Ablehnung der Theologie

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Ralf

Ablehnung der Theologie

Beitrag von Ralf »

Hallo.

In diesem Forum sind beide Richtungen vertreten, die aus unterschiedlichsten Gründen Theologie ablehnen und in vielen Theologen die Schriftgelehrten und Pharisäer sehen, die Jesus so stark ermahnt.

Die einen lehnen Theologie ab, weil sie sie befürchten, die Lehre der Kirche könnte verwässert und entstellt werden.

Andere lehnen Theologie ab, weil sie befürchten, Jesus könnte überintellektualisiert werden und ihnen aus den Händen gerissen werden, der Jesus der Theologie sei nicht mehr der Jesus ihres Lebens.

Beide Befürchtungen haben durchaus ihre gut begründete Berechtigung meiner Meinung nach, sie stellen aber in konsequenter Haltung eine Verkümmerung des Glaubens dar (so meine ich zumindest).

Während die erste Haltung klammert, den Dreifaltigen Gott und die Erklärung seines Wesens zwischen zwei Buchdeckel zu pressen versucht, seien es ein Katechismus oder die Bibel,

tendiert die zweite Haltung dazu, sich einen persönlichen Herrn zusammen zu schneidern, "my personal Jesus", den man sich ja nicht aus der Hand nehmen lassen will, wie ein Haustier über das man verfügt und das man selbst schließlich am besten kennt.

Übrigens vertragen sich beide Richtungen untereinander überhaupt nicht.

Muss man also Theologie "treiben", wie es so nett heißt?

Nein, keinesfalls, wie schon der hochgebildete Hl. Bonaventura dem Einsiedler und großen Mystiker Ägidius von Assisi sagt: Ziel ist es allein und letztendlich, Gott immer mehr zu lieben, was jeder Mensch vermag.

Doch ohne Theologie, und mit dem Wissen um alle Beschränkungen ihrer selbst, verliebt man sich eher in eigene Bilder denn in den Allmächtigen Dreifaltigen Herr allen Seins.

So dient die Theologie im günstigten Fall stets dem Ausloten des menschl. Verständnisses der göttlichen Offenbarung Christi. Sie zeigt vor allem, wenn sie in Demut betrieben wird, die Grenzen des eigenen Verstandes auf und die ewige Unfassbarkeit Gottes.

Was meint Ihr?

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Erich_D
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Beitrag von Erich_D »

Da noch niemand etwas antwortete, will ich es einmal versuchen.

Der Wiener Bergsteiger und Schriftsteller Karl Lukan berichtet in einem seiner Bücher von einer Besteigung der Höfats, die sich ihrer steilen Grashänge und der dort gedeihenden seltenen Blumen und Orchideen wegen eines gewissen Rufes erfreuen darf. Lukan begegnete dabei Anderl Heckmair, seines Zeichens einer der Erstdurchsteiger der Eigernordwand und Bergführer von Beruf. Heckmair erzählte ihm, Lukan, bei dieser Begegnung unter anderem auch von einer Führung, die er auf die Höfats unternahm. Sein Gast war ein Botaniker, der während des Gehens gelegentlich die eine oder andere Pflanze aus dem Grashang rupfte und sie mit wissenschaftlicher Akripie in ihre Einzelteile zerlegte. Er, so sagte der Botaniker zu Heckmair, liebe die Blumen halt gar sehr. Dem könne so sein, erwiderte Heckmair, doch frage er, Heckmair, sich, ob sein blumenliebender Gast etwa auch jenen Frauen, die er liebe, Arme und Beine, Hände und Füße ausrisse?

So geht es mir mitunter wenn ich Theologen über Gott und Kirche sprechen höre. Was mir nach ihren Reden verbleibt sind lauter Einzelteile, das lebende Ganze aber ist dahin, es ist tot. Ein Beispiel dafür findet sich auch hier im Forum. Ich meine diesenThread. Was Falk und Robert hier über die katholische Kirche schreiben, ist sicherlich höchst gelehrt, sicherlich faszinierend ... in der Weise, wie ein jeglichen Fleisches enkleidetes Knochengerüst faszinierend ist. Aber atmen, leben, sehe ich persönlich darin die Kirche nicht.
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern sing nicht ihre Lieder. Geh doch in die Oberstadt mach´s wie deine Brüder", so sprach die Mutter, sprach der Vater, lehrte der Pastor."

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Da wir hier im Ökumene-Boars sind, will sich hier mal eine etwas provokante These einwerfen, die natürlich in den Extremen nicht stimmt (eine im Anfang "steile These" mag aber dennoch hilfreich sein); aber vielleicht ist ja eine genauere Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und Katechese auf katholischer und evangelischer Seite möglich, sowie eine Verhältnisbestimmung der möglicherweise unterschiedlichen Schwerpunkte.


Die These:
In der evangelischen Kirche gibt es hauptsächlich Katechese und kaum/wenig (system.) Theologie; in der kath. Kirche gibt es hingegen das umgekehrte Verhältnis.
Gruß Jürgen

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ivanhoe
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Beitrag von ivanhoe »

Juergen hat geschrieben:Die These:
In der evangelischen Kirche gibt es hauptsächlich Katechese und kaum/wenig (system.) Theologie; in der kath. Kirche gibt es hingegen das umgekehrte Verhältnis.
wenn diese Aussage stimmt, dann betrifft das (nur) die katholische Kirche in Deutschland (deutschem Sprachgebiet).

