War Jesus ein Konservativer?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Samuel
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War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Samuel »

Dieses Thema trage ich schon eine ganze Zeit mit mir herum. Nun hoffe ich, einen Titel gefunden zu haben, unter dem eine halbwegs sachliche Auseinandersetzung möglich ist.

Unter konservativer Religiosität verstehe ich folgendes: Gott offenbart sich. Diese Offenbarung ist in eindeutig fassbarer Form niedergelegt (v.a. eine heilige Schrift). Die gläubige Reaktion der Menschen besteht darin, die geoffenbarten Inhalte zu glauben bzw. nach den geoffenbarten Regeln zu leben.

Einen Idealtypus konservativer Religiosität sehe ich in Mohammed: Er empfängt und verkündet den Koran, eine exakte Kopie des Ur-Koran im Himmel. Die Reaktion der Moslems besteht im Gehorsam (Islam bedeutet Gehorsam.)

Jesus scheint nun recht schlecht in solch ein konservatives Schema zu passen: Im Gegensatz zu den Rabbinern seiner Zeit finden wir bei ihm und seinen Jüngern keine Schriftgelehrsamkeit. Für ihn hat die Hl. Schrift auch nicht die unanfechtbare Autorität wie für seine Zeitgenossen: Er scheut nicht davor zurück, ihr direkt zu widersprechen: (Schwurverbot, Scheidungsverbot). Er kennt höhere Werte als die Hl. Schrift: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. (Mk 2,27)

Auch er selbst verhält sich kaum als Quelle konservativer Religiosität: Er schreibt nichts, gibt auch keinen Auftrag, etwas aufzuschreiben. Er entwickelt keine systematische Lehre, sondern urteilt jeweils spontan, ad hoc.

In gewisser Weise scheint Jesus konservativer Religiosität geradezu zu widersprechen: In der Begegnung mit ihm kann es passieren, dass man hört: "Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!" (Mk 10,21) So sendet er seine Jünger aus: "Steckt nicht Gold, Silber oder Kupfermünzen in euren Gürtel. Nehmt keine Vorratstasche mit auf den Weg, kein zweites Hemd, keine Schuhe, keinen Wanderstab." (Mt 10,9f) Während der konservative Religiöse sein sicheres Fundament hat, an dem er sich festhalten kann, verlangt Jesus, auf nichts auf der Erde sein Vertrauen zu setzen, sondern allein auf den himmlischen Vater.

Eine Schwierigkeit dieses Themas besteht sicher darin, dass diese Anweisungen Jesu nur sehr selten befolgt wurden: In der ersten Zeit hat es noch Wanderlehrer gegeben, wie die Didache bezeugt; Franz v. Assisi hat seine Brüder zu zweit ausgesandt; aber schon Paulus, obwohl er sich mehr als alle anderen abgemüht hat (1 Kor 15,10) lebt nicht von Bettelei sondern von seiner eigenen Hände Arbeit und in seinen Briefen findet sich nichts mehr von den extremen Forderungen Jesu.

Um es pointiert zu formulieren: Jesus lehrt den Heilsweg, der in den Himmel führt; wir Christen gehen davon aus, dass es genügt, dass er den Weg gegangen ist und dass wir durch den Glauben an Jesus gerettet werden, ohne selbst den Weg gehen zu müssen. So entsteht konservatives Christentum (im oben beschriebenen Sinne), welches auch schon in der Bibel seinen deutlichen Niederschlag findet.

Der konservative Christ kann sich also damit beruhigen, dass seine Überzeugungen ein breites Fundament in der Bibel haben und wird leicht Gründe finden, warum die harten Forderungen Jesu nicht für ihn gemeint sind.

Aber vielleicht kann man sich doch, bevor man unseren Papst dafür kritisiert, dass er nicht konservativ genug ist, fragen, ob er möglicherweise Jesus nachfolgt.
Wer einen Menschen verurteilt, kann irren. Wer ihm verzeiht, irrt nie. (Heinrich Waggerl)

ad_hoc
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von ad_hoc »

Was sagt uns das?
Dass Jesus sich nicht in eine Schablone pressen lässt, wie man dies heutzutage gerne tut, sowohl in der Person und Gottheit Jesu, als auch in seiner Lehre.
Sie hat schon immer bestanden und sie wird bestehen über das Ende der Welt hinaus und in alle Ewigkeit. Zeiten, Gebräuche, sich ändernde Vorstellungen etc., können darin nichts ändern, höchstens verfälschen.
Der Papst kann nicht konservativ sein, nicht progressiv oder sonst was. Er muss die immer feststehende und unveränderbare Wahrheit erhalten, rein halten und unverändert bzw. unverfälscht verkünden.
Es kann nie die Rede davon sein, die Lehre und deren Auslegung den Zeiten und Menschen anzupassen, es kann immer nur darum gehen, die Menschen zur ewigen und sich nie verändernden Wahrheit hinzuführen.

Gruß, ad_hoc
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Sarandanon
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Sarandanon »

ad_hoc hat geschrieben:Dass Jesus sich nicht in eine Schablone pressen lässt, wie man dies heutzutage gerne tut, sowohl in der Person und Gottheit Jesu, als auch in seiner Lehre.
In der Tat. Seine Lehre ist ganz einfach zeitlos. Sie ist sowohl christlich konservativ als auch gesellschaftlich progressiv. Alles in Allem ist sie die zu "konservierende Grundlage" unseres Daseins.

