Karl Rahner

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Micha

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Zuletzt geändert von Micha am Donnerstag 3. Februar 2005, 00:02, insgesamt 1-mal geändert.

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Godjonga
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Beitrag von Godjonga »

Grüß Dich Micha!

die Texte, die ich von Rahner schon gelesen hab:
- Was ist der Mensch (Basis ...)
- Liebe als Grundakt des Menschen (find ich gut, da könnte man reden!)
- Der Mensch als Kreatur
- Freiheit als totale Selbstverfügung auf Endgültigkeit hin (hier ist auch Diskussionsstoff vorhanden ;))
- Zwiespältigkeit und Rätselhaftigkeit des Menschen (leicht)
- Selbsterfahrung und Gotteserfahrung

Alle Artikel sind in dem neuen Karl Rahner Lesebuch zu finden ;)

Mit den oben genannten Themen könnten wir gleich anfangen, von mir aus ;), bei anderen Themen, müsste ich mich eben einlesen, ist ja aber auch gut :)

Also wie sieht es aus?

Herzliche Grüße

Mathias
MPHCEV: Mater perfectam habebit curam et victoriam

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Godjonga
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Beitrag von Godjonga »

Grüß Dich Micha!

Hier also der Text:
Ist leider sehr lang!

"Liebe als Grundakt des Menschen

Das geistige Leben des Menschen, durch das er seinem endgültigen Ziel in der Vollendung seines freien Wesens im Besitze Gottes zustrebt, ist nicht bloß eine äußere Kette in der Zeit aneinandergereihter Akte, von denen der zweite den ersten auslöschen, aus der Wirklichkeit verdrängen muss, um selber zu sein, bis er selbst dem dritten das Feld des Daseins räumt.
Vielmehr ist im Augenblick menschlicher Gegenwart die Vergangenheit des Menschen immer noch geheimnisvoll gegenwärtig. Der Mensch als geistige Person handelt (oder kann wenigstens handeln) in jedem Augenblick aus der totalen Summe seiner Vergangenheit heraus. Seine Vergangenheit ist ?aufgehoben? d.h. bewahrt, gleichsam im Extrakt, d.h. in der in Freiheit gewordenen geistigen Physiognomie, in der Lebenserfahrung und so weiter des Menschen anwesend.
Wie bei einer fliegenden Kugel der Ort, an dem sie in jedem Augenblick ist, nur bestimmt werden kann aus der Ganzheit der schon durchlaufenen Bahn, wie im eben jetzt gespielten geheimnisvollen Ton einer alten Meistergeige gleichsam geheimnisvoll alles mitschwingt, was einmal vom Künstler auf ihr gespielt wurde, so ziehen noch viel mehr in die je gerade gegenwärtige Tat des Menschen seine ganze Vergangenheit, seine mühsam errungene erlittene Kenntnis, die Tiefe seiner Lebenserfahrung, die Erschütterung seines Daseins, die Lust und der Schmerz seines ganzen vergangenen Lebens (wenn auch vielleicht unter ganz anderen Vorzeichen) ein und geben diesem augenblicklichen Akt erst seine ganze Bewegungsrichtung, seinen Tiefgang und die Resonanz.
Die Vergangenheit ist wirklich bewahrt und aufgehoben in der Gegenwart. Oder sagen wir besser: sie kann es sein sollte es sein. Der Mensch kann und soll in der freien Entscheidung des Augenblicks zurückgreifend seine Vergangenheit in diesen gegenwärtigen Augenblick hineinholen; alles was er war ist er, und mit dem ganzen Gewicht dieses Ich kann und soll er den neuen Augenblick erfüllen. Er soll nicht nur die zeitlich hintereinander dargebotenen Möglichkeiten seines Daseins in Freiheit ergreifen, richtig bestehen und zum "Ewigen im Menschen" machen, er soll jeden Augenblick bestehen aus der lautlos gegenwärtigen Fülle seiner geistigen Geschichte, die ihm als geistiger Person bleibt als die immer mehr bereicherte Möglichkeit seiner jeweiligen Gegenwart.
Aber noch mehr. In der Gnade jetzt geschehender Tat geistiger Entscheidung kann - das ist noch geheimnisvoller, aber dennoch wahr - der Mensch auf seine Zukunft vorgreifen. Nicht nur oder ausschließlich in dem, was wir Vorsatz, Vorüberlegung und deren Formen wie Versprechen Gelübde usw., nennen. Darin blickt der Mensch ja auch schon auf das Zukünftige seines Lebens voraus. Aber der Vorsatz und ähnliche geistige Geschehnisse sind doch Dinge der Gegenwart, die, so wichtig sie auch für die Zukunft des Menschen sein mögen, letztlich doch nur dann für die wirkliche Zukunft des Menschen ihre Bedeutung haben, wenn sie nicht jetzt, sondern eben später ausgeführt werden, und diese Ausführung hängt eben nicht von der jetzigen, sondern von der zukünftigen Entscheidung ab.
Wenn wir sagen, dass wir in der jetzt geschehenden Tat geheimnisvoll auf die Zukunft vorgreifen können, so meinen wir auch nicht bloß die jetzt geschehene Schaffung von Tatsachen, die wir, wenn einmal geschehen, nicht mehr ändern können und die darum auch für unsere zukünftigen Entscheidungen, mögen sie so oder anders fallen, von unausweichlicher Bedeutung sind. Solche Tatsachen gibt es, und zwar von größerer oder geringerer Bedeutung. Wenn jemand einen anderen Menschen geheiratet hat, wenn sich jemand zum Priester weihen ließ, ja schon wenn jemand einen ihm eben nur einmal und unwiederholbar geschenkten Lebensabschnitt in einer ganz bestimmten Weise gelebt und so endgültig verbraucht hat, so hat er damit Tatsachen in seinem Leben geschaffen, die auch für jede zukünftige Tat und Entscheidung von Bedeutung sind: jedes künftige Handeln muss sich mit diesen Tatsachen auseinandersetzen; der Mensch kann gar nicht mehr so handeln, als ob diese Tatsachen nicht geschehen wären, aber ? und das ist ebenso wichtig ? der Mensch kann sich mit diesen Tatsachen in der Zukunft auf ganz verschiedenen Weisen auseinandersetzen, ihnen später ganz verschiedene Vorzeichen geben; er kann z. Bsp. Später zu seiner früheren Liebesentscheidung stehen oder sie verraten, er kann immer sein ganzes Leben in seinen Priesterberuf investieren oder sein Leben daneben vorbeileben, ja diesem Beruf auch äußerlich untreu werden. So sehr daher beide solche entgegengesetzten Entscheidungsrichtungen nicht um die früher geschaffene Tatsache herumkommen, so sind eben doch zwei (oder viele) entgegengesetzte Möglichkeiten auch nach der freien Setzung solcher Tatsachen noch gegeben, und so ist die Zukunft doch noch offen und unbestimmt darum ist dieses geistige Phänomen noch nicht das, was wir meinen, wenn wir sagen, der gegenwärtige Augenblick hole unter Umständen die Zukunft in sich hinein.
