Am Warum hängen geblieben?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Junia
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Am Warum hängen geblieben?

Beitrag von Junia »

Hallo :)

Vor kurzem hatten wir in unserer Gemeinde einen Besinnungstag. Irgendwie sind wir da ins Gespräch gekommen mit der Frage: Was tun,
wenn man an seinen Warumfragen hängen bleibt? Einer der anwesenden Seelsorger hat diese Frage mit dem Hinweis beantwortet, auch Jesus sei - nach Matthäus und Markus am Warum hängen geblieben .... Diese Antwort hat mich so überrascht, dass ich nachgeforscht habe.

Bei Matth. 27, 45 - 56 und bei Markus 15, 33 - 41 wird in der Todesstunden Jesu nur der Satz: Eloi, Eloi, lema sabachtani ... d.h. Mein Gott, warum hast du mich verlassen? niedergeschrieben.

Bei Lukas lesen wir vom Gebet Jesu: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun .... vom rechten Schächer mit der Verheißung des Paradieses.... und als letztes Wort: Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist.

Johannes wiederum bringt das Wort: Siehe deinen Sohn .... siehe deine Mutter ..... Mich dürstest ....... und: Es ist vollbracht! So kommen die "Sieben Worte Jesu am Kreuz" zusammen.

Wie seht ihr das? Kann man das als Antwort gelten lassen: Nach Matthäus und Markus ist Jesus am Warum hängen geblieben ...... ? Denn man kann eigentlich schon fragen: Welche Absicht verfolgten diese beiden Evangelisten mit der Betonung dieses Wortes? (mir ist bewusst, dass es der Anfang eines Psalmes ist) .... angesichts der Flutkatastrophe im Südosten Asiens stehen ja viele vor dem Warum.

junia
Auch die Schnecke gelangte in die Arche Noah.

Anastasis

Beitrag von Anastasis »

Fürs Erste eine einzige Bemerkung dazu: Jesus fragt mit diesem Psalmwort nicht "warum?". Er fragt: "wozu?".

Das aramäische "lema" und das hebräische "lama", die in deutschen Bibelübersetzungen leider meist mit "warum" übersetzt werden, heißen ganz wörtlich: "zu was?", "zu was hin?".

"Warum" ist eine Frage nach dem Grund, letztlich eine Frage nach dem Ursprung des Geschehens, nach der Vergangenheit. "Wozu" ist eine Frage nach dem Zweck, dem Ziel, der Zukunft.

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Junia
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Beitrag von Junia »

..... na ja, wenn Jesus nach dem "Wozu" gefragt hätte, würde er dann ebenfalls an diesem Wozu (nach Mt. und Mk.) hängen bleiben :kratz: :?: .... und Gott zu fragen, wozu er einen verläßt .... klingt irgendwie unlogisch ....

junia
Auch die Schnecke gelangte in die Arche Noah.

Anastasis

Beitrag von Anastasis »

Junia hat geschrieben:..... na ja, wenn Jesus nach dem "Wozu" gefragt hätte, würde er dann ebenfalls an diesem Wozu (nach Mt. und Mk.) hängen bleiben :kratz: :?: .... und Gott zu fragen, wozu er einen verläßt .... klingt irgendwie unlogisch ....

junia
Nein, das finde ich nicht.
Gott nach dem "wozu" zu fragen bedeutet für mich ein ganz tiefes Vertrauen, daß es für ihn "zu etwas gut" ist. Daß es einen Sinn hat, den Gott kennt und mich vielleicht einmal verstehen lassen wird. Daß er aus der momentan schweren, schlimmen, schrecklichen Situation etwas machen wird. Deshalb ist das auch kein "Hängenbleiben", sondern ein Blick nach vorn.
Nach dem "warum" zu fragen - das hat oft fast schon etwas von Vorwurf oder Anklage - denk an die typischen Fragen "Warum gerade ich?" oder "Warum läßt Gott das zu?".

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Ketzerin
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Beitrag von Ketzerin »

Ohne jetzt tiefer auf die philologische Auslegung des Wortes "lama" einzugehen....
Kann es nicht sein, dass Jesus sich auch mit dem "lama" mit den Menschen bis auf´s Äußerste identifiziert hat? Schließlich ist doch die Frage nach dem Warum bzw. die Theodizeefrage einer der quälendsten der Menschen überhaupt. Ich denke schon, dass Jesus sich hier den Menschen ganz nahe war....natürlich ohne seine Gottheit aufzugeben.

Mir persönlich leuchtet die "lama"-frage am Kreuz sehr ein.

Nun doch noch ein kurzer philolog. Exkurs.
Ob Jesus "lama" (hebr.) oder "lema" (aram.) gerufen hat, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen, da die Punktierung der hebr. Bibel erst im 8. Jhd nach Chr. durch die Masoreten festgelegt wurde und wir auch nur vermuten können, dass in Ps 22 "lama" steht, da die Psalmen ja auf Hebräsich geschrieben sind.
Sowohl das "lama" als auch das "lema" haben, wie Anastasis schon erklärt hat, ihre je eigenen Aussage und Tiefe.
Bei Mtth und Mk im Nestle-Aland findet sich übrigens das "lema". Naja, Jesus hat ja auch Aramäisch gesprochen.
Obwohl, der Tanach wurde doch eigentlich auf Hebräisch gelesen udn zitiert....Und wie stand´s eigentlich mit den Hebräischkenntnissen von Mtth und Mk? Da müsste ich in der Literatur nachschauen, da habe ich jetzt keine Zeit für....
Ach, das ist ein weites Feld!
soli deo gloria

Gast

Beitrag von Gast »

Zuletzt geändert von Gast am Freitag 4. Februar 2005, 11:04, insgesamt 2-mal geändert.

