Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Samuel
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Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Samuel »

Die Frage ist m. E. eine Diskussion wert, da ich die entsprechende Meinung schon öfters hier im Kreuzgang gelesen habe, während mein eigener Eindruck eher dahin geht, dass die HKM die Botschaft verschärft. Dazu ein Beispiel:

Mt 10,10: "Nehmt keine Vorratstasche mit auf den Weg, kein zweites Hemd, keine Schuhe, keinen Wanderstab..."
Mk 6,8f: "und er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen.
Joachim Gnilka schreibt dazu: "Mk 6,8f konzediert sekundär den Stab und die Sandalen." (Jesus von Nazareth, Freiburg 1993, S. 176)
Das heißt, die ursprüngliche Anweisung Jesu ist eher in Mt 10 zu finden, während Mk 6 eine spätere Situation wiederspiegelt, in der es sich die Gemeinde schon etwas leichter gemacht hat (so wie wir es uns heute noch leichter machen - in heutigen Aussendungsanweisungen für Priester oder Gemeindereferentinnen steht gar nichts mehr davon, was man nicht mitnehmen soll).

Dies wie gesagt ein Beispiel für Verschärfung. Weitere Beispiele (natürlich auch solche, die in Richtung Verwässerung gehen) sind hier herzlich willkommen - bitte mit möglichst genauen Herkunftsangaben.
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Reinhard
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Reinhard »

Von der real existierenden Predigtpraxis her sehe ich ein erhebliches Giftpotential in der hist-kritischen Exegese.

Ein Beispiel: die Heilungs"erzählung", des blinden Bartimäus (Mk. 10:46ff) ... Jesus habe ihn "natürlich" nicht wirklich (im medizinischen Sinne) von Blindheit geheilt, sondern man müsse das rein "theologisch" verstehen. (was offenbar als Synonym zu "mythologisch" verstanden wird ...)

Solche Klöpse habe ich regelmäßig gehört, von verschiedenen Pfarrern. Im Grunde ist dies wohl eine Edelform von Unglauben - wenn ich es richtig verstehe.
Selbst, wenn dies ein nicht beabsichtigtes Missverständnis sein sollte, ist dies die Kernaussage, die beim durchschnittlichen Kirchenvolk ankommt.

Grundsätzlich sehe darin zwei Probleme:
1.) es wird implizit das Dogma der Aufklärung als gültig akzeptiert, dass die Vernunft den Primat über alles andere habe, im Zweifel auch über die Offenbarung, und
2.) die Vorgehensweise ist methodisch unsauber in soweit, dass die hist-kritische Forschung auf diversen Hypothesen basiert, die aber in der homiletischen Praxis als gesicherte Tatsachen gehandelt werden.

Der hist-kritischen Herangehensweise wird in der Praxis also eine Autorität zugesprochen, die sie nicht hat.
Für mich habe ich es mal so formuliert: die hist-kritische Exegese liefert interessante Hintergrundinformationen für die Exegese, aber um gültige Antworten zu erhalten, bedarf es der patristischen Exegese. (neben dem Gebet natürlich !)

- Dies vielleicht als mein "Quasi-Leitwort" zum Thema, als Stimme eines angehenden Teil-Theologen. -

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marcus-cgn
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von marcus-cgn »

Als ich vor einiger Zeit nach Köln kam habe ich beinahe täglich die hl. Messe bei einem Pater gehört, der konsequent nach der histor. krit. Exegese gepredigt hat und ich muss gestehen dass ich seine Worte aufgesaugt habe wie ein trockener Schwamm das Wasser. Was wahrscheinlich auch daran lag, dass ich von daheim nur sehr bibelferne Predigten kannte. Man merkte allerdings, dass der Pater mit beiden Beinen fest im Glauben stand und die hkE nicht verwenden wollte um die katholische Dogmatik auf den Kopf zu stellen. Auf die Intention die mit der Auslegung verknüpft wird kommt es entscheidend an.

