was bleibt übrig.....

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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pierre10
cum angelis psallat Domino
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was bleibt übrig.....

Beitrag von pierre10 »

Im Alter kommen Gedanken, die junge Menschen meist nicht haben. Zum Beispiel die Frage, was bleibt von uns nach dem Tode in den Gedanken der Menschen um uns herum übrig?

Wie schnell sind wir vergessen?
Haben wir uns so verhalten, dass andere auch nach Jahren noch gerne an uns denken?
Haben wir etwas geschaffen, dass uns in den Augen anderer "überlebt"?

mit anderen Worten: Was bleibt übrig außer ein bisschen Asche?

So stellt sich die Frage: Wie sollten wir sein, damit etwas überlebt?

Ich habe in meinem langen Leben viele tausend Menschen kennengelernt, von denen sehr viele, da älter als ich, bereits gestorben sind. Aber an nur ganz wenige erinnere ich mich.

Pierre, nachdenklich, ganz nachdenklich
Grenzen im Kopf sind sehr hinderlich

sofaklecks
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Der Unentbehrliche

Beitrag von sofaklecks »

Wenn der unentbehrliche Mann hustet
Wanken drei Reiche.
Wenn der unentbehrliche Mann stirbt
Schaut sich die Welt um wie eine Mutter, die keine Milch für ihr Kind hat.
Kehrte der unentbehrliche Mann eine Woche nach seinem Tode zurück
Fände sich im ganzen Reich für ihn nicht mehr die Stelle eines Portiers.
(Bert Brecht)

Das gilt indes nur für diese irdische Welt.

Für das Jenseits gelten andere Gesetze.

sofaklecks

Sakristan
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Re: was bleibt übrig.....

Beitrag von Sakristan »

Pierre hat geschrieben:Wie schnell sind wir vergessen?
Haben wir uns so verhalten, dass andere auch nach Jahren noch gerne an uns denken?
Haben wir etwas geschaffen, dass uns in den Augen anderer "überlebt"?
Lieber Pierre
Hier möchte ich mit einem Zitat von Albert Schweitzer antworten:

Das einzig wichtige im Leben
sind Spuren von Liebe,
die wir hinterlassen,
wenn wir Abschied nehmen.
(Albert Schweizer)

In diesem Sinne belibe uns hier noch lange erhalten.
Ever tried, ever failed, no matter;
Try again, fail again, fail better. (Samuel Beckett)

sofaklecks
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Ernsthaft

Beitrag von sofaklecks »

Nochmal ernsthaft, lieber Pierre,

So wie du die Frage gestellt hast, geht es dir nicht um die Seele, sondern um das, was auf dieser Welt von uns übrig bleibt. Und das sind in der Tat vor allem die Spuren der Liebe.

Ich halte indes wenig von deiner Fragestellung, weil sie nach dem weniger wesentlichen fragt und weil sie, wie das Beispiel von Herostrat zeigt, zu dem gefährlichen Ergebnis führen kann, aus dem Wunsch heraus, im Gedächtnis der Nachwelt zu bleiben, ein unerhörtes Verbrechen zu begehen.

Welche Spur wir im Gedächtnis der Menschen hinterlassen, sollte uns weniger wichtig sein als die Frage, ob wir ganz der waren, den Gott sich vorgestellt hat, als er uns erschuf. Und für die meisten Menschen bedeutet das, dass sie wie Schiffe, die über das Meer gefahren sind, darauf keine Spuren hinterlassen.

Und im übrigen, Pierre: Was ist all das Inerrinerungbleiben nach dem Tod gegen einen schönen Herbsttag im Elsass im Leben. Bedenke: Aus der Sicht des Betroffenen ist der Sargdeckel schmucklos.

sofaklecks, der nicht ohne Bedacht sein nachfolgendes Motto gewählt hat.

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Linus
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Re: was bleibt übrig.....

Beitrag von Linus »

Pierre hat geschrieben:mit anderen Worten: Was bleibt übrig außer ein bisschen Asche?
(gute)Eltern.

Linus, dem Nachgesagt wird "er entwickle sich ganz zum Papa" :roll: :mrgreen:
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pierre10
cum angelis psallat Domino
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Re: Ernsthaft

Beitrag von pierre10 »

sofaklecks hat geschrieben: ob wir ganz der waren, den Gott sich vorgestellt hat, als er uns erschuf.
Also die Frage, ob Gott sich etwas vorstellte als er uns erschuf ist Glaubenssache und jede andere Auslegung ist möglich.

Im Grunde geht es mir um die Tatsache (die ich bei mir feststellte), dass wir viele Menschen ganz schnell vergessen. Lebende übrigens auch.

wenn ich darüber nachdenke, wer in meiner Erinnerung immer wieder erscheint, dann sind es meist Menschen, die mir etwas (nichtmaterielles) gaben.

