Falsche Grundlagen der aktuellen Theologie?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Ralf

Falsche Grundlagen der aktuellen Theologie?

Beitrag von Ralf »

Folgender Auszug aus dem Beitrag von Philipp Neri, den er hier nebenan verfaßte, veranlaßt mich, die angeschnittene Hypothese zur Debatte zu stellen:
Philipp Neri hat geschrieben:Es ist der allgegenwärtige Archäologismus, wonach das Frühere immer das Bessere sein muß. Hinzu kommen ekklesiologische Vorentscheidungen, wie etwa die, daß das Östliche immer dem Westlichen vorzuziehen sei. Nun schätze ich auch das Erbe des christlichen Orients sehr, aber das ganze muß ja nicht nur als Einbahnstraße laufen.
Wie denkt Ihr darüber? Ich meine, in seiner grundsätzlichen Beobachtung hat P.N. recht. Das allein wäre noch nicht so tragisch, aber unglaubwürdig wird es ja besonders dadurch, daß man den Blick zum Ursprung als Quelle des Echten nur höchst selektiv betreibt - so kommt heute wohl kein Theologe auf die Idee, wie in einer Epoche der Alten Kirche das Bußsakrament nur einmal im Leben zu gestatten und dies auch noch öffentlich (nur als Beispiel).

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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Ich kenne keinen einzigen Theologen, der sich zur Grundlage gemacht hat, das Frühere immer dem Späteren und das Ostkirchliche immer dem Westkirchlichen vorzuziehen.

Hier wären Belege gut, damit wir nicht über Fiktionen diskutieren.

max72
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Re: Falsche Grundlagen der aktuellen Theologie?

Beitrag von max72 »

Ralf hat geschrieben:
Philipp Neri hat geschrieben:Es ist der allgegenwärtige Archäologismus, wonach das Frühere immer das Bessere sein muß. Hinzu kommen ekklesiologische Vorentscheidungen, wie etwa die, daß das Östliche immer dem Westlichen vorzuziehen sei. Nun schätze ich auch das Erbe des christlichen Orients sehr, aber das ganze muß ja nicht nur als Einbahnstraße laufen.
Haben wir nicht das gegenteilige Problem? Dass das neue automatisch besser ist als das alte? Dass traditionell christliches alt-modisch und ueberholt ist, dass man dies "nicht mehr" glaube?

Gruss

Max

Ralf

Beitrag von Ralf »

Mir scheint da pickt man sich raus, was einem paßt. Wenn es um das Diakonat der Frau geht, wird auf die Alte Kirche verwiesen (nein, ich will jetzt nicht debattieren, ob das Diakonat damals überhaupt so aussah wie heutzutage), wenn es um die Dezentralisierung der Kirchenleitung geht ebenfalls.
Aber nicht selten sind es die gleichen Personen, die bei Themen wie interreligiösem Dialog oder Eucharistie und Bußsakrament die Augen vor der Praxis der Alten Kirche verschließen.

Ich bin ja gerade beim GK des Theologie-Fernkurses Würzburg, da gibt es ein paar interessante Beispiele dafür. Mal wird eben mehr Vat II. zitiert, mal eher auf die Alte Kirche verwiesen...

max72
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Beitrag von max72 »

Nur so als Nebenbemerkung: In einem EWTN Film ueber Jordan wurde eine alte Taufkirche aus der ersten Zeit der Christen gezeigt. Und da war anhand der Becken ganz klar, dass hier Kinder getauft wurden. Von wegen denen, die sagen Kindstaufe haette es nicht gegeben damals....

Im Christentum scheint es mir nur logisch zu den ersten Christen und den Kirchenvaetern zu schauen. Die waren um einiges naeher dran als wir heute. Ich denke nur an diesen idiotischen Kommentar im Spiegel, wir wuerden Jesus heute besser kennen als die ersten Christen. Die hatten zumindest noch Augenzeugen gekannt...

Gruss
Max

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Samuel
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Beitrag von Samuel »

Die von seinen Kritikern so genannte "Nouvelle Theologie" Henri de Lubacs speiste sich wesentlich aus den Quellen der Kirchenväter und bedeutete somit eine gewisse Abkehr vom damaligen scholastischen Schulbetrieb.
Man wird wohl sagen können, dass die Kirchenväter der heutigen Zeit zumindest insofern mehr zu sagen haben als die Scholastik, da sie (wie wir heute) in einer Welt lebten, in der das Christentum ein Fremdkörper und stark angefragt war.