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taddeo
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von taddeo »

marcus-cgn hat geschrieben:Auf die Intention die mit der Auslegung verknüpft wird kommt es entscheidend an.
Wie man bestens bei zahllosen Predigten von Joseph Ratzinger erleben konnte.

Ralf

Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Ralf »

Das Problem ist nicht die HKM, diese produziert wissenschaftliche Hypothesen, nicht mehr, nicht weniger (wie jede historische Geisteswissenschaft).

Das Problem sind die weniger gut geschulten Rezipienten derselben - nicht selten Priester (NT-ler gibt es nicht zu oft unter ihnen).

Ich habe mal eine Predigt über die Kindheitsgeschichte des Lk gehört (Jesus als 12jähriger im Tempel), die mit dem Satz begann (sinngemäß): das, was hier berichtet wird, ist nie so passiert!

Bei solchen Aussagen kann ich ob der Unwissenschaftlichkeit nur den Kopf schütteln (der betroffene Priester hat übrigens kurze Zeit später sein Amt in der Kirche niedergelegt).

Ich habe übrigens noch keine wirklich überzeugenden Argumente gehört - beschäftige mich ab und an mit der neutestamentlichen Propädeutik - warum die Autorenangaben des NT von Bischof Papias von Hierapolis falsch sein sollen. Und ich habe da schon Standardwerke der dtsprachigen HKM gelesen, wie bspw. von der Neuen Echter Bibel die betreffenden Bände von Broer.

Didymus
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Didymus »

Die historisch-kritische Exegese verwässert die biblische Botschaft dann, wenn sie sich selbst absolut setzt und - entgegen jeder wissenschaftlichen Gepflogenheit - zu einer Art Dogma erstarrt.
Zur Wissenschaft - und dazu zählt sich die historisch-kritische Exegese - gehören einige Grundprinzipien, darunter auch die prinzipielle Falsifizierbarkeit wissenschaftlicher Thesen. Dagegen scheinen sich aber viele Vertreter der h.-k. E. zu sperren. Thesen wie die Spätdatierung der NT-Texte, den Einfluß von anonymen Gemeinden auf den konkreten Inhalt der Evangelien usw. werden nicht mehr hinterfragt sondern als unumstößliche Tatsachen vorausgesetzt.

Hinzu kommt eine teilweise gewagte Methodik: So werden bestimmte Paulusbriefe als unecht klassifiziert, weil sie stilistisch von anderen Paulusbriefen abweichen. Dies auf die deutsche Literaturwissenschaft angewandt würde bedeuten, z.B. auch den "Faust" als unecht anzusehen und Goethes Urheberschaft zu bezweifeln, denn der Stil des "Faust" unterscheidet sich signifikant von allen andern Schriften Goethes.

Die h.-k. E. ist sinnvoll und kann fruchtbar sein, wenn sie sich ihrer methodischen und inhaltlichen Grenzen bewußt ist. Vgl. dazu Joseph Ratzinger: Jesus von Nazareth, 3 Bde oder Klaus Berger: Die Bibelfälscher.
(Ich habe vor ein paar Jahren noch ein anderes gutes Buch zu diesem Thema gelesen, der Titel fällt mir momentan nicht ein, werde ihn bei Gelegenheit nachreichen.)

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Athanasius0570
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Athanasius0570 »

Da die historisch-kritische Exegese nicht die kanonische Auslegerin der Bibel ist, kann sie die Botschaft auch nicht verwässern.
Das tun nur die, die meinen, die Botschaft sei das, was die historisch-kritische Exegese als Ergebnis präsentiert.

Es ist im Grunde egal, ob das was in der Bibel berichtet wird, so geschehen ist oder nicht. Es geht ja nicht um ein historisches Geschehen sondern um die Botschaft. Und die kann mit der "2. Naivität" besser erkannt werden als mit fachwissenschaftlichen Methoden.
Freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlass! Dankt für alles; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus. (1 Thess 5, 16-18)

Ralf

Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Ralf »

Athanasius0570 hat geschrieben:Es ist im Grunde egal, ob das was in der Bibel berichtet wird, so geschehen ist oder nicht.
Nein! Es ist nicht egal. Niemals!

