Historizität und Datierung biblischer Bücher

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Wurzelsepp
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Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Wurzelsepp »

Wenn man anfängt, sich systematisch mit katholischer Theologie zu befassen - in meinem Fall ist es der Würzburger Fernkurs - bekommt man erstmal einige zähe, schwerverdauliche Brocken vorgesetzt.

Vielleicht gehört es zum katholischen Basiswissen, aber mir, dessen Bücherbestand etwa zur Hälfte aus evangelikaler Literatur (der Rest setzt sich überwiegend aus Kochbüchern und Reiseliteratur zusammen) besteht, waren viele Erkenntnisse (?) der modernen Theologie (bzw. Archäologie...) schlicht unbekannt.

Zwar hatte ich schonmal gehört, dass etwa die Tora wohl doch nicht von Mose selbst stammen soll; aber der Auszug aus Ägypten und die Gesetzgebung am Horeb nur ein Mythos, um sich als "Volk Gottes" eine Legitimation zu geben?

Ein Buch Daniel aus dem Jahre 165 v. Chr., welches, um demselben größere Autorität zu verleihen, dem (legendären?) Weisen aus dem 6. Jh. v. Chr. zugeschrieben wird; zwei Petrusbriefe im Neuen Testament, die gar nicht von Petrus geschrieben wurden; der Verfasser der Apokalypse ein ansonsten unbekannter Christ (und nicht etwa der Apostel und Evangelist) namens Johannes?

Wenn das aktueller Stand der Theologie und offizieller Standpunkt des Lehramtes ist, dann habe ich solange kein grundsätzliches Problem damit, als die Argumente dafür stichhaltig sind. Das Christentum ist ja auch keine primäre, sondern eine sekundäre Buchreligion (Eugen Biser).

Aber: Sind denn diese Thesen tatsächlich weitestgehend unbestritten und die Gegenargumente so dünn und löchrig? Gibt es innerhalb der kath. Theologie auch andere seriöse Ansätze?

Der sonst so angesehene und gern zitierte Geschichtsschreiber Josephus Flavius müsste sonst zumindest in folgendem Punkt schwer geirrt haben:

"Wir haben unter uns nicht unzählige Bücher, die keine Übereinstimmung haben und sich gegenseitig widersprechen. Wir besitzen nur 22 Bücher, welche Berichte über die ganze Vergangenheit enthalten. Zu Recht werden sie als von Gott kommend betrachtet. Fünf von ihnen stammen von Moses und beinhalten die Gesetze und die Überlieferung von der Erschaffung des Menschengeschlechts bis zu seinem Tode. Diese Berichte umfassen einen Zeitraum von etwas weniger als 3000 Jahren.
Die Zeit vom Tode Moses bis zur Herrschaft von Artaxerxes, dem König von Persien, der nach Xerxes herrschte, wurde von den Propheten aufgeschrieben, die nach Moses lebten. Sie beschrieben die Ereignisse ihrer Zeit in dreizehn Büchern.
Die übrigen vier Bücher enthalten Lobgesänge zur Ehre Gottes und Vorschriften über das Verhalten im Leben.
Unsere Geschichte ist von der Zeit des Artaxerxes [464 - 423 v. Chr.] an zwar auch detailliert aufgeschrieben worden. Aber diese Bücher haben nicht die gleiche Glaubwürdigkeit erlangt wie die früher geschriebenen, weil es seit jener Zeit keine genaue Aufeinanderfolge von Propheten mehr gegeben hat.
Wie standhaft wir an unseren Büchern festhalten, wird dadurch deutlich, was wir tun. Denn während so vielen Jahrhunderten, die seither verflossen sind, hatte niemand die Verwegenheit gehabt, weder etwas hinzuzufügen noch etwas wegzunehmen oder etwas zu verändern. Ja, es wird allen Juden von Geburt an zur Selbstverständlichkeit gemacht, diese Bücher als göttliche Lehren zu betrachten, darin zu verharren und wenn es nötig ist, sogar gerne dafür zu sterben." (Contra Apion 1,8)
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Tinius
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Tinius »

Wurzelsepp hat geschrieben:
Aber: Sind denn diese Thesen tatsächlich weitestgehend unbestritten und die Gegenargumente so dünn und löchrig? Gibt es innerhalb der kath. Theologie auch andere seriöse Ansätze?
Was die Petrusbriefe und die Offenbarung betrifft, ist das heute unstrittig.
Selbiges gilt für das Buch Daniel.

Beim Exodus geht man heute davon aus, dass es sich maximal um eine einzelne, kleinere Gruppe aus Ägypten gehandelt haben kann, die dann ihre Geschichte mit den bereits in Kanaan siedelnden Gruppen vereinte.
Beim Exodus handelt es sich zusammen mit der Jakobsgeschichte um die Gründungs- und Herkunftsgeschichte des Nordreichs Israel, die vermutlich sehr lange Zeit mündlich weitergegeben wurde.

Da die Exodusgeschichte auch in mehreren Koransuren berichtet wird, hat das alles natürlich stattgefunden.

