeit so bleiben.
Singer ist ein Beispiel, ein Einzelfall, ein willkürlich herausgegriffenes Paradigma, der indes für eine Tendenz steht, die ich zu beobachten meine, die Sie aber offenbar nicht sehen. Hochwahrscheinlich eine Frage des Bezugssystems.

Die Idee, dass Verbrechen eine Krankheit wäre, hat mittlerweile Hollywood erreicht. Dort angekommen entwickelt selbst die unsinnigste Paraphrase das Potenzial einer schmierigen Kulturkomödie. Ich bin Kulturpessimist und Wissenschaft ist pure, abendländische Reinkultur. Zumindest schreibt das Spengler.
Allons hat geschrieben: Singer selbst weist, in exakt diesem Artikel, den Sie zitiert haben, Determinismus im Sinne von plumpen vorhersagbaren Automatismen von sich. Singer bestreitet weder den Willen an sich noch die Fähigkeit zur Erkenntnis (i.S.v. Kognition), noch die Verknüpfung beider.
Natürlich ist Singer nicht Descartes. Das sich Deterministen selbst als erkenntnisfähig begreifen, ist allein der Tatsache geschuldet, das sie ihre diversen Theoriepleiten auch erklären müssen. Dass die antithomistischen Kausalisten dazu einen freien Willen brauchen, habe ich gar nicht bestritten. Nur das der, nunmehr wundersam nichtlineare, sozusagen differentiale Determinismus als Erklärungsgrundlage für ihren Lernprozess herhalten kann. Außer freilich man relativiert, ganz nebenbei, die Grundlagen der eigenen Glaubensätze: „Die Evolution ist selbst ein kognitiver Prozess.“ Ist der Satz vielleicht Zufall? Produkt des infinite monkey theorems?

Nicht ein empirischer Beweis. Nicht eine einzige falsifizierbare Aussage. Stattdessen seitenweise metaphysisches Geschwafel.

„Es ist aber ein gewöhnliches Schicksal der menschlichen Vernunft in der Spekulation ihr Gebäude so früh, wie möglich, fertigzumachen, und hintennach allererst zu untersuchen, ob auch der Grund dazu gut gelegt sei.“

Immanuel Kant; Kritik der reinen Vernunft; I. Idee der Transzendental-Philosophie; 1. Ausgabe; Königsberg 1781
Allons hat geschrieben: Was Singer allerdings deutlich macht: Die Illusion einer freien Willensentscheidung zum Zeitpunkt der Ausführung "gezielter wuchtiger Schläge des Hammers gegen den Hinterkopf" (hat mal ein Gericht entschieden dass in solchen Fällen auch ohne Geständnis Vorsatz vermutet werden darf) werden wir uns wohl abschminken müssen und in Fällen von einer Vorverlagerung der Schuld sprechen, wie es bei Trunkenheitsfällen bereits jetzt praktiziert wird.
Wer sich besäuft, schaltet sein Hirn freiwillig aus, ganz "ohne wuchtige Schläge auf den Hinterkopf". Doppelte Schuld statt mildernder Umstände. Der Vorsatz findet seine Ursache in der Freiwilligkeit des Besäufnisses. Die Schuld ist in dieser Weise zwar „vorverlagert“, aber nicht abgeschoben. Der alkoholkranke Opa hat seine kranken Gene vielleicht triebhaft, durch Muttern, auf den armen Enkel vererbt. Doch gibt es immerhin Enkel, die aus freien Willen trocken bleiben.

Vorsatz, Schuldfähigkeit oder Mündigkeit sind, in Anbetracht der Tat, des Schadens und der Opfers vollkommen nebensächliche Aspekte. Ist die Tat bewiesen, gehört das Opfer geheilt und nicht der Täter.
süddüce hat geschrieben:sueddeutsche.de: Philosophen und Strafrechtler werfen Ihnen vor, dass Sie ein Menschbild propagieren, demzufolge sich niemand mehr für seine Taten zu verantworten hätte.

Singer: Das ist ja völlig unsinnig. Auch wenn man unterstellt, dass es keinen freien Willen gibt, bleibt die Person als Verursacher für ihre Taten verantwortlich. Und so wird man weiterhin Straftäter zur Rechenschaft ziehen und versuchen, sie durch Erziehungsmaßnahmen und Strafandrohung dazu zu bringen, sich nicht mehr so zu verhalten.
Ich glaube Gott und ansonsten an Nichts. Exodus 20,16 Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
Allons hat geschrieben: Zugegebenermaßen fällt damit das Talionsprinzip aus dem Strafrecht raus. Aber ernsthaft vermissen wird es dort wohl keiner.
Tatsächlich ist das Talionsprinzip schon seit dem neuen Bund gefallen. Mit ihren aktuellen Einsichten liegen sie nur knappe zweitausend Jahre zurück. Aber besser spät als nie. Nicht Auge um Auge oder Zahn um Zahn bestimmen seitdem das Gerechtigkeitsempfinden des Christenmenschen, sondern Buße, Reue und Sühne.
Allons hat geschrieben: P.S. Tatsächlich sind die Reaktionen Vieler auf das was sie aus Singer so alles rauslesen recht heftig. Mein Posting über Berührungsängste bezog sich daher weniger auf Sie selbst als auf die generelle Rezeption des Themas.
Heftig? Selbstverständlich! Der Wille ist ein zentraler Teil des christlichen Glaubens. Wenn die Christen nicht mehr aus freiem Willen sündigen dürfen, dann wird nicht nur der Sinn des Jüngsten Gerichts in Frage gestellt, sondern der Glauben insgesamt zur Disposition. Ich bin kein Sklave eines fremden Willens. Ich gehorche Gott und sonst niemanden.

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