Sänger
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Beitrag von Sänger »

Buber/Rosenzweig übersetzen mit "warum".

Aber drüber hinaus würde ich schon sagen, dass Jesus hier über das "warum" hinauskommt. Psalm 22 ist ein Psalm, der als ein jüdisches Totengebet angesehen werden kann. Die ersten Worte beinhalten den gesamten Psalm und enden beim Vertrauen auf Gott.

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Junia
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Beitrag von Junia »

Das Warum in ein Wozu umwandeln findet sich auch in der Logotherapie Viktor Frankl's

.... und trotzdem ist es nicht jedem gegeben, ein Wozu zu finden. Ich denke dabei zum Beispiel an die vielen Mißbrauchopfer ....

junia
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Biggi
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Beitrag von Biggi »

Junia hat geschrieben:Das Warum in ein Wozu umwandeln findet sich auch in der Logotherapie Viktor Frankl's

.... und trotzdem ist es nicht jedem gegeben, ein Wozu zu finden. Ich denke dabei zum Beispiel an die vielen Mißbrauchopfer ....

junia
Das mag für die Mehrzahl gelten. Aber ich erinnere mich noch gut an einen "Fall" in meiner Logotherapie-Ausbildung vor ein paar Jahren, bei dem ein von seinem Vater jahrelang missbrauchtes Mädchen diese grausame Situation relativ (!) heil überstanden hat, weil sie das Ganze ertragen hat mit dem Gedanken, dass sie dadurch ihre jüngere Schwester schützen konnte, die der Vater halt nicht anrührte.

Ich möchte jetzt nicht diskutieren, ob das gut und vernünftig war, oder ob es nicht bessere Handlungsalternativen gegeben hätte. Mir geht es nur darum, deutlich zu machen, dass in nahezu jeder Situation einige Menschen (vielleicht sogar viele) imstande sind, einen Sinn in ihrem Tun oder Erleiden zu finden, eben zum "Wozu" durchzudringen.
Das Christentum nimmt den Menschen, wie er ist, und macht ihn zu dem, was er sein soll.
(Adolph Kolping, Patron des XX. Weltjugendtags 2005)

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Junia
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Beitrag von Junia »

Also Biggi,

ich muss ehrlich zugeben, dass mir so etwas wie du jetzt geschildert hast, unverständlich bleibt ..... so ein Verhalten wirft bei mir mehr Fragen auf als dass ich Antworten finde ....

junia
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Brunetti
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Beitrag von Brunetti »

Junia, du gibst in deinem Eingangsbeitrag m.E. schon den entscheidenden Hinweis: Der Ruf Jesu ist ein Psalmzitat. Aber nicht nur dieser Satz verweist innerhalb der markinischen Passionsgeschichte auf den Psalm 22.

- Mk 15,19f Spott der Soldaten // Ps 22,7 Spott der Leute
- Mk 15,24 "Sie warfen das Los und verteilten seine Kleider unter sich" // Ps 22,19 "Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand"
- Mk 15,29 Die Leute, die vorbeikamen, verhöhnten ihn und schüttelten den Kopf" // Ps 22,8 "Alle, die mich sehen, verlachen mich, verziehen die Lippen, schütteln den Kopf"

Ich meine, dass der Evangelist diese Bezüge hergestellt hat, damit wir Ps 22 als eine Art "Hintergrundfolie" sehen, vor der die Passion Jesu zu verstehen ist. Denn der Psalm endet, wie fast alle Klagepsalmen, mit der Heilsgewissheit (Ps 22, 23ff). Und diese Heilsgewissheit sollen wir natürlich erst recht beim Passionsbericht immer mitlesen. Zumal es in Ps 22,23ff es nicht nur um die Errettung des Einzelnen geht, der aus seiner Not gerettet wurde, sondern um eine universale Heilsgewissheit (etwa in V. 28ff: Alle Enden der Erde sollen daran denken und werden umkehren zum Herrn: Vor ihm werfen sich alle Stämme der Völker nieder. Denn der Herr regiert als König; er herrscht über alle Völker. Vor ihm allein sollen niederfallen die Mächtigen der Erde...).

Von daher würde ich nicht sagen, dass Jesus am "Warum" hängen bleibt. Sondern in der Klage "Warum" (oder "wozu") sind beide Aspekte vorhanden: .Der Vorwurf und die Gottverlassenheit einerseits, die Heilsgewisheit und das Gottvertraue andererseits.

edit: Ich hatte bei meiner Antwort "Sängers" Beitrag, der im Grunde das gleich aussagt, übersehen, obwohl er schon gestern gepostet wurde. Ich werde alt... :hmm:
Die einen fallen durch ihre Taten auf -
die anderen durch ihr Getue...

Sänger
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Beitrag von Sänger »

Aber nicht doch. Bei mir war es nur ein kurzer Hinweis aus dem Sachwissen und lediglich mit dem Bezug auf die Worte Jesu. Dein Beitrag zeigt das wesentlich genauer auf, worum es geht. Mir war nicht bewußt, dass der Passionsbericht auch einzelne Aspekte aus dem Psalm aufgreift. Danke für den Hinweis. Ich werde heute abend Psalm 22 (als Folie) lesen.

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