IngoB
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Beitrag von IngoB »

Samuel hat geschrieben:Die von seinen Kritikern so genannte "Nouvelle Theologie" Henri de Lubacs speiste sich wesentlich aus den Quellen der Kirchenväter und bedeutete somit eine gewisse Abkehr vom damaligen scholastischen Schulbetrieb. Man wird wohl sagen können, dass die Kirchenväter der heutigen Zeit zumindest insofern mehr zu sagen haben als die Scholastik, da sie (wie wir heute) in einer Welt lebten, in der das Christentum ein Fremdkörper und stark angefragt war.
Was heisst denn hier nun "Scholastik"? Kann man die Scholastik des Mittelalters wirklich in einen Gegensatz zu den Kirchenvaetern bringen? Ich erinnere nur an die Catena Aurea von St Thomas Aquinas, viel kirchenvaeterlicher geht's wohl nicht. Ich interessiere mich hauptsaechlich fuer die Theologie des Mittelalter rueckwaerts bis zu den Kirchenvaetern. Und fuer mich sieht das alles ziemlich nach einem Guss aus. Problematisch wird es in die andere Richtung, vorwaerts vom Spaetmittelalter in die Neuzeit. Ich denke im Gegenteil, dass die "zurueck zu den Kirchenvaetern" Bewegung letztlich zu einer echten "Neo-Scholastik" fuehren wird. Ein zweites Mittelalter - und das meine ich positiv, nicht negativ... (Ueberhaupt sieht mir die Weltgeschichte derzeit klar nach einer Wiederholung der Spaet-Antike aus, kurz vorm Kollaps in Raten des Roemischen Reiches. Drum lese ich mich derzeit ins Mittelalter ein, als Zukunftstraining. Aber das ist ein anderes Thema... :mrgreen: )

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Doctor Subtilis
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Beitrag von Doctor Subtilis »

Ich denke, daß es bei dem von Ralf (m.E. nicht zu Unrecht) kritisierten "Archäologismus" auch weniger um eine Rückkehr zu den Kirchenvätern geht (da bin ich optimistisch: Eine intensive Auseinandersetzung mit denen kann an sich nicht schädlich sein), sondern um gewisse Elemente des krichlichen Lebens, die angeblich bei der frühen Kirche vorhanden waren und dann als Ideal für heute aufgestellt werden. Ganz abgesehen davon, inwieweit diese dinge in der frühen Kirche tatsächlich da waren oder nicht und wenn ja, inwieweit sie auf heute 1:1 übertragbar sind, steht doch hinter dieser Argumentation offenbar ein Denken, das es auch schon bei den Reformatoren unter dem Schlagwort "formatio - deformatio - reformatio" gab! Und genau wie diese machen diejenigen, die heutzutage entsprechend argumentieren, den Fehler, zu wenig zu bedenken, inwieweit echter Fortschritt in der Kirche nicht auch und gerade angesichts des Glaubens an das Wirken des Hl. Geistes in ihr berechtigt ist, und insofern eben nicht "das Frühere" immer auch "das Bessere" sein muß!
"Rahner wollte (wg. einer pos. Stellungnahme zu Küngs Unfehlbarkeitskritik) a.d. Beirat von 'Publik-Forum' austreten und sagte zu mir: 'Da hört für mich jede, jede Diskussion auf. Darüber rede ich nicht mit denen,aus,fertig,basta.'" (H. Vorgrimler)

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Philipp Neri
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Beitrag von Philipp Neri »

Ich denke, daß es bei dem von Ralf (m.E. nicht zu Unrecht) kritisierten "Archäologismus" auch weniger um eine Rückkehr zu den Kirchenvätern geht (da bin ich optimistisch: Eine intensive Auseinandersetzung mit denen kann an sich nicht schädlich sein), sondern um gewisse Elemente des kirchlichen Lebens, die angeblich bei der frühen Kirche vorhanden waren und dann als Ideal für heute aufgestellt werden. Ganz abgesehen davon, inwieweit diese dinge in der frühen Kirche tatsächlich da waren oder nicht und wenn ja, inwieweit sie auf heute 1:1 übertragbar sind, steht doch hinter dieser Argumentation offenbar ein Denken, das es auch schon bei den Reformatoren unter dem Schlagwort "formatio - deformatio - reformatio" gab! Und genau wie diese machen diejenigen, die heutzutage entsprechend argumentieren, den Fehler, zu wenig zu bedenken, inwieweit echter Fortschritt in der Kirche nicht auch und gerade angesichts des Glaubens an das Wirken des Hl. Geistes in ihr berechtigt ist, und insofern eben nicht "das Frühere" immer auch "das Bessere" sein muß!
Dem Doctor subtilis stimme ich völlig zu. Im übrigen geht der genannte "Archäologismus" oft zusammen mit einer maßlosen Neuerungssucht. Darauf weist Kardinal Ratzinger schon seit langem hin. Siehe schon seine Rede beim Bamberger Katholikentag 1966:
[Unter Theologen gibt es] einen gewissen Archaismus, dessen Ziel es ist, die klassische Gestalt der römischen Liturgie vor den mittelalterlichen und karolingischen Überwucherungen wiederherzustellen. Als Maßstab liturgischer Erneuerung fungiert dann nicht die Frage: Wie soll es sein, sondern die Frage: Wie war es damals? Dazu aber ist zu sagen: Obwohl das Damals uns unerläßliche Hilfe gibt, um das Heute zu bewältigen, ist es doch nicht einfach der Maßstab, den man der Reform zugrunde legen kann. Zu wissen, wie Gregor der Große es gehalten hat, ist wertvoll, aber kein zwingender Grund, daß es heute wieder so sein müsse. Mit diesem Archaismus aber hatte man sich doch vielfach den Sinn für das Legitime, das auch in späteren Entwicklungen liegt, verbaut und den Geschmack einer Periode dogmatisiert, der ehrwürdig ist, aber so wenig alleinseligmachend wie irgendein anderer Geschmack auch.
M. E. ist diese geistige Haltung das Problem der heutigen Theologie schlechthin. Weite Teile des kirchlichen Lebens sind davon betroffen, nicht nur die Liturgie.