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Marion
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Marion »

Wurzelsepp hat geschrieben: der Verfasser der Apokalypse ein ansonsten unbekannter Christ (und nicht etwa der Apostel und Evangelist) namens Johannes?
Haben sie da schon wieder einen neuen Verfasser gefunden :D


Im Vorwort der Offenbarung des heiligen Apostels Johannes steht folgendes: (Quelle: Heiligen Schrift aus der Vulgata mit Bezug auf den Grundtext neu übersetzt und mit kurzen Anmerkungen erläutert von Dr. Joseph Franz Allioli mit Approbation des apostolischen Stuhles Achte Auflage der Ausgabe mit zur Seite stehendem lateinischen Urtext der Vulgata. 2. Auflage. München und Landshut. Vogelsche Verlagsbuchhandlung 1854.)
Daß der heilige Apostel Joannes Verfasser davon sey, wird durch sein eigenes Zeugniß bestätigt; denn er nennt sich selbst den Verfasser (C. 1, 1. 4, 9. 22, 8 ). Anzunehmen, daß ein listiger Betrüger diesen Namen unterschoben habe, wird durch den ganzen Geist des Buches widerlegt, der ein reiner, heilig ernster, apostolischer Geist ist, alles Unreine und Ungöttliche strafend, so. daß der Verfasser selbst dieses Geistes gewesen seyn muß, also kein Betrüger gewesen seyn kann. Für den heiligen Joannes sprechen auch die ältesten Zeugnisse der Väter, Papiasas, ein Schüler des Apostels, der als Verfasser der Apocalypse den Aeltesten Joannes nennt, und darunter ohne Zweifel den Apostel versteht, welcher sich in seinen Briefen selbst so nannte (2.Joan. 1. und 3 Joan. 1.), ferner Irenäus, Justinus, Origenes. Wenn Einige, selbst noch im vierten Jahrhunderte, über den Namen des Verfassers schwankten, so war man, nachdem einmal die Concilien von Carthago und Rom im vierten und fünften Jahrhunderte die alten Ueberlieferungen gesammelt und geprüft hatten, in der katholischen Kirche ganz einig, daß die Offenbarung eine ächte Schrift des heiligen Joannes und darum von göttlichem Ansehen sey. Die Meinung daß der Ketzer Cerinthus, ein Zeitgenosse des Apostels, das Buch verfaßt habe, hat sich wahrscheinlich nur wegen der darin enthaltenen Weissagung vom tausendjährigen Reiche gebildet. Allein diese Weissagung ist so verschieden von jener, welche Cerinthus über diesen Gegenstand an den Tag gab (s. C. 20 Not. 19), und überhaupt Alles, was die Offenbarung enthält, so im Widerspruche mit dem, dem Cerinthus gelehrt und gethan, daß dieser Irrlehrer unmöglich Verfasser seyn kann. Die Zeit der Abfassung der Apocalypse setzen einige in das Zeitalter Neros, andere in das des Domitian. Gegen die letztere Annahme spricht die Sprache des Buches, die eine ganz andere, härter, ungebildeter als die des Evangeliums Joannis ist, welches in dieser späten Zeit abgefaßt wurde (Einleitung zu dem Evangelium Joannis); vorzüglich aber steht dieser Meinung der ganze erste Theil entgegen, welcher offenbar den Sturz Jerusalems und des Tempels weissagt, also das Bestehen beyder voraussetzt (C. 11,1), und somit auch gegen das Zeitalter Domitians spricht, in welchem Stadt und Tempel schon zerstört waren. Bey weitem räthlicher ist es daher, das Zeitalter Neros anzunehmen, welches noch vor den jüdischen Krieg fällt, und sich schon durch blutige Verfolgungen der Christen ausgezeichnet hat, wie diese im Buche (17, 6) vorausgesetzt werden. So fiele die Abfassung in die letzten Regierungsjahre des Nero, in das Jahr 67 oder 68, oder in die stürmische Zeit gleich nach Neros Tode. Der Ort der Abfassung ist ebenfalls nicht mit Bestimmtheit anzugeben; denn Joannes hatte zwar die Gesichte auf der Insel Patmos (1, 9), ob er aber auch dort oder anderwärts die Gesichte niederschrieb, bleibt unentschieden.
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Wurzelsepp
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Wurzelsepp »

Als einfach gestrickter Mensch, der ich bin, würde ich auch so argumentieren wie Dr. Allioli: Man müsste den Autoren schon betrügerische Absichten unterstellen, und das passt nicht zum Gesamtbefund. Aber ist das "wissenschaftliche Denkweise" oder wird man da nicht sofort in Grund und Boden argumentiert, von wegen der einfache Fischer Johannes komme schon aus sprachlichen Gründen nicht als Autor infrage, da ja das Buch in astreinem Griechisch verfasst wurde usw...?
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Tinius
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Tinius »

Es ist etwas kritisch, sich auf einen Schreiber von 1854 zu berufen, dem das antike Intrument der Pseudepigraphie nicht bekannt war und der geradezu verzweifelt zu verteidigen suchte, was nicht verteidigt werden kann.
Denn es war völlig normal, sich solcher Namen zu bedienen. Mit dem Begriff "Betrug", den ein Mitteleuropäer 1854 so verwendete, hat das nichts zu tun.

Eine Übertragung unseres Denkens auf die Welt der ersten Jahrhunderte ist nicht möglich.

Schauen wir uns doch einmal den 2.Petrusbrief an. Der Heilige Petrus soll wirklich geschrieben haben:
"Wo bleibt denn seine verheißene Ankunft? Seit die Väter entschlafen sind, ist alles geblieben, wie es seit Anfang der Schöpfung war."
2. Petrusbrief 3,4

Schon Eusebius von Caesarea fiel auf, dass das aus logischen Gründen nicht sein konnte.