Vielleicht wäre es auch mal ganz interessant zu klären, was Einzelne unter Konservatismus verstehen. Da kommen sicherlich viele verschiedene Aspekte zu Tage.
ad_hoc hat geschrieben:Sie hat schon immer bestanden und sie wird bestehen über das Ende der Welt hinaus und in alle Ewigkeit. Zeiten, Gebräuche, sich ändernde Vorstellungen etc., können darin nichts ändern, höchstens verfälschen.
Verfälscht worden ist schon seit dem Mittelalter eine ganze Menge. Auch daraus ist eine gewisse Art Konservatismus entstanden.
ad_hoc hat geschrieben:Der Papst kann nicht konservativ sein, nicht progressiv oder sonst was. Er muss die immer feststehende und unveränderbare Wahrheit erhalten, rein halten und unverändert bzw. unverfälscht verkünden.
Erhalten und Bewahren ist ja grad die Basis des Konservatismus. Also muss der Papst doch zwingend konservativ sein, auch wenn aus meiner persönlichen Sicht die Inhaber dieses Amtes schon sehr lange nichts mehr vollkommen Unverfälschtes verkündigen.
Dich, o Herr, kann nur verlieren, wer dich verlässt.
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ad_hoc
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von ad_hoc »

Es ist schon interessant, zu welcher Phantasie in der Auslegung Menschen fähig sind, welche unangenehme Wahrheiten nicht akzeptieren und unbedingt ein neues Verständnis schaffen wollen, um sich keine Vorwürfe machen zu müssen. Luther lässt unschön grüßen.
:)
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Sarandanon
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Sarandanon »

Das sehe ich ganz genauso (nur eben nicht nach Deinem römischen Verständnis) :kussmund: .
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heiliger_raphael
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von heiliger_raphael »

Samuel hat geschrieben: Unter konservativer Religiosität verstehe ich folgendes: Gott offenbart sich. Diese Offenbarung ist in eindeutig fassbarer Form niedergelegt (v.a. eine heilige Schrift). Die gläubige Reaktion der Menschen besteht darin, die geoffenbarten Inhalte zu glauben bzw. nach den geoffenbarten Regeln zu leben.
den Begriff konservativ finde ich nicht ganz passend. Das Konservative ist das Bewahren des Gegebenen. Veränderungen werden akzeptiert, müssen aber gut begründet sein.
Für Jesus Christus sind aber menschliche Worte, mögen sie noch so gut begründet sein, nicht der Maßstab, sondern ausschließlich der Wille des Herrn.
Einen Idealtypus konservativer Religiosität sehe ich in Mohammed: Er empfängt und verkündet den Koran, eine exakte Kopie des Ur-Koran im Himmel. Die Reaktion der Moslems besteht im Gehorsam (Islam bedeutet Gehorsam.)
Auch Mohammed ist in dem Sinne nicht konservativ, denn er lässt ebenfalls nur den Willen des Herrn gelten.

Jesus Christus hat uns aufgezeigt, dass menschliche Werte angesichts des göttlichen Willens keine oder nur bedingte Gültigkeit haben. Das würde ich aber nicht konservativ nennen, sondern es kann den konservativen Ansatz aufheben.

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Reinhard
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Reinhard »

Samuel hat geschrieben:Dieses Thema trage ich schon eine ganze Zeit mit mir herum. Nun hoffe ich, einen Titel gefunden zu haben, unter dem eine halbwegs sachliche Auseinandersetzung möglich ist.

Unter konservativer Religiosität verstehe ich folgendes: Gott offenbart sich. Diese Offenbarung ist in eindeutig fassbarer Form niedergelegt (v.a. eine heilige Schrift). Die gläubige Reaktion der Menschen besteht darin, die geoffenbarten Inhalte zu glauben bzw. nach den geoffenbarten Regeln zu leben.
Das ist ja nun ganz trickreich bei Jesus ...
(ich gehe hier jetzt mal nicht auf die historisch- kritische Exegese ein, sondern setze die patristische Lesart, und damit die Voll-gültigkeit der Inspiration voraus)

Einerseits steht Er ohne Abstriche hinter der Tradition - aber eben nicht in legalistischer, plump-wörtlicher Leseweise - andererseits bring Er das ganz Neue, noch nie dagewesene. Ich fürchte, mit der Kategorie "konservativ" kommen wir hier nicht weit.
Samuel hat geschrieben:Einen Idealtypus konservativer Religiosität sehe ich in Mohammed: Er empfängt und verkündet den Koran, eine exakte Kopie des Ur-Koran im Himmel. Die Reaktion der Moslems besteht im Gehorsam (Islam bedeutet Gehorsam.)

Jesus scheint nun recht schlecht in solch ein konservatives Schema zu passen: Im Gegensatz zu den Rabbinern ...