Ralf

Beitrag von Ralf »

Auch wenn ivanhoe ja immer Polen als anderes Beispiel im Hinterkopf hat, hier muss ich ihm aufgrund meiner spanischen Erfahrungen 100%ig Recht geben.

Doch wäre dies, die katastrophale Situation der Katechese in Deutschland, ein anderes Thema.

ivanhoe
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Beitrag von ivanhoe »

Ralf hat geschrieben:Auch wenn ivanhoe ja immer Polen als anderes Beispiel im Hinterkopf hat, hier muss ich ihm aufgrund meiner spanischen Erfahrungen 100%ig Recht geben.
Nicht unbedingt Polen. Es gibt auch Länder, wo Missionare Katechese führen müssen, die es bei uns nicht gibt - z.B.: Norwegen, Argentinien, Madagaskar, Papua Neuguinea, u.a.
Bild
In solchen Missionsländern wie Papua Neuguinea gibt es keine Theologie. Dort gibt es nur Katechese, die besonders lebendig, was der Mentalität der Ureinwohner entspricht, geführt werden muß.
Zuletzt geändert von ivanhoe am Sonntag 26. Oktober 2003, 19:50, insgesamt 1-mal geändert.

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Ich würde sagen, das Problem ist "systemimmanent".

Wenn ich ein "sola scriptura" Prinzip habe, welches so weit geht - wie man auch bei Luther lesen kann -, daß sich die Schrift selbst auslegt, dann benötige ich keine Theologie, vielleicht etwas Exegese, aber mehr nicht.
Dann bedarf es in der theol. Ausbildung nicht viel mehr als ein "Lesenkönnen der Schrift" - um es überspitzt zu sagen.

Wenn ich habe ein Prinzip habe, welches auf Schrift und Tradition aufbaut und zudem noch ein mitlebendes Lehramt kennt, dann bedarf es sehr wohl der Theologie.
Gruß Jürgen

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Stefan

Beitrag von Stefan »

Die einen lehnen Theologie ab, weil sie sie befürchten, die Lehre der Kirche könnte verwässert und entstellt werden.

Andere lehnen Theologie ab, weil sie befürchten, Jesus könnte überintellektualisiert werden und ihnen aus den Händen gerissen werden, der Jesus der Theologie sei nicht mehr der Jesus ihres Lebens.
Glaube ist einfach, Theologie schwierig - ist es das?
Natürlicherweise ist ein einfacher Glaube auch einfacher zu akzeptieren als eine schwierige Theologie (und das ist auch gut so). Aber aus einem einfachen Glauben resultieren irgendwann Fragen oder Zweifel, die beantwortet werden wollen. Was ist die Reaktion darauf?

Die Suche nach einfachen Lösungen wäre eine. Ist es das, was ein subjektivistisches Verständnis vom Christentum so verlockend macht?

Das andere Problem aber rührt m.E. aus der Theologie selber. Ist es nicht so, daß sie in dem Wunsch, den Glauben zu ergründen die einfachen Dinge unnötigerweise verkompliziert? Die Relativierungen der modernen Theologie - sind sie nicht die Ursache für eine Verunsicherung, welche die Flucht ins Private fördern?

Hinzukommt natürlich noch eine gewisse Kultur des Individualismus. Diese wird oft über das Prinzip des Glaubens gekehrt und so ein Individualgott propagiert, der sich aus keiner Schrift, aus keiner Überlieferung und aus keinem Lehramt herleiten läßt - und der verfügbar ist, ganz nach den augenblicklichen Bedürfnissen des Einzelnen.

Die Lösung? Im Wirtschaftsleben würde man wohl von "Konzentration auf des Kerngeschäft sprechen" - oder neudeutsch: "Back-to-the-roots".

Raphael

Beitrag von Raphael »

Einen interessanten Einblick in die Theologen-Szene in Deutschland ermöglicht der unter dem folgenden Link veröffentlichte Vortrag von Prof. Dr. David Berger: http://bufopro.de/bengschkreis/vortraeg ... _beige.htm
Die Hinwendung zum komplizierten und intellektualisierten Disputieren führt IMHO zu einem "Verdunsten der Glaubenssubstanz" beim Gottesvolk, das derartigen Spitzfindigkeiten nicht mehr folgen will (und teilweise kann!). Die Theologie hat ihre Aufgabe in der Erklärung und Deutung, d.h. im Verständlichmachen der christlichen Lehre. Eine abgehobene Terminologie führt zu Entfremdungen innerhalb der Glaubensgemeinschaft.
Aus Sicht des einfachen Gläubigen wird die Unterscheidung zwischen Theologen und Theolunken immer schwerer. Die Glaubensvermittlung läuft aber - nach wie vor - im Wesentlichen über das Vorleben der Glaubensinhalte ab und nicht durch Verwissenschaftlichung der Glaubenslehre.
"In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast." (Matthäus 11, 25)

GsJC
Raphael

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