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taddeo
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von taddeo »

Wurzelsepp hat geschrieben:... der Verfasser der Apokalypse ein ansonsten unbekannter Christ (und nicht etwa der Apostel und Evangelist) namens Johannes?
Die historisch-kritische Bibelwissenschaft, soweit ich noch über deren Stand informiert bin, stellt anhand der reinen Textanalysen fest, daß insgesamt insgesamt vier Personen auftauchen, die allein aufgrund des Textbefundes nicht zweifellos als ein und dieselbe Person identifiziert werden können: der Lieblingsjünger, der Apostel(briefschreiber) Johannes, der Evangelist Johannes und der Verfasser der Apokalypse. Nirgends in der Schrift steht mit mathematisch beweisbarer Sicherheit, daß diese vier identisch sind; und ihre jeweilige Texte weisen auch unterschiedliche Merkmale auf, die eine Identität bezweifeln lassen können. Das ist die Aussage, zu der die Exegese (bzw. besser die biblische Einleitungswissenschaft) berechtigt ist, denn ihr Aufgabengebiet ist es, sich mit dem Text der Heiligen Schrift zu befassen.

In der kirchlichen Tradition sind diese vier Personen identisch, weil diese Tradition eben mehr Wissen umfaßt, als es im kanonisierten Textkorpus des NT niedergelegt ist. Insofern besteht zwischen der wissenschaftlichen Feststellung der Exegese und der lehramtlichen Feststellung der Kirche kein wirklicher Widerspruch. Die Kirche sagt sozusagen "wir wissen das mit Gewißheit, auch wenn es allein aufgrund der Bibeltexte nicht zweifelsfrei feststellbar ist".

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martin v. tours
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von martin v. tours »

Hallo Wurzelsepp
Kennst Du das Buch?
http://kath.net/news/4119
Ich finde es sehr interessant.
Nach dem sie nicht erreicht hat, daß die Menschen praktizieren, was sie lehrt, hat die gegenwärtige Kirche beschlossen, zu lehren, was sie praktizieren.
Nicolás Gómez Dávila

Wurzelsepp
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Wurzelsepp »

Tinius hat geschrieben:Es ist etwas kritisch, sich auf einen Schreiber von 1854 zu berufen, dem das antike Intrument der Pseudepigraphie nicht bekannt war und der geradezu verzweifelt zu verteidigen suchte, was nicht verteidigt werden kann.
Denn es war völlig normal, sich solcher Namen zu bedienen. Mit dem Begriff "Betrug", den ein Mitteleuropäer 1854 so verwendete, hat das nichts zu tun.

Eine Übertragung unseres Denkens auf die Welt der ersten Jahrhunderte ist nicht möglich.
Viele heutige historisch-kritisch arbeitende Forscherinnen und Forscher nehmen an, dass einige biblische Bücher oder Teile davon, sowohl im Alten wie im Neuen Testament, pseudepigraph sind. Beispielsweise werden im Alten Testament viele Psalmen, die König David zugeschrieben werden, als Pseudepigraphen gewertet; im Neuen Testament werden manche Briefe zu den Pseudepigraphen gezählt, wie beispielsweise der Epheserbrief, der angibt, vom Apostel Paulus verfasst worden zu sein. Weitere Beispiele sind der Brief des Jakobus, der Judasbrief u. a.

Andere Theologen bestreiten diese Sichtweise und verweisen auf die Aussagen verschiedener antiker Autoren, die sich zu pseudepigrapher Literatur äußern und sie als solche kritisieren. Aufgrund verschiedener Aussagen von Kirchenvätern (Tertullian, Eusebius, Serapion) zu falscher Verfasserschaft schließen sie, dass pseudepigraphe Schriften, die als solche erkannt worden wären, keinen Eingang in den biblischen Kanon fanden. Ein Beispiel dafür sind die Paulusakten, deren Verfasser seines Amtes enthoben wurde, als der Schwindel bekannt wurde, wie Tertullian berichtet.[1]

Umstritten ist also, inwieweit pseudepigraphe Schriften Eingang in den Biblischen Kanon hätte gefunden haben können. Wichtig ist dabei die Frage, wie absichtliche primäre Pseudepigraphie erstens vom Autor verstanden und zweitens vom Leser aufgenommen wurde.


Soweit Wikipedia... Ich merke schon, wenn man sich mit Themen beschäftigen will, zu denen es einen allgemeinen Konsens und nicht ständig Meinung und Gegenmeinung gibt, muss man in die Politik gehen. :)
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Wurzelsepp
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Wurzelsepp »

martin v. tours hat geschrieben:Hallo Wurzelsepp
Kennst Du das Buch?
http://kath.net/news/4119
Ich finde es sehr interessant.
Das Buch sieht interessant aus, ich glaube, Klaus Berger kenne ich von Bibel-TV, kann das sein? Danke für den Tipp!
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Niels
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Niels »

Auch sehr interessant: John A. T. Robinson, Redating the New Testament
http://web.archive.org/web/2783221 ... tament.pdf
Iúdica me, Deus, et discérne causam meam de gente non sancta

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overkott
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von overkott »

Wurzelsepp hat geschrieben:Wenn man anfängt, sich systematisch mit katholischer Theologie zu befassen - in meinem Fall ist es der Würzburger Fernkurs - bekommt man erstmal einige zähe, schwerverdauliche Brocken vorgesetzt.