In gewisser Weise scheint Jesus konservativer Religiosität geradezu zu widersprechen: In der Begegnung mit ihm kann es passieren, dass man hört: "Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!" (Mk 10,21) So sendet er seine Jünger aus: "Steckt nicht Gold, Silber oder Kupfermünzen in euren Gürtel. Nehmt keine Vorratstasche mit auf den Weg, kein zweites Hemd, keine Schuhe, keinen Wanderstab." (Mt 10,9f) Während der konservative Religiöse sein sicheres Fundament hat, an dem er sich festhalten kann, verlangt Jesus, auf nichts auf der Erde sein Vertrauen zu setzen, sondern allein auf den himmlischen Vater.
Genau dies zeigt ganz deutlich, dass sich Jesus vom Konservativismus (jedweder Couleur !) nicht vereinnahmen lässt.

Die andere Seite hast Du hier allerdings nicht erwähnt: dass Jesus sich sehr wohl ohne Einschränkung hinter die ewig-Gültigkeit der Hl. Schrift (in Gestalt des Gesetzes) stellt:
Mt. 5:17-18 hat geschrieben:Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.
Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht.
Samuel hat geschrieben:Der konservative Christ kann sich also damit beruhigen, dass seine Überzeugungen ein breites Fundament in der Bibel haben und wird leicht Gründe finden, warum die harten Forderungen Jesu nicht für ihn gemeint sind.

Aber vielleicht kann man sich doch, bevor man unseren Papst dafür kritisiert, dass er nicht konservativ genug ist, fragen, ob er möglicherweise Jesus nachfolgt.
Das Problem sehe ich nicht in dem "Gründe finden" (im Gegenteil: "im Prinzip" sind konservative Geister eher streng, auch in ihrer eigenen Nachfolge !),
sondern vielmehr in der statischen Lesart der Hl. Schrift. Du beschriebst es so:
In der Begegnung mit ihm [Jesus] kann es passieren, dass man hört: "Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!" ...
usw. - lauter Dinge, die nicht in der tradierten Schrift stehen, und ganz sicher nicht verallgemeinerbar sind !
Aber genau diese Dinge spielen in der tatsächlichen Nachfolge (in ihrer Lebendigkeit und Individualität !) die entscheidende Rolle. Jesus sagt:
Joh. 16:13 hat geschrieben:Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.
Das führt zwangsläufig zu scheinbar "traditionswidrigen" Entscheidungen und Handlungsanweisungen.
(-> sh. Apg. bei Petrus mit den "unreinen Tieren" und bei Paulus mit seinem ständigen "der Geist führte uns ...")

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Samuel
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Samuel »

@Reinhard: Danke für deine ausführliche Antwort. Ich möchte zunächst auf diesen Teil eingehen:
Reinhard hat geschrieben:Die andere Seite hast Du hier allerdings nicht erwähnt: dass Jesus sich sehr wohl ohne Einschränkung hinter die ewig-Gültigkeit der Hl. Schrift (in Gestalt des Gesetzes) stellt:
Mt. 5:17-18 hat geschrieben:Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.
Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht.
Darf ich die Frage zurückgeben? Du brauchst ja nicht gerade mit mir der Meinung sein, dass dieser Satz von einem späteren Judenchristentum Jesus in den Mund gelegt wurde, aber du wirst doch vermutlich zugeben, dass der Satz durch den Umstand, dass Jesus nicht nur einzelne Buchstaben sondern ganze Gebote aufgehoben hat (und dadurch, dass die heidenchristliche Kirche fast das ganze Gesetz in die Tonne getreten hat) zumindest relativiert wird.
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Pilgerer
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Pilgerer »

Samuel hat geschrieben:Unter konservativer Religiosität verstehe ich folgendes: Gott offenbart sich. Diese Offenbarung ist in eindeutig fassbarer Form niedergelegt (v.a. eine heilige Schrift). Die gläubige Reaktion der Menschen besteht darin, die geoffenbarten Inhalte zu glauben bzw. nach den geoffenbarten Regeln zu leben.
Wie viele Christen leben denn nach den von dir genannten radikalen Vorbildern Christi? Diese stehen in der Bibel, also im Wort Gottes. Trotzdem beschränkt sich die christliche Ethik meist auf die "bürgerliche Ethik", die sich von der guten heidnischen Ethik nicht unterscheidet.
Samuel hat geschrieben:Jesus scheint nun recht schlecht in solch ein konservatives Schema zu passen: Im Gegensatz zu den Rabbinern seiner Zeit finden wir bei ihm und seinen Jüngern keine Schriftgelehrsamkeit.
Jesus ist die Torah! Warum soll er sich wie ein Schriftgelehrter benehmen, wo Er doch die Quelle der Schrift ist? Wenn du im Abendmahl oder in der Eucharistiefeier den Leib Christi isst, isst du die fleischgewordene Torah (Gesetz Gottes). Wenn Jesus im Herzen eines Menschen nun Platz nimmt, übernimmt er dort die Rolle, die im Judentum zuvor die Gesetzestafeln oder die Torah-Rollen übernahmen. Dass statt der Torah im katholischen Allerheiligsten nun der Leib Christi ist, zeigt doch, dass nun Jesus Christus an der Stelle der Schrift steht. Das ist der Unterschied des neuen zum alten Bund.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Reinhard
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Reinhard »

Auf der historisch-kritischen Ebene bin ich einfach nicht genug beschlagen, um da sinnvoll argumentieren zu können.

Wenn wir uns zu dieser Frage aber mal weiter umsehen, finden wir die "geistliche Fortgültigkeit des AT" genau so auch bei Paulus vertreten, speziell in Röm. 7 : "Wir wissen, dass das Gesetz selbst vom Geist bestimmt ist ..." - usw.
Von daher scheint es also kein allzu "späteres" Sondergut zu sein ... (mal ganz abgesehen von der Thesenhaftigkeit dieser Datierungsfragen !)