Indes um zu erklären, dass und wieso so etwas möglich sei, wollen wir einen Einwand überlegen, der von Vornherein, einen solchen Gedanken, als unmöglich zu erweisen scheint.
Die Tatsache der Freiheit scheint eine solche Vorstellung als unvollziehbar zu erweisen. Der Mensch ist immer frei. Also auch in den zukünftigen Augenblicken seines Lebens. Infolgedessen scheint es mit dieser Tatsache unverträglich zu sein, dass der Mensch vorausgreifend so seine Zukunft in den gegenwärtigen Augenblick hineinholen könne, dass er jetzt über sie entscheidet, den jetzigen Augenblick mit dem Gewicht seiner Zukunft erfüllt, die Möglichkeiten, des immer noch zukünftigen, gleichsam vorwegnimmt, um sie jetzt schon, in diesem Augenblick Wirklichkeit werden zu lassen. Man scheint auch hier das Biblische Wort anwenden zu können: Es genügt jedem Tag seine eigene Plage.
Eines nun ergibt sich aus diesem Einwand, von vornherein als wichtige Einsicht, die auch bei den folgenden Erwägungen nicht vergessen werden darf: Wenn wir von Randfällen einmal absehen, die nochmals später kurz gestreift werden müssen, so folgt aus der Tatsache, der grundsätzlich sich durch das ganze menschliche Leben erstreckenden Freiheit, dass auf jeden Fall die freie Entscheidung eines Augenblicks nicht so über die Zukunft verfügen kann, dass der Mensch sicher und greifbar weiß, er habe mit diesem Akt nun auch schon seine ganze Zukunft ausgeprägt und über sie verfügt. Denn sonst wäre die Zukunft nur noch die fast mechanische Ausfaltung dessen, was in einem solchen Augenblick schon geschehen ist; das künftige Leben stände nicht mehr im dunkel der unberechenbaren Zukunft und unter dem Gesetz des verantwortlichen Wagnisses.
Es mag, wie die Geschichte der Heiligen und der Theologie lehrt, Fälle geben, wo der Mensch weiß (die Theologie spricht dann von der gewussten ?Befestigung der Gnade?), dass eigentlich sein Leben als freie totale Entscheidung vor Gott schon so fortgeschritten ist, dass es nicht mehr verfehlt werden kann. Aber das sind, wie gesagt, Randfälle, die uns hier nicht näher berühren, weil sie selten sind und wir nicht mit ihnen zu rechnen haben für unser eigenes Leben. In ihnen weiß der Mensch schon, dass er so sozusagen als geistige Person schon den seligen Tod des Gerechten gestorben ist. Im Allgemeinen wird dieses Wissen mit der Freiheit und dem Dunkeln der irdischen Pilgerschaft, die sich entscheidet im Dunkeln, dem Nichtwissen, wie man eigentlich vor Gott steht, nicht zusammengehen.
Aber wenn es so im Allgemeinen ein gewusstes Sich-schon-entschieden-haben über die Zukunft nicht gibt, dann ist die Frage, damit noch nicht beantwortet, ob es ein versuchtes und gelungenes , wenn auch in seinem Erfolg nicht sicher gewusstes entscheidendes Vorwegnehmen der Zukunft geben könne oder nicht. Nun scheint es durchaus ein solches Phänomen geben zu können. Denn zunächsteinmal: Freiheit ist ihrem eigentlichen Sinn nicht, wie der Alltagseindruck meinen könnte, die Fähigkeit, in jedem Augenblick (wenigstens im Inneren ja und nein des geistigen Kerns der Person) alles und jedes tun zu können. Freiheit ist vielmehr die Fähigkeit, sich frei einmal und ganz auszeugen zu können, die Fähigkeit, frei gerade endgültige Tatsachen schaffen zu können, so dass Freiheit nicht die Möglichkeit leugnet, innere (nicht äußere, wie wir sie oben im Auge hatten) Tatsachen für immer zu schaffen, sondern darin gerade ihren letzten Sinn hat. Gerade das Nichtfreie schafft Zustände, die immer wieder veränderlich, umkehrbar und revidierbar sind. Die Freiheit dagegen, erhebt sich in das endgültige unwiederholbare und ewige auf. Darum gerade ist das endgültige ewige und bleibende Geschick der geistigen Person kein Zustand, der über die freie Person unvermutet und gegen die Tendenz der Freiheit, diese von außen abschneidend und verunmöglichend, hereinbricht, sondern die reife und das Ergebnis der Freiheit selbst.
Und darum greift die freie Entscheidung jeden Augenblick immer von sich aus auf das Ganze des Lebens vor, darum kann man in einem Augenblick seine ganze Ewigkeit entscheiden, darum sucht die Freiheit in jedem Augenblick in dem sie wirklich am Werk ist, die Totale Prägung der Person ihre volle Selbstauszeugung in der die Tat der Freiheit zum endgültigen Zustand der Person, zum bleibenden Akt der Person.
Diese Tendenz der Freiheit, im Augenblick nicht bloß einzelner Augenblick sich selbst aufhebender Zeitlichkeit sondern Augenblick der Ewigkeit zu werden worin das ganze Leben hineinverfasst und entschiedne ist mag tausendmal im Einzelfall nicht glücken, das Glücken dieser Tendenz mag beim Menschen (wie es Tatsächlich der Fall ist) auch von äußeren Bedingungen abhängen, die nicht einfach in der Verfügung dieser Freiheit stehen, es mag der Person in tausend Fällen nicht gelingen, die ganze Möglichkeit ihres geistigen Lebens in den Augenblick hereinzuholen, um aus tausend sich aneinanderreihenden Akten der Zeitlichkeit die eine und ganze Aktualität des einen Lebens zu machen, vorhanden aber ist diese Tendenz, weil sie zum Wesen der Freiheit gehört. Die Freiheit des Augenblicks greift immer nach dem Ganzen des Lebens, ist immer für das Ganze des Lebens, für seine Zeit und Ewigkeit verantwortlich faktisch wird sie meistens nicht das Ganze ergreifen, es wird ihr in tausend Fällen entgleiten, sei es weil der Akt der Freiheit selbst nicht radikal, d.h. wurzelhaft genug, in die Tiefe der menschlichen Existenz hineingreift, sei es, weil die äußeren, von der Freiheit des Menschen unabhängigen Voraussetzungen dafür nicht in vollem Maße gegeben sind; die Freiheit wird mit dem Wissen, das wir gewöhnlich so nennen und das allein wir reflex erfassen können, nie (oder fast nie) wissen, ob ihr die Tat der totalen Entscheidung gelungen ist. Aber es kann doch einen solchen Augenblick geben wo die Freiheit wirklich vollzieht, was sie eigentlich immer will: über alles auf einmal zu entscheiden und für immer.