(Oder paraphrasierst Du damit die HKM?)
Es geht ja nicht um ein historisches Geschehen sondern um die Botschaft.
Auch falsch. Aber so was von.

Lilaimmerdieselbe
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Lilaimmerdieselbe »

Ich habe gelernt, dass die historisch-kritische Methode eine philologische Methode ist. Die Frage nach der historischen Wahrheit sei damit nicht zu beantworten. Hat mir eingeleuchtet.

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Athanasius0570
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Athanasius0570 »

Ralf hat geschrieben:
Athanasius0570 hat geschrieben:Es ist im Grunde egal, ob das was in der Bibel berichtet wird, so geschehen ist oder nicht.
Nein! Es ist nicht egal. Niemals!

(Oder paraphrasierst Du damit die HKM?)
Es geht ja nicht um ein historisches Geschehen sondern um die Botschaft.
Auch falsch. Aber so was von.
Willst du damit sagen, dass alles, was in der Bibel steht so geschehen ist??
Freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlass! Dankt für alles; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus. (1 Thess 5, 16-18)

Didymus
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Didymus »

Lilaimmerdieselbe hat geschrieben:Ich habe gelernt, dass die historisch-kritische Methode eine philologische Methode ist. Die Frage nach der historischen Wahrheit sei damit nicht zu beantworten. Hat mir eingeleuchtet.
Die h.-k. Exegese besteht aus vielen Methoden, die größtenteils philologischer Art sind, z.B. Textkritik, Textanalyse, Versuche, die Quellen des Textes herauszufinden, Begriffsgeschichte u.m.

Und was die Frage nach der historischen Wahrheit angeht, so versucht man z.B. herauszufinden, welche Jesuworte "echt" sind, also tatsächlich von ihm stammen und welche angeblich nicht. Wenn also ein Vertreter der h.-k. E. behauptet, diese oder jene Worte habe Jesus nicht selbst gesagt, sie seien ihm vielmehr lang nach seinem Tod von einem anonymen Autorenkollektiv zur Stützung einer bestimmten "Gemeindetheologie" in den Mund gelegt worden, so erhebt er in diesem Teilbereich doch Anspruch auf die historische Wahrheit.

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overkott
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von overkott »

Athanasius0570 hat geschrieben:Da die historisch-kritische Exegese nicht die kanonische Auslegerin der Bibel ist, kann sie die Botschaft auch nicht verwässern.
Das tun nur die, die meinen, die Botschaft sei das, was die historisch-kritische Exegese als Ergebnis präsentiert.

Es ist im Grunde egal, ob das was in der Bibel berichtet wird, so geschehen ist oder nicht. Es geht ja nicht um ein historisches Geschehen sondern um die Botschaft. Und die kann mit der "2. Naivität" besser erkannt werden als mit fachwissenschaftlichen Methoden.
Man kann ein Gleichnis nicht mit Hammer und Meißel untersuchen. Das ist sicher richtig.

Ralf

Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Ralf »

Athanasius0570 hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben:
Athanasius0570 hat geschrieben:Es ist im Grunde egal, ob das was in der Bibel berichtet wird, so geschehen ist oder nicht.
Nein! Es ist nicht egal. Niemals!

(Oder paraphrasierst Du damit die HKM?)
Es geht ja nicht um ein historisches Geschehen sondern um die Botschaft.
Auch falsch. Aber so was von.
Willst du damit sagen, dass alles, was in der Bibel steht so geschehen ist??
Nein, das will ich nicht.

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Samuel
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Samuel »

Ich versuche einmal, Gnilka zu referieren:

Die Versuche, ein Leben Jesu zu schreiben, muss man als gescheitert ansehen.

Rudolf Bultmann hat die Rückfrage nach dem historischen Jesus für völlig unwichtig erklärt. Entscheidend ist die jetzt geschehende Verkündigung (Kerygma).