Kleine Geschichte dazu:


Ein anderer Mensch hat mir in dieser Zeit eine wunderbare Lektion erteilt. Jeden Tag, auf der Rückfahrt von der Fabrik nach Hause, musste ich über eine Brücke unter der ein kleiner Fluss dahin floss. Ich hielt hier immer an, denn das Wasser war so klar, dass ich den Flussgrund, die Kieselsteine, Fadenalgen und natürlich auch die Fische und Krebse beobachten konnte. Besonders gegen Abend war es ein wunderschönes Bild mit den glitzernden Sonnenstrahlen auf den kleinen, von Flusssteinen hervorgerufenen Wellen. Damals war noch nichts von der Umweltverschmutzung zu erkennen, unter der wir heute alle leiden.

Neben der Brücke stand ein kleines Haus, mit niedrigem Dach, aus groben Steinen der Gegend erbaut, mit altersschwachen Fenstern und Türen. Vor dem Hause, ein kleiner, nicht umzäunter Garten mit altmodischen Blumen, Beete mit Kieselsteinen eingefasst und eine alte Trauerweide, die mit ihren Zweigen das ganze Haus zu beschützen schien und sich weit über den kleinen Fluss beugte. Vor diesem Garten stand eine Bank, gleich neben der Brücke, auf der mit schöner Regelmäßigkeit des Abends ein sehr alter Mann saß.

Eines Tages sprach er mich an und bald war es eine schöne Gewohnheit für mich, jeden Abend eine halbe Stunde mit ihm auf dieser Bank zu sitzen, in den Fluss oder den Himmel zu schauen und ein wenig zu reden.
Sein Gesicht war eine Landschaft, voller Runzeln und Falten, tiefbraun, mit blitzenden, grauen Augen, dünnen schmalen Augenbrauen die, im Gegensatz zu den völlig weißen Haaren, noch dunkel waren. Er trug immer den gleichen, verblichenen Anzug aus grobem Stoff, seine Schuhe schienen noch aus der Vorkriegszeit zu stammen. Ich will mich nicht festlegen, welcher Krieg hier gemeint sei. Besonders beeindruckten mich seine Hände. Sie waren knochig, die Fingergelenke etwas dicker, braune Flecken auf der Haut. Er hatte sicher sein Leben lang mit diesen Händen gearbeitet. Später habe ich oft bereut, dass ich mich nie mit ihm über sein Leben und seine Arbeit, seine Familie unterhalten hatte. Aber mit meinen 19 Jahren war ich zu viel mit mir selbst beschäftigt, vieles, an das ich mich heute erinnere, hat sich nur in meinem Unterbewusstsein eingeprägt.

Eines Abends sagte er zu mir:

"Mon petit, wenn Du in Deinem Leben glücklich sein willst, dann gib, gib, gib, ohne daran zu denken, ob Du etwas wiederbekommst."

"Aber das ist doch unmöglich" antwortete ich, "wenn ich immer gebe und gebe und nie etwas bekomme werde ich arm und unglücklich sein!"

"Non, mon petit, Du hast unrecht, aber vielleicht bist Du noch zu jung, um es zu erkennen."

Mehr als 20 Jahre habe ich nicht an diesen alten Mann gedacht und erst heute ist mir klar, dass er recht hatte. Er war es, der mir mit anderen Worten zu ersten Mal von BEDINGUNGSLOSER LIEBE sprach. Sicher war ich durch meine Jugend, mein Leben in einer Kaufmannsfamilie, durch die Wirren des Krieges und viele, auch schlechte Erfahrungen viel zu materialistisch, um zu der Zeit diese Worte verstehen zu können. In den letzten 20 Jahren habe ich selbst diese Worte unzählige Male weitergegeben, wurde nicht immer verstanden und konnte dieses Unverständnis in Erinnerung meiner eigenen Jugend gut annehmen.
Auch diesem alten Mann, von dem ich nicht einmal mehr den Namen weiß, habe ich viel zu verdanken.

Ich denke, dass er auf der Ebene, auf der er sich jetzt befindet, meine heutigen Gedanken spürt und über die Stunden mit mir an dem kleinen Fluss schmunzelt.


Pierre
Grenzen im Kopf sind sehr hinderlich

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pierre10
cum angelis psallat Domino
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Re: was bleibt übrig.....

Beitrag von pierre10 »

Sakristan hat geschrieben:
Pierre hat geschrieben:Wie schnell sind wir vergessen?
Haben wir uns so verhalten, dass andere auch nach Jahren noch gerne an uns denken?
Haben wir etwas geschaffen, dass uns in den Augen anderer "überlebt"?
Lieber Pierre
Hier möchte ich mit einem Zitat von Albert Schweitzer antworten:

Das einzig wichtige im Leben
sind Spuren von Liebe,
die wir hinterlassen,
wenn wir Abschied nehmen.
(Albert Schweizer)

In diesem Sinne belibe uns hier noch lange erhalten.

Könntest Du noch ein wenig weiterschreiben zum Thema Liebe, die in der Erinnerung der Menschen bleibt?
Vielen Dank

Pierre
Grenzen im Kopf sind sehr hinderlich

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