Dass die Heidenchristen das Gesetz nicht einhielten und auch nicht einzuhalten brauchten, folgt allein schon daraus, dass sie schlichtweg nicht Vertragspartner dieses Bundes waren (und sind): "Höre Israel, ...." - da beißt die Maus keinen Faden ab, alles andere wäre eine unzulässige "Übertragung" dieses Bundes.
Zuletzt geändert von Reinhard am Montag 9. Juni 2014, 21:24, insgesamt 1-mal geändert.

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taddeo
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von taddeo »

Samuel hat geschrieben:Jesus scheint nun recht schlecht in solch ein konservatives Schema zu passen: Im Gegensatz zu den Rabbinern seiner Zeit finden wir bei ihm und seinen Jüngern keine Schriftgelehrsamkeit. Für ihn hat die Hl. Schrift auch nicht die unanfechtbare Autorität wie für seine Zeitgenossen: Er scheut nicht davor zurück, ihr direkt zu widersprechen: (Schwurverbot, Scheidungsverbot). Er kennt höhere Werte als die Hl. Schrift: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. (Mk 2,27)
Entschuldige bitte den klaren Widerspruch, aber genau das scheint mir auf Jesus alles überhaupt nicht zuzutreffen. :hmm:

Wenn einer "schriftgelehrt" war, dann doch wohl Jesus? Er kannte die Schrift besser als alle Pharisäer und Schriftgelehrten zusammen, das hat er sie immer wieder deutlich erkennen lassen. Er zitierte nämlich nicht wie jene nur einzelne Sätze und/oder Vorschriften, sondern er stellte diese immer in den eigentlichen Sinnzusammenhang. Daraus kommen dann die Stellen, an denen er scheinbar der Schrift widerspricht; aber nicht der Schrift an sich, sondern nur deren inzwischen korrumpiertem Verständnis ("wegen eurer Hartherzigkeit ..."). Aber er sagt auch, daß kein Jota der Schrift vergehen wird, bis Himmel und Erde vergehen. Wenn das mal nicht "konservativ" ist ...
Für mich persönlich der absolute Schlüsselsatz für Jesu (und unser katholisches) Schriftverständnis ist im Emmaus-Evangelium formuliert: "Und er legte ihnen dar, ausgehend von Moses und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht." Jesus IST die Erfüllung der gesamten Schrift. Kein Satz darin hat einen geistlichen Sinn und Wert, wenn er nicht auf Christus hin gelesen und verstanden wird.

Allerdings ist auch zu berücksichtigen, daß eben nach dem ausdrücklichen Zeugnis des NT bei weitem nicht alles, was Jesus getan und gelehrt hat, auch schriftlichen Niederschlag gefunden hat, sondern durch die mündlichen Verkündigung der Apostel und der Kirche als "Tradition" auf uns gekommen ist. Das erklärt vielleicht den Eindruck, Jesus habe keine "systematische Lehre" hinterlassen. Wenn man unter "systematisch" ein Handbuch der Dogmatik versteht, dann stimmt das natürlich.

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Pit
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Pit »

Samuel,ich sehe es so wie taddeo,Jesus hat die Thora nicht aufgehoben - sie gilt immer noch- sondern erfüllt,ausgefüllt,durch sich selber zur Erfüllung/Vollendung gebracht.
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Edi
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Edi »

taddeo hat geschrieben: Jesus IST die Erfüllung der gesamten Schrift. Kein Satz darin hat einen geistlichen Sinn und Wert, wenn er nicht auf Christus hin gelesen und verstanden wird.
Eine ausgezeichnete Bemerkung, die auch von mir stammen könnte. Ich habe sinngemäß dasselbe einem Pastor mal vor Jahren geschrieben und dabei besonders auf den gekreuzigten Herrn hingewiesen. Jesus selber ist das fleischgewordene Wort Gottes, ohne IHN kann man die Schrift nicht verstehen. Ich habe heute zufällig eine kurze Diskussion von Bischof Kasper (damals war er noch nicht Kardinal) mit dem Märchenerzähler Drewermann gesehen, wo das auch deutlich zum Ausdruck kommt
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die Wahrheit aber muss die Bahn sich brechen.

Die meisten Leute werden immer schmutziger je älter sie werden, weil sie sich nie waschen.

Ralf

Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Ralf »

Jesus ist die Thora (Tora, Torah). Im eigentlichen und abschließenden Sinn. Deswegen kann er sie (=das Gesetz) auch nicht aufheben, sondern "nur" erfüllen, die Tora zur Fülle bringen. Dazu hat Papst Benedikt in seinem Jesus-Buch Band I bezugnehmend auf den Rabbiner Jacob Neusner einiges geschrieben.