Gnilka hält dagegen, dass unser Glaube sich auf ein historisches Geschehen bezieht und deswegen an dem historischen Geschehen nicht uninteressiert sein darf. Er will hypothesenhaft unter Offenlegung der Kriterien Informationen über den historischen Jesus gewinnen. Wesentliche Kriterien sind:
- Unähnlichkeit: Was neu ist und nicht als Gemeindebildung erklärbar
- Kohärenz: Wenn die Worte mit Taten Jesu übereinstimmen (Umgang mit Zöllnern und Sündern)
- Was wegen Härte in späteren Quellen korrigiert/weggelassen wird („Der Sabbat ist für den Menschen da“ bei Mk, nicht Mt/Lk)
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Didymus
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Didymus »

Ein weiteres Buch, das sich mit Fragen der h.-k. E. beschäftigt: Karl Jaroš; Ulrich Victor: Das neue Testament: Wann? Wer? Wo? Was? Sankt Ulrich Verlag.

Die Autoren widersprechen u.a. darin überzeugend der sogenannten "Zweiquellentheorie", wonach Matthäus und Lukas von Markus abhängig sein sollen (z.B. mit dem Argument, daß Markus ein weit besseres Griechisch verwende als Lukas und vor allem Matthäus).

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Athanasius0570
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Athanasius0570 »

Ralf hat geschrieben:
Athanasius0570 hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben:
Athanasius0570 hat geschrieben:Es ist im Grunde egal, ob das was in der Bibel berichtet wird, so geschehen ist oder nicht.
Nein! Es ist nicht egal. Niemals!
(Oder paraphrasierst Du damit die HKM?)
Es geht ja nicht um ein historisches Geschehen sondern um die Botschaft.
Auch falsch. Aber so was von.
Willst du damit sagen, dass alles, was in der Bibel steht so geschehen ist??
Nein, das will ich nicht.
Und inwiefern ist es dann für die christliche Botschaft entscheidend, ob ein in der Bibel berichtetes Ereignis historisch ist oder nicht?
Freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlass! Dankt für alles; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus. (1 Thess 5, 16-18)

Pilgerer
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Pilgerer »

Didymus hat geschrieben:Ein weiteres Buch, das sich mit Fragen der h.-k. E. beschäftigt: Karl Jaroš; Ulrich Victor: Das neue Testament: Wann? Wer? Wo? Was? Sankt Ulrich Verlag.

Die Autoren widersprechen u.a. darin überzeugend der sogenannten "Zweiquellentheorie", wonach Matthäus und Lukas von Markus abhängig sein sollen (z.B. mit dem Argument, daß Markus ein weit besseres Griechisch verwende als Lukas und vor allem Matthäus).
Ich würde den apostolischen und Kirchenvätern immer den Vorzug vor modernen Bibelwissenschaftlern geben, denn erstere sind historisch näher dran an der Zeit Christi und damit noch wesentlich näher dran an der "Quelle". Die Schüler der Apostel, die erste nachbiblische Schriften hinterließen, waren keine Phantasierer, sondern intelligente, authentische und integere Personen, die die historische Wahrheit kannten und sie vermitteln. Die Zweiquellentheorie macht auf mich einen überaus künstlichen, sterilen Eindruck, die weit abgehoben von der historischen Realität im theologischen Reagenzglas zusammen gemischt wurde. Sie wird auf eine dogmatische Art und Weise vermittelt, dass das fast schon eine Religion für sich ist ...
Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht müsste die Zeit Jesu im Land Israel als "weißer Fleck" auf der Landkarte gelten. Man weiß einfach nicht, was dort geschah. Das zu bekennen, ist aus wissenschaftlicher Sicht eigentlich der ehrlichste Weg.
Athanasius0570 hat geschrieben:
Und inwiefern ist es dann für die christliche Botschaft entscheidend, ob ein in der Bibel berichtetes Ereignis historisch ist oder nicht?
Entscheidend ist, ob die Bibel Gottes Wort ist oder nicht. Wenn sie Gottes Wort ist, muss ein historisch unkorrekter Bericht dennoch auf andere heilige Weise wahr sein. So etwas die vier Varianten der Kreuzigungsszene, die nicht alle vier zugleich historisch korrekt sein können. Die Matthäus-Geschichte könnte eine Veranschaulichung der geistigen Vorgänge sein, während Markus und Johannes die historisch sichtbaren Ereignisse schilderten.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Reinhard
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Reinhard »