Einen solchen Augenblick gibt es sicher: den Tod. Dort wenigstens wird nicht bloß der Faden des Lebens abgeschnitten im Schnitt der Parzen, ein Faden, den die Person von sich aus weitergesponnen hätte (als ob sie ihn eigentlich endlos weiterspinnen wollte!), dort wenigstens hat (obwohl wir nie wissen wie dies geschieht, ja sogar notwendig und unvermeidlich den gegenteiligen Eindruck haben) der Mensch die Melodie seines Lebens von sich aus vollendet, dort stirbt er seinen ?eigenen? Tod, d.h. wenigstens im Todesaugenblick ist er das wozu er sich selbst frei und endgültig gemacht hat, so dass das faktische Ergebnis seines Lebens und das, was er selbst frei und endgültig sein will, dasselbe sind. Wann aber tritt genauer bestimmt, dieser Augenblick des Sterbens ein, insofern es Tat der Freiheit selbst, d.h. des Sichvollendens von innen ist, wann hat der Mensch sich selbst getan? Was wir eben vom Tode sagten, ist nur in dem Sinn richtig, dass (nach dem Zeugnis des Glaubens) mindestens beim Tod als dem biologischen Ableben dieser Augenblick des sich selbst in Freiheit vollendeten Sterbens geschehen ist.
Ob dieser Augenblick aber uhrzeitlich mit dem Tod als biologischen Ableben zusammenfällt, wissen wir nicht. Wir können zunächst nur sagen, dass wir solange wir leben (die erwähnten Randfälle beiseite lassend), nicht wissen, ob dieser Augenblick schon eingetreten ist, dass wir also immer damit rechnen müssen, dass uns der Augenblick der totalen Verfügung über uns selbst noch bevorsteht. Aber wir können auch ahnen, dass er nicht gerade immer, ja vielleicht nicht einmal häufig mit dem Tod im üblichen Sinn zusammenfällt. Die Empirie des durchschnittlichen Todes mit seiner Stumpfheit bis zur Bewusstlosigkeit scheint nicht für ein solches Zusammenfallen zu sprechen. Nun haben wir aber gesagt, dass jede freie Tat von sich aus immer der Akt einer solchen sich vollendenden Selbstauszeugung totaler Art sein will. Dann aber können wir ahnen, dass dieser Akt vielleicht in einem ganz anderen äußeren Zeitpunkt fällt, als gerade in den Augenblick des biologischen Sterbens, und wenn er eigentlich das Ziel jeder Tat der Freiheit ist, müssen wir ihn eigentlich immer tun wollen.
Gibt es nun nicht auch Erfahrungen des Menschen, die in diese mehr aus dem Wesen der Freiheit apriorisch erschlossene Richtung weisen? Erlebten wir nicht schon in der Geschichte unserer Seele Augenblicke, in denen wir den Eindruck hatten wir könnten sie nicht mehr vergessen, es könnte die Haltung, die Erfahrung, die Gesinnung, die da wurde nie mehr aus unserem Wesen schwinden, so tief habe sie sich eingegraben in das Antlitz unseres Geistes, wir könnten nie mehr hinter das zurück, was da in uns in Freiheit geschah, nicht, obwohl es frei war, sondern gerade weil es frei war?
Wenn wir schon älter sind, ist es uns nicht schon leise und scheu, aber wie in unsagbarem Entzücken, das man sich selber nicht zu gestehen wagt, vorgekommen, wir hätten den Eindruck, wir könnten der Liebe Gottes nicht mehr entlaufen, der göttliche Jäger habe sein Wild, das ihm entfliehen will, schon so umstellt, dass es eigentlich nur noch in seligem Zittern warten könne auf den Augenblick, wo es endgültig seine Beute werde? (Vergessen wir dabei nicht: auch solche Erfahrungen der Gnade sind in einem auch Taten unserer Freiheit, geschehen im Ja unseres inneren Wesens.) Und selbst wenn solche Erfahrungen sich im Einzelfall als holde Täuschungen erweisen (wie sie der Wanderer hat, der auf einer Bergwanderung vor seinem Ziel zu stehen wähnt, weil ein neuer Abschnitt seines Weges seinem vorwärts schauenden und den Rest des Weges abschätzenden Blick entzogen ist), sind nicht auch solche Täuschungen im Einzelfall, ein Beweis dafür das es das Gemeinte doch grundsätzlich gibt, dass der Geist (wie könnte er sonst auf eine solche Täuschung im Einzelfall überhaupt verfallen?) auf solche Augenblicke wo alles zumal und bis ans Ende vollendet wird, hindrängt und somit doch einmal auch wirklich ? plötzlich und unvermutet und ohne das es Aufsehen macht ? geschieht, wonach er verlangt: Die Fülle des ganzen Lebens bis zum Ende in einem Augenblick zu haben und in Freiheit zur endgültigen Vollendung zu gestalten?
Es ist schon so: Wir greifen in der Freiheit immer auf das Ganze unseres Lebens, der Griff wird unzählige Male nur einen Teil des Ganzen wirklich fassen; aber wir werden es immer wieder versuchen, immer wieder, die Vergangenheit und die Zukunft ganz in die eine Tat de Freiheit hineinzuversammeln, um aus allem auf einmal unseres Lebensendgültige Wahrheit und Wirklichkeit zu formen. Und einmal geschieht dann doch die Sternenstunde unseres Lebens (nur Gott hört deutlich ihren Schlag): Unvermutet und uns selbst verborgen, werden wir plötzlich die Frucht des ganzen Lebens ganz in der Hand halten. Was dann noch zeitlich in unserem Leben geschieht, ist nur noch das selige Finale einer Symphonie, das entzückt, gerade weil es ? gar nicht mehr anders sein kann, ist wie das Auszählen eines Wahlergebnisses, dessen Ausfall im Ganzen schon feststeht, wie das Ausreifen einer Frucht, die schon vom Baume gebrochen ist.
Nennen wir (um uns kurz zu verständigen) diese Sternstunde unserer Freiheit, die einmalige und verhüllte, den Augenblick der Ewigkeit in der Zeit, den Augenblick der zeitlichen Ewigkeit. Wir ahnen jetzt, was dieser Augenblick ist. Wir wissen, dass dieser Augenblick uns selber (obwohl in Freiheit getan) als solcher verborgen bleibt, aber auch das die Freiheit ihm immer entgegendrängt und erst in ihm sich selber erfüllt, dass wir, ob wir es wissen oder nicht, immer im Versuch leben, diesen Augenblick zu erreichen, ihn und uns in ihm zu vollenden.
Wir haben diesen Augenblick der Ewigkeit in der Zeit bisher nur nach seinem abstrakten, formalen Wesen zu bestimmten gesucht, ihn beschrieben als den Akt der totalen Selbstverfügung der Freiheit über den Menschen und die Möglichkeiten seines ganzen Lebens. Damit ist aber noch nicht viel gesagt. Denn diese totale Selbstverfügung kann als Akt der Freiheit so oder anders sein, kann ja oder nein, Aufstieg oder Absturz, Heil oder Unheil sein, die Ewigkeit des Geretteten oder die Ewigkeit des Verlorenen in der Zeit sein. Darum ist weiter zu fragen: Wovon muss dieser Augenblick der Ewigkeit in der Zeit erfüllt sein, damit er die Ewigkeit des Heils, das Lautere und Endgültige Ja sein kann? Welches ist die Tat, durch die allein der ganze Mensch sich recht in die wahre Ewigkeit hinüberschwingt? Die Antwort liegt nahe: die Tat der Liebe zu Gott.