Vielleicht gehört es zum katholischen Basiswissen, aber mir, dessen Bücherbestand etwa zur Hälfte aus evangelikaler Literatur (der Rest setzt sich überwiegend aus Kochbüchern und Reiseliteratur zusammen) besteht, waren viele Erkenntnisse (?) der modernen Theologie (bzw. Archäologie...) schlicht unbekannt.
Etwas Neues und Unbekanntes zu hören, macht doch sicherlich das Studium spannend, oder?
Zwar hatte ich schonmal gehört, dass etwa die Tora wohl doch nicht von Mose selbst stammen soll; aber der Auszug aus Ägypten und die Gesetzgebung am Horeb nur ein Mythos, um sich als "Volk Gottes" eine Legitimation zu geben?

Ein Buch Daniel aus dem Jahre 165 v. Chr., welches, um demselben größere Autorität zu verleihen, dem (legendären?) Weisen aus dem 6. Jh. v. Chr. zugeschrieben wird; zwei Petrusbriefe im Neuen Testament, die gar nicht von Petrus geschrieben wurden; der Verfasser der Apokalypse ein ansonsten unbekannter Christ (und nicht etwa der Apostel und Evangelist) namens Johannes?

Wenn das aktueller Stand der Theologie und offizieller Standpunkt des Lehramtes ist, dann habe ich solange kein grundsätzliches Problem damit, als die Argumente dafür stichhaltig sind. Das Christentum ist ja auch keine primäre, sondern eine sekundäre Buchreligion (Eugen Biser).

Aber: Sind denn diese Thesen tatsächlich weitestgehend unbestritten und die Gegenargumente so dünn und löchrig? Gibt es innerhalb der kath. Theologie auch andere seriöse Ansätze?
Eine informative lehramtliche Einführung gibt die Päpstl. Bibelkommission.

https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Inter ... der_Kirche

Der historisch-kritische Ansatz des Fernkurses setzt historische Fragestellungen aus dem 19. Jahrhundert und der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts fort.

Dieser Ansatz steht jedoch in der Gefahr, weniger Hauptsächliches, sondern mehr Nebensächliches zu betrachten, weniger Inhalt-, mehr Formanalyse zu betreiben.

Für eine stärker inhaltliche Auseinandersetzung ist der erste Satz der Bibel und beiden folgenden Schöpfungsgeschichten für das Gesamtverständnis der Bibel von größter Bedeutung: Gott ist der Schöpfer und das Prinzip der Welt. Von ihm her verstanden, ist die Welt gut. Wer bei ihm bleibt oder zurückkehrt, wird auch im Guten enden. Zur ersten Schöpfungsgeschichte wirkt die zweite wie eine Antithese. Zwar erscheint auch dort Gott als Schöpfer, aber der sich von ihm abwendende Mensch endet nicht beim Guten. Die Widersprüche der beiden Geschichten beschreiben den dialogischen Charakter der theologischen Auseinandersetzung, die die ganze Bibel durchzieht. Bereits im Spiegel der katholischen Tradition waren und sind diese Geschichten nicht wörtlich zu verstehen, sondern bildhaft.
Der sonst so angesehene und gern zitierte Geschichtsschreiber Josephus Flavius müsste sonst zumindest in folgendem Punkt schwer geirrt haben:

"Wir haben unter uns nicht unzählige Bücher, die keine Übereinstimmung haben und sich gegenseitig widersprechen.


Ja, da hat er geirrt, wie ein Blick in die beiden Schöpfungsgeschichten bereits nahelegt.

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Sempre
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Sempre »

Wurzelsepp hat geschrieben:Ich merke schon, wenn man sich mit Themen beschäftigen will, zu denen es einen allgemeinen Konsens und nicht ständig Meinung und Gegenmeinung gibt, muss man in die Politik gehen. :)
Zitat des Tages! :klatsch: :klatsch: :klatsch:

Tinius
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Tinius »

Wurzelsepp sollte ganz einfach Klaus Mass fragen. Der ist doch seine Vertrauensperson und kann das Thema dann im nächsten Käsblättchen seiner Kirche ausführlich behandeln.

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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Wurzelsepp »

Tinius hat geschrieben:Wurzelsepp sollte ganz einfach Klaus Mass fragen. Der ist doch seine Vertrauensperson und kann das Thema dann im nächsten Käsblättchen seiner Kirche ausführlich behandeln.
Als ob ich das nicht getan hätte! :P
Die Antworten von Pfarrer Mass könnten so auch in meinen Lehrbriefen stehen. Deshalb war ja die Frage, ob es auch alternative Meinungen gibt. Und es müsste heißen, im Käsblättchen seiner " Kirche ". Oder erkennst Du die CKK mittlerweile als Kirche an?
:ikb_fish:
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Tinius
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Tinius »

Wurzelsepp hat geschrieben:
Tinius hat geschrieben:Wurzelsepp sollte ganz einfach Klaus Mass fragen. Der ist doch seine Vertrauensperson und kann das Thema dann im nächsten Käsblättchen seiner Kirche ausführlich behandeln.
Als ob ich das nicht getan hätte! :P
Die Antworten von Pfarrer Mass könnten so auch in meinen Lehrbriefen stehen. Deshalb war ja die Frage, ob es auch alternative Meinungen gibt. Und es müsste heißen, im Käsblättchen seiner " Kirche ". Oder erkennst Du die CKK mittlerweile als Kirche an?
:ikb_fish:
Klaus Mass hat doch eine Kirche. Dann muss man doch keine Anführungszeichen verwenden. Ich halte mich bei KIRCHE an die Definition von Zwingli.