Pollux
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Pollux »

ad_hoc hat geschrieben:Was sagt uns das?
Dass Jesus sich nicht in eine Schablone pressen lässt, wie man dies heutzutage gerne tut, sowohl in der Person und Gottheit Jesu, als auch in seiner Lehre.
Sie hat schon immer bestanden und sie wird bestehen über das Ende der Welt hinaus und in alle Ewigkeit. Zeiten, Gebräuche, sich ändernde Vorstellungen etc., können darin nichts ändern, höchstens verfälschen.
Der Papst kann nicht konservativ sein, nicht progressiv oder sonst was. Er muss die immer feststehende und unveränderbare Wahrheit erhalten, rein halten und unverändert bzw. unverfälscht verkünden.
Es kann nie die Rede davon sein, die Lehre und deren Auslegung den Zeiten und Menschen anzupassen, es kann immer nur darum gehen, die Menschen zur ewigen und sich nie verändernden Wahrheit hinzuführen.

Gruß, ad_hoc
Geht es Dir um den Papst, der irren kann, wie jeder Mensch oder geht es Dir um Jesus???

ad_hoc
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von ad_hoc »

Pollux

Mache mir bitte keine unnötige Arbeit.
Lies Dir doch bitte meinen von Dir oben zitierten Beitrag nochmals eingehend durch, und schließe dann anhand Deiner Dich bewegenden Fragen, sofern diese zu meinem Beitrag kompatibel sind, alleine aus, inwiefern etwas zutreffen kann oder auch nicht.

Dass der Papst irren kann, widerspricht nicht meiner Auffassung, dass der Papst den gelehrten Glauben als Grundlage seiner Worte und Handlungen anzunehmen hat, dies ungeachtet seiner jeweiligen persönlichen Tendenzen, welcher Art auch immer.

Was glaubst Du selbst? Geht es mir um Jesus?, geht es mir um den Papst?, geht es mir um etwas anderes?
Denke nach - und die Antwort wird Dir klar werden.

Gruß, ad_hoc ;)
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Bibelleser
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Bibelleser »


Vir Probatus
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Vir Probatus »

ad_hoc hat geschrieben:Was sagt uns das?
Dass Jesus sich nicht in eine Schablone pressen lässt, wie man dies heutzutage gerne tut, sowohl in der Person und Gottheit Jesu, als auch in seiner Lehre.
Sie hat schon immer bestanden und sie wird bestehen über das Ende der Welt hinaus und in alle Ewigkeit. Zeiten, Gebräuche, sich ändernde Vorstellungen etc., können darin nichts ändern, höchstens verfälschen.
Der Papst kann nicht konservativ sein, nicht progressiv oder sonst was. Er muss die immer feststehende und unveränderbare Wahrheit erhalten, rein halten und unverändert bzw. unverfälscht verkünden.
Es kann nie die Rede davon sein, die Lehre und deren Auslegung den Zeiten und Menschen anzupassen, es kann immer nur darum gehen, die Menschen zur ewigen und sich nie verändernden Wahrheit hinzuführen.

Gruß, ad_hoc


Jesus lässt sich also nicht in eine Schablone pressen, der Papst muss sich aber in die (Deine) Schablone pressen lassen ?
„Die Kirche will herrschen, und da muss sie eine bornierte Masse haben, die sich duckt und die geneigt ist, sich beherrschen zu lassen. Die hohe, reich dotierte Geistlichkeit fürchtet nichts mehr als die Aufklärung der unteren Massen.“ (J.W. von Goethe)

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Pit
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Pit »

ad_hoc hat geschrieben:Was sagt uns das?
Der Papst ...muss die immer feststehende und unveränderbare Wahrheit erhalten, rein halten und unverändert bzw. unverfälscht verkünden.

Gruß, ad_hoc
und ist deswegen schon - was die katholische Lehre betrifft - per se konservativ und das sogar wortwörtlich.
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ad_hoc
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von ad_hoc »

Vir Probatus:
Ich habe dich schon mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass Du ein Schwätzer bist, weil Du vor Deinen Antworten nicht überlegst und anscheinend auch keine Basis besitzt, welche Dich zu einer vernünftigen Antwort bzw. Frage befähigen würde.

Was glaubst Du denn, welche "Schablone" man gelten lassen könnte, die nicht von mir kommt, aber an die ich mich halte, so wie sich auch jeder Christ daran halten sollte?

Pit. Es tut mir leid. Aber mein erster Satz gilt auch für Dich, wenn auch höflicherweise etwas abgeschwächt. Obwohl ich diese Abschwächung aufgrund Deiner letzten Aussage hier eigentlich wieder zurücknehmen sollte.
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Samuel
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Samuel »

Erstmal herzliches Dankeschön für die vielen niveauvollen Beiträge - so macht Kreuzgang Spaß!
Und Bitte um Entschuldigung, dass ich nicht auf alle Beiträge so eingehen kann, wie sie es eigentlich verdienen, dazu fehlt mir einfach die Zeit (vielleicht nach und nach.)

Ich möchte noch einmal die Ausgangsfrage in Erinnerung rufen: War Jesus ein Konservativer - in dem Sinne, wie ich es im Eingangsposting versucht habe zu beschreiben.
Mir scheint, dass Aussagen wie "Jesus ist die Thora" oder "die geistliche Fortgültigkeit des AT" eher für als gegen meine Behauptung sprechen, dass Jesus kein Konservativer war.

Taddeo hat nun betont, dass Jesus die Erfüllung der Schrift ist. (Dem stimme ich voll und ganz zu.) Das Beispiel "Ehescheidung" zeigt auch gut, wie Jesus den ursprünglichen Sinn der Schrift wiederherstellt. Ich möchte als weiteres Beispiel "Jesus war kein Vegetarier" herausgreifen:
Schöpfung: Gen 1,29: Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.
Sintflut: Gen 9,3-4: Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen. Nur Fleisch, in dem noch Blut ist, dürft ihr nicht essen.
Später wurde noch einiges mehr ausgeschlossen (z.B. unreine Tiere Lev 11)

Welches ist nun der wahre Sinn dieser Vorschriften, den Jesus zur Erfüllung bringt? Man könnte etwa sagen, dass das Befolgen der Speisegebote dem Volk ein gewisses Gespür für Heiligkeit geben sollte. (Lev 19,2: Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig.) Dadurch, dass Jesus den wahren Weg zur Heiligkeit lehrt, erfüllt er den Sinn dieser Gebote und macht sie selbst überflüssig (Mk 7,19: Damit erklärte Jesus alle Speisen für rein.) Aber solch ein Verständnis kommt doch dem Nicht-Konservativen näher als dem Konservativen.

Soviel erstmal dazu. Man wird sicher nicht sagen können, dass Jesus unbekümmert um die Hl. Schrift sein eigenes Ding durchzog. (Mein Eingangsposting könnte diesen Eindruck erweckt haben - danke für die Korrektur.) Aber ich bitte auch zu beachten, wie unerhört das war, dass Jesus es wagte, dem Buchstaben des Gesetzes zu widersprechen.
Wer einen Menschen verurteilt, kann irren. Wer ihm verzeiht, irrt nie. (Heinrich Waggerl)

Lacrimosa
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Lacrimosa »

Das klingt so, als wäre näher zu beleuchten, was konservativ überhaupt bedeutet respektive bedeuten kann. Hier einmal ein kleiner Ausflug in die physikalische Wortbedeutung (Wiktionary): „[5] Physik: nur vom Anfangs- und Endpunkt, nicht jedoch vom Weg selbst abhängend.“

Jesus sagt, ich bin der Weg und die Wahrheit, und, Jesus geht einen anderen Weg. Zumindest einen anderen Weg als heutige Konservative, die sich gegebenen Werten mangels Alternativen zumeist „nur“ anhängen. Jesus geht an die Wurzel des Gesetzes; er lebt es vor, füllt es aus, so dass ihn der Weg dahin unabhängig und frei macht oder gemacht hat. Jesus erfüllt das Gesetzt aus Überzeugung und nicht, weil ihm Progressives suspekt wäre. Denn überzeugte ihn ein progressives Gesetzt, würde er es vermutlich genauso vollkommen ausfüllen. Im diesem Sinn ist Jesus ein Nicht-Konservativer.
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

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Protasius
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Protasius »

Lacrimosa hat geschrieben:Das klingt so, als wäre näher zu beleuchten, was konservativ überhaupt bedeutet respektive bedeuten kann. Hier einmal ein kleiner Ausflug in die physikalische Wortbedeutung (Wiktionary): „[5] Physik: nur vom Anfangs- und Endpunkt, nicht jedoch vom Weg selbst abhängend.“
Ist Christus vielleicht ein Kraftfeld?
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

Bibelleser
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Bibelleser »

Protasius hat geschrieben:
Lacrimosa hat geschrieben:Das klingt so, als wäre näher zu beleuchten, was konservativ überhaupt bedeutet respektive bedeuten kann. Hier einmal ein kleiner Ausflug in die physikalische Wortbedeutung (Wiktionary): „[5] Physik: nur vom Anfangs- und Endpunkt, nicht jedoch vom Weg selbst abhängend.“
Ist Christus vielleicht ein Kraftfeld?
Warum nicht ? Er bestand auf jeden Fall, bevor es Materie gab.

Pilgerer
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Pilgerer »

Samuel hat geschrieben:War Jesus ein Konservativer - in dem Sinne, wie ich es im Eingangsposting versucht habe zu beschreiben.
Mir scheint, dass Aussagen wie "Jesus ist die Thora" oder "die geistliche Fortgültigkeit des AT" eher für als gegen meine Behauptung sprechen, dass Jesus kein Konservativer war.
Die himmlische Ethik (Bergpredigt) ist natürlich nicht die bürgerliche. Zumeist driftet die christliche Ethik ins Bürgerliche ab. Die bürgerliche Ethik akzeptiert nur die Werte, die der Gesellschaft eine Ordnung und die Möglichkeit zum Wohlstand bietet. Das unterscheidet sich wenig von guten heidnischen Ethiken.
Die himmlische Ethik bewirkt eine Revolution im Einzelnen wie in der Gesellschaft, so wie es der christliche Glaube potentiell auch tut. Es ist ganz nützlich, mal das eine oder andere Wort Christi in der Bergpredigt zu befolgen und die starke Wirkung auf die Seele zu beobachten. Der christliche Glaube, wenn er richtig ist, wirkt in gleicher Weise, aber noch stärker als wenn jemand die ganze Bergpredigt einhalten würde. Darum ist der christliche Glaube, wenn er richtig geglaubt wird, absolut radikal in seiner Wirkung auf Seele und Gesellschaft. Denn wenn ich das Reich Gottes (Jesus Christus) wirklich in mich aufnehme, dann krempelt das mich durch und durch um, macht mich zu einem neuen Menschen mit neuen Gedanken, Worten und Taten.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Samuel
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Samuel »

Ich habe mir nun die einzelnen Antworten durchgeschaut und möchte dazu folgendes sagen:
Zum einen scheint mir der Begriff "konservativ" etwas unglücklich. Der theologische Konservativismus ist eine Reaktion auf die Aufklärung und schon von daher auf die Zeit Jesu nicht anwendbar. Für die gemeinte Sache passender wäre wohl ein Begriff wie "Offenbarungspositivismus" gewesen.
Zum anderen kann man Jesus sicher nicht in ein Schema zwängen. Letztlich geht es ja auch nicht um die Haltung Jesu sondern um die Haltung, die Jesus seinen Jüngern vermitteln wollte. Ich wollte die Fragestellung halt möglichst nahe an den Ursprung binden um eine biblische Diskussion zu ermöglichen.
Passender wäre also vielleicht ein Titel gewesen wie "Ist die von Jesus intendierte Haltung seiner Nachfolger ein Offenbarungspositivismus?"

Ich bin nach wie vor der Meinung, die gemeinte Sache in meinem Eingangsposting recht gut beschrieben zu haben. Sollte also jemand noch in diesem Thread antworten wollen, bitte ich darum, zumindest dieses durchzulesen.

Der stärkste biblische Einwand gegen meine These ist sicherlich Mt 5,18: "Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist." - Dies steht allerdings in Spannung dazu, dass Jesus selbst ganze Gebote aufgehoben hat.
Ich habe diese Frage anderswo bei Evangelikalen gestellt. Die beste Antwort dort lautete: Das Gesetz gilt tatsächlich weiter, aber nicht für uns, Christus hat uns vom Gesetz freigekauft (paulinische Rechtfertigungslehre...)
Wer einen Menschen verurteilt, kann irren. Wer ihm verzeiht, irrt nie. (Heinrich Waggerl)

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Jarom1
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Jarom1 »

Calvin (und damit auch die Westminster Confession of Faith, Kapitel 19) unterscheiden drei Aspekte des Gesetzes:
- Das Zeremonialgesetz
- Das juristische Gesetz
- Das moralische Gesetz, repräsentiert in den 10 Geboten
Während das Zeremonialgesetz und das juristische Gesetz im alten Bund an das Volk Israel bzw. dessen Staat geknüpft sind/waren, hat das moralische Gesetz unverändert Bestand.
Consciousness of sin, certainty of faith, and the testimony of the Holy Spirit

TillSchilling

Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von TillSchilling »

Interessante Diskussion, die du da angestossen hast, Samuel. Allein dein Eingangsposting liefert Stoff für eine ganze Reihe von Threads.
Samuel hat geschrieben: Der stärkste biblische Einwand gegen meine These ist sicherlich Mt 5,18: "Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist." - Dies steht allerdings in Spannung dazu, dass Jesus selbst ganze Gebote aufgehoben hat.
Hat Jesus wirklich Gebote aufgehoben? Die frühe Kirche - von der Vision Petri an - hat später das Zeremonialgesetz aufgehoben. Jesus hat diese Aufhebung des Zeremonialgesetz zum Beispiel im Gleichnis vom barmherzigen Samariter schon angekündigt. Aber geschehen ist sie doch nach Jesu Tod und Auferstehung. Also, wenn ich das richtig verstehe, nach der Erfüllung der Worte "bevor nicht alles geschehen ist". Wo ist die Spannung?

Samuel hat geschrieben: Ich habe diese Frage anderswo bei Evangelikalen gestellt. Die beste Antwort dort lautete: Das Gesetz gilt tatsächlich weiter, aber nicht für uns, Christus hat uns vom Gesetz freigekauft (paulinische Rechtfertigungslehre...)
Ich halte diese Aussage für falsch.

Christus hat uns erlöst vom Fluch des Gesetzes, Gal. 3,13 aber nicht vom Gesetz befreit in Sinne, dass Gottes Gesetz für uns nicht mehr gelten würde. Gottes Moralgesetz ist für uns natürlich genauso wie für jeden Menschen verbindlich.

heiliger_raphael
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von heiliger_raphael »

Hat er möglicherweise uns von der Bindung an das Gesetz befreit, während er eine neue Bindung an das Gesetz geschaffen hat?

Ich denke spontan daran, dass das alte Testament immer aus Sicht des Neuen Testaments gelesen werden soll, genau wie wir die alten Gesetze aus der Sicht der Gnade und des Kreuzestodes Christi betrachten.
Jesus befreite uns also nicht vom Gesetz und ließ uns in einen gesetzesfreien Raum, sondern er erneuerte zugleich die Gesetze, von denen er uns von vorher befreite, nun aus der Gnade.
Die Erfüllung des alten Gesetzes bzw seine Vollendung halte ich damit für notwendig, denn damit bestätigt er dessen grundsätzliche Richtigkeit. Er erkennt sie an, erfüllt sie, und bringt eine neue Sicht auf die Gesetze, durch die sie bestätigt und aus einer neuen Bedeutung heraus betrachtet werden können.

TillSchilling

Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von TillSchilling »

Die Frage ist wohl wirklich was unter dem Begriff Gesetz jeweils zu verstehen ist. Jarom1 hat es ja geschrieben: wir unterscheiden drei verschiedene Typen Gesetz. Diese dreifache Unterteilung des Gesetzes haben übrigens nicht die Reformierten erfunden:
Die Unterteilung des offenbarten, schriftlichen Gesetzes Gottes, das wir in der Heiligen Schrift finden, in Moral-, Zeremonial- und Zivilgesetz, ist eine alte Tradition, von der Johannes Calvin sagen kann, sie sei im Zeitalter der Reformation eine »gewohnte Einteilung«:


Es ergab sich dann die Frage, woher diese klassische Dreiteilung stammt.

Thomas von Aquin hat diese Dreiteilung in seiner Summa Theologica, nennt aber explizit den Kirchenvater Augustinus als Autorität. 1

Die Dreiteilung ist sicherlich ganz klar altkirchlich.

Augustinus unterschied zumindest klar zwischen einem »moralischen« und einem »symbolisch« Gesetz, wobei er unter dem »symbolischen« das (Zeremonialgesetz) versteht, das mit dem Kommen der Realität Christi hinfällig geworden ist. 2

Tertullian unterscheidet zwischen einem »Naturgesetz« und einem levitischen, priesterlichen Gesetz. Aber auch innerhalb des offenbarten Gesetzes kennt er Unterscheidungen zwischen Elementen, die später respektive als »moralisch« und als »zivil« bezeichnet wurden. 3

Und schließlich finden wir auch bei Justin dem Märtyrer, den Anklang einer Dreiteilung des Gesetzes. 4

Interessant ist auch, dass das Frühjudentum diese Unterscheidungen ebenfalls kannte. Dort bezog man sich etwa auf die Stelle in 5. Mose 6,1:


Und man verstand Gebot (mizvah), Satzungen (choqim) und Rechtsbestimmungen (mischpatim) als Moral, Zeremonial- und Zivilrecht respektive.

Unterscheidungen sehen wir in der Schrift an allen Ecken und Enden. Wichtige Stellen sind die innerbiblischen »Gesetzkritiken«, z.B. 1. Samuel 15,22:


Und ähnlich Hosea 6,6:


Hier sehen wir, wie schon innerhalb des Alten Testamentes verstanden wurde, dass das Zeremonialgesetz nicht unbedingt das höchste und endgültige ist. So wird dies auch im Neuen Testament verstanden, wenn wir von dem besseren Bund mit den besseren Zeremonien hören (z.B. Hebräer 9,1-16, vgl. den ganzen Hebräerbrief) oder auch davon, dass das »Beschnitten sein« nichts ist »und unbeschnitten sein ist auch nichts, wohl aber Gottes Gebote halten.« (1Kor 7,19; vgl. daneben auaquch Mt 5,17-48; Mt 19,18-19; Röm 13,9).

Die Dreiteilung des Gesetzes Gottes ist also ein biblisches und altkirchliches Konzept.

Fußnoten:

Thomas von Aquin, Summa Theologica, 2a, Frage 99, Art. 4 ↩
Augustinus, Contra Faustum Manichaeum, 6.2 ↩
Tertullian, Gegen Marcion, 2.17 und Gegen die Juden, Kap. 2 und 5. ↩
Justin, Dialog mit dem Juden Trypho, keine Seitenangabe ↩


http://www.serk-heidelberg.de/211/1/d ... -gesetzes/

Pilgerer
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Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von Pilgerer »

heiliger_raphael hat geschrieben:Hat er möglicherweise uns von der Bindung an das Gesetz befreit, während er eine neue Bindung an das Gesetz geschaffen hat?

Ich denke spontan daran, dass das alte Testament immer aus Sicht des Neuen Testaments gelesen werden soll, genau wie wir die alten Gesetze aus der Sicht der Gnade und des Kreuzestodes Christi betrachten.
Jesus befreite uns also nicht vom Gesetz und ließ uns in einen gesetzesfreien Raum, sondern er erneuerte zugleich die Gesetze, von denen er uns von vorher befreite, nun aus der Gnade.
Die israelitische Bundeslade mit den 10 Geboten des Sinai befindet sogar noch in den Händen der christlichen Kirche, nämlich in Äthiopien. Sie sollte also noch eine Rolle spielen. Doch zugleich hat Gott für Christen eine neue Art von Bundeslade geschaffen: sie enthält nun nicht mehr die steinernen Tafeln, sondern den Leib Christi. So wie die Steintafeln Inkarnationen des Logos waren, ist es Jesus, aber in besserer Form. Denn Jesus kann unsere persönliche Sprache sprechen, uns den Willen Gottes auf eine Weise nahe bringen, die uns verständlicher ist als die teils hart und unwirklich wirkende Form der schriftlichen Gesetze.
Gott will immer mehr als der Wortlaut der Gesetze sagt. Wenn es heißt, "Du sollst nicht töten", ist damit nicht nur die Enthaltung vom Töten gemeint, sondern dazu kommt auch die Enthaltung vom gedanklichen und verbalen Töten. Dazu gehört auch aktiv die Förderung des Lebens der Mitmenschen. Denn wo wir nicht Handlungen und Worte des Lebens praktizieren, lassen wir dem seelischen Tod Macht und Raum.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

TillSchilling

Re: War Jesus ein Konservativer?

Beitrag von TillSchilling »

Hallo Samuel :huhu: :huhu:

Schreibst Du noch was? Oder ist das Thema aus deiner Sicht zu Genüge diskutiert?

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