Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
azs
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Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von azs »

Mk 5, 30 Und Jesus spürte sogleich an sich selbst, dass eine Kraft von ihm ausgegangen war, und wandte sich um in der Menge und sprach: Wer hat meine Kleider berührt?

Die Stelle irritiert mich. Wie ist sie zu verstehen? Jesus (wahrer Gott) "spürt" eine Kraft von sich ausgehen, dreht sich um und ruft: Wer war das? Letzteres ist ja evtl. noch als Zeugnis zu verstehen, aber Ersteres?
ad te suspiramus in hac lacrimarum valle

Fragesteller
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Re: Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von Fragesteller »

Weil er auch wahrer Mensch ist und als solcher natürlich auch sinnlich wahrnimmt. Da würde mich eher die Frage irritieren, die tatsächlich mit dem göttlichen Allwissen unvereinbar scheint. Aber bei weniger naiver Lesart ist auch eine Deutung wie die von Dir vorgeschlagene möglich.

Pilgerer
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Re: Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von Pilgerer »

azs hat geschrieben:Mk 5, 30 Und Jesus spürte sogleich an sich selbst, dass eine Kraft von ihm ausgegangen war, und wandte sich um in der Menge und sprach: Wer hat meine Kleider berührt?

Die Stelle irritiert mich. Wie ist sie zu verstehen? Jesus (wahrer Gott) "spürt" eine Kraft von sich ausgehen, dreht sich um und ruft: Wer war das? Letzteres ist ja evtl. noch als Zeugnis zu verstehen, aber Ersteres?
Allwissend wie er war, wusste er natürlich, "wer das war". Doch er wollte der Frau die Chance geben, sich zu zeigen. Es gehört Mut dazu, vor der Menge aufzustehen und zu bekennen, sich dem Herrn genähert zu haben. Vermutlich wollte er die Frau zu diesem Bekenner-Mut bewegen.

Aufgrund ihres Glaubens vermochte die Frau die heilende Wirkung Jesu (des Logos) schon für sich zu aktivieren, bevor er die Passion erlebt hatte. Der Logos sieht, wer an ihn glaubt und zu wem Seine Kraft fließt. Er ist der schöpferische Code der Dinge im Himmel und auf Erden. Wenn ein Wesen Ihn aufnimmt, erlangt es die Rolle, die Gott ihm in der Schöpfung zugewiesen hat. Dazu gehört die Gesundheit. Denn Gott hat uns gesund geschaffen, und wenn wir davon abweichen, dann deshalb, weil wir vom Logos abweichen.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Bibelleser
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Re: Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von Bibelleser »

Es ist viel einfacher. Im Markusevangelium ist Jesus nicht "allwissend". Er ist ein Mensch.

Pollux
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Re: Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von Pollux »

Lass es doch so stehen, wie der Evangelist es berichtet.Und vergiss das mit der Allwissenheit.Du fragst ja auch so manches andere nicht: Etwa wie kann Gott allmächtig sein und lässt doch zu, dass das Leid in der Welt ist. Also die alte Frage nach der Rechtfertigkeit Gottes. Bei Luther ging es aber um die Rechtfertigung des Menschen vor Gott.Es gibt das Christusgeheimnis und das gipfelt in der Aussage:"Wahrer Mensch und wahrer Gott."Der Evangelist beschreibt Jesus aus der menschlichen Perspektive. Was sollte er sonst tun?

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Protasius
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Re: Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von Protasius »

Jesus ist nun mal wahrer Mensch und wahrer Gott. Daß Gott die Allwissenheit zukommt, läßt sich auch aus der Bibel erweisen, z.B. Ps 139, 1-6.

Man könnte die Stelle auch übersetzen mit "er erkannte, daß eine Kraft von ihm ausging", das wirkt nicht so unscharf wie spüren. Und das der Herr eine Frage an seine Jünger stellt, deren Antwort er schon kennt, gibt es an mehreren Stellen im Evangelium ("Versteht ihr immer noch nicht?" beim Gleichnis vom Sämann, "Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen" auf dem Ölberg). Hier ist die Öffentlichmachung die offenbare Motivation dahinter. Wie in vielen Fällen lohnt es sich, hier die Kirchenväter zu befragen:
Catena aurea hat geschrieben: Die Christus mit Glauben berühren, empfangen mit dem Willen Christi seine Kraft. [...] Die Kraft des Erlösers geht nicht örtlich oder körperlich von ihm aus und verläßt ihn nicht: da sie unkörperlich ist, geht sie zu anderen und wird ihnen geschenkt, ohne daß sie ihn verläßt, von dem sie ausgeht. [...] Der Herr hatte aber gefragt: Wer hat mich berührt? d.h. mit Überlegung und Glaube: denn die, die aus der Menge sich um mich drängen, berühren mich nicht, weil sie nicht mit Glaube und Überlegung zu mir kommen. (Chrysostomus)
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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overkott
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Re: Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von overkott »

Protasius hat geschrieben:Man könnte die Stelle auch übersetzen mit "er erkannte, daß eine Kraft von ihm ausging", das wirkt nicht so unscharf wie spüren.
Gerade bei einer theologisch-philosophischen Betrachtung ist die sprachliche Reflexion der Übersetzung von großer Bedeutung.