Aber halten wir diese schlichte Antwort nicht für zu selbstverständlich! Denn in zweifacher Hinsicht ist sie es nicht. Wenn wir verstanden haben, was wir bisher überlegen, dann ist zunächst eines einleuchtend: Nicht jeder Akt der Liebe zu Gott ist ein solcher Augenblick der Ewigkeit in der Zeit. Jeder mag ein Versuch dazu sein. Aber nicht nur werden wir nie (oder nur in den seltensten Fällen) wissen, ob dieser Versuch, diesen Augenblick als Akt der Liebe zu vollbringen, geglückt ist, sondern in allen bis auf einen Fall werden diese Versuche missglücken (Was natürlich durchaus nicht heißt, dass diese ?missglückten? Versuche dann bedeutungslos vor Gott und für uns seien: Sie sind höchst wichtige, unumgängliche notwendige Einübungen des einen und geglückten Versuchs). Denn ein solcher Augenblick ist doch ( das war der Sinn all des vielen Redens) nur dann im Akt der Liebe eingetreten, wenn die Tat in ihm geschah aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüte und aus allen Kräften, nur so, wenn der Mensch in der Tat der liebenden Freiheit sich restlos (und dann und darum auch endgültig und unwiderruflich) verbraucht hat. So aber wird die Tat unserer Liebe nur selten (ja nur einmal aber dann auch für immer) sein. Denn wann haben wir schon Gott aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüte und aus allen Kräften geliebt? (Mk 12,30) Wenn wir diese erschreckenden Worte: ganz und alles, ganz ernst nehmen würden, könnten wir sogar sagen: Das Gebot der Gottesliebe aus der Totalität des Menschen (seines Wesens und seiner Zeit als so) ist das Gebot, auf diesen Augenblick der Ewigkeit in der Zeit hinzulieben; ihn immer aufs Neue zu versuchen, bis er uns in Gnade geschenkt wird und gelingt, ist das Gebot der Liebe im Augenblick der zeitlichen Ewigkeit. Jeder Augenblick der Liebe tendiert nach diesem Augenblick, wird erst in ihm erfüllt, ist aber nicht immer schon dieser Augenblick.
Noch in einer zweiten Hinsicht ist es nicht so selbstverständlich, dass diese Liebe, und sie allein (wenn überhaupt ein Akt des Menschen), der Inhalt des rechten Augenblicks der Ewigkeit in der Zeit ist. Dieser Augenblick soll der Augenblick der Integration des Lebens sein. Ist es aber so selbstverständlich, dass die Liebe, und sie allein, diese Integration zu vollbringen vermag, oder wird uns dadurch nicht allererst das gar nicht so Selbstverständliche und bekannte Wesen der Liebe deutlich? Wenn wir fragen: Welches ist der Grundalt des Menschen, in den hinein er sein ganzes Wesen und Leben restlos hineinversammeln kann, der alles umfassen, alles in sich begreifen kann, alles, was Menschen und Menschenleben, lachen und weinen, Seligkeit und Verzweiflung, Geist und Herz, Alltag und Sternenstunden, Himmel und Erde, Zwang und Freiheit, Sünde und Erlösung, Vergangenheit und Zukunft heißt, dann ist doch die Antwort nicht so selbstverständlich? Aber es ist dennoch wirklich so: Die Liebe zu Gott vermag alles zu umfassen, und nur sie allein. Sie allein stellt den Menschen ganz vor den, ohne den der Mensch nur das grauenvolle Bewusstsein radikaler Leere und Nichtigkeit wäre; Sie allein ist imstande, alle Kräfte des Mensch, die vielfältigen und chaotischen und sich widersprechenden, zu vereinigen, weil sie alle ausrichtet auf Gott, dessen Einheit und Unendlichkeit im Menschen diejenige Einheit schaffen kann, die Vielfalt des Endlichen eint, ohne sie aufzuheben; die Liebe allein lässt den Menschen sich vergessen (Welche Hölle, wenn uns das nicht endlich gelänge), sie allein kann auch die dunkelsten Stunden der Vergangenheit noch erlösen, da sie allein in das Erbarmen des Heiligen Gottes zu glauben den kühnen Mut findet; sie allein behält sich nichts vor und kann so auch über die Zukunft verfügen (die sonst der Mensch in der angst um seine Unendlichkeit, mit der man sparsam umgehen muss, sich aufzusparen immer in Versuchung ist); sie kann mit Gott auch diese Erde lieben (und so in ihr auch alle irdische Liebe in den Augenblick der Ewigkeit integrieren), und nur ihr wird auch dafür nie der Mut sterben, weil die den liebt, den das Wagnis solcher Erde der Schuld, des Fluchs, des Todes und der Vergeblichkeit nie gereut hat. Die Liebe zu Gott ist wirklich die Einzige totale Integration des menschlichen Daseins, und wir haben sie in ihrer Hoheit und Würde und alles umfassenden Größe nur begriffen, wenn wir sie als das verstanden haben, wenn wir ahnen, dass sie der Inhalt des Augenblicks der zeitlichen Ewigkeit sein muss, weil ohne sie dieser Augenblick nichts wäre als das schon im Geheimen erfolgte Gericht (Joh 3,18) und weil umgekehrt sie nur in diesem Augenblick das sein kann, was sie sein will und sein muss: Alles.
Es wäre über diese Tat der Liebe im Augenblick der zeitlichen Ewigkeit noch vieles zu sagen.
Vor allem, dass solche Tat Gnade ist, so sehr sie die sublimste Tat der Freiheit genannt werden muss. Gerade weil wir Gott nur in seiner Kraft lieben können, gerade weil unsre Liebe immer nur Antwort ist an den der uns zuerst geliebt hat, weil er seine Liebe in unseren Herzen ausgießen muss durch den Hl. Geist, der uns gegeben ist, darum schon ist dieser Augeblick Gnade. Gnade aber über die allgemeine Gnadenhaftigkeit der Liebe zu Gott überhaupt hinaus ist dieser Augenblick, weil der Augenblick der zeitlichen Ewigkeit als solcher Gnade ist. Denn über sich ganz verfügen zu können, die letzten Tiefen seiner Möglichkeiten in seine Verfügung zu bekommen, das ?Erz? des Lebens restlos verflüssigen zu können, das es restlos und schlackenfrei in dem Guss des einen Bildes Gottes verbraucht werden kann, diese Möglichkeit als sofort und immer gegebene gehört zum Wesen des Engels, ist aber dem Menschen nicht dauernd und als immer verfügbarer Besitz gegeben, sondern ist nur höchster Augenblick seines Lebens, der ihm aus Gnade geschenkt wird, wenn er ihm geradeso gegeben wird, dass er ihn recht erfüllt und besteht. Gnade ist es also, dass er ihn erhält, nochmals Gnade, dass er ihn mit Liebe zu Gott erfüllen kann. Der höchste Augenblick der Freiheit, in dem sie ihre Endgültigkeit schafft ist der ewigen Integration des ganzen Lebens, ist nach Wesen und Dasein Gnade und Freiheit.?

Aus: Lehmann, Karl/ Raffelt, Albert (Hsrg): Karl Rahner Lesebuch, Freiburg i. Br. 2004
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cathol01
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Beitrag von cathol01 »

Wer kurze Texte von Rahner sucht, dem sei folgendes Lesebuch ans Herz gelegt:

Bild

Rahner, Karl: Unbegreiflicher - so nah. Mit e. Einf. v. Karl Lehmann. Auswahl d. Texte: Jakob Laubach. (Täglich ein Text). 1999. 191 S. 19,5 cm. Gebunden. 274gr. ISBN: 3-7867-2199-8, KNO-NR: 08 24 41 28 -MATTHIAS-GRÜNEWALD-VERLAG- 15.30 EUR - 27.80 sFr. Sofort lieferbar.
"Das Wahre ist nicht sicherer als das Wahrscheinliche."
(Diogenes Laërcius)

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Godjonga
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Beitrag von Godjonga »

P.S. Habe soeben eine OCR-Software runtergeladen, die auch aus Bildern Texterkennung macht :mrgreen: :mrgreen: :mrgreen:
Nie mehr Stunden abschreiben ;) :P :mrgreen: ;) :freude: :freude: :P :mrgreen: 8)
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Peter
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Beitrag von Peter »

Neein, nie mehr. Dafür jetzt Stunden korrigieren … :mrgreen:

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Godjonga
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Beitrag von Godjonga »

LOL - Nene, es geht echt viel schneller, obwohl ich den Text übel "durchgearbeitet" (=mit Bleistift unterstrichen... hab) habe konnte er na ich sag mal 90% fehlerfrei wiedergeben ;) :mrgreen: :mrgreen: 8)
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Micha

Beitrag von Micha »

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Zuletzt geändert von Micha am Freitag 4. Februar 2005, 16:25, insgesamt 1-mal geändert.

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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Möchte nur auf ein neu erschienenes dünnes Bändchen hinweisen:
Karl Rahner, Von der Unbegreiflichkeit Gottes - Erfahrungen eines Theologen. Mit einer Einführung von karl Kardinal Lehmann, Herder
http://www.herder.de/press/neuerscheinu ... rag=564184

michel

Beitrag von michel »

***
Zuletzt geändert von michel am Mittwoch 13. Oktober 2004, 23:39, insgesamt 1-mal geändert.

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cathol01
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Beitrag von cathol01 »

David Berger... Pseudowissenschaft...
Nein Danke!

Mich wundert, dass darin ein Artikel von Heinz-Jürgen Vogels enthalten ist. Das ist der Priester, der vehement gegen den Pflichtzölibat gekämpft hat und es darauf ankommen gelassen hat: Er hat geheiratet, ohne sein Priesteramt aufgeben zu wollen.
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Steffen
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Beitrag von Steffen »

Berger, ist das nicht dieser Möchtegerntheologe, der als deren Artikelschreiber von der Tagespost promotet wird?

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cathol01
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Beitrag von cathol01 »

Steffen hat geschrieben:Berger, ist das nicht dieser Möchtegerntheologe, der als deren Artikelschreiber von der Tagespost promotet wird?
Genau der ist es!
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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Es ist immer noch besser, Karl Rahner selbst zu lesen, als sich Urteile über ihn auszuborgen.

Wenn man schon Autoritäten zitieren will, dann gleich den Papst. Johannes Paul II. übermittelte Karl Rahner zu dessen 80. Geburtstag in einem Glückwunschschreiben „in Ehrerbietung und Würdigung seines unermüdlichen wissenschaftlichen Wirkens beste persönliche Wünsche". So gratuliert unser Papst keinem gefährlichen Theologen!

Und was Kardinal Ratzinger von Rahner hält (obwohl er dem älteren Kollegen immer kritisch gegenüber stand, ihn vermutlich auch oft beneidete), kann man u.a. hier nachlesen:
http://www.kath.net/detail.php?id=7350

Ich habe Rahner nicht nur gelesen, sondern ihn auch mehrmals persönlich gehört und verdanke ihm viel. Geduldig hörte er auch uns (damals) Jungen zu und ging auf unsere Fragen ein. Ich kann mit der in manchen Postillen forcierten Rahner-Polemik daher nicht viel anfangen. Wohl aber schätze ich Hans Urs von Bathasar und seine kritischen Anmerkungen zu manchen Thesen von Karl Rahner.

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cathol01
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Beitrag von cathol01 »

David Berger bezeichnet sich als "Rahner-Experte"
(http://www.kath.net/detail.php?id=6746). Ausserdem befasst er sich bekanntlich als Herausgeber von 'Doctor Angelicus' ausführlich mit Thomas von Aquin, bzw. mit der "thomanischen Lehre", wie er schreibt. Ich dachte, das entsprechende Adjektiv sei "thomasisch"... Aber es trifft wohl zu: Berger leidet wohl unter einer Manie, nämlich unter einer Tho-Manie. Im Übrigen fällt mir unangenehm auf: In seiner Bibliographie weist er auch Rezensionen seiner Monographien an, allerdings nur solche von Leuten bzw. aus Zeitschriften, die auf seiner Linie liegen. Wenn Rezensionen, dann sollte man m.E. auch die kritischeren angeben. Oder ist es so, dass die etablierten theologischen Zeitschriften Berger ignorieren und seine Bücher nicht besprechen?
"Das Wahre ist nicht sicherer als das Wahrscheinliche."
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Thierry hat geschrieben:»Ich dachte, das entsprechende Adjektiv sei "thomasisch"... «
[justify]Und das Adjektiv zu Spiritus ist spiritusisch … Kennst du übrigens den Thomanerchor?[/justify]
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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Üblicherweise unterscheidet man in der katholischen Theologie zwischen "thomasisch" (zur ursprünglichen Lehre von Thomas v. Aquin gehörig) und "thomistisch" (zu den späteren Kommentierungen seines Werkes gehörig).
Hin und wieder hört man jetzt auch statt "thomasisch" auch "thomanisch".

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Die Google-Suche ergibt für „thomanisch“ etwa ein Drittel der Treffer, zwei Drittel für „thomasisch“, unter Mitzählung der Vorkommen der obliquen Kasus. Die korrekte Bildung ist jedoch „thomanisch“, zu lat. thomanus. Allerdings ist auch früher schon mitunter die Nominativendung -s volkssprachlich in den Wortstamm eingedrungen, wie die italienische Form „Tommaso“ und der pseudolateinisch gebildete Familienname „Thomasius“ zeigen.

Abgesehen von diesem Nebenkriegsschauplatz sind einige der obigen Äußerungen an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Ich bin ja selber nun wirklich kein Thomist. Aber wem als Argumente gegen einem selber unbequeme Thesen nichts als solche Peinlichkeiten einfällt, der sollte vielleicht besser stille schweigen.

Wen’s interessiert, welches Buch Bergers diesmal den Zwergenaufstand ausgelöst hat, der lese die Verlagsanzeige, die ich nebenan gebracht habe.
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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Die Rahner-Kritik ist unter Theologen ja bekannt und selbstverständlich auch legitim. Genauso wie man Leo Scheffzyk oder H.U. von Balthasar (um eine andere Richtung zu nennen) kritisch lesen darf (und z. B. im Laufe eines Theologiestudiums auch muss).

Dennoch rate ich zuerst einmal , sich mit Rahner selbst zu beschäftigen (z. B. könnte man mit seinem "Grundkurs des Glauberns" anfangen). Hinter Rahner wird man wohl nicht zurückkönnen - wird auch niemand ernsthaft wollen -, weiter gehen muss man auf jeden Fall... Um Rahner gerecht zu werden, muss man auch wissen, wie unmittelbar vor ihm Theologie betrieben worden ist.

PS: Ich glaube, dass dieses Forum nicht in der Lage ist, eine fruchtbare theologische Auseinanderstezung mit K. Rahner zu leisten. Ist auch nicht notwendig. Bleiben wir bei anderen Themen.

Micha

Beitrag von Micha »

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Zuletzt geändert von Micha am Freitag 4. Februar 2005, 12:24, insgesamt 1-mal geändert.

Ralf

Beitrag von Ralf »

roncalli hat geschrieben:PS: Ich glaube, dass dieses Forum nicht in der Lage ist, eine fruchtbare theologische Auseinanderstezung mit K. Rahner zu leisten. Ist auch nicht notwendig. Bleiben wir bei anderen Themen.
Das sehe ich auch so. Dazu ist schon das Format eines Forums mit zahlreichen sehr unterschiedlichen schreibenden Mitgliedern nicht geeignet. Es könnte sich höchstens ein Cliquenbildung herausstellen. Was ich allerdings für möglich halte, ist eine anspruchsvolle Auseinandersetzung mit einzelnen Thesen Rahners oder auch denen anderer Theologen.

Da man ja auf keinen Fall Rahner kennen muss, um der durch den katholischen Glauben und den Sakramenten vermittelten Himmlischen Gnade teilhaftig zu werden, gleich einmal eine grundsätzliche Frage:

Was ist an Rahner so wichtig, daß man nicht "hinter ihn" zurückkehren könne? Steckte da nicht auch ein subtiler Vorwurf an die Orthodoxie dahinter oder dürfen die einen, was die anderen nicht sollen?

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cathol01
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Beitrag von cathol01 »

Rahner hat einen wichtigen Neuakzent gesetzt, Metz auch und von Balthasar auch. Die drei sind wichtig. Die drei sind wichtig. Keinen sollte man absolut setzen.

Wieso man hinter Rahner nicht zurück kann? Weil er die objektivistische und intellektualistische Problematik der neothomistischen Apologetik (Gardei, Garrigou-Lagrange) überwunden hat. Mit seinem existentiellen Akzent hat Rahner aufgezeigt, dass die Offenbarung uns nicht nur von "Gott in sich" (in seiner Ewigkeit) spricht, sondern dass sie vielmehr von "Gott in sich" nur ausgehend von seinem Tun an uns spricht. Er hat aufgezeigt, dass die Offenbarung immer ökonomisch ist. Die extistentielle Theologie ist mehr darum besorgt, die Bedeutung der christlichen Botschaft für den Menschen von heute aufzuzeigen.
"Das Wahre ist nicht sicherer als das Wahrscheinliche."
(Diogenes Laërcius)

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Ja, Thierry - und darum finde ich Rahners Werk in seiner Gesamtheit dermaßen erdenschwer und deprimierend ... eben irdisch verbunden. Ob er das letzlich so wollte - ich weiß es nicht, aber es ist die Dynamik seiner Aussagen.

Geronimo

Ralf

Beitrag von Ralf »

cathol01 hat geschrieben:Wieso man hinter Rahner nicht zurück kann? Weil er die objektivistische und intellektualistische Problematik der neothomistischen Apologetik (Gardei, Garrigou-Lagrange) überwunden hat. Mit seinem existentiellen Akzent hat Rahner aufgezeigt, dass die Offenbarung uns nicht nur von "Gott in sich" (in seiner Ewigkeit) spricht, sondern dass sie vielmehr von "Gott in sich" nur ausgehend von seinem Tun an uns spricht. Er hat aufgezeigt, dass die Offenbarung immer ökonomisch ist. Die extistentielle Theologie ist mehr darum besorgt, die Bedeutung der christlichen Botschaft für den Menschen von heute aufzuzeigen.
Was ist daran neu? Daß Gott der Gott der Geschichte ist, und zwar der Geschichte eines jeden, ist doch "altbekannt". Das wäre als "Neuerung" ein wenig schwach. Da ist bestimmt mehr dahinter.

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cathol01
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Beitrag von cathol01 »

Natürlich ist das nicht grundlegend neu. Dieser Akzent (Vebrindung zwischen dogmatischen Lehrsätzen und menschlicher Erfahrung) wurde aber von der sog. "neothomistischen" Theologie in den Hintergrund gedrängt. Für Rahner besteht die Aufgabe des Theologen darin, die antropologische Dimension der dogmatischen Lehrsätze aufzuzeigen - ohne dass er dabei der radikal theozentrische Charakter der christlichen Theologie negieren würde! Er hat sich auch deutlich vom Modernismus distanziert, der das Dogma nur als Symbol der menschlichen Erfahrung betrachtet. Was Rahner artikulieren will, ist folgendes:
- die Öffnung der Erfahrung als das Apriori des Glaubens
- das Christentum als historisches Aposteriori.
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(Diogenes Laërcius)

Ralf

Beitrag von Ralf »

Hmmm. Das ist mir zuwenig Deutsch.

Ist also (n.R. - nach Rahner ;) ) persönliche Erfahrung der Prüfstein für dogmatische Formulierungen (das wäre neu und widerspräche dem Offenbarungsbegriff des Christlichen) oder manifestieren sich allgemeine dogmatische Forumlierungen konkret im Leben des Einzelnen (das wäre nichts neues)? Oder was dazwischen? Wie sähe das aus?

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roncalli
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Beitrag von roncalli »

Schau, schau! Sogar der Verlag selbst schreibt in seiner Anzeige für Bergers Rahner-Kritik-Sammlung:
"Keinem der Beiträge geht es dabei darum, ein „Zurück hinter Rahner“ (Kard. W. Kasper) zu propagieren. Vielmehr ist hier als gemeinsames Ziel erkennbar, über Rahner hinaus und in kritischer Auseinandersetzung mit seinem Denken, Wege in die Zukunft aufzuzeigen..."
http://www.kreuzgang.org/viewtopic.php?p=48647#48647

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Roncalli hat geschrieben:»Ich glaube, daß dieses Forum nicht in der Lage ist, eine fruchtbare theologische Auseinanderstezung mit K. Rahner zu leisten.«
Na ja, eine theologische Auseinandersetzung mit Karl Rahner wird wohl ohnehin weniger Frucht bringen als Gefahren abwehren und Schäden eindämmen. Was die Möglichkeiten im Kreuzgang betrifft, so verfassen wir hier natürlich weder wissenschaftliche Monographien noch Miszellen für theologische Fachzeitschriften, noch tragen wir scholastische Disputationen aus. Wobei der Mangel jener Formen noch nichts über die Höhe oder Tiefe der Gedanken aussagt.

Im Stile eines akademischen Colloquiums können wir uns selbstverständlich mit Rahners Thesen auseinandersetzen. Ob das in einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts möglich ist, liegt an der Disziplin der Gesprächsteilnehmer ebenso wie an der Moderation. Was allerdings mich persönlich betrifft, so gebe ich unumwunden zu, daß es mich derzeit nicht allzu sehr juckt, mir wieder einmal Karl Rahner vorzuknöpfen. Ich habe Besseres zu tun.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ralf hat geschrieben:
Thierry hat geschrieben:»Wieso man hinter Rahner nicht zurück kann? Weil er die objektivistische und intellektualistische Problematik der neothomistischen Apologetik (Gardei, Garrigou-Lagrange) überwunden hat. Mit seinem existentiellen Akzent hat Rahner aufgezeigt, daß die Offenbarung uns nicht nur von "Gott in sich" (in seiner Ewigkeit) spricht, sondern daß sie vielmehr von "Gott in sich" nur ausgehend von seinem Tun an uns spricht. Er hat aufgezeigt, daß die Offenbarung immer ökonomisch ist. Die existentielle Theologie ist mehr darum besorgt, die Bedeutung der christlichen Botschaft für den Menschen von heute aufzuzeigen.«
»Was ist daran neu? Daß Gott der Gott der Geschichte ist, und zwar der Geschichte eines jeden, ist doch "altbekannt". Das wäre als "Neuerung" ein wenig schwach. Da ist bestimmt mehr dahinter«
Gott als Herrn der konktreten Geschichte finde ich bei Rahner – um doch noch ein Wort dazu zu sagen – eher nicht. Ist jenes „Existentielle“ nicht eher rein subjektive „Erfahrung“ irgendwo im Kopf, eher Gedankenkonstrukt denn Hören auf Gottes Wort in den konkreten Fakten meiner Geschichte?

Die Geschichtlichkeit sehe ich bei Rahner eher verloren gehen, und was bleibt, riecht sehr nach Gnosis. Dazu paßt denn auch, daß Rahners Diktion eher düster-unverständliches Brabbeln ist als einfache, klare Sprache, die die Menschen verstehen könnten.
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roncalli
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Beitrag von roncalli »

@ Robert:
So wie ich dich aus deinen Stellungnahmen hier im Forum kenne, glaube ich auch, dass du mit Rahner (zumindest derzeit) nicht viel anfangen kannst. Muss auch nicht sein. (Oder bist du Theologe?)

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Man muß nicht akademisch ausgebildeter Theologe sein, um sich über theologische Thesen ein Urteil bilden zu können. Heutzutage ist’s womöglich leichter, wenn man kein solcher akademisch ausgebildeter Theologe ist. Was Rahners Weise und zentrale Thesen seines Werks betrifft, habe ich mir vor Jahren aus damals gegebenem Anlaß ein solches Urteil gebildet. Ich denke nicht, daß daran im Grundsatz viel zu revidieren ist.
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cathol01
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Beitrag von cathol01 »

Ralf hat geschrieben:Hmmm. Das ist mir zuwenig Deutsch.

Ist also (n.R. - nach Rahner ;) ) persönliche Erfahrung der Prüfstein für dogmatische Formulierungen (das wäre neu und widerspräche dem Offenbarungsbegriff des Christlichen) oder manifestieren sich allgemeine dogmatische Forumlierungen konkret im Leben des Einzelnen (das wäre nichts neues)? Oder was dazwischen? Wie sähe das aus?
Nein, Rahner geht es einfach darum, den Bezug des Dogmas zur aktuellen Existenz aufzuzeigen. Er unterstreicht den hermeneutischen Anspruch der Theologie. Es gibt keine Aussage über Gottes Offenbarung die keine Aussage über den heutigen Menschen implizieren würde. Rahner unterstreicht die hermeneutische Funktion der Theologie. Und da impliziert eine Annäherung von Fundamentaltheologie und Dogmatik. Es impliziert die Notwendigkeit einer Neudefinierung der Fundamentaltheologie: Fundamentaltheologie als kritische und hermeneutische Funktion der Theologie. Natürlich gibt es die Gefahr des Antropozentrismus. Deshalb danach noch die Entwürfe von Metz und Balthasar. Metz kritisiert, dass Rahner das Primat der abstrakten, individualisierten, privatisierten Subjektivität gibt, und den Menschen nicht genug als historisches und politisches Wesen sieht. Von Balthasar fürchtet, dass der Mensch das Mass des Wortes Gottes wird. Die Gefahr ist da, ohne Zweifel. Deshalb plädiere ich ja auch dafür, Rahner nicht absolut zu setzen, sondern ihn zusammen mit von Balthasar und Metz zu betrachten. Alle drei Bewegungen - Rahner, Metz und Balthasar - sind begrenzt. Hierbei handelt es sich jedoch um drei grosse Theologen, die ihre Position differenzieren und nuancieren konnten und denen es gelang, sich nicht des Reduktionismus beschuldigen zu lassen.
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