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Nikodemus
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Beitrag von Nikodemus »

Philipp Neri hat geschrieben:
J.Ratzinger, 1966 hat geschrieben:[Unter Theologen gibt es] einen gewissen Archaismus, dessen Ziel es ist, die klassische Gestalt der römischen Liturgie vor den mittelalterlichen und karolingischen Überwucherungen wiederherzustellen. Als Maßstab liturgischer Erneuerung fungiert dann nicht die Frage: Wie soll es sein, sondern die Frage: Wie war es damals? Dazu aber ist zu sagen: Obwohl das Damals uns unerläßliche Hilfe gibt, um das Heute zu bewältigen, ist es doch nicht einfach der Maßstab, den man der Reform zugrunde legen kann. Zu wissen, wie Gregor der Große es gehalten hat, ist wertvoll, aber kein zwingender Grund, daß es heute wieder so sein müsse. Mit diesem Archaismus aber hatte man sich doch vielfach den Sinn für das Legitime, das auch in späteren Entwicklungen liegt, verbaut und den Geschmack einer Periode dogmatisiert, der ehrwürdig ist, aber so wenig alleinseligmachend wie irgendein anderer Geschmack auch.
M. E. ist diese geistige Haltung das Problem der heutigen Theologie schlechthin. Weite Teile des kirchlichen Lebens sind davon betroffen, nicht nur die Liturgie.
Das Problem scheint mir zu sein, dass der Sinn für die Berechtigung der Tradition (ich meine hier nicht im Sinne des Traditionalismus) abhanden gekommen ist. Das dürfte eine Folge des neuzeitlichen Humanismus sein, der das Motto "ad fontes" angibt. Das ist im Grunde ja eine gute Sache. Mir scheint es bloß ein Fehlschluß, sich dann auf die reinen Quellen und Ursprünge zu beschränken und der Entwicklung ihr Recht zu versagen. Ein recht verstandenes "zurück zu den Quellen" wird - m.E. - darin bestehen Entwicklungen anhand des Ursprunges zu überprüfen, und sie dann entweder zu fördern oder zurückzuschneiden. Eine Glorifizierung der guten alten (eingebildeten Vor-)zeit ist immer irrational, besonders aber, wenn sie selektiv ist und sich auf Zustände bezieht, deren Rekonstruktion mehr als fraglich erscheint.

Nikodemus
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Pauper_Servus
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Henri de Lubac

Beitrag von Pauper_Servus »

Auch wenn H. de Lubac hier mehrmals in Schutz genommen wurde: man muss doch sagen, dass er im 20. Jh. neben seinem Mitbruder J. Danielou als der Vater des selektiven "Zurück ad fontes" zu bezeichnen ist: interessanterweise ging es ihm ja nicht ume ine Wiederentdeckung des Augustinus und anderer anerkannter Autoren, sondern v.a. des Originenes: Warum wohl?
Und daneben wird von Danielou moch stärker als von Lubac dieses zurück zur Theologie der Alten Kirche mit der Begründung betrieben, deren Gedanken seien wesentlich leichter mit der modernen Philosophie in Einklang zu bringen: daher dann auch die Sympathie de Lubacs für Teilhard de Chardin, aber auch für das marxistische Experiment der Arbeiterpriester.
Man sollte sich von der Tatsache, dass beide später zu Kardinälen erhoben wurde, nicht täuschen lassen: das war eher als "Trostpreis" aus Mitleid gedacht, um deren Selbstmitleid für all das, was sie unter Pius XII. zu erleiden hatten, etwas abzufangen: gleichsam eine kluge pädagogische Maßnahme, der man aber inhaltlich nicht allzu viel bedeutung beimessen darf!
O res mirabilis
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Pauper servus
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Diese Diskussion ist leider etwas verfrüht eingeschlafen, oder plätschert mit einem Beitrag je Monat vor sich hin …

Ich möchte einmal einen zusätzlichen Anstoß geben, indem ich auf die Dissertation und die Habilitationsschrift eines gewissen Joseph Ratzinger verweise:

Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche
Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura

Kennt jemand die beiden Arbeiten unseres jetzigen Papstes? – Mir scheint, daß sie einerseits einem ähnlichen oder analogen Impuls geschuldet sind wie die Befassung der Nouvelle Théologie mit der alten Kirche, sich andererseits jedoch hinsichtlich der Methode, des Erkenntnisinteresses und überhaupt der gedanklichen Klarheit eklatant von dieser unterscheiden.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

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