Der heilige Hieronymus spricht an dieser Stelle von cognoscens virtutem und verwendet damit eine theologisch-philosophische Sprache, in der es um Erkenntnis und Tugend geht. Statt virtus hätte er auch robus, ops, potestas, vis oder nervulus gebrauchen können. Ops zum Beispiel als Kraft, Hilfe entspräche sogar dem klassisch religiösen Sprachgebrauch, zumal Ops die Gattin des Saturnus war und Mutter des Jupiter. Potestas hätte herrschaftlicher geklungen und hätte die spätere Verehrung der väterlichen Omnipotenz und der Weltherrschaft vorweggenommen. Aber der Heilige spricht von virtus.

Was sind nun die vier Kardinaltugenden nach Platon? Muskelpakete? Wunderfähigkeiten? Intelligenz? Politisches Geschick? Nein. Es handelt sich vielmehr um Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung.

Auch die catena aurea scheint die Bibelstelle wie Hieronymus nicht körperlich, sondern geistlich zu interpretieren.

San Marco
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Re: Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von San Marco »

overkott hat geschrieben:
Protasius hat geschrieben:Man könnte die Stelle auch übersetzen mit "er erkannte, daß eine Kraft von ihm ausging", das wirkt nicht so unscharf wie spüren.
Gerade bei einer theologisch-philosophischen Betrachtung ist die sprachliche Reflexion der Übersetzung von großer Bedeutung.

Der heilige Hieronymus spricht an dieser Stelle von cognoscens virtutem und verwendet damit eine theologisch-philosophische Sprache, in der es um Erkenntnis und Tugend geht. Statt virtus hätte er auch robus, ops, potestas, vis oder nervulus gebrauchen können........... Aber der Heilige spricht von virtus.
Die Interpretation des Eusebius Hieronymus ist eine von vielen. Wie er den Urtext ins Lateinische überträgt, ist doch eigentlich theologisch völlig bedeutungslos. Wir haben es mit einem angeblich griechischen Urtext des Markusevangeliums zu tun. Und nur die Aussage des griechischen Autors zählt.

Theoretisch.....wenn da nicht die Minderheitsmeinung wäre, dass das Markusevangelium in Latein verfasst wurde und nur als Harmonisierung, mehr schlecht als recht, ins Griechische übersetzt wurde.
Man schaue hier im sogenannten "afrikanischen Text" des Heiligen Cyprian nach.

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overkott
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Re: Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von overkott »

San Marco hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Protasius hat geschrieben:Man könnte die Stelle auch übersetzen mit "er erkannte, daß eine Kraft von ihm ausging", das wirkt nicht so unscharf wie spüren.
Gerade bei einer theologisch-philosophischen Betrachtung ist die sprachliche Reflexion der Übersetzung von großer Bedeutung.

Der heilige Hieronymus spricht an dieser Stelle von cognoscens virtutem und verwendet damit eine theologisch-philosophische Sprache, in der es um Erkenntnis und Tugend geht. Statt virtus hätte er auch robus, ops, potestas, vis oder nervulus gebrauchen können........... Aber der Heilige spricht von virtus.
Die Interpretation des Eusebius Hieronymus ist eine von vielen. Wie er den Urtext ins Lateinische überträgt, ist doch eigentlich theologisch völlig bedeutungslos. Wir haben es mit einem angeblich griechischen Urtext des Markusevangeliums zu tun. Und nur die Aussage des griechischen Autors zählt.

Theoretisch.....wenn da nicht die Minderheitsmeinung wäre, dass das Markusevangelium in Latein verfasst wurde und nur als Harmonisierung, mehr schlecht als recht, ins Griechische übersetzt wurde.
Man schaue hier im sogenannten "afrikanischen Text" des Heiligen Cyprian nach.
"nur" ist typisches "sola"-Denken.

Nach Pfingsten sollte man verstehen, dass es nicht um Aussagen allein geht, sondern vor allem um den Geist der Wahrheit.

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Protasius
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Re: Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von Protasius »

An der entsprechenden Stelle steht im Griechischen ἐπιγνοὺς.
Zuletzt geändert von Protasius am Montag 23. Juni 2014, 12:33, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Wort in griechischer Schrift angegeben.
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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overkott
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Re: Jesus "spürte eine Kraft von sich ausgehen"?

Beitrag von overkott »

Sehr schön.

Markus scheint rational-bodenständig ( Jesus bemerkte, dass sich sein Gewand bewegte ), Hieronymus theologisch-philosophisch, die Deutschen esoterisch-abergläubisch.

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