Wurzelsepp
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Wurzelsepp »

Eigentlich sind wir ja "nur" eine Administratur der Nordisch-Katholischen Kirche. Mit der Eigenständigkeit wird das wohl die nächsten Jahre auch noch nichts werden.
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Senensis
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Senensis »

Ich habe mal von einem Akademiker gehört, daß der linguistische Befund sehr wohl auf eine Übereinstimmung des Autors von Apokalypse und Johannesevangelium und/oder Briefe deutet. Es ist aber schon so lange her, daß ich mich nicht mehr genau erinnere, und außerdem weiß ich keine Quelle...
et nos credidimus caritati

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Niels
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Niels »

Ich erlaube mir, auf diesen älteren Strang hinzuweisen: viewtopic.php?p=19625#p19625
(Dort findet man auch interessante Literaturhinweise.)
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Wurzelsepp »

taddeo hat geschrieben:Die historisch-kritische Bibelwissenschaft, soweit ich noch über deren Stand informiert bin, stellt anhand der reinen Textanalysen fest, daß insgesamt insgesamt vier Personen auftauchen, die allein aufgrund des Textbefundes nicht zweifellos als ein und dieselbe Person identifiziert werden können: ]der Lieblingsjünger, der Apostel(briefschreiber) Johannes, der Evangelist Johannes und der Verfasser der Apokalypse. Nirgends in der Schrift steht mit mathematisch beweisbarer Sicherheit, daß diese vier identisch sind; und ihre jeweilige Texte weisen auch unterschiedliche Merkmale auf, die eine Identität bezweifeln lassen können. Das ist die Aussage, zu der die Exegese (bzw. besser die biblische Einleitungswissenschaft) berechtigt ist, denn ihr Aufgabengebiet ist es, sich mit dem Text der Heiligen Schrift zu befassen.

In der kirchlichen Tradition sind diese vier Personen identisch, weil diese Tradition eben mehr Wissen umfaßt, als es im kanonisierten Textkorpus des NT niedergelegt ist. Insofern besteht zwischen der wissenschaftlichen Feststellung der Exegese und der lehramtlichen Feststellung der Kirche kein wirklicher Widerspruch. Die Kirche sagt sozusagen "wir wissen das mit Gewißheit, auch wenn es allein aufgrund der Bibeltexte nicht zweifelsfrei feststellbar ist".
Diese Sichtweise gefällt mir gut. Sie zeigt, welch große Rolle die Tradition spielt, und dass Kirche nicht von jeder Generation neu erfunden werden braucht bzw. kann.

Nach Rückfrage bei meinem Pfarrer hat er mir dann auch erklärt, dass diese ganze Datierungsdebatte im Grunde schon lange abgeschlossen ist, auch wenn es natürlich noch genug offene Fragen gibt, zum Beispiel ob das Johannes-Evangelium das jüngste oder vielleicht doch das älteste Evangelium - wie Klaus Berger vermutet (habe mir gleich Mal was von ihm bestellt) - ist. Nur für mich ist diese Thematik eben Neuland.
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maliems
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von maliems »

Wurzelsepp hat geschrieben: Man müsste den Autoren schon betrügerische Absichten unterstellen,
Nein, du denkst modern. Dass ein jüngerer Autor unter einem älteren bekannten Autor veröffentlicht hat, war in der Antike häufig der Fall. Das ist nicht unter "Betrug" gefallen, sondern wurde so gesehen, dass die jüngere Schrift "im Geist" der älteren eine Ergänzung ist.

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overkott
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von overkott »

maliems hat geschrieben:
Wurzelsepp hat geschrieben: Man müsste den Autoren schon betrügerische Absichten unterstellen,
Nein, du denkst modern. Dass ein jüngerer Autor unter einem älteren bekannten Autor veröffentlicht hat, war in der Antike häufig der Fall. Das ist nicht unter "Betrug" gefallen, sondern wurde so gesehen, dass die jüngere Schrift "im Geist" der älteren eine Ergänzung ist.
Der heilige Bonaventura empfiehlt darauf hin eine Lektüre der Bibel, die dieses Phänomen reflektiert. In seinem eigenen Namen schreiben zählt nicht. Im Namen Gottes zu sprechen, ist quasi die reinste Form der Berufung auf einen höheren und älteren Autor.

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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von maliems »

overkott hat geschrieben:
maliems hat geschrieben:
Wurzelsepp hat geschrieben: Man müsste den Autoren schon betrügerische Absichten unterstellen,
Nein, du denkst modern. Dass ein jüngerer Autor unter einem älteren bekannten Autor veröffentlicht hat, war in der Antike häufig der Fall. Das ist nicht unter "Betrug" gefallen, sondern wurde so gesehen, dass die jüngere Schrift "im Geist" der älteren eine Ergänzung ist.
Der heilige Bonaventura empfiehlt darauf hin eine Lektüre der Bibel, die dieses Phänomen reflektiert. In seinem eigenen Namen schreiben zählt nicht. Im Namen Gottes zu sprechen, ist quasi die reinste Form der Berufung auf einen höheren und älteren Autor.
Welche Schrift, welche stelle, ist das im web aufrufbar oder bestellbar?