Athanasius0570 hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben:
Athanasius0570 hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben:
Athanasius0570 hat geschrieben:Es geht ja nicht um ein historisches Geschehen sondern um die Botschaft.
Auch falsch. Aber so was von.
Willst du damit sagen, dass alles, was in der Bibel steht so geschehen ist??
Nein, das will ich nicht.
Und inwiefern ist es dann für die christliche Botschaft entscheidend, ob ein in der Bibel berichtetes Ereignis historisch ist oder nicht?

Lassen wir mal grundsätzlich die offensichtlich "literarischen" Teile der Bibel außen vor ... (denn die stehen ja offensichtlich bei der Frage der Historizität außer Betracht)


Bei ausdrücklich mit dem Anspruch der Historizität formulierten Texten ist das anders: Wenn das Lukas-Evangelium mit einem
"Nun habe auch ich mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben. ..."
auftritt, dann sind die Fragen der Wahrheit, der Glaubwürdigkeit und der Historizität allerdings dort sehr wohl untrennbar miteinander verknüpft.
An dieser Stelle, oder wenn sich Paulus auf die 500 Zeugen der Auferstehung beruft, dann wird der Rückzug eines Rudolf Bultmann auf die reine "Verkündigung" hier sehr wohl zu einer vornehmen Form von Unglauben. Denn wir glauben nämlich gerade nicht an einen Märchen-Gott, sondern an den Auferstandenen, der nicht nur "im Kerygma", sondern sehr wohl ganz real lebt. - immerhin so real, dass Seine Wunder zur Anerkennung einer objektiv-wissenschaftlichen Untersuchung standhalten müssen. (z.B. bei einer Heiligsprechung)

Genau hier zeigt sich die Falle, die ich oben schon angesprochen habe.
Davon unberührt bleibt durchaus die Frage, ob nicht von den Bearbeitern / Überlieferern der "ipsissima verba Iesu" das eine oder andere Wort entschärft wurde. - das ist natürlich sehr wohl möglich, bezieht sich aber dann auf konkrete Details, und nicht auf die grundsätzliche Historizität der Ereignisse.

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Niels
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Niels »

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Reinhard
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Reinhard »

Solche polemisch-biblizististischen Statements von evangelikal-fundamentalistischer Seite sind für die wissenschaftliche Diskussion nicht wirklich hilfreich ...
Sie verleiten allenfalls zu der Annahme, man müsse schon ein Hardcore-Biblizist sein, um an die Historizität biblischer Aussagen glauben zu können.

Ich würde gerne bei einer soliden, ernsthaften Diskussion auf der Basis der katholischen Lehre des vierfachen Schriftsinns bleiben wollen.
(Wir sind hier immerhin im "Scriptorium !)

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Niels
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Niels »

Reinhard hat geschrieben:Solche polemisch-biblizististischen Statements von evangelikal-fundamentalistischer Seite sind für die wissenschaftliche Diskussion nicht wirklich hilfreich
Wieso nicht? Ein bißchen Polemik darf doch sein. Lies mal Deine eigenen Beiträge hier im Forum in puncto Polemik durch... ;) :pfeif: 8)
Was stört Dich genau und warum? :detektiv:
Wenn jemand Ahnung von "historisch-kritischer Exegese" hat, dann doch wohl Frau Prof. Dr. Linnemann als habilitierte Neutestamentlerin ...
Wissenschaftlichkeit wirst Du ihr kaum absprechen wollen, oder etwa doch?
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Reinhard
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Reinhard »

Eine Trotzreaktion auf Rudolf Bultmann ist wohl keine gute Basis für Wissenschaftlichkeit ... :blinker:

Wenn wir Autoren in dieser Richtung suchen, dann würde ich eher an David Trobisch denken, mit seiner "Entstehung der Paulusbriefsammlung" oder seiner Habilitationsschrift zur "Endredaktion des NT" ...
(Auf ihn bin ich durch seinen Beitrag "Entstehung des NT" in "Bibel heute" 1/2001 aufmerksam geworden. Das war offenbar ein Excerpt aus seiner Habil.-Schrift.)
Zuletzt geändert von Reinhard am Mittwoch 28. Mai 2014, 22:38, insgesamt 1-mal geändert.

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Niels
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Niels »

Dein Beitrag ist keine wirkliche Antwort auf meine Frage. :blinker:
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Reinhard
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Reinhard »

Sich auf solch ein Pamphlet einzulassen ist ein Fass ohne Boden:
es würde das Thema dieses Stranges völlig entführen, denn ich müsste den Biblizismus als solchen widerlegen, müsste den 4-fachen Schriftsinn gegen die "Sola Scriptura" verteidigen, müsste auf die Biografie von E. Linnemann eingehen und dabei ganz nebenbei das individualistische Bekehrungsverständnis der Evangelikalen widerlegen, gegen das integrale Erlösungsverständnis der katholischen Lehre, und würde schließlich doch nur dafür von irgend jemandem hier dafür zerrissen ...

Kurz: es führt hier zu nichts. Und nein, dieser Beitrag von E. Linnemann, zumal in seiner verkürzten Wiedergabe, ist nicht wissenschaftlich.

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Niels
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Niels »

Gehen wir mal in medias res. Vergiß mal das Vorwort. Interessant für uns wird's ab S. 12.
(http://bitflow.dyndns.org/german/EtaLin ... g_1999.pdf)
Iúdica me, Deus, et discérne causam meam de gente non sancta

Bibelleser
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Bibelleser »

Didymus hat geschrieben:Ein weiteres Buch, das sich mit Fragen der h.-k. E. beschäftigt: Karl Jaroš; Ulrich Victor: Das neue Testament: Wann? Wer? Wo? Was? Sankt Ulrich Verlag.

Die Autoren widersprechen u.a. darin überzeugend der sogenannten "Zweiquellentheorie", wonach Matthäus und Lukas von Markus abhängig sein sollen (z.B. mit dem Argument, daß Markus ein weit besseres Griechisch verwende als Lukas und vor allem Matthäus).
Wie bitte ??? Hast du dieses Argument versehntlich falsch widergegeben?
Das Griechisch des Markus-Evangeliums ist doch unglaublich einfach, geradezu primitiv. Der Stil ist schlecht. Dagegen schreibt Lukas ein gebildetes Griechisch.
Ich habe Griechisch im Gymnasium gelernt und unser Lehrer vertrat auch die These, dass das Markus-Evangelium urspränglich auf Lateinisch geschrieben worden war und nur der Harmonie wegen von einer ziemlichen Griechisch-Niete schnell übersetzt wurde. Stichwort Paul-Louis Couchoud.

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Niels
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Niels »

Im Prolog hat Lukas alle Register gezogen und gezeigt, dass er sprachlich was draufhat, und sich in eine Reihe mit Thukydides u.a. gestellt (Litteraturtip: http://www.armin-baum.de/wp-content/upl ... -19921.pdf). Das ist umso bemerkenswerter, da er sich ansonsten sehr zurücknimmt und eben nicht großartig "redigiert".
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Niels
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Niels »

Reinhard, wirst Du Armin Daniel Baum, den ich hier im Forum schon mehrfach zitiert habe, auch Unwissenschaftlichkeit unterstellen? :detektiv:
Iúdica me, Deus, et discérne causam meam de gente non sancta

ad_hoc
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von ad_hoc »

Du wirst keine sachlichen Antworten mehr bekommen, Niels, nur noch Ausflüchte. ;)
quidquid cognoscitur, ad modum cognoscentis cognoscitur (n. Thomas v. Aquin)

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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Reinhard »

Niels hat geschrieben:Im Prolog hat Lukas alle Register gezogen und gezeigt, dass er sprachlich was draufhat, ...
Wenn Du dieses Argument gegen mich anbringen willst, kämpfst Du eindeutig in der falschen Richtung, denn ich habe oben selber die Historizität der lukanischen Schriften ausdrücklich verteidigt !

Im Übrigen zeichnest Du mit Deinen "Litteraturtips" nur die Auseinandersetzung zwischen evangelikalen Christen (mit ± biblizistischem Ansatz) und landeskirchlichen Protestanten (mit eindeutig aufklärungsbasierter, praktisch beliebiger "Theologie") nach.

Für uns Katholiken ist dieses Thema aber längst, spätestens mit "Dei Verbum" beantwortet, lehramtlich geklärt und ausgestanden.

Didymus
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Didymus »

Bibelleser hat geschrieben:
Didymus hat geschrieben:Ein weiteres Buch, das sich mit Fragen der h.-k. E. beschäftigt: Karl Jaroš; Ulrich Victor: Das neue Testament: Wann? Wer? Wo? Was? Sankt Ulrich Verlag.

Die Autoren widersprechen u.a. darin überzeugend der sogenannten "Zweiquellentheorie", wonach Matthäus und Lukas von Markus abhängig sein sollen (z.B. mit dem Argument, daß Markus ein weit besseres Griechisch verwende als Lukas und vor allem Matthäus).
Wie bitte ??? Hast du dieses Argument versehntlich falsch widergegeben?
Das Griechisch des Markus-Evangeliums ist doch unglaublich einfach, geradezu primitiv. Der Stil ist schlecht. Dagegen schreibt Lukas ein gebildetes Griechisch.
Ich habe Griechisch im Gymnasium gelernt und unser Lehrer vertrat auch die These, dass das Markus-Evangelium urspränglich auf Lateinisch geschrieben worden war und nur der Harmonie wegen von einer ziemlichen Griechisch-Niete schnell übersetzt wurde. Stichwort Paul-Louis Couchoud.
Nein, ich hab das genau so in Erinnerung. Allerdings habe ich dieses Buch gerade nicht zur Hand, kann aber bei Gelegenheit noch mal nachschauen. Das wird allerdings noch einige Tage dauern. Vielleicht findet sich dort auch weiterführende Fachliteratur.
Mir ist diese interessante These einfach in Erinnerung geblieben, da sie auch völlig neu für mich war. Ich bin allerdings kein Experte und kann hier nichts Fachliches dazu beitragen.
Von einem der Autoren (Ulrich Victor) weiß ich, daß er an der Theologischen Fakultät der HU Berlin Lehrbeauftragter für Griechisch und Latein war und dort Sprachkurse und Lektüreübungen zum Neuen Testament gegeben hat.

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Samuel
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Re: Verwässert die historisch-kritische Exegese die Botschaft?

Beitrag von Samuel »

Niels hat geschrieben:Litteraturtip: http://bitflow.dyndns.org/german/EtaLin ... g_1999.pdf
Vielen Dank, Niels, für diesen Text, der hervorragend zum Thema passt.
Der Text verdient es, besonders hervorgehoben zu werden, was ja Reinhard dankenswerterweise schon getan hat.
Eine Theologieprofessorin, die sich bekehrt - das ist schon ein ziemlich dicker Fisch!
Vieles von dem, was Frau Prof. Linnemann schreibt, kann ich aus eigener Erfahrung nachvollziehen.
Wir Seminaristen waren damals gegen die Theologie ziemlich immun, aber von zwei Kurskolleginnen weiß ich, dass sie vom Glauben abgefallen sind. (Eine davon ist wieder zurückgekommen und zwar - man denke! - durch Karl Rahner.)
Für mich war der absolute Anspruch, den das Wort Gottes an mich stellt immer bestimmend. Die Einordnung der Bibel in den größeren Rahmen der Theologie wirkte da entspannend auf mich - durchaus in einem unheilvoll verharmlosenden Sinn. Ich habe vor dem Theologiestudium mehr in der Bibel gelesen.
Wer einen Menschen verurteilt, kann irren. Wer ihm verzeiht, irrt nie. (Heinrich Waggerl)

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