Nietenolaf hat geschrieben:»Bei einer Frage nach Konfessionen ist die Antwort "katholisch" unsinnig, sofern man daneben noch "römisch-katholisch" und "orthodox" anbietet«
Mir ging es zunächst um die Unsinnigkeit des konfessionalistischen Begriffs „römisch-katholisch“. Ich gestehe dir aber sofort zu, daß du, wenn du aus deiner Sicht dieselben Kriterien anlegtest, den ebenso in konfessionalistischem Sinne zumindest mißzuverstehenden Begriff „orthodox“ hier hättest zurückweisen und schlicht „katholisch“ ankreuzen können.
»Соборная Церковь«, sagen die Russen im Credo, aber wenn sie die Göttliche Liturgie auf deutsch feiern (hier in der Berliner Kathedrale zum Beispiel einmal im Monat), dann übersetzen sie: »katholische Kirche«.
Weshalb ich das Attribut „römisch“ zur Bezeichnung der Gesamtkirche nicht für zuträglich halte, habe ich oben gegenüber Falk schon dargelegt. Hierin scheinen wir also durchaus einig zu sein.
Daß der Primat Petri gleichwohl mehr ist als nur ein Ehrenvorrang, wie ihn innerhalb der „orthodoxen“ Gemeinschaft der Constantinopolitaner Patriarch innehat, bleibt davon unberührt. Doch möchte ich zunächst dies Thema nicht dogmatisch angehen, sondern einige praktische Vorschläge machen.
Das Wichtigste scheint mir zunächst in der Tat das gegenseitige Kennenlernen zu sein.
Meine Sache ist es dabei vor allem, innerhalb des „Katholizismus“ für vorurteilslose Annäherung an die liturgischen, theologischen und religiösen Traditionen der „Orthodoxie“ zu werben. (Nebenbei gestehe ich, nun doch selber wieder konfessionelle Begriffe zu verwenden: Ganz kommt man unter praktischen Gesichtspunkten um der Verständlichkeit willen doch nicht drum herum.)
Die umgekehrte Einladung scheint mir aber auch nicht ganz unnütz zu sein. Ich gebe zu, daß es heute dem außenstehenden Betrachter nicht immer ganz leicht fallen mag zu erkennen, was denn nun eigentlich „katholisch“ sei. Anfangen könnte man mit dem Verzicht auf alte Vorurteile. Wenig hilfreich ist etwa, daß man in Rußland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verbreitet alte Kampfschriften aus der patriarchenlosen Zarenzeit nachzudrucken, die nicht selten antikatholische Propaganda protestantischer Provenienz wiedergeben.
Aber ich versuche, mich auf ein paar Andeutungen zu beschränken. Wenn ich heute zeitgenössische Schriften über die „orthodoxe“ Liturgie lese – jüngst etwa von Anastasios Kallis –, dann finde ich darin sofort denselben Geist, den auch im lateinischen Bereich die Schriften der Liturgieerklärer einst atmeten, wie etwa das Werk eines Rupert von Deutz. Heute sieht es da katholischerseits leider recht ärmlich aus, zumal seit dem Tode Klaus Gambers.
Leider ist es wahr, das im Westen der Sinn fürs Mysterium vielfach abhandengekommen ist. Dennoch gibt es auch für Orthodoxe in der lateinischen Tradition Schätze zu entdecken.
Ein anderes sind die vier lateinischen Kirchenväter, ebenso aber auch die theologischen Schulen der Scholastik: nicht bloß Thomas, sondern auch die Schulen eines Bonaventura oder Duns Scotus.
Wieder ein anderes ist die caritative Tradition des Westens. Gar nicht zuerst die heutigen großen Hilfswerke – an denen man
auch gewisse bureaukratische Fehlentwicklungen studieren kann –, sondern vor allem die Ursprünge im Spitalwesen der Orden, aber auch die Anfänge der Katholischen Aktion im 19. Jahrhundert mit ihren sozialen und genossenschaftlichen Projekten.
Übrigens ist der Ansatz des Moskauer Patriarchats zu einer eigenen Sozialdoktrin schon ein bemerkenswerter Schritt, der umgekehrt im Westen viel stärker beachtet werden sollte.
Schließen möchte ich für heute – bevor ich morgen noch einen Gedanken zur Primatsfrage nachtrage – mit einer aus katholischer Sicht eigentlich erschreckenden Beobachtung (und die anwesenden Katholiken mögen widersprechen, falls ich irre):
Wer heute im deutschsprachigen Raum in der Homilie des Priesters die unverfälschte Glaubens- und Sittenlehre der Kirche hören möchte und echte Anleitung der Gläubigen im religiösen Leben der Kirche, der hat im Durchschnitt deutlich bessere Chancen, seinen Wunsch erfüllt zu bekommen, wenn er eine beliebige orthodoxe Kirche betritt, als wenn er in eine beliebige katholische geht.