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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Siard »

Wurzelsepp hat geschrieben:Nach Rückfrage bei meinem Pfarrer hat er mir dann auch erklärt, dass diese ganze Datierungsdebatte im Grunde schon lange abgeschlossen ist, …
Ähnliche würde mir während des Studiums z. B. über die Echtheit von Paulusbriefen gesagt. Inzwischen hat sich die Mehrheitsansicht desbezüglich geändert. "Endgültige" Aussagen haben sich zu oft als falsch erwiesen und stehen in Konflikt mit wesentlichen Wissenschaftstheorien.
Zuletzt geändert von Siard am Mittwoch 30. Dezember 2015, 11:39, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von overkott »

maliems hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
maliems hat geschrieben:
Wurzelsepp hat geschrieben: Man müsste den Autoren schon betrügerische Absichten unterstellen,
Nein, du denkst modern. Dass ein jüngerer Autor unter einem älteren bekannten Autor veröffentlicht hat, war in der Antike häufig der Fall. Das ist nicht unter "Betrug" gefallen, sondern wurde so gesehen, dass die jüngere Schrift "im Geist" der älteren eine Ergänzung ist.
Der heilige Bonaventura empfiehlt darauf hin eine Lektüre der Bibel, die dieses Phänomen reflektiert. In seinem eigenen Namen schreiben zählt nicht. Im Namen Gottes zu sprechen, ist quasi die reinste Form der Berufung auf einen höheren und älteren Autor.
Welche Schrift, welche stelle, ist das im web aufrufbar oder bestellbar?
Der heilige Bonaventura hat nie von eigener Hand ein Buch geschrieben. Seine Werke sind durch Schreiber nicht selten in verschiedenen Varianten überliefert. Höhepunkt und Abschluss seines theologischen Aufstiegs ist die Mitschrift seiner Vorlesungsreihe über Die Sechs Tage der Schöpfung, ein beliebtes theologisches Sujet schon in der Spätantike, die eine grundlegende Einführung in seine Theologie darstellt. Die mir als ebook vorliegende französische Übersetzung aus dem Jahr 1991 ist im Buchhandel inzwischen vergriffen, aber über die Fernleihe der Bibliotheken abrufbar. Das gilt ebenso für eine deutsche Übersetzung aus der Konzilszeit, die allerdings sehr krumpelig ist. Insbesondere in Kapitel XIX nennt Bonaventura die theologische Priorität der Bibel vor allen anderen Schriften und erläutert auch die Text immanente Lesart. Dabei knüpft er an die biblische Tradition an und beruft sich insbesondere auf Augustinus. Die Grundzüge dieser Exegese finden sich bereits in seinem Breviloquium.

Alle anderen Belege für meine Argumentation aus der Vulgata wurden inzwischen von einer geistig engen Moderation gelöscht, die offenbar [...] Latein als theologische Sprache nicht mehr akzeptieren will.
Zuletzt geändert von Hubertus am Mittwoch 30. Dezember 2015, 21:02, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Unterstellung entfernt.

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sermon
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von sermon »

Wurzelsepp hat geschrieben:
taddeo hat geschrieben:Die historisch-kritische Bibelwissenschaft, soweit ich noch über deren Stand informiert bin, stellt anhand der reinen Textanalysen fest, daß insgesamt insgesamt vier Personen auftauchen, die allein aufgrund des Textbefundes nicht zweifellos als ein und dieselbe Person identifiziert werden können: ]der Lieblingsjünger, der Apostel(briefschreiber) Johannes, der Evangelist Johannes und der Verfasser der Apokalypse. Nirgends in der Schrift steht mit mathematisch beweisbarer Sicherheit, daß diese vier identisch sind; und ihre jeweilige Texte weisen auch unterschiedliche Merkmale auf, die eine Identität bezweifeln lassen können. Das ist die Aussage, zu der die Exegese (bzw. besser die biblische Einleitungswissenschaft) berechtigt ist, denn ihr Aufgabengebiet ist es, sich mit dem Text der Heiligen Schrift zu befassen.

In der kirchlichen Tradition sind diese vier Personen identisch, weil diese Tradition eben mehr Wissen umfaßt, als es im kanonisierten Textkorpus des NT niedergelegt ist. Insofern besteht zwischen der wissenschaftlichen Feststellung der Exegese und der lehramtlichen Feststellung der Kirche kein wirklicher Widerspruch. Die Kirche sagt sozusagen "wir wissen das mit Gewißheit, auch wenn es allein aufgrund der Bibeltexte nicht zweifelsfrei feststellbar ist".
Diese Sichtweise gefällt mir gut. Sie zeigt, welch große Rolle die Tradition spielt, und dass Kirche nicht von jeder Generation neu erfunden werden braucht bzw. kann.

Nach Rückfrage bei meinem Pfarrer hat er mir dann auch erklärt, dass diese ganze Datierungsdebatte im Grunde schon lange abgeschlossen ist, auch wenn es natürlich noch genug offene Fragen gibt, zum Beispiel ob das Johannes-Evangelium das jüngste oder vielleicht doch das älteste Evangelium - wie Klaus Berger vermutet (habe mir gleich Mal was von ihm bestellt) - ist. Nur für mich ist diese Thematik eben Neuland.
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Bei der Frage nach verschiedenen Verfassern, die historisch einer Person zugeordet wurden (werden),
sollte bedacht werden, dass beides gleichzeitig möglich ist, wenn z.B. der Evangelist Johannes mehrere Texte in SEINER Sprache geschrieben hat und diese Texte dann von verschiedenen Personen übersetzt wurden. Die Urfassung "könnte" verloren gegangen sein. Davon geht der Aramäer Dr. G.M. Lamsa nicht aus. Er behauptet anhand sehr vieler Zeugnisse, dass die Urtexte in aramäischer Sprache geschrieben wurden und dies an vielen Beispielen zeigt. Hier 2 davon:
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Matth 8:22
Luther: Folge du mir und lass die Toten ihre Toten begragen
Peschitta: Folge du mir und lass die Stadt ihre Toten begraben.
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Matth 19:24
Luther: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe...
Peschitta: Es ist leichter, dass ein Seil durch ein Nadelöhr gehe...
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Zwei Bücher sind von Dr. G.M. Lamsa in der Übersetzung noch erhältlich:
"Ursprung des Neuen Testaments"
"Die Evangelien in aramäischer Sicht"
(mehr dazu vom Verlag: http://neuerjohannesverlag.ch/ )

Natürlich gibt es noch weitere Autoren, die zu vergleichbaren Ergebnissen kommen.

Jedenfalls ist die obige Annahme:
"... diese ganze Datierungsdebatte im Grunde schon lange abgeschlossen ist ..."
von GRUND AUF FALSCH und hat (nicht nur!) zur Veröffentlichung dieses Buches geführt:

Alfons Sarrach ( * 1927; † 213 )
Jahrhundert-Skandal
Von der unhaltbaren Kritik an den Evangelien

(mehr dazu z.B. über diese Seite: http://evangelienharmonie.de/literatur.html )

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taddeo
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von taddeo »

sermon hat geschrieben:Bei der Frage nach verschiedenen Verfassern, die historisch einer Person zugeordet wurden (werden),
sollte bedacht werden, dass beides gleichzeitig möglich ist, wenn z.B. der Evangelist Johannes mehrere Texte in SEINER Sprache geschrieben hat und diese Texte dann von verschiedenen Personen übersetzt wurden. Die Urfassung "könnte" verloren gegangen sein. Davon geht der Aramäer Dr. G.M. Lamsa nicht aus. Er behauptet anhand sehr vieler Zeugnisse, dass die Urtexte in aramäischer Sprache geschrieben wurden und dies an vielen Beispielen zeigt. Hier 2 davon:
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Matth 8:22
Luther: Folge du mir und lass die Toten ihre Toten begragen
Peschitta: Folge du mir und lass die Stadt ihre Toten begraben.
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Matth 19:24
Luther: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe...
Peschitta: Es ist leichter, dass ein Seil durch ein Nadelöhr gehe...
Herzlich willkommen hier im Forum, und danke für Dein informatives Premieren-Posting! :huhu:

Da mag was dran sein, aber ein Grundproblem bleibt, das bei vielen ähnlichen historischen Überlieferungen auftritt. "Die Urfassung könnte verloren gegangen sein" - das ist immer eine praktische Begründung, aber immer eine unglaubwürdige. Das paßt einfach nicht zur Tatsache, daß die biblischen Texte so gut, alt und einheitlich überliefert sind wie praktisch nichts sonst aus dieser Zeit im römischen Reich; und selbst wenn das "Autograph" verloren wäre, müßte man zumindest zeitgenössische Kopien auch des aramäischen Originals erwarten. Nichts davon ist bekannt oder wenigstens gerüchteweise belegt.

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sermon
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von sermon »

taddeo hat geschrieben:
sermon hat geschrieben:Bei der Frage nach verschiedenen Verfassern, die historisch einer Person zugeordet wurden (werden),
sollte bedacht werden, dass beides gleichzeitig möglich ist, wenn z.B. der Evangelist Johannes mehrere Texte in SEINER Sprache geschrieben hat und diese Texte dann von verschiedenen Personen übersetzt wurden. Die Urfassung "könnte" verloren gegangen sein. Davon geht der Aramäer Dr. G.M. Lamsa nicht aus. Er behauptet anhand sehr vieler Zeugnisse, dass die Urtexte in aramäischer Sprache geschrieben wurden und dies an vielen Beispielen zeigt. Hier 2 davon:
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Herzlich willkommen hier im Forum, und danke für Dein informatives Premieren-Posting! :huhu:

Da mag was dran sein, aber ein Grundproblem bleibt, das bei vielen ähnlichen historischen Überlieferungen auftritt. "Die Urfassung könnte verloren gegangen sein" - das ist immer eine praktische Begründung, aber immer eine unglaubwürdige. Das paßt einfach nicht zur Tatsache, daß die biblischen Texte so gut, alt und einheitlich überliefert sind wie praktisch nichts sonst aus dieser Zeit im römischen Reich; und selbst wenn das "Autograph" verloren wäre, müßte man zumindest zeitgenössische Kopien auch des aramäischen Originals erwarten. Nichts davon ist bekannt oder wenigstens gerüchteweise belegt.
OK, da hast Du vollkemmen recht – ich hatte ja das "könnte" auch in Anführungszeichen als fraglich hervor gehoben.
Zum "aramäischen Original" (=> Peschitta) sind ja gerade die Forschungsergebnisse von Dr. Lamsa bedeutsam:
Er behauptet – und belegt – dass die aramäischen Texte die ursprünglichen sind.
Beginn seiner Argumentation fängt noch recht harmlos an in: "Ursprung des Neuen Testaments", Seite 13: "Die Meinung, Jesu Lehre sei ursprünglich griechisch aufgezeichnet worden, geht zweifellos auf einen gewissen Antisemitismus zurück. ..." Es ist hier nicht der Platz, seine ganze Beweiskette wieder zu geben. Unabhängig von diesem Autor gibt es auch weitere schwerwiegende Argumente zur sprachlichen Urfassung. Wenn eine Sammlung von einfach nachvollziehbaren Beispielen erwünscht ist, kann ich dies hier, oder unter einer andern Überschrift liefern.

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Marion
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Marion »

es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe

Dazu, daß dieser Satz nicht blödsinnig ist:
Glossa ex Anselmo. hat geschrieben:Weil es zu Jerusalem ein Thor gab, welches Nadelöhr hieß, durch das ein Kamel nur mit Ablegung der Last und knieend gehen konnte, so wird damit bezeichnet, daß die Reichen auf dem engen Wege, welcher zum Leben führt, nicht gehen können, wenn sie den Schmutz der Sünden und den Reichtum, nicht ablegen, wenigstens nicht lieben.
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Dieter
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von Dieter »

Ob Mose tatsächlich eine historische Figur ist, ist genau so unsicher wie die Frage, ob Mohammed eine historische Figur ist.

https://de.wikipedia.org/wiki/Mose

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taddeo
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von taddeo »

Marion hat geschrieben:es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe

Dazu, daß dieser Satz nicht blödsinnig ist:
Glossa ex Anselmo. hat geschrieben:Weil es zu Jerusalem ein Thor gab, welches Nadelöhr hieß, durch das ein Kamel nur mit Ablegung der Last und knieend gehen konnte, so wird damit bezeichnet, daß die Reichen auf dem engen Wege, welcher zum Leben führt, nicht gehen können, wenn sie den Schmutz der Sünden und den Reichtum, nicht ablegen, wenigstens nicht lieben.
Das ist die gängige Erklärung, die kenne ich auch so. Die Übersetzung müßte also eigentlich lauten "eher geht ein Kamel durch das Nadelöhr ...", nämlich durch das (Jesu Zuhörern bekannte) Tor in Jerusalem.

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sermon
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von sermon »

[quote="taddeo"][quote="Marion"]es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe

Dieser Satz ist ein Beispiel zur Schwierigkeit nach der "Historizität" zu forschen.
In https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichnis ... el%C3%B6hr
wird dazu u.a. angegeben:
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Da die Lesart Kamel in der Forschung für ursprünglich gehalten wird,[8] werden verschiedene Deutungen unternommen,[9] etwa die, nach der eine hypothetische enge Gasse in Jerusalem mit einem kleinen Tor an ihrem Ende gemeint sei, die im Volksmund angeblich den Namen „Nadelöhr“ trug. Nach dieser mittlerweile allgemein verworfenen Vermutung
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Der Aramäer Lamsa gibt seine Begündung, dass das aramäisch geschriebene Wort drei Bedeutungen haben kann: Kamel, Seil oder Balken, je nach Kontext. Als Aramäer sei ihm dieser Spruch nur in der Verbindung mit "Seil" bekannt.
Dieser Text mag nicht eindeutig genug für einen Beweis taugen, vielleicht eher dies zu:

Matth 8:22 , Luther: Folge du mir und lass die Toten ihre Toten begraben
Zitat: "Das aramäische Wort für 'tot' heisst metta, und für 'Stadt' matta. Der Unterschied in Schreibweise und Aussprache ist äusserst gering. ..."
Ich hoffe, dass dieses Rand-Thema noch zum obigen Betreff dazu gehört, es macht aber deutlich, wie schwierig es ist, sich der "Historizität" zu nähern.
Ein Beispiel aus einem anderen Zusammenhang mag das verdeutlichen – zu Mt2,23 / Mk1,39 :
<< ihr werdet von meinem Kelch trinken." In den Übersetzungen steht: "meinen Kelch". >>
Im Aramäischen, der Sprache Jesu, gibt es keinen Unterschied zwischen Dativ
und Akkusativ; Jesus kann also sehr wohl "von meinem Kelch" gesagt haben.

Die neueren Ausgaben der Einheitsübersetzung haben hier eine entsprechende Änderung vorgenommen.

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taddeo
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Re: Historizität und Datierung biblischer Bücher

Beitrag von taddeo »

Die nächste Frage, die sich mir stellt: Warum sollten Texte, die zur größeren Verbreitung gedacht waren wie die Evangelien, ausgerechnet in einer Sprache abgefaßt worden sein, die kaum jemand der "Zielgruppe" sprach? Aramäisch ist ein Regionaldialekt, den nicht mal im damaligen Israel jeder Einheimische verstand.
Viel wahrscheinlicher ist es, daß das Koine-Griechisch die Ausgangssprache war, das damals im gesamten römischen Weltreich die normale Umgangssprache zwischen Menschen verschiedener Herkunft war - sicher vermischt mit einem "Akzent" aus der Muttersprache des Schreibers, also eventuell auch aus dem Aramäischen.

Es ist ein interessantes Feld der biblischen Einleitungswissenschaft; aber letztlich doch nur eine weitere, unbewiesene und wohl auch unbeweisbare